Wie ein Herkules, am Signalstock (2572m)


Publiziert von Alpin_Rise , 2. Oktober 2009 um 23:29. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Schweiz » Uri
Tour Datum: 1 Oktober 2009
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: 6c+ (Französische Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-SZ   CH-UR   Ortstockgruppe 
Aufstieg: 1200 m

Die Jegerstöcke kann man als das Ostschweizer Pendant zu den weitaus bekannteren, international gerühmten Wendenstöcken betrachten. In beiden Gebieten sind nur schon die Zustiege landschaftlich ergiebig und nahrhaft, die Routen erfordern Engagement und sind ausschliesslich für Kletterer des 7. UIAA-Grades (oder höher) zugänglich...

Meine Premiere in den Jegerstöcken durfte ich
mit dem famosen Sportkletterer mde in der 12 Seillängen langen, imposanten Tour "Herkules"  erleben. Die Route bietet im ersten, kompakten Wandteil fantastische Kletterei mit athletischen sowie technischen Passagen in rauhem, besten Hochgebirgskalk meist im 7. Grad. Ab der 6. Seillänge gewinnt die Kletterei an alpinem Charakter. Die Route folgt dem steilen Pfeiler  bis 100m unter den Westgipfel (p. 2572) des Signalstock. Hier ist auch die eine oder andere kurze Passage in etwas unsicherem Fels zu meistern, dafür ist die Kletterei technisch etwas einfacher, meist im oberen 6. Grad.

Meine bisher (technisch) schwierigste lange Sportklettertour - als Nachsteiger und Zeuge einer eindrücklichen onsight-Begehung von mde!

Der Zustieg alleine ist schon eine Bergtour: Vom Urnerboden (Dörfli, P.1372, 7.00 Uhr) auf dem markierten Bergweg zur Alp Zingel. Weiter durchs auffällige Geröllcouloir links (östlich) von P. 1998, die so genannte Alpelichäle, danach entweder linkshaltend über Schutthänge (T4, einfacher aber mühsamer) oder rechtshaltend über steiles Gras mit einigen Felsstufen (T5 mit Stellen T6, direkter und schneller) aufs Zingelfad.

Nun folgt man dem breiten, durch abschüssige Runsen unterbrochenen Zingelfad auf meist guter Wegspur bis zum Biwak vor dem Einschnitt des Schneetals (T4). Dieses wird bei heiklen Verhältnissen am besten mittels einer ca. 80m langen Tyrolienne (fix installiertes Drahtseil, Seilrolle von Vorteil) überwunden. Oder, unsere Variante, man kann das Schneetal auch zu Fuss traversieren: von der Hütte absteigend über den Rücken, bis auf schwach sichtbaren Trittspuren etwa horizontal, in abschüssigem, mergelig-rutschigem Schutt  in den Couloirgrund traversiert werden kann (je nach Verhältnissen T5-T6, exponiert). Das Schneetal ist, seinem Namen entsprechend, meist mit Altschnee gefüllt, dann kann ein Pickel nützlich sein. Im extrem trockenen Herbst 2009 war der Schnee ganz weggeschmolzen. Auf der anderen Seite hoch über Felsen (mit Fixseil) und Querung auf Bändern und Gras aus dem Couloir hinaus.

Dann weiter, nun weglos unter dem Pfeiler des "Gsicht" durch und wiederum heikler (T5+) unter der SW-Wand des Signalstock traversieren. Um etwa 8.45 Uhr erreichen wir den Rücken, der die SW- und SE-Wand des Signalstock trennt: Materialdepot, da hier die Abseilpiste endet. Zuletzt dann noch ca. 100m mit Kletterfinken weiterqueren zum Einstieg der Route Herkules, welche durch einen Bohrhaken älteren Fabrikats markiert ist.

Für die Route Herkules gibt's drei verschiedene Topos: dasjenige der Erstbegeher hier, ein vom Glarner Original Frigg Zimmermann erstelltes da,  und ein weiteres im neuen Kletterführer GLclimbs. Die Route sollte mit allen Topos problemlos zu finden sein, da die soliden Sondi-Ringbohrhaken den Weg weisen. In den Bewertungen der einzelnen Seillängen sind die Topos nicht konsistent, weshalb wir hier einen dritten, konsolidierten Vorschlag liefern.

Detaillierte Routenbeschreibung von mde

SL 1, 35m, 5b: Einstieg (9.30 Uhr) bei einer Verschneidung, Bändern in abwärts geschichtetem, teilweise brüchig-blättrigem Fels nach rechts folgen, nach dem 4. Bh gerade hinauf zum Stand. Ein wenig ansprechender Einstieg, nicht abschrecken lassen; was danach folgt, ist um Welten schöner!

SL 2, 40m, 6c+: Fulminant geht es los, powerig muss eine erste Welle überwunden werden, und die zweite folgt sogleich. Auch danach bleibt die Kletterei anhaltend. Einige wenige gute, positive Griffe hat es zwar, doch vielfach müssen Aufleger oder Seitleisten bedient werden. Da leicht überhängend, ist die Sache ziemlich pumpig und ich komme schliesslich nur knapp unter der Sturzgrenze durch. Fantastische Seillänge!

SL 3, 40m, 6b+: Entlang einem Verschneidungssystem geht es weiter. Ziemlich unscheinbar sieht es aus, doch bald wartet eine knifflige Stelle, welche obligatorisch überwunden werden muss. In einer weiteren zackigen Stelle wird die Verschneidung nach links verlassen, und schräg aufwärts geht's zum Stand unter dem Dachriegel.

SL 4, 45 m, 6c: Kraftvoll über den Dachriegel hinweg zur Stelle, welche im Topo der Erstbegeher als Crux der Route markiert ist: ein Aufsteher an feinen Auflegern, der nebst Souplesse auch schlicht und einfach etwas Zuversicht erfordert... Danach in sehr schöner und anhaltender Kletterei, nach rechts tendierend, zum Stand.

SL 5, 40m, 6b: Nach einem schönen, gutgriffigen Start einer Verschneidung entlang, bis diese ausläuft und man in die steile Wand klettern muss. Zu Beginn ein weiter Blockierer (Crux), dann einfacher, aber traumhaft mit vielen Querrillen weiter. Zum Schluss ziemlich weit (~10m) gesichert, aber gutgriffiges 6a-Gelände. Vom allerfeinsten, diese SL!

SL 6, 35m, 6c: Vom Stand gerade hoch über feine Querrillen (kleiner Runout zum 1. BH) und nach dem 3. BH leicht linkshaltend in die Wand hinein, in welcher der Fels nun würfelzuckerartig geschichtet ist. Den 4. BH sieht man erst, wenn man in vor der Nase hat, er steckt ca. 8m oberhalb des 3. BH, Richtung 11 Uhr. Nun steil, anhaltend und ausdauernd gerade hoch, mit Crux beim letzten BH. In diesem zweiten Teil der SL hält zwar wohl fast alles, es muss aber dennoch jeder Griff geprüft werden.

SL 7, 30m, 6a: Vom Stand gerade hoch zu NH und leicht linkshaltend weiter zu BH, dann Linksquerung und am Schluss wieder gerade hoch. Hier nun wieder sehr schöner, griffig-kompakter Fels, eine gemütliche, aber gleichzeitig tolle Seillänge.

SL 8, 45m, 6a: Vom bequemen Stand auf dem Band gerade hoch, den Wulst an einer Art Schwert überquerend (NH). Einfach weiter zum nichttrivialen zweiten Wulst (BH), der in wieder einfacheres Gelände mit teilweise unzuverlässigem Fels führt. Den ersten Stand (NH und Ring-BH) auf dem Pfeilerkopf überklettern zum Zwischenstand (2 Ring-BH) am Beginn des Gipfelaufschwungs.

SL 9, 40m, 6a: Zuerst etwas Gehgelände,, dann am Pfeiler entlang aufwärts, zuerst qualitativ nicht sonderlich hochwertige Kletterei. Dann etwas nach links zu einem Aufschwung mit interessanter Kletterstelle und noch einige Meter weiter zu Stand.

SL 10, 35m, 6b: Vom Stand einige Meter heikel, da splittrig, zu NH. Der Genuss beginnt, wenn der erste BH geklippt ist. In erneut kompaktem Superfels über Steilplatten zu einer trickigen Rippe, welche zum Stand in kleiner Nische verfolgt wird. Tja, am Stand hat man den unschönen Beginn dieser SL bereits vergessen, der Rest ist so genial.

SL 11, 40m, 5c: Vermutlich die einfachste der ganzen Tour: gutgriffig und gemütlich, erst links, dann rechts und zum Schluss wieder links zum Stand unter dem letzten Aufschwung. Der Fels ist ganz ordeli, auf jeden Fall viel besser als es den ersten Anschein macht.

SL 12, 35m, 6a: Nochmals eine tolle SL, athletisch in eine Verschneidung, welche aber bald nach links über eine steile Wandstufe verlassen wird. In blaugrauem, sehr rauhem Superfels aufwärts, als letzte Prüfung muss noch anstrengend über ein Dächlein raufgeknorzt werden, zum letzten Stand der Tour mit dem rechts in einer Gamelle versteckten Routenbuch.

Vom Ausstieg dann entlang dem nicht sonderlich exponierten Grätchen (T5, Stellen II) in ca. 150 Wegmetern zum flachen Gipfel. Fortgeschrittene Tageszeit (16.40 Uhr), Nebelschwaden und ein kühler Wind lassen uns nur kurz verweilen und bereits um 17.00 Uhr den Abstieg antreten.

Die gut eingerichtete Abseilpiste (zuerst 1x30m zum vorletzten Stand, dann weitere 7x50m an Muniringen westlich (!) der Route Herkules) erlaubt dank den klug plazierten Ständen und dem teilweise eindrücklich steilen Gelände einen raschen Abstieg. Vorsicht beim Seilabziehen, insbesondere wenn sich noch andere Seilschaften in der Gegend befinden: auf den Bändern liegt doch allerhand loses Geröll herum.

Um etwa 18.15 Uhr brechen wir vom Materialdepot auf, queren das Zingelfad zurück, mit vorsichtiger Fuss-Traverse des Schneetals. Ab dem Rot Nossen zügig die Geröllfelder surfend zurück zur Alp Läcki und raschen Schrittes retour auf den Urnerboden, den wir mit dem letzten Tageslicht um 19.30 Uhr erreichen. Ein ausgefüllter Tag!

Fazit und Materialempfehlung

Herkules bietet viel tolle und imposante Kletterei in griffig-rauhem Traumfels. Wie bei jeder Route in den Jegerstöcken gibt es aber auch einige Passagen, wo Gras und etwas Bruch bewältigt werden müssen. Dies ist aber bei etwas Erfahrung gut und ohne Gefahr für Leib und Leben möglich. Es handelt sich bestimmt um eine der beliebtesten Routen im Gebiet. Im Wandbuch (welches vielleicht nicht alle Aspiranten erreichen bzw. finden) liest man aber dennoch nur sehr wenige Einträge, seit 2005 nur 5 Stück.

Die schwierigen Stellen sind durchwegs sehr gut mit Sondi-Ringbohrhaken abgesichert. Der obligatorische Schwierigkeitsgrad ist aber mit 6a+ (Quelle: Frigg Zimmermann und GLclimbs) vermutlich zu tief angesetzt, 6b sollte man schon draufhaben.

Nachdem ich ein volles Rack bestehend aus Keilen und Camalots 0.3-3 durch die Tour getragen und bis auf ca. 5, mässig zwingende Placements von kleinen Friends kaum eingesetzt habe ist meine Empfehlung wie folgt: keine Keile, Camalots 0.3-1 fakultativ, 12 Expresschlingen, Helm, 2x50m Seil.

Abschluss

Alpin_Rise: Vielen Dank an Marcel für den grandiosen Klettertag und den  kompetenten Vorstieg. Ich habs sehr genossen - auch wenn mir im unteren Teil nicht alle Stellen frei gelangen.

mde: Den Dank gebe ich gerne zurück. Danke, dass Du mich motiviert hast, einen Ferientag in eines meiner Kletter-Wunschziele zu investieren. Es macht(e) Spass mit einem begeisterten Tourengänger unterwegs zu sein. Herzlichen Dank auch für die kompetente und Vertrauen einflössende Sicherungsarbeit, die mir die saubere Begehung, teilweise am Limit, erst ermöglicht hat!


Tourengänger: Alpin_Rise, mde


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Kommentare (5)


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Henrik hat gesagt: Du machst deinem Namen
Gesendet am 2. Oktober 2009 um 23:32
alle Ehre: Gratulation.

Ciao

Henrik

marmotta hat gesagt: Bravo!
Gesendet am 2. Oktober 2009 um 23:48
Auch von mir Gratulation und Danke für die tollen Einblicke in die vertikale Welt! Da kann man als Wanderer nur ungläubig staunen.

Gruess

marmotta

Bombo hat gesagt:
Gesendet am 2. Oktober 2009 um 23:51
Da bleibt einem nur schon beim Betrachten der Bilder die Luft weg... Gratuliere Euch beiden - top Performance!


Omega3 hat gesagt:
Gesendet am 5. Oktober 2009 um 21:28
Das ist voll krass Mann!!!

Berglurch hat gesagt: Wau Wau!
Gesendet am 7. Oktober 2009 um 08:29
Wow!


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