Pianca – Schnee und Nordföhn ein Schnippchen geschlagen


Publiziert von hb9dqm , 30. Januar 2022 um 21:19.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Locarnese
Tour Datum:30 Januar 2022
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TI   Gruppo Rosso di Ribia   Gruppo Pizzo di Madéi 
Zeitbedarf: 6:00
Aufstieg: 1300 m
Abstieg: 1300 m
Strecke:13 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Vergeletto, Parkplatz beim Ristorante Fondovalle

Nachdem ich am Vortag eine trotz der relativen Schneearmut Ende Januar 2022 doch eindeutig winterliche Tour auf den Guggernüll (Splügen) gemacht hatte, stand mir für den Sonntag zur Abwechslung der Sinn nach einer Wanderung ohne Schnee- und Eiskontakt im Tessin. Starker Nordföhn war angesagt – ein Grund mehr, eine schöne Südflanke zu suchen.

Die Wahl fiel auf die Pianca (2377 m) im Valle di Vergeletto, nicht zu verwechseln mit dem je nach Kartenversion exakt gleich hohen Pizzo Pianca beim Lago di Luzzone. Auf Hikr gibt es nur zwei Berichte zu diesem Gipfel – beide beschreiben den Aufstieg über den WSW-Grat, wobei im *einen von einem komplizierten/mühsamen Abstieg zum Passo Pianaccio und dann wieder nach Norden die Rede ist. Ich wollte aber durch die Südflanke, die auf der Karte machbar aussah. Der Clubführer «Tessiner Alpen 1» von 1992 beschreibt die Route so: «Von der Alpe di Porcaresc [..] auf Schafwegen in nördlicher Richtung zur Grasflanke zwischen Corona di Porcaresc und Fontana und über diese auf den Gipfel.»

Los ging's also zuhinterst im Valle di Vergeletto nach den üblichen tausend Kurven. Das Auto liess ich beim derzeit geschlossenen Ristorante Fondovalle stehen. Von dort zu Fuss weiter auf der jetzt ungeteerten Strasse – vielleicht dürfte man auch noch weiter fahren, es steht nichts angeschrieben. Ein Einheimischer fuhr mit seinem Jeep an mir vorbei, und ich sah sein Auto erst später bei 1360 m wieder, wo die grobe Schotterstrasse deutlich steiler wird, bis sie an der «Talstation» einer nagelneuen Materialseilbahn für die Alpe di Porcaresc endet. So weit könnte man also fahren – sofern einem die herumliegenden Steinschlag-Brocken und die zum Teil spiegelglatt vereisten Kurven durch die Gräben, wo das Wasser herunterfliesst und gefriert, nichts ausmachen.

Nun definitiv auf einem Wanderweg und nicht mehr auf einer Strasse Höhe gewinnend, wühlte ich mich durch das teils knietiefe Laub auf dem Weg. Krass, wie rutschig das in furztrockenem Zustand ist, wenn die Blätter zusammengedrückt werden und aufeinander reiben – wie Glatteis.

Schnell war die Alpe di Porcaresc erreicht. Es schien alles klar zu sein: auf der LK ist eine Wegspur oberhalb der Alpe di Porcaresc eingezeichnet, welche in die vom SAC-Führer erwähnte Grasflanke führt und auf der Karte bei 1910 m endet. Vor Ort fand ich diese Spur auch ohne Probleme; sie ist dort, wo sie vom Wanderweg abzweigt, offensichtlich, verliert sich aber zusehends im Gebüsch. Alte abgesägte Äste verraten, dass da mal ein Mensch am Werk war, aber je weiter man geht, desto wilder und überwachsener wird es. Die Grasflanke fand ich nirgends, nur ein Meer aus Sträuchern und Büschen. Ich stieg in einem ausgetrockneten Bachlauf auf – das ging besser als durch die Sträucher und Büsche oder auf dem lahmen, rutschigen Gras dazwischen. Ab 2200 m legt sich das Buschwerk zurück, und es bleibt nur noch trockenes Gras.

Ich peilte die Senke zwischen den beiden Pianca-Gipfeln an, wo mich der erwartete Nordföhn mit seiner ganzen Kraft empfing. Den westlichen Nebengipfel liess ich gleich links liegen und folgte dem kurzen Grat zum Hauptgipfel. Dort gab es erstaunlicherweise praktisch keinen Wind, selbst direkt beim Steinmann nicht. Die Mittagsrast am Gipfel fiel entsprechend angenehm aus, die tolle Aussicht konnte in vollen Zügen genossen werden. Eine grosse Rauchwolke am Monte Gambarogno war nicht zu übersehen, und tatsächlich las ich später, dass dort heute ein heftiger Waldbrand loderte. Den Monte Gambarogno hatte ich noch als Verlegenheitstour erwogen...

Ich schaltete mein Funkgerät ein – ein Amateurfunk-Kollege war gerade auf dem Monte Bar und erzählte mir, dass er dort am Gipfel fast weggeblasen worden sei. Jetzt sei er in der Südflanke, und ich hörte den Wind in seinem Mikrofon trotzdem noch. Da hatte ich heute offenbar gleich doppelt Glück!

Für den Abstieg lachte mich der Südgrat an, und tatsächlich fand ich auf dem Grat wenig unterhalb des Gipfels einen Steinmann, über den sich schon giorgio59m in seinem Bericht vergeblich gefreut hat («dopo l'ometto ogni segno di civiltà cessa di esistere»). Der Südgrat war aber gut gestuft und viel angenehmer zu begehen als die Südflanke mit ihrem Gebüsch und den Gras-Rutschbahnen. Leider verlor sich aber auch der Südgrat auf ca. 2100 m in der Vegetation, und ich musste mich durch kniehohes Gebüsch mühsam zurück zur Wegspur auf 1900 m kämpfen.

Der Rest des Abstiegs ist nicht mehr der Rede wert. Von der Alpe di Porcaresc aus schaute ich mir die Flanke nochmals genauer an und entdeckte einen zweiten, etwas tiefer liegenden Weg, der die Flanke quert. Auf der LK ist nichts, aber im Luftbild sieht man etwa 60 Höhenmeter unterhalb des eingezeichneten Weges eine Spur. Diese ist (wie ich im Nachhinein festgestellt habe) auch auf OpenStreetMap verzeichnet – vielleicht hätte ich auf dem Südgrat besser noch etwas weiter nach unten durch's Gebüsch absteigen sollen, anstatt direkt wieder zur LK-Wegspur zu traversieren.

Kommen wir zum Fazit: Schnee – bis auf winzige umgehbare Flecken keine Spur. Eis: stellenweise Glatteis auf der Fahrstrasse im Vergeletto, aber problemlos, da topfeben. Wind: in der Senke zwischen den beiden Pianca-Gipfeln war der Nordföhn mit seiner Kraft deutlich zu spüren, ansonsten aber nur ein laues Lüftchen. In der Südflanke frühlingshafte T-Shirt-Wetterbedingungen; eine Jacke habe ich auf der ganzen Tour nicht gebraucht, und das Ende Januar. Ein gelungener Tag!

Tourengänger: hb9dqm


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