Östliche Karwendelspitze (von Mittenwald)


Publiziert von Alias Trödler , 12. April 2022 um 00:45.

Region: Welt » Deutschland » Alpen » Karwendel
Tour Datum: 3 Juni 1998
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: D   A 
Zeitbedarf: 19:00
Aufstieg: 2350 m
Abstieg: 2350 m
Strecke:34 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mittenwald - Hinter den Kasernen

Mit 19 Stunden meine bis heute längste echte Tagestour und das für nicht mal 5 Minuten Gipfelglück. Man sollte das im Kontext des letzten Jahrhunderts betrachten, Informationsbeschaffung war nicht im Netz, stattdessen warf ich einen Blick in eine 50.000er Karte, überschlug den zu erwartenden Zeitrahmen und vermutete eine normal grosse Bergtour.

Ich startete zeitig am Wanderparkplatz hinter den Mittenwalder Kasernen und nahm den Steig zur Hochlandhütte, dort saßen die einzigen Personen die ich auf der Tour traf , ein Pärchen beim Frühstücken (Erwähnenswert nur deswegen, weil von den beiden der Mann im Anschluss die gleiche Strecke zum Karwendelhaus nachging).
Am Wörnersattel machte ich, wegen schon leichter Ermattung, meine erste Pause. Ich starrte auf das nordseitig gelegene Wörnerkar, schneebedeckt, schön hart, die nun folgende Querung sah umfangreicher aus als gedacht. Sie gestaltete sich dann auch langwierig, Stöcke hatte ich damals natürlich nicht im Sortiment, gedanklich war das was für Weicheier. Das mühsame Vorankommen unter den Wänden zog mich allerdings genau hier vom hohen Ross. Ich habe mir kurzzeitig danach schöne Teleskopstöcke besorgt, welche ich über mehrere Jahre hartnäckig mit mir herumtrug und ausschliesslich auf Schneefeldern auspackte, auf denen das Gleichgewichthalten dreimal soviel Kraft kostet, wie das Gehen selbst.
Mit einer Erkenntnis und Zeitverzug reicher, kam ich an der Abzweigung zum Gjaidsteig an; diesen erst unproblematisch hoch, bald stand ich an einer mehrere Meter breiten schneebedeckten Querung, dachartig über einem Abhang, das Sicherungsseil war unterhalb verborgen und die Passage schien einige Zeit nicht mehr begangen. Da schlackert man erst mal. Schliesslich schlug ich Tritte; mit den Schuhen für die Beine und mit den Fäusten für die Arme, und arbeitete mich durch diesen situationsbedingten T6.
Es wurde einfacher, blieb aber umständlich; die Verbindung vom Bäralplsattel zur Hochalm liess mich, laut Karte, einen schnell zu begeheneden Höhenweg vermuten, in der Praxis wars ein beständiges Auf und Ab im Wurzelwerk der Latschen, habe wohl um die 2 Stunden dafür gebraucht.
Das erste Gewitter zog auf. Der Typ der mir von der Hochlandhütte gefolgt war, schaffte in der dunklen Szenerie gerade noch die Zuflucht ins Karwendelhaus bevor es losbrach. Ich wartete derweilen unter einem der letzten Bäume an der Basis der Karwendelspitze auf Besserung. Das Gewitter zog durch, der Regen liess nach und ich konnte den finalen Anstieg über die südseitige Flanke in Angriff nehmen. Unschwierig gings hoch, oben die Querung und endlich der Gipfel. Ich sass da, über dieser Wahnsinnswand und packte die Brotzeit aus. Jedenfalls hatte ich noch keine halbe Wiener gegessen, als ich drüben ungefähr bei der Pleisenspitze das nächste Gewitter bemerkte, welches genau auf mich zuhielt.
Sofortabstieg über das Grabenkar, bedeckt glücklicherweise mit einem gut laufbaren Schneefeld bis unten hin. Ich bin ohne Ski nicht zuvor und auch später nicht mehr so schnell von einem Gipfel abgestiegen. Am Fusse des Kars blitzte es ein paarmal hier und dort, dann wars erledigt; mein Fokus konnte sich endlich auf den Rückweg richten. Es schien mir günstig, die Schlüsselstelle im Abstieg nördlich des Bäralplsattels vor Einbruch der Dunkelheit hinter mich zu bringen; ich blieb forciert. Und trotzdem konnte ich auf dem sich ziehenden Höhenweg Richtung Sattel ausgiebig das Gefühl um das Wissen geniessen, eine schon bekannte Ätzpassage nochmal gehen zu müssen, kennts wer?
Es ging sich aber gut aus, ich hatte ja bereits die Tritte in die Querung eingeschlagen und die Dämmerung setzte erst unterhalb an der Weggabelung ein. Hier nahm ich den nachttauglichen Pfad zur Krinner-Kofler-Hütte, und obwohl ich bis dorthin meine Brotzeitreste vertilgte, hatte ich dort bereits wieder unglaublichen Kohldampf, immerhin gabs Wasser.
Mit dieser Zuckerleere im Hirn neigt man ja zuweilen zu Fehlentscheidungen, und meine war, zu glauben ich täte mir was Gutes im Stockdunklen über den geringfügig kürzeren Jägersteig abzusteigen, statt über die luxuriöse Hüttenversorgungsstrasse.
Vielleicht sollte ich erwähnen, dass sich damals noch keine der tollen LED-Stirnlampen in meinem Gepäck befand, die Erste habe ich mir wesentlich später zum EarlyAdopterpreis besorgt. Kleine weisse Blüten wiesen mir nun den Weg, sonst sah ich nichts.

Heute weiss ich; wenig frequentierte Pfade kann man im Dunkeln oft besser verfolgen, als beleuchtet mit der Lampe. Die der Vegetation durch vorherige Begehung beraubten Erde, hat eine geringere Albedo als die Umgebung und das erkennt man ohne künstliche Bestrahlung zumeist deutlicher. So schalte ich bei Unklarheit über den Weiterweg kurz die Lampe aus und suche in der Finsternis nach dem Pfad.

Um halb Zwölf war ich zurück. Ich fuhr augenblicklich nach Partenkirchen und liess mir dort an einem der allseits bekannten Schnellrestaurants einen übermässig grossen Packen Schlingware aushändigen. Heimfahrt in Völlerei.


Tourengänger: Alias Trödler


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