Abenteuerliche Routen am Biolet 2293m


Publiziert von Bergamotte , 15. Juli 2023 um 16:19.

Region: Welt » Schweiz » Waadt » Waadtländer Alpen
Tour Datum:14 Juli 2023
Wandern Schwierigkeit: T6+ - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VD 
Zeitbedarf: 5:30
Aufstieg: 1450 m
Abstieg: 1450 m
Strecke:14.5km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:PW bis Parkplatz Pierreuse (P. 1104)
Kartennummer:1265 Les Mosses

Im Rahmen meiner grossen Gummfluh-Rundtour (*klick) Ende Juni bin ich auch am Biolet vorbeigekommen und habe im Abstieg eine von vielen vergessenen Routen begangen. Es hat mir damals regelrecht den Ärmel reingezogen und ich wollte bei Gelegenheit an diesen einsamen Berg zurückkehren. Keinen Monat später war es soweit. Der geplante Aufstieg entspricht der Verkettung dreier alter Routen. Abschnitt zwei und drei konnte ich auf früheren Touren gut einsehen und -schätzen. Der Auftakt hingegen bereitete mir etwas Kopfzerbrechen. Der Führer meint dazu nur lapidar "Ne se pratique plus". Die Bewertung "F"(acile) schien mir unsinnig, aber liess immerhin genug Reserve - sollte man meinen. Nicht zuletzt lösen sich vermeintliche Schwierigkeiten vor Ort oft in Wohlgefallen auf. Heute war's umgekehrt und ich geriet in arge Bedrängnis... the only way is up. Das sollte am Berg nicht passieren. Davon abgesehen ist das eine wilde, originelle Führe und ich fühlte mich wie ein Abenteurer zu Pionierzeiten. Das galt für den gewählten Abstieg gleichermassen, der nochmals eine heikle Überraschung bereit hielt. Der Abstecher über den Salaires-Ostgrat war da geradezu ein Spaziergang.

Um 7:30 geht's los vom Wanderparkplatz "La Pierreuse" im Gérine-Tal. Auf der steilen Alpstrasse erreiche ich zügig Les Laissalets (1332m), wo sich die Route gut einsehen lässt. Die Zuversicht wächst, das scheint gut machbar. An passender Stelle verlasse ich den Wanderweg und traversiere zum Einstieg am Fuss der grossen Brecaca-Nordflanke. Der Auftakt ist wenig vielversprechend: mit Gras und Moos bewachsener Fels, da hält nichts, dazu stark durchnässt. Aber als ambitionierter Alpinwanderer ist man sich solche Schwulitäten gewohnt. "Wird sicher gleich besser", denke ich mir. Leider nicht, es wird immer schlimmer. Und steiler. Passt man nicht auf, reisst man ganze Grasschuppen weg. Bald geht's mangels verlässlicher Griffe nur noch mit dem Pickel weiter. Das ist mir kaum je passiert. Im Hinterkopf höre ich Yazz ihren 80er Jahre Klassiker trällern: "The only way is up". Das darf nicht passieren. Etwas Abwechslung bieten abgewaschene, griffarme Felsplatten. An manchen Stellen muss ich bis zu fünf Mal ansetzen, bis sich ein Fortkommen ergibt. Kurzum, T6+ der übelsten Sorte, und vor allem für 50 Minuten anhaltend. Gewonnen habe ich dabei gerademal 150Hm.

Ich erreiche nun ein kleines Plateau: durchatmen. Die Richtung ist klar: nach Nordosten über einen markanten, zunächst breiten Sporn. Rechts davon würde die anspruchsvolle R. 767 "Variante par Les Trous" wegziehen. Die Begehung macht nun wieder Spass, T5 bis T6-. Doch das Gelände steilt zunehmend auf und bald stehe ich zu Füssen eines Felsaufschwung, mind, III. Äh... nein. Durchatmen. Etwas retour und neuer Versuch weiter links (N). Und tatsächlich, kurze Kletterei führt mich auf ein verwachsenes Gesimse, welches mitten durch eine fast vertikale Felswand zieht (T6-): wie elegant, wie originell! Es scheint sich um einen regelrechten Gemsen-Highway zu handeln. Ist Bergsteigerei nicht das schönste Hobby auf Erden? So schnell kann's gehen... Am Ende des doch recht langen Sims dann rechterhand steil hoch (vor Ort offensichtlich). Hier ist wieder kräftige Grasbeisserei gefragt (T6), aber gutmütiger als zuvor. Der Sporn legt sich gegen oben zurück und geht in Gehgelände über. Höchste Zeit für ein Biberli.

Hier verabschiede ich mich von der denkwürdigen R. 766 ("Par le Bas") und wechsle auf R. 765 ("De la Potse di Gaule"). Das sind übrigens beides Zugänge zum Grand Crau und nicht zum Biolet. Die Querung nach Westen durch den grasigen Bereich der Brecaca-Nordflanke bietet keine Schwierigkeiten, T5, man folge den Wildwechseln. Am Ende kurzer Gegenabstieg in den Kessel von Potse di Gaule. Auch heute scheuche ich eine Herde Gemsen auf, die dürften hier kaum je gestört werden. Der eigentliche Aufstieg zum Biolet (2293m) bietet dann Alpinwanderei vom Feinsten und erfolgt auf R. 749 ("Variante de la Potse di Gaule"). Zunächst die breite, offensichtliche Schuttrinne hoch (im Frühsommer Pickel/Steigeisen zwingend), die auf einer Art Grasbalkon in der Biolet-Nordflanke endet. Von dort überraschend einfach in gehobenem Gehgelände und kurzer Kraxelei (max. T5+) bis zum Gipfel.

Mittagsrast. Das Adrenalin hat sich mittlerweile verflüchtigt. Weil vor Ort, lasse ich mir den Abstecher zu den Salaires nicht nehmen. Eigentlich ist das in der West-Ost-Überschreitung eine klassische Klettertour, schön beschrieben im SAC-Tourenportal und auch durch spez. Der Ostgrat steht aber auch dem Alpinwanderer offen. Der Kamm bis vor den Gipfelturm lässt sich durchgehend und anregend begehen. Die einzelnen Felsriffe lassen sich - bei Bedarf - problemlos umgehen, sonst bis II. Die Salaires (2170m) wirken von Osten wie eine Felsnadel und geradezu abweisend senkrecht. Erst direkt beim Einstieg löst sich alles in Wohlgefallen auf: den markanten Kamin hoch bis zur Abseilstelle (II), dann nordseitige, etwas ausgesetzte Querung bis zu einer gutmütigen Rinne, die man hochkraxelt (T5), zuletzt wenige Meter über den Felsgrat zum Gipfel.

Das Selbstvertrauen wieder hergestellt, spiele ich mit dem Gedanken, südseitig zum Col des Salaires (LK ohne Name und Kote) zu queren und von dort den Direktabstieg nach Norden durch die Rinne zu probieren. Ich hab's dann gelassen und war im Nachhinein froh drum. Ein Erstversuch sollte von unten erfolgen. Also zurück über die Aufstiegsroute Richtung Biolet und - etwas gar früh - runter in die markante Westrinne. Diese Route fehlt im Führer, trotzdem hatte ich aufgrund der Fotos mit keinerlei Schwierigkeiten gerechnet. Tatsächlich lässt sich die ausgewaschene Rinne angenehm und zügig begehen und empfiehlt sich auch für Aufstiege (bis T6-, meist deutlich einfacher). Und unten sollte sich sowieso alles in Wohlgefallen in Form eines riesigen Geröllfelds auflösen. Glaubte ich. Doch die Verbindung zwischen den beiden Abschnitten hielt nochmals eine schallende Ohrfeige bereit: T6+. Oder eher III? Vermutlich beides. Die Schwierigkeit liegt nicht wie zuvor im Gras (Vegetation existiert hier keine), sondern dem beinahe senkrechten Fels-/Schutt-/Sandgelände. Etwas viel Ausgesetztheit für meinen Geschmack. Ich bin drauf und dran, mich an einem Zacken abzuseilen, aber die wenigen Felsgriffe halten gut, so klettere ich dann doch ab. Dann ist jeglicher Unbill geschafft für heute, abgesehen vom knochenbrechenden Geröllwahnsinn vielleicht, aber das hat man selbst in der Hand bzw. im Fuss. Unten dann noch ein Blick die angetönte Rinne zum Col des Salaires hoch, wirkt schon sehr wild... Zuletzt Querung zum Wanderweg, wo die Kraft noch reicht fürs Jogging zum Ausgangspunkt. So, jetzt ab in die Familienferien an die Mosel, da verführen mich definitiv keine T6-Spinnereien.


Material:
- Helm
- Leichtpickel
- Leichtseil 30m
- Bandschlinge

Zeiten (kum)
3:15 (!)  Le Biolet
3:45  Les Salaires
5:25  Parkplatz Pierreuse

Tourengänger: Bergamotte
Communities: T6


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