Brüggler, Direkte Plattenwand

Eigentlich hatte ich vor, am nächsten Tag so richtig viel vom Schreibtisch wegzuarbeiten, aber dann kam die E-Mail von Christian: «Morgen scheint Top-Bergwetter zu sein…». Stimmt, aber ich habe viel zu viel zu tun. Andererseits: man darf auch keine falschen Prioritäten setzten… Also fuhr ich Freitagmorgen nicht ins Büro, sondern nach Ziegelbrücke, wo ich Christian am Bahnhof aufsammelte, Ziel: Brüggler. Die Sonne lachte, der kalte Morgen wich einem milden Frühlingstag. In der Tat der richtige Tag für die sonnige Schrattenkalkplatte am Brüggler! Einige Schneereste auf der Strasse schaffte mein alter Corsa noch mit Ach und Krach, aber auf dem Parkplatz am Alpincampingplatz Schwändital war Schluss: für die letzten Meter mussten Schneeketten aufgezogen werden. Im Zustieg sorgte der stellenweise noch hohe Schnee für nasse Füsse und einige extra Schweisstropfen (wir waren zu optimistisch und sind ohne Schneeschuhe los), bis wir am Wandfuss standen. Nach kurzer Beratung entschieden wir uns für die Direkte Plattenwand, eine 7 SL lange Route im Zentrum der Wand. Da am Einstieg (markiert mit einem orangenen Pfeil) der Schnee noch recht hoch lag, stiegen wir auf den ersten Absatz hoch, aber weil diese schmaler als gedacht war, noch eine Stufe höher und dann noch eine, bis wir die kurze erste Seillänge seilfrei hinter uns gebracht hatten. Am Standplatz der zweiten Seillänge seilten wir uns nun ordnungsgemäss an, und ich stieg die nächste (also offiziell die zweite) Seillänge vor. Wie üblich nach einem langen Hallenwinter musste ich mich erst einmal wieder an die weiteren Hakenabstände und die grössere Höhe der richtigen (Berg)welt gewöhnen. Seillänge 3 stieg Christian vor, routiniert bis kurz vor dem Stand, wo er sich etwas verstieg und beim Strecken nach dem nächsten Griff wohl für einen kurzen Moment den Druck von einem Fuss nahm… und stürzte. Zwei Haken tiefer signalisierte er zu meiner Erleichterung «alles in Ordnung» und stieg zum Stand durch. Die folgende Seillänge übernahm turnusgemäss wieder ich und hatte eine Riesenfreude an wirklich wunderschöner und abwechslungsreicher Kletterei, nicht zu leicht und auch nicht zu schwer (5a), mit vielen Spreizungen, wie ich es liebe. Als Christian nachstieg, meldete sich dann leider doch noch sein Knöchel. Bei der Beratung am Standplatz kamen wir zum Schluss, dass Abseilen wohl am vernünftigsten ist. Schade, aber wir waren immer noch froh, dass es nichts Ernsthafteres war, und kleinere Blessuren sind bei einem aktiven Lebensstil halt leider nicht zu vermeiden. So seilten wir rasch ab und kehrten früher als geplant zum Auto zurück.

Da wir die Route nicht zu Ende gebracht haben, kann ich nur die erste Hälfte bewerten, aber diese hat wirklich Spass gemacht. Wie üblich am Brüggler gibt es zum Teil Verwirrung durch die Haken der eng benachbarten Routen. Im Zweifel gilt links halten, zumindest im von uns begangenen Abschnitt. Ich hoffe, die Route ein andermal vollständig zu begehen – der Brüggler läuft zum Glück nicht weg!

Abschliessend noch eine Anmerkung zur Sicherungstechnik. Bei alpinen Routen bin ich seit einiger Zeit dazu übergegangen, den Vorsteiger mit der HMS am Standplatz zu sichern und nicht mit dem Tuber am Körper, wie ich es früher in meinem Mehrseillängenkurs gelernt hatte, und der erste "Praxistest" hat mich darin bestätigt. Der Zeitaufwand ist kaum grösser als den Tuber umzuhängen und einen Dummy-Runner zu klippen, aber im Fall der Fälle wird man eben nicht zur Wand hin gerissen, was ja leicht zu einem Kontrollverlust führen kann. Zwar kann man auf diese Weise kaum dynamisch sichern, aber Christian hat den Sturz trotzdem nicht als hart empfunden; die Seildehnung der Halbseile lieferte offensichtlich ausreichend Dynamik, zumindest, wenn man schon einige gewisse Strecke geklettert ist.