Querweg Schwarzwald - Kaiserstuhl - Rhein
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Der Querweg Schwarzwald - Kaiserstuhl - Rhein verbindet auf einer Länge von mehr als 112 km die Städte Donaueschingen im Schwarzwald-Baar-Kreis und Breisach am Rhein. Das Landschaftsbild ist insgesamt recht abwechslungsreich und gliedert sich in folgende Abschnitte:
Mit gehörigem Respekt ging's also los zum östlichen Startpunkt nach Donaueschingen. Kaum zu glauben, aber diesen erreichte ich ohne die passende Musik aus dem Autoradio ;) Dabei hätte es so unendlich viele Möglichkeiten gegeben: I'm walking, It's a beautiful day, Highway to hell - alles sehr treffend. Oder natürlich der Klassiker: Das Wandern ist des Müllers Lust, derzeit bei Lehrern ja ein besonders beliebeter Song. Tja, statt motivierender Einlaufmusik bekam ich nur das Geplärre der Zuglautsprecher zu hören (oder muss das auch schon Zuglautsprecher*:_Innen heißen???). Aber hey, wo sonst bekommt man für 9 Euro soviel geboten wie bei der Deutschen Bahn? Taxiservice und Kino in einem, da konnte ich nicht widerstehen. Den Extrakilometer zum heimischen Bahnhof vergesse ich mal.
Donaueschingen empfängt mich dann mit dem obligatorischen Hinweis, dass es sich um die "Donauquellstadt" handeln würde. Hätten sie wohl gerne. Aber auch wenn Brigach und Breg die Donau zuweg bringen, liegt hier lediglich der namensgebende Donauursprung. Die hydrogeografische Quelle befindet sich selbstredend an der Martinskapelle bei Furtwangen. Diesem Umstand ist bekanntlich eine Dauerfehde entsprungen, der sog. "Streit um die Donauquelle". Neuestes Kapitel: Beide Städte beantragten beim Land BW den offiziellen Titel "Donauquellstadt", damit der Streit ein für allemal geklärt würde. Salomonisch wie unsere Politiker sind, haben sie diesen Titel sogar beiden Städten verliehen, ein klassisches Unentschieden also. Bevor man als Politiker etwas entscheidet kümmert man sich hierzulande scheinbar lieber um "The Länd". Wäre ich Touristiker der Stadt Donaueschingen bzw. Furtwangen hätte ich den Donauquellstreit ohnehin schon längst genutzt und einen Wanderweg "Von der Donauquelle zur Donauquelle" ins Leben gerufen, schade, Chance verpasst. Sei's drum, genug mit dem Vorgeplänkel, auf zur Tour:
Vom Bahnhof in Donaueschingen geht's zunächst am Geologischen Garten vorbei zur Brigach und flussaufwärts auf einem Fußweg weiter. Enten und Schwäne planschen gemütlich im seichten Nass der Brigach. Die haben's gut, für mich ist es jetzt schon zu heiß. Aufgrund der zur Verfügung stehenden Infrastruktur (Einkaufen am Abend in Furtwangen und am Morgen in Nimburg) konnte ich erst um kurz nach 10 Uhr starten, 3-4 Stunden früher wäre weitaus sinnvoller gewesen. Die Brigach begleitet mich in den D'Eschinger Ortsteil Aufen, dann steht mit dem Eichbuck der erste kleine Buckel auf dem Programm. Dessen Überschreitung bringt mich nach Wolterdingen im Tal der Breg. Zu Beginn achte ich darauf, dass ich sehr konsequent alle 5 km eine Trink- und alle 10 km auch eine Essenspause einlege. Mit 4,5 Litern gestartet schwinden die Wasservorräte allerdings wie das Eis in der Sonne. Auf dem Friedhof in Wolterdingen tanke ich daher schnell nach, bevor es mir so geht wie den meisten um mich herum...
Der Abschnitt über die Baar hat mit "Schwarzwald" natürlich wenig zu tun. Großteils laufe ich über offene Feldflur und damit immer in der prallen Sonne. So auch auf dem nächsten Stück nach Tannheim. Vor einem Haus sitzt ein Handwerker in der Pause. "Wo läufst du denn hin?" "Nach Breisach." "Oh mein Gott, da musst du ja durch den Wald..." Ja, das würde ich in der Tat gerne, Schatten würde es jetzt bringen. Doch auch im Wald ist der kein dauerhafter Begleiter, denn die Forstwege sind oft dermaßen breit, dass Schatten Mangelware bleibt. Vorbei an den hübschen Spitalhöfen erreiche ich Herzogenweiler. Hier und da lassen Beschilderung und Wegpflege zu wünschen übrig, sodass ich mich zweimal kurz verlaufe und mir im hohen Gras zwei Zecken einfange. Kein Vorwurf an irgendwen, auch der Schwarzwaldverein kämpft mit Personalmangel. Da merkt man erstmal, welch enorm wichtige und gute Arbeit, all die Ehrenamtlichen (Wegewarte etc.) dort leisten. Nicht genug der Pein, einige Forstautobahnen wurden frisch präpariert. Wer es schon erlebt hat, weiß wovon ich schreibe: Ich fühle mich wie ein Fakir.
Da kommt mir die Sankt Michaelskapelle oberhalb von Vöhrenbach gerade recht um für Beistand zu bitten. In Vöhrenbach endet die erste offizielle Etappe. Irgendwo riecht es nach Grillfleisch, äußerst unsympathisch und gemein. Leider hat auch der örtliche Metzger bereits geschlossen, ein Fleischkäsweckle wäre gerade eine echte Motivation gewesen. Überhaupt das Thema Essen: Selten bemerke ich an mir so große Unterschiede zwischen Hunger und Appetit. Deshalb kann man meiner Meinung nach nur bedingt Sachen für den Verzehr mitnehmen - man weiß einfach nie genau, was man während der Tour wirklich zu sich nehmen möchte. Dennoch muss man die Kalorien ja irgendwie ausgleichen (laut meiner Garmin am Ende übrigens knapp 12.500 kcal).
Entlang der Breg schlendere ich hinüber nach Furtwangen. Hier folgt der Querweg dem Donauradweg. Ein Schild informiert mich darüber, dass der Weg bis Bratislava gut befahrbar sei. Danke, aber ganz so weit brauche ich dann doch nicht. Für mich ist der örtliche LIDL das Zwischenziel meiner Träume. Hier gibt es Essen und Getränke im Überfluss. Zudem liegt der Laden unmittelbar an der Route, ein nicht ganz unwichtiger Umstand. Es ist 18:30 Uhr und ich halte meinen Plan beinahe auf die Minute ein.
Nach Furtwangen steht der Aufstieg zum höchsten Punkt der Tour an. Zunächst wandere ich jedoch entlang der Umgehungsstraße, gar nicht schön. Nach Überquerung der B500 erreiche ich den Westweg und folge kurzzeitig auch der roten Raute. Vom Staatsberg schweift der Blick über Furtwangen und die Umgebung. Auch der Feldberg ist zu sehen. Nur 40 km wären es nach Hause, ich hab noch knapp 80 km vor mir. Für einen Moment denke ich darüber nach, nach Süden abzubiegen. Der längste Abstieg der Tour beginnt dann in Richtung Gütenbach mit dem großen Fabrikgelände der Firma Faller. Anschließend folgt (endlich mal) ein attraktiveres Wegstück: Durch die Teichschlucht leitet ein schöner Wanderpfad.
Mittlerweile ist die Sonne untergegangen und die abendliche Kühle verleiht mir neuen Auftrieb. Bei der Pfaffmühle betrete ich das Tal der Wilden Gutach und wünsche den daheimgebliebenen Unterstützern eine gute Nacht. Der folgende Abschnitt machte mir vor der Tour die meisten Sorgen, denn etliche Bauernhöfe werden unmittelbar passiert. Was wird mich da wohl erwarten? Blutrünstige Hunde oder Bäuerinnen mit dem Nudelholz? Oder gar der Hofbesitzer mit seinem alten Karabiner? Tatsächlich fällt kurz darauf ein Schuss, das war aber nur der Jäger oben am Waldrand. Ansonsten ist alles friedlich und ich einigermaßen entspannt. Wäre da nicht der rapide nachlassende Akku meines Smartphones. Auch die Powerbank hat den Geist aufgegeben. Glücklicherweise gilt auf Fernwanderwegen das Motto: The Trail provides! Stimmt, denn kurz darauf komme ich in Obersimonswald zu einem Bolzplatz wo einige Jugendliche aus dem Tal zelten. Der Mann mit der Stirnlampe fragt die leicht Erschrockenen nach einer Powerbank - ich werde nicht enttäuscht. Im Gegenteil bekomme ich sogleich Wasser, Chips und weiteres zur Stärkung angeboten. So plaudere ich einige Minuten mit den sehr netten und höflichen jungen Leuten und mache mich mit 80% Akku auf den Weiterweg. Der nächste ungeplante Zwischenstopp lässt nicht lange auf sich warten. Beim Gasthaus Rebstock brennt noch Licht. Vom Balkon werde ich angesprochen: "Läufst du den Zweitälersteig?" " Nein den Querweg." "Magst du hochkommen, kriegst auch was zu trinken". Zwei Minuten später sitze ich mit der Wirtsfamilie auf dem Balkon, trinke Cola, gönne dem Handy die restlichen 20% Akku und unterhalte mich angeregt über das Thema Fernwandern. Unter den Anwesenden hat einer bereits den Zweitälersteig am Stück gelaufen (108 km, 4120 Hm). Ich dachte ja, ich sei ein Exot. Scheinbar machen das aber doch öfter mal ein paar Leute. Nach einer halben Stunde verabschiede ich mich von Michael und den anderen und sage zweimal Danke nach Obersimonswald.
Der weitere Trailverlauf im Tal der Wilden Gutach ist meist unspektakulär. Meist geht es wenig entfernt links und rechts vom Fluss talwärts. So passiere ich Simonswald und wenig später ein einsames Haus. Hier wird mir dann zum ersten uns einzigen Mal mulmig. Kurz nacheinander springen drei Lampen von Bewegungsmeldern an, Zäune und Absperrband verbarrikadieren beinahe jeden Meter, Schilder warnen vor diesem und jenem und verbieten quasi alles außer atmen. Ich weiß ja nicht, wer hier einbrechen will, aber ich suche schleunigst das Weite.
Nebenbei beginne ich die zweite Hälfte meiner Tour. Die üblichen Wehwehchen stellen sich nach 60 km natürlich auch allmählich ein. Hier und da zwickt und scheuert es. In Gutach lasse ich das enge und dunkle Simonswälder Tal hinter mir und betrete das Elztal. In den Ortschaften gilt es, gut auf die spärlichen Markierungen zu achten. Den Track hatte ich mir vorher von Outdooractive gezogen, allerdings weicht der doch hin und wieder von der Beschilderung ab, insbesondere bei Kollnau (der Track unten entspricht exakt der Route im Gelände, wurde jedoch am PC nachgezeichnet). Unspektakulär laufe ich durch Waldkirch. Hier und da brennt noch Licht, auf der Straße ist jedoch niemand mehr unterwegs. Kein Wunder, es ist kurz nach 3 Uhr. Das Suchen und Finden der Wegmarkierungen hält mich zum Glück vom Nachdenken ab, sodass sich auch keine tiefe Müdigkeit einstellt. Neben dem Hunger bei gleichzeitiger Appetitlosigkeit und dem schmerzenden Intertrigo ist dies mein dritter Hauptfeind beim Langstreckenwandern. Während ich am Ufer der Elz entlang schlendere umgibt mich inmitten der Stille eine tolle Szenerie: Vor mir der Vollmond auf einer Wolkenbank während hinter mir ein Silberstreifen den neuen Tag ankündigt. Ein nächster kleiner Hügel durchbricht die Monotonie der Flachstrecke, es geht hinauf zur Ruine der Severinskapelle nebst herrlichem Pausenplatz. Obwohl es noch kühl ist nutze ich die Gelegenheit, mich der Bekleidung für die Nacht zu entledigen. Vermutlich würde der neue Tag noch mehre Hitze bringen als der gestrige, schließlich führt die Route nun in Richtung Kaiserstuhl.
Zunächst geht es jedoch durch Denzlingen hindurch. Der Ort erwacht gerade, die ersten Leute fahren zur Arbeit. Die Landschaft hat sich nun völlig verändert, vorbei sind die Täler und Höhenzüge, es ist alles topfeben. Zum Glück führt der erste Abschnitt im Oberrheinischen Tiefland durch ausgedehnte Waldgebiete. Das sogar auf teils lauschigen Pfaden, mehrheitlich natürlich auf klassischen Forstwegen. Überhaupt - auch das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden - ist die Route im Vergleich zu anderen Fernwanderwegen insgesamt unattraktiv. Richtig schöne Wege gibt es nur in der Teichschlucht und am Kaiserstuhl sowie punktuell zwischendurch. Zum absolut überwiegenden Teil bewegt man sich auf Schotter und Asphalt. Wer also einen klassischen Mehrtagesmarsch plant sollte auf die weitaus schöneren Alternativen (v.a. Zweitälersteig und Schluchtensteig) ausweichen. Nach Überqueren der A5 erreiche ich Nimburg und befinde mich etwa 20 Minuten hinter meinem Zeitplan. Dieser sah vor, dass ich um 7 Uhr beim örtlichen Netto einchecke. Der macht nämlich exakt um diese Zeit auf. Wie erwähnt waren der abendliche Einkauf in Furtwangen und der jetzige meine zeitlichen Fixpunkte auf der Tour. Für die paar Getränke dauert der Einkauf ewig, da vor mir an der Kasse reklamiert sowie der Monatseinkauf für eine 68-köpfige Familie erledigt wird. Ich nutze die Zeit für Dehnübungen und schäme mich, dass die Menschen hinter mir meinen nicht mehr taufrischen Körper ertragen müssen. Anschließend begehe ich einen Fehler, denn ich trinke genüsslich einen Kaffee in der angeschlossenen Bäckerei und setze mich dafür 20 Minuten hin. Meine wund gescheuerte Haut quittiert mir diesen Genuss mit einem stechenden Schmerz, sodass ich den Wachmacher umgehend bereue. Während ich noch darüber nachdenke mich mit Sonnencreme einzuschmieren schwallt mich ein Verrückter voll. Er verabschiedet sich mit den Worten, dass er es Scheiße fände, dass wir immer noch keine Atomwaffen liefern und verschwindet stante pede im Discounter. Nichts wie weg hier, bevor der wiederkommt.
In Sichtweite der letzten Hürde, dem Kaiserstuhl, strebt der Querweg nun Eichstetten zu. Entlang der alten Dreisam passiere ich landwirtschaftliche Nutzflächen, von denen einige gerade bewässert werden. Eine wunderbare Abkühlung gibt's also schon gratis am frühen Morgen. In Eichstetten herrscht bereits große Betriebsamkeit, für mich beginnt nun die letzte und mit großem Abstand härteste Etappe dieser Ochsentour. Der Aufstieg erfolgt zunächst in den Weinbergen. Und was mag die Weinrebe? Richtig, Sonne! Ostexponiert gibt's davon zu dieser Tageszeit reichlich. Meine Gehzeit reduziert sich zunehmend und nur mit Musik empfinde ich noch die Motivation weiterzulaufen. Wie eine Oase in der Wüste kommt mir der Wald vor, mit dem die höchsten Teile des Kaiserstuhls bestanden sind. Durchschnaufen am Bahlinger Eck, dann weiter hinauf auf den Katharinenberg, mit 492 m dritthöchster Gipfel im Kaiserstuhl. Ich raste nur kurz und mache mich gleich auf den Weiterweg, der immer am Kamm des kleinen Vulkangebirges entlangführt. Und dann ist es soweit: Meine GPS-Uhr vermeldet 100 gelaufene Kilometer. Hurra? Nichts dergleichen, einfach nur weiter! Schelinger Viehweide, Staffelberg, Texaspass heißen die nächsten Zwischenziele, dann hinab zum Pavillon auf der Mondhalde. Der ist mittlerweile scheinbar zum Modespot bei Insta-Jüngern verkommen und folgerichtig wochenends für den Autoverkehr gesperrt. Ist die begriffliche Nähe von Influencer und Influenza eigentlich Zufall? Naja, aktuell isses hier ruhig, was vermutlich aber auch der unerträglichen Hitze geschuldet ist. Wie soll das erst im Hochsommer werden? Die Garmin zeigt beim Laufen 37°C an. Die Schattentemperatur ist natürlich geringer, leider gibt's aber auch keinen Schatten, und daran wird sich bis ins Ziel auch nichts mehr ändern.
Um die Mittagszeit laufe ich in Oberrotweil ein. Die meisten Leute haben sich in ihre Häuser verzogen und machen Siesta oder versuchen anderweitig der Hitze zu entfliehen. Jeder Brunnen am Weg wird nun genutzt um meinen Kopf so gut es geht zu kühlen. Noch 10 km. Aufhören ist wegen der Wärme nun eine echte Option. Ich hadere, entschließe mich dann aber doch dazu, weiterzulaufen. Nochmal stellt sich ein fieser Anstieg in den Weg. Eigentlich nur lächerliche 2,5 km und 150 Hm, für die ich unterwegs zwei Trinkpausen benötige. Der höchste Punkt dieses Anstiegs liegt am Schneckenberg, wie wahr... Dann steil hinunter nach Achkarren und den Dorfbrunnen ausgetrunken. Obwohl noch reichlich Getränke in Form von Cola und Mineralwasser im Rucksack sind, bekomme ich außer stillem Wasser nichts mehr runter. Gegessen habe ich seit Stunden nicht mehr, es geht einfach nichts mehr rein. Der Weg zum Achkarrer Bahnhof erfolgt auf Asphalt und ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Würde ich in den Zug einsteigen könnte ich mir eine Stunde Gehzeit sparen, würde mich aber vermutlich bis zum Sankt Nimmerleinstag ärgern. Also reiße ich mich zusammen, telefoniere ein wenig und führe Selbstgespräche. Tatsächlich denke ich manchmal, ich stünde neben mir, ein sehr komisches Gefühl. Schnurgerade zieht sich die Strecke zum Badischen Winzerkeller. Der Asphalt müffelt so, wie er in sommerlicher Hitze eben riecht - nicht schön. Ich schwöre mir, so etwas nie wieder zu machen und erreiche den Ortsrand von Breisach. Keine Spur von Euphorie, nur nochmal eine Etappe durch das Industriegebiet. Dann endlich, das Ziel in Sicht. Am Bahnhof von Breisach kommt tatsächlich für einen Moment ein enormes Glücksgefühl auf. Bei 115,4 km klickt der Knopf meiner Uhr, nach genau 29 Stunden, 8 Minuten und 5 Sekunden.
Im proppevollen Zug fahre ich zurück nach Hause und lasse mich im Privattaxi heimchauffieren. Das Ende eines für mich einmaligen Abenteuers.
Warum habe ich das überhaupt gemacht?
Gute Frage, wahrscheinlich weil es auf meiner "Löffelliste" stand (also auf der Liste mit jenen Dingen, die ich tun wollte, bevor ich den Löffel abgebe). Eigentlich sollte es "nur" eine 100-Kilometer-Wanderung sein. Auf einen Megamarsch hatte ich aber gar keine Lust. Weder wollte ich mich einem Zeitlimit noch sonstigen Regeln unterwerfen. Und es sollte eben ein Fernwanderweg sein.
Warum der Querweg SKR?
Weil er für meinen Wohnort ideale Voraussetzungen bietet: An-/Abfahrt je eine Stunde mit dem Zug, kaum Höhenmeter, einigermaßen gute Verpflegungsmöglichkeiten, also insgesamt gute Rahmenbedingungen.
Allein oder in der Gruppe?
Kann man pauschal nicht sagen. Hat beides Vor- und Nachteile. Vor 2 Wochen habe ich eine 80-Kilometer-Tour in der Gruppe unternommen. Es war natürlich viel lustiger, man konnte sich super unterhalten, sich gegenseitig motivieren etc. Nachteil: Man kann nicht das eigene Tempo laufen und muss Kompromisse bei Zahl und Länge der Pausen machen.
Will ich das nochmal machen?
Ganz sicher nicht! Wirklich nicht? Vielleicht doch, aber nur wenn Ulf mitkommt. Zu 100% aber nicht mehr den Querweg SKR.
Welche Voraussetzungen braucht es?
- Den wirklichen Wunsch es zu schaffen, es ist größtenteils Kopfsache.
- Eine solide Vorbereitung. In meinem Fall ca. 700 Wanderkilometer, darunter mehrere kleine Touren zwischen 15 und 30 km mit 1500 Hm. Zudem mehrfach 40 bis 60 km mit 2000 Hm und einmal 80 km mit 3400 Hm. Unbedingt würde ich auch eine Tour durch die Nacht unternehmen, im Idealfall einmal 24 Stunden.
- Die richtige Ausrüstung: Leicht, zweckmäßig und erprobt.
- Optimale Ortskenntnis der gesamten Strecke. Wenn nicht: Track auf dem Handy (und eine volle Powerbank)
- Menschen, die im Notfall bereit stehen. Z.B. Shuttle bei Verletzung. Aber auch eine Motivations-SMS macht Freude :)
- Ein gutes Wissen um den eigenen Körper. Darunter fallen Aspekte wie Müdigkeit, Hungergefühl, Fähigkeit zur Nahrungsaufnahme, Fettverbrennung, etc. Ohne Spirt läuft bekanntermaßen der beste Motor nicht.
- Eine solide Planung, auch zwecks An-/Abreise und Verpflegungsmöglichkeiten. Ich hatte deshalb grob mit 4 km/h brutto geplant und habe es voll eingehalten. Netto waren es 4,7 km/h. Die Gehzeit war mir allerdings grundsätzlich egal, da ich nur durchkommen wollte.
- Die richtigen Verhältnisse. Die hatte ich nur bedingt, denn es war eigentlich viel zu warm. Ansonsten hat's natürlich gepasst: Trocken, lange Tage, Vollmond.
Was bleibt?
Ausgeruht schreibt sich so ein Hikr-Bericht wirklich entspannt. Die Schmerzen lassen langsam nach, der Stolz überwiegt und die Freude, es am Ende geschafft zu haben. Insgesamt war's eine spannende Feierabendrunde ;) und in Summe ein tolles Erlebnis.
- die Baar mit den Tälern von Brigach und Breg
- den Mittleren Schwarzwald mit dem Wildgutach-/Simonswälder Tal
- das Elztal mit anschließendem Oberrheinischen Tiefland
- und schließlich den Kaiserstuhl
Mit gehörigem Respekt ging's also los zum östlichen Startpunkt nach Donaueschingen. Kaum zu glauben, aber diesen erreichte ich ohne die passende Musik aus dem Autoradio ;) Dabei hätte es so unendlich viele Möglichkeiten gegeben: I'm walking, It's a beautiful day, Highway to hell - alles sehr treffend. Oder natürlich der Klassiker: Das Wandern ist des Müllers Lust, derzeit bei Lehrern ja ein besonders beliebeter Song. Tja, statt motivierender Einlaufmusik bekam ich nur das Geplärre der Zuglautsprecher zu hören (oder muss das auch schon Zuglautsprecher*:_Innen heißen???). Aber hey, wo sonst bekommt man für 9 Euro soviel geboten wie bei der Deutschen Bahn? Taxiservice und Kino in einem, da konnte ich nicht widerstehen. Den Extrakilometer zum heimischen Bahnhof vergesse ich mal.
Donaueschingen empfängt mich dann mit dem obligatorischen Hinweis, dass es sich um die "Donauquellstadt" handeln würde. Hätten sie wohl gerne. Aber auch wenn Brigach und Breg die Donau zuweg bringen, liegt hier lediglich der namensgebende Donauursprung. Die hydrogeografische Quelle befindet sich selbstredend an der Martinskapelle bei Furtwangen. Diesem Umstand ist bekanntlich eine Dauerfehde entsprungen, der sog. "Streit um die Donauquelle". Neuestes Kapitel: Beide Städte beantragten beim Land BW den offiziellen Titel "Donauquellstadt", damit der Streit ein für allemal geklärt würde. Salomonisch wie unsere Politiker sind, haben sie diesen Titel sogar beiden Städten verliehen, ein klassisches Unentschieden also. Bevor man als Politiker etwas entscheidet kümmert man sich hierzulande scheinbar lieber um "The Länd". Wäre ich Touristiker der Stadt Donaueschingen bzw. Furtwangen hätte ich den Donauquellstreit ohnehin schon längst genutzt und einen Wanderweg "Von der Donauquelle zur Donauquelle" ins Leben gerufen, schade, Chance verpasst. Sei's drum, genug mit dem Vorgeplänkel, auf zur Tour:
Vom Bahnhof in Donaueschingen geht's zunächst am Geologischen Garten vorbei zur Brigach und flussaufwärts auf einem Fußweg weiter. Enten und Schwäne planschen gemütlich im seichten Nass der Brigach. Die haben's gut, für mich ist es jetzt schon zu heiß. Aufgrund der zur Verfügung stehenden Infrastruktur (Einkaufen am Abend in Furtwangen und am Morgen in Nimburg) konnte ich erst um kurz nach 10 Uhr starten, 3-4 Stunden früher wäre weitaus sinnvoller gewesen. Die Brigach begleitet mich in den D'Eschinger Ortsteil Aufen, dann steht mit dem Eichbuck der erste kleine Buckel auf dem Programm. Dessen Überschreitung bringt mich nach Wolterdingen im Tal der Breg. Zu Beginn achte ich darauf, dass ich sehr konsequent alle 5 km eine Trink- und alle 10 km auch eine Essenspause einlege. Mit 4,5 Litern gestartet schwinden die Wasservorräte allerdings wie das Eis in der Sonne. Auf dem Friedhof in Wolterdingen tanke ich daher schnell nach, bevor es mir so geht wie den meisten um mich herum...
Der Abschnitt über die Baar hat mit "Schwarzwald" natürlich wenig zu tun. Großteils laufe ich über offene Feldflur und damit immer in der prallen Sonne. So auch auf dem nächsten Stück nach Tannheim. Vor einem Haus sitzt ein Handwerker in der Pause. "Wo läufst du denn hin?" "Nach Breisach." "Oh mein Gott, da musst du ja durch den Wald..." Ja, das würde ich in der Tat gerne, Schatten würde es jetzt bringen. Doch auch im Wald ist der kein dauerhafter Begleiter, denn die Forstwege sind oft dermaßen breit, dass Schatten Mangelware bleibt. Vorbei an den hübschen Spitalhöfen erreiche ich Herzogenweiler. Hier und da lassen Beschilderung und Wegpflege zu wünschen übrig, sodass ich mich zweimal kurz verlaufe und mir im hohen Gras zwei Zecken einfange. Kein Vorwurf an irgendwen, auch der Schwarzwaldverein kämpft mit Personalmangel. Da merkt man erstmal, welch enorm wichtige und gute Arbeit, all die Ehrenamtlichen (Wegewarte etc.) dort leisten. Nicht genug der Pein, einige Forstautobahnen wurden frisch präpariert. Wer es schon erlebt hat, weiß wovon ich schreibe: Ich fühle mich wie ein Fakir.
Da kommt mir die Sankt Michaelskapelle oberhalb von Vöhrenbach gerade recht um für Beistand zu bitten. In Vöhrenbach endet die erste offizielle Etappe. Irgendwo riecht es nach Grillfleisch, äußerst unsympathisch und gemein. Leider hat auch der örtliche Metzger bereits geschlossen, ein Fleischkäsweckle wäre gerade eine echte Motivation gewesen. Überhaupt das Thema Essen: Selten bemerke ich an mir so große Unterschiede zwischen Hunger und Appetit. Deshalb kann man meiner Meinung nach nur bedingt Sachen für den Verzehr mitnehmen - man weiß einfach nie genau, was man während der Tour wirklich zu sich nehmen möchte. Dennoch muss man die Kalorien ja irgendwie ausgleichen (laut meiner Garmin am Ende übrigens knapp 12.500 kcal).
Entlang der Breg schlendere ich hinüber nach Furtwangen. Hier folgt der Querweg dem Donauradweg. Ein Schild informiert mich darüber, dass der Weg bis Bratislava gut befahrbar sei. Danke, aber ganz so weit brauche ich dann doch nicht. Für mich ist der örtliche LIDL das Zwischenziel meiner Träume. Hier gibt es Essen und Getränke im Überfluss. Zudem liegt der Laden unmittelbar an der Route, ein nicht ganz unwichtiger Umstand. Es ist 18:30 Uhr und ich halte meinen Plan beinahe auf die Minute ein.
Nach Furtwangen steht der Aufstieg zum höchsten Punkt der Tour an. Zunächst wandere ich jedoch entlang der Umgehungsstraße, gar nicht schön. Nach Überquerung der B500 erreiche ich den Westweg und folge kurzzeitig auch der roten Raute. Vom Staatsberg schweift der Blick über Furtwangen und die Umgebung. Auch der Feldberg ist zu sehen. Nur 40 km wären es nach Hause, ich hab noch knapp 80 km vor mir. Für einen Moment denke ich darüber nach, nach Süden abzubiegen. Der längste Abstieg der Tour beginnt dann in Richtung Gütenbach mit dem großen Fabrikgelände der Firma Faller. Anschließend folgt (endlich mal) ein attraktiveres Wegstück: Durch die Teichschlucht leitet ein schöner Wanderpfad.
Mittlerweile ist die Sonne untergegangen und die abendliche Kühle verleiht mir neuen Auftrieb. Bei der Pfaffmühle betrete ich das Tal der Wilden Gutach und wünsche den daheimgebliebenen Unterstützern eine gute Nacht. Der folgende Abschnitt machte mir vor der Tour die meisten Sorgen, denn etliche Bauernhöfe werden unmittelbar passiert. Was wird mich da wohl erwarten? Blutrünstige Hunde oder Bäuerinnen mit dem Nudelholz? Oder gar der Hofbesitzer mit seinem alten Karabiner? Tatsächlich fällt kurz darauf ein Schuss, das war aber nur der Jäger oben am Waldrand. Ansonsten ist alles friedlich und ich einigermaßen entspannt. Wäre da nicht der rapide nachlassende Akku meines Smartphones. Auch die Powerbank hat den Geist aufgegeben. Glücklicherweise gilt auf Fernwanderwegen das Motto: The Trail provides! Stimmt, denn kurz darauf komme ich in Obersimonswald zu einem Bolzplatz wo einige Jugendliche aus dem Tal zelten. Der Mann mit der Stirnlampe fragt die leicht Erschrockenen nach einer Powerbank - ich werde nicht enttäuscht. Im Gegenteil bekomme ich sogleich Wasser, Chips und weiteres zur Stärkung angeboten. So plaudere ich einige Minuten mit den sehr netten und höflichen jungen Leuten und mache mich mit 80% Akku auf den Weiterweg. Der nächste ungeplante Zwischenstopp lässt nicht lange auf sich warten. Beim Gasthaus Rebstock brennt noch Licht. Vom Balkon werde ich angesprochen: "Läufst du den Zweitälersteig?" " Nein den Querweg." "Magst du hochkommen, kriegst auch was zu trinken". Zwei Minuten später sitze ich mit der Wirtsfamilie auf dem Balkon, trinke Cola, gönne dem Handy die restlichen 20% Akku und unterhalte mich angeregt über das Thema Fernwandern. Unter den Anwesenden hat einer bereits den Zweitälersteig am Stück gelaufen (108 km, 4120 Hm). Ich dachte ja, ich sei ein Exot. Scheinbar machen das aber doch öfter mal ein paar Leute. Nach einer halben Stunde verabschiede ich mich von Michael und den anderen und sage zweimal Danke nach Obersimonswald.
Der weitere Trailverlauf im Tal der Wilden Gutach ist meist unspektakulär. Meist geht es wenig entfernt links und rechts vom Fluss talwärts. So passiere ich Simonswald und wenig später ein einsames Haus. Hier wird mir dann zum ersten uns einzigen Mal mulmig. Kurz nacheinander springen drei Lampen von Bewegungsmeldern an, Zäune und Absperrband verbarrikadieren beinahe jeden Meter, Schilder warnen vor diesem und jenem und verbieten quasi alles außer atmen. Ich weiß ja nicht, wer hier einbrechen will, aber ich suche schleunigst das Weite.
Nebenbei beginne ich die zweite Hälfte meiner Tour. Die üblichen Wehwehchen stellen sich nach 60 km natürlich auch allmählich ein. Hier und da zwickt und scheuert es. In Gutach lasse ich das enge und dunkle Simonswälder Tal hinter mir und betrete das Elztal. In den Ortschaften gilt es, gut auf die spärlichen Markierungen zu achten. Den Track hatte ich mir vorher von Outdooractive gezogen, allerdings weicht der doch hin und wieder von der Beschilderung ab, insbesondere bei Kollnau (der Track unten entspricht exakt der Route im Gelände, wurde jedoch am PC nachgezeichnet). Unspektakulär laufe ich durch Waldkirch. Hier und da brennt noch Licht, auf der Straße ist jedoch niemand mehr unterwegs. Kein Wunder, es ist kurz nach 3 Uhr. Das Suchen und Finden der Wegmarkierungen hält mich zum Glück vom Nachdenken ab, sodass sich auch keine tiefe Müdigkeit einstellt. Neben dem Hunger bei gleichzeitiger Appetitlosigkeit und dem schmerzenden Intertrigo ist dies mein dritter Hauptfeind beim Langstreckenwandern. Während ich am Ufer der Elz entlang schlendere umgibt mich inmitten der Stille eine tolle Szenerie: Vor mir der Vollmond auf einer Wolkenbank während hinter mir ein Silberstreifen den neuen Tag ankündigt. Ein nächster kleiner Hügel durchbricht die Monotonie der Flachstrecke, es geht hinauf zur Ruine der Severinskapelle nebst herrlichem Pausenplatz. Obwohl es noch kühl ist nutze ich die Gelegenheit, mich der Bekleidung für die Nacht zu entledigen. Vermutlich würde der neue Tag noch mehre Hitze bringen als der gestrige, schließlich führt die Route nun in Richtung Kaiserstuhl.
Zunächst geht es jedoch durch Denzlingen hindurch. Der Ort erwacht gerade, die ersten Leute fahren zur Arbeit. Die Landschaft hat sich nun völlig verändert, vorbei sind die Täler und Höhenzüge, es ist alles topfeben. Zum Glück führt der erste Abschnitt im Oberrheinischen Tiefland durch ausgedehnte Waldgebiete. Das sogar auf teils lauschigen Pfaden, mehrheitlich natürlich auf klassischen Forstwegen. Überhaupt - auch das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden - ist die Route im Vergleich zu anderen Fernwanderwegen insgesamt unattraktiv. Richtig schöne Wege gibt es nur in der Teichschlucht und am Kaiserstuhl sowie punktuell zwischendurch. Zum absolut überwiegenden Teil bewegt man sich auf Schotter und Asphalt. Wer also einen klassischen Mehrtagesmarsch plant sollte auf die weitaus schöneren Alternativen (v.a. Zweitälersteig und Schluchtensteig) ausweichen. Nach Überqueren der A5 erreiche ich Nimburg und befinde mich etwa 20 Minuten hinter meinem Zeitplan. Dieser sah vor, dass ich um 7 Uhr beim örtlichen Netto einchecke. Der macht nämlich exakt um diese Zeit auf. Wie erwähnt waren der abendliche Einkauf in Furtwangen und der jetzige meine zeitlichen Fixpunkte auf der Tour. Für die paar Getränke dauert der Einkauf ewig, da vor mir an der Kasse reklamiert sowie der Monatseinkauf für eine 68-köpfige Familie erledigt wird. Ich nutze die Zeit für Dehnübungen und schäme mich, dass die Menschen hinter mir meinen nicht mehr taufrischen Körper ertragen müssen. Anschließend begehe ich einen Fehler, denn ich trinke genüsslich einen Kaffee in der angeschlossenen Bäckerei und setze mich dafür 20 Minuten hin. Meine wund gescheuerte Haut quittiert mir diesen Genuss mit einem stechenden Schmerz, sodass ich den Wachmacher umgehend bereue. Während ich noch darüber nachdenke mich mit Sonnencreme einzuschmieren schwallt mich ein Verrückter voll. Er verabschiedet sich mit den Worten, dass er es Scheiße fände, dass wir immer noch keine Atomwaffen liefern und verschwindet stante pede im Discounter. Nichts wie weg hier, bevor der wiederkommt.
In Sichtweite der letzten Hürde, dem Kaiserstuhl, strebt der Querweg nun Eichstetten zu. Entlang der alten Dreisam passiere ich landwirtschaftliche Nutzflächen, von denen einige gerade bewässert werden. Eine wunderbare Abkühlung gibt's also schon gratis am frühen Morgen. In Eichstetten herrscht bereits große Betriebsamkeit, für mich beginnt nun die letzte und mit großem Abstand härteste Etappe dieser Ochsentour. Der Aufstieg erfolgt zunächst in den Weinbergen. Und was mag die Weinrebe? Richtig, Sonne! Ostexponiert gibt's davon zu dieser Tageszeit reichlich. Meine Gehzeit reduziert sich zunehmend und nur mit Musik empfinde ich noch die Motivation weiterzulaufen. Wie eine Oase in der Wüste kommt mir der Wald vor, mit dem die höchsten Teile des Kaiserstuhls bestanden sind. Durchschnaufen am Bahlinger Eck, dann weiter hinauf auf den Katharinenberg, mit 492 m dritthöchster Gipfel im Kaiserstuhl. Ich raste nur kurz und mache mich gleich auf den Weiterweg, der immer am Kamm des kleinen Vulkangebirges entlangführt. Und dann ist es soweit: Meine GPS-Uhr vermeldet 100 gelaufene Kilometer. Hurra? Nichts dergleichen, einfach nur weiter! Schelinger Viehweide, Staffelberg, Texaspass heißen die nächsten Zwischenziele, dann hinab zum Pavillon auf der Mondhalde. Der ist mittlerweile scheinbar zum Modespot bei Insta-Jüngern verkommen und folgerichtig wochenends für den Autoverkehr gesperrt. Ist die begriffliche Nähe von Influencer und Influenza eigentlich Zufall? Naja, aktuell isses hier ruhig, was vermutlich aber auch der unerträglichen Hitze geschuldet ist. Wie soll das erst im Hochsommer werden? Die Garmin zeigt beim Laufen 37°C an. Die Schattentemperatur ist natürlich geringer, leider gibt's aber auch keinen Schatten, und daran wird sich bis ins Ziel auch nichts mehr ändern.
Um die Mittagszeit laufe ich in Oberrotweil ein. Die meisten Leute haben sich in ihre Häuser verzogen und machen Siesta oder versuchen anderweitig der Hitze zu entfliehen. Jeder Brunnen am Weg wird nun genutzt um meinen Kopf so gut es geht zu kühlen. Noch 10 km. Aufhören ist wegen der Wärme nun eine echte Option. Ich hadere, entschließe mich dann aber doch dazu, weiterzulaufen. Nochmal stellt sich ein fieser Anstieg in den Weg. Eigentlich nur lächerliche 2,5 km und 150 Hm, für die ich unterwegs zwei Trinkpausen benötige. Der höchste Punkt dieses Anstiegs liegt am Schneckenberg, wie wahr... Dann steil hinunter nach Achkarren und den Dorfbrunnen ausgetrunken. Obwohl noch reichlich Getränke in Form von Cola und Mineralwasser im Rucksack sind, bekomme ich außer stillem Wasser nichts mehr runter. Gegessen habe ich seit Stunden nicht mehr, es geht einfach nichts mehr rein. Der Weg zum Achkarrer Bahnhof erfolgt auf Asphalt und ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Würde ich in den Zug einsteigen könnte ich mir eine Stunde Gehzeit sparen, würde mich aber vermutlich bis zum Sankt Nimmerleinstag ärgern. Also reiße ich mich zusammen, telefoniere ein wenig und führe Selbstgespräche. Tatsächlich denke ich manchmal, ich stünde neben mir, ein sehr komisches Gefühl. Schnurgerade zieht sich die Strecke zum Badischen Winzerkeller. Der Asphalt müffelt so, wie er in sommerlicher Hitze eben riecht - nicht schön. Ich schwöre mir, so etwas nie wieder zu machen und erreiche den Ortsrand von Breisach. Keine Spur von Euphorie, nur nochmal eine Etappe durch das Industriegebiet. Dann endlich, das Ziel in Sicht. Am Bahnhof von Breisach kommt tatsächlich für einen Moment ein enormes Glücksgefühl auf. Bei 115,4 km klickt der Knopf meiner Uhr, nach genau 29 Stunden, 8 Minuten und 5 Sekunden.
Im proppevollen Zug fahre ich zurück nach Hause und lasse mich im Privattaxi heimchauffieren. Das Ende eines für mich einmaligen Abenteuers.
Warum habe ich das überhaupt gemacht?
Gute Frage, wahrscheinlich weil es auf meiner "Löffelliste" stand (also auf der Liste mit jenen Dingen, die ich tun wollte, bevor ich den Löffel abgebe). Eigentlich sollte es "nur" eine 100-Kilometer-Wanderung sein. Auf einen Megamarsch hatte ich aber gar keine Lust. Weder wollte ich mich einem Zeitlimit noch sonstigen Regeln unterwerfen. Und es sollte eben ein Fernwanderweg sein.
Warum der Querweg SKR?
Weil er für meinen Wohnort ideale Voraussetzungen bietet: An-/Abfahrt je eine Stunde mit dem Zug, kaum Höhenmeter, einigermaßen gute Verpflegungsmöglichkeiten, also insgesamt gute Rahmenbedingungen.
Allein oder in der Gruppe?
Kann man pauschal nicht sagen. Hat beides Vor- und Nachteile. Vor 2 Wochen habe ich eine 80-Kilometer-Tour in der Gruppe unternommen. Es war natürlich viel lustiger, man konnte sich super unterhalten, sich gegenseitig motivieren etc. Nachteil: Man kann nicht das eigene Tempo laufen und muss Kompromisse bei Zahl und Länge der Pausen machen.
Will ich das nochmal machen?
Ganz sicher nicht! Wirklich nicht? Vielleicht doch, aber nur wenn Ulf mitkommt. Zu 100% aber nicht mehr den Querweg SKR.
Welche Voraussetzungen braucht es?
- Den wirklichen Wunsch es zu schaffen, es ist größtenteils Kopfsache.
- Eine solide Vorbereitung. In meinem Fall ca. 700 Wanderkilometer, darunter mehrere kleine Touren zwischen 15 und 30 km mit 1500 Hm. Zudem mehrfach 40 bis 60 km mit 2000 Hm und einmal 80 km mit 3400 Hm. Unbedingt würde ich auch eine Tour durch die Nacht unternehmen, im Idealfall einmal 24 Stunden.
- Die richtige Ausrüstung: Leicht, zweckmäßig und erprobt.
- Optimale Ortskenntnis der gesamten Strecke. Wenn nicht: Track auf dem Handy (und eine volle Powerbank)
- Menschen, die im Notfall bereit stehen. Z.B. Shuttle bei Verletzung. Aber auch eine Motivations-SMS macht Freude :)
- Ein gutes Wissen um den eigenen Körper. Darunter fallen Aspekte wie Müdigkeit, Hungergefühl, Fähigkeit zur Nahrungsaufnahme, Fettverbrennung, etc. Ohne Spirt läuft bekanntermaßen der beste Motor nicht.
- Eine solide Planung, auch zwecks An-/Abreise und Verpflegungsmöglichkeiten. Ich hatte deshalb grob mit 4 km/h brutto geplant und habe es voll eingehalten. Netto waren es 4,7 km/h. Die Gehzeit war mir allerdings grundsätzlich egal, da ich nur durchkommen wollte.
- Die richtigen Verhältnisse. Die hatte ich nur bedingt, denn es war eigentlich viel zu warm. Ansonsten hat's natürlich gepasst: Trocken, lange Tage, Vollmond.
Was bleibt?
Ausgeruht schreibt sich so ein Hikr-Bericht wirklich entspannt. Die Schmerzen lassen langsam nach, der Stolz überwiegt und die Freude, es am Ende geschafft zu haben. Insgesamt war's eine spannende Feierabendrunde ;) und in Summe ein tolles Erlebnis.
Tourengänger:
frmat

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