K(r)ampf im Neuschnee - Augstenberg (3230 m / 3224 m)


Publiziert von PStraub , 28. Juli 2023 um 10:06.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Unterengadin
Tour Datum:27 Juli 2023
Wandern Schwierigkeit: T5+ - anspruchsvolles Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Mountainbike Schwierigkeit: L - Leicht fahrbar
Wegpunkte:
Geo-Tags: Augstenberg-Gruppe   CH-GR   A 
Aufstieg: 1300 m
Abstieg: 1300 m

Nach den beiden Piz Urschai und dem Piz Tasna habe ich mit dem Augstenberg / Piz Blaisch Lunga einen weiteren Berg im Val Tasna/Val Urschai besucht, der in HIKR ein Schattendasein fristet. Ganze acht Berichte, sieben davon im Winter, und alle von der Jamtalhütte aus, sind aufgelistet.
Und im SAC-Tourenportal starten nur gerade drei von 22 Routen auf der Bündnerseite, und diese beginnen in Urezzas oder Urschai und machen einen weiten Bogen, um in die Mulde südwestlich des Berges zu gelangen.

Ich war der Meinung, das müsste direkter gehen.
Deshalb habe ich mir anhand eines Kartenstudiums eine vermutete Route herausgesucht und in der GPS-App gespeichert. Die Idee war, dass es möglich sein müsste, von Marangun d'Urschai aus via Gravas den Vadret da Chalaus direkt zu erreichen. Und von den drei dortigen Rinnen sah die nördlichste am vielversprechendsten aus.

So fuhr ich einmal mehr mit der RhB nach Ardez und dann mit dem Bike nach Urschai, wo ich das Bike deponierte. An sich könnte man weiterfahren, Spuren in der regennassen Erde zeigten, dass der Übergang zur Jamtalhütte gemacht wird.

In Marangun d'Urschai hat ein Witzbold einen Wegweiser aufgestellt, der vermutlich früher bei Urschai stand: geradeaus zum Futschölpass, nach links zur Tuoihütte. Es braucht einen speziellen Humor, um das lustig zu finden.
Dort weidete eine Gruppe Pferde. Ein Fohlen war äusserst zutraulich, als ich fotografierte, stupste es mich ständig, um weitere Tätscheleinheiten zu bekommen.

Dann stieg ich auf dem Weg zum Futschölpass ein Stück auf, um später den Hang zu queren. Das war eine besch* Idee, die Querung verlief durch Zwergstrauch-Dickicht. Der direkte Aufstieg dem Bach entlang wäre deutlich einfacher gewesen.

Dann stand ich beim Einstieg meiner geplanten Route. Und die begann mit einem kleinen Felskessel: keine Chance, da durchzukommen.
In der mittleren Rinne fliesst der Gletscherbach. Selbst wenn sie begehbar wäre, führt der Bach soviel Wasser und sind die Steine so glitschig, dass das nicht in Frage käme.

So blieb mir die südliche als letzte Hoffnung. Und das ging dann auch einigermassen. Alles ist voller Schutt in jeder Körnung, und immer wieder mussten Steilstufen überwunden werden. Aber nach gefühlt unendlich langer Zeit erreichte ich den Ausstieg auf knapp 2700 m und konnte zum Gletscher queren.

Dort begann die nächste Herausforderung. Es hatte in den Vortagen in den nördlichen Alpen geschneit. An sich habe ich angenommen - und per Webcam vorab überprüft! - dass das im Unterengadin nicht der Fall gewesen sei. Doch ab 2700 m hatte es Neuschnee. Auf dem Gletscher hiess das nur, dass man Spalten und Wasserlöcher nicht sieht. Damit kann man leben, dafür gibt es Stöcke zum Sondieren.
Doch so auf 2900 m verlässt man den Gletscher und gerät in Schutthalden. Da nützen Stöcke nichts mehr, da bleibt es nicht aus, dass man ständig dort hintritt, wo man besser nicht würde. Zudem war die Neuschneeschicht weiter oben tiefer und die Löcher waren zugeblasen.

So brauchte ich einmal mehr für die restlichen 300 m unglaublich lange. Das hat auch mit dem schwierigen Gelände zu tun. Was im Winter zwar steil, aber einigermassen ebenmässig sein mag, ist im Sommer ein Gewirr von Stellen zwischen gutgängig und unpassierbar.

Schliesslich erreichte ich den Grat und dann den südlichen Gipfel (P. 3224). Vom im SAC-Text erwähnten Vermessungssignal ist nichts (mehr?) zu finden. Es hat nicht einmal einen Steinmann.
Hingegen ist die Aussicht gewaltig. Oder: wäre. Die Prognose war "freundlich, mit hohen Wolkenfeldern". Tatsächlich war es fast immer bedeckt - siehe Fotos. Und in Gratnähe ging ein  kalter, stürmischer Wind.

Im Führer steht: "Der Übergang von der nördlichen Augstenbergspitze zum südlichen Gipfel erfolgt dem Grat entlang leicht. Ein Felskopf in der Gratmitte wird besser westseits umgangen." Tatsächlich ist der "Felskopf" ein schwarzer Mocken, um ihn zu "umgehen" muss gegen 100 m abgestiegen werden.

Der Aufstieg zum nördlichen Gipfel war zwar auch anstrengend, aber das dortige rötliche Gestein ist etwas einfacher zu begehen.

Kaum hatte ich den Abstieg begonnen, trat ich auf einen schneebedeckten Stein. Nur war das kein Stein, sondern eine ganze Platte, prompt sauste ich ein rechtes Stück den Hang hinab.
Neben ein paar leichteren Wunden und heftigeren Prellungen verlief das glimpflich. Nur waren die Verletzungen im weiteren, noch sehr langen Abstieg nicht gerade hilfreich.

Die Abstiegsroute durch die Steilstufe unter dem Gletscher musste ich schrittweise zusammensuchen. Dass der Gletscherbach nun noch mehr Wasser führte, brachte mir Erfrischungen, die ich gar nicht gesucht hatte. Als ich endlich beim Bike war, war ich fix und fertig.

Im Dorfladen kaufte ich mir die übliche Verpflegung für die Heimfahrt - und erntete einige verwunderte Blicke. Erst ein Blick in den Spiegel zeigte mir warum: Ich hatte auch im Gesicht einige dekorative Blutspuren.

Das war eine Wanderung, die in fast jeder Beziehung aus dem Ruder gelaufen ist: das Wetter, die Schwierigkeit, der Neuschnee, die Dauer, der Sturz ..
Immerhin hat der Augstenberg / Piz Blaisch Lunga eine neue, direkte und logische Route!


Bike: auf/ab ca. 750 Hm, total 28 km (inkl. 2 x Unterterzen - Walenstadt)

Tourengänger: PStraub


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Kommentare (2)


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marmotta hat gesagt:
Gesendet am 28. Juli 2023 um 10:34
Interessant, diese Rinne hatte ich mir vor Jahren mal als alternative Aufstiegsroute (allerdings im Frühsommer, wenn noch Firn den grausligen Schutt bedeckt!) ausgesucht. Bin dann aber doch lieber mit Ski von der Tuoihütte via Urezzajoch auf den Augstenberg. Und, ja: der direkte Übergang vom Südlichen zum Nördlichen Gipfel ist tatsächlich nicht möglich (jedenfalls nicht für mich), diese leidvolle Erfahrung musste auch ich machen (und hab mich dann mit dem Südgipfel begnügt).

Danke für´s Auskundschaften und Teilen. Ich hoffe, die Blessuren sind nicht allzu gravierend!

G.
marmotta

Primi59 hat gesagt:
Gesendet am 30. Juli 2023 um 13:52
Uhhh Peter, vielleicht solltest du bei der nächsten abenteuerlichen Tour für deine Prellungen/Schürfungen einen Samariter an deiner Seite mitführen ;-))

Gute Besserung und Gruss

deine Nachbarin


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