Von Tatort zu Tatort: Indiziensuche bei zwei Siegfriedsbrunnen im düsteren Odenwald
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Worum geht's?
Das Nibelungenlied ist ein mittelalterliches Heldenepos. Der heute bekannte Text wurde am Anfang des 13. Jahrhunderts in mittelhochdeutscher Sprache niedergeschrieben. Der in die Nibelungensage eingegangene Stoff ist jedoch bedeutend älter.
Dieser Sagenstoff erzählt die Geschichte des Helden Siegfried, der nach der erfolgreichen Tötung eines Drachens und einem Bad in dessen Blut unverwundbar geworden ist. Bei diesem Bad war ihm allerdings ein Lindenblatt auf eine Stelle am Rücken gefallen, an die deshalb kein Blut gelangen konnte. Deshalb kann Siegfried an dieser Stelle verletzt werden - tödlich, wenn's dumm läuft.
Während eines Jagdausflugs "zem Otenwalde" - Richtung Odenwald - nutzt der listige Hagen von Tronje sein Wissen um diese Stelle aus, um Siegfried in eine Falle zu locken: Hagen gibt vor, er habe den Wein (für das Trinkgelage nach der Jagd) irrtümlich fernab in den "Spehtshart" bringen lassen, weshalb die Jäger nun gezwungen sind, ihren Durst mit Wasser aus einer näher gelegenen Quelle zu löschen. Hagen stiftet Siegfried zu einem Wettlauf nach dem Brunnen an, wissend, dass Siegfried schneller ist, als er. Als der erwartungsgemäße Sieger sich zum Trinken bückt, ermordet Hagen ihn hinterrücks mit seinem Speer. Noch in der gleichen Nacht kehren die Mörder mit der Leiche über den Rhein nach Worms zurück.
Die Idee
Diese Tour führt also zu einem Tatort: Dem Schauplatz des Mordes an Siegfried. Den zu finden, ist allerdings gar nicht so einfach! Denn da gibt es mehr als einen: Siegfriedsbrunnen wird eine ganze Gruppe von Brunnen und Quellen im und um den Odenwald genannt, an denen sich die in der Nibelungensage berichtete Ermordung Siegfrieds zugetragen haben soll.
Na, nicht wirklich. Zum einen ist gar nicht klar, wer das überhaupt gewesen sein soll - und daran hängt ganz entscheidend, wie er gestorben ist, und wo. Seit dem 19. Jahrhundert wird Siegfried ebenso gern wie ohne viel Grund mit dem Cherusker Arminius gleichgesetzt; dann hat man auch den Burgunderkönig Sigismund und den in Köln nachgewiesenen fränkischen Herrscher Sigibert in Siegfried erkennen wollen. Immerhin sind beide Sigis, letzterer wurde zudem auch noch, wie der Held des Nibelungenlieds, auf einer Jagd Opfer eines Mordanschlags.
Aber damit nicht genug: Siegfried erscheint auch in nordischen Versionen der Nibelungensage, dort als Sigurd: in der Lieder-Edda, in der Snorra-Edda, in der Völsunga saga, in der Thidreks saga und in anderen nordischen Sagen. Und die spielen alle nicht im Odenwald.
Es gibt also schon mal gar nicht den einen Siegfried, und zudem ist er eine literarische Figur. Selbst wenn wir uns also nur an den Siegfried des Nibelungenlieds halten, macht es wenig Sinn, nach einem tatsächlichen Tatort zu fragen. Andererseits ist die Mordstelle mit ausreichender Genauigkeit beschrieben, so dass wir annehmen können, dass der Verfasser eine bestimmte Stelle, einen bestimmten Brunnen oder Quelle vor Augen hatte, als er den Schauplatz beschrieb, an dem er das Geschehen spielen ließ.
Weil die verschiedenen überlieferten Fassungen des Nibelungslieds unterschiedliche Ortsangaben machen, und diese obendrein nur Indizien liefern - wie etwa Flurbezeichnungen, oder relative Zeit- und Ortsangaben - beansprucht eine ganze Reihe von Gemeinden den Schauplatz für sich. Darunter sind Hiltersklingen und Grasellenbach, zu deren Siegfriedsbrunnen diese Tour führt, des weiteren Heppenheim, Odenheim, Lautertal, Lindenfels, Edigheim und Amorbach.
Eines aber ist klar: Um nach dem richtigen Siegfriedsbrunnen zu suchen, muss man zem Otenwalde fahren. Dort liegen zwei der Kandidaten in - na, sagen wir - mittelbarer Nähe zueinander: Der Lindelbrunnen von Hiltersklingen und der Grasellenbacher Siegfriedsbrunnen. Zu diesen beiden Brunnen soll unsere Wanderung führen.
Wir steigen also ins Auto, drücken den Startknopf, und fahren "zem Otenwalde" - Richtung Odenwald. Unterwegs auf der B460 rufen wir uns gleich nochmal die ersten Anhaltspunkte ins Gedächtnis, die der Verfasser des Nibelungenlieds uns hinterlassen hat:
Das Nibelungenlied berichtet in den Aventiuren (Kapiteln) 15 bis 17 vom Aufbruch zur Jagd in Worms (Aventiure 15), vom Wettlauf und von der Ermordung Siegfrieds (Aventiure 16) und von der Verbringung des Leichnams nach Worms (Aventiure 17). In diesen Aventiuren sind dementsprechend auch die Hinweise auf den Siegfriedsbrunnen enthalten.
Das Zentrum des Nibelungenreiches war Worms. Hier startete der Jagdausflug. Zunächst sagt in der 15. Aventiure Gunter zu Hagen:
Nv wir der hereverte ledic worden sin |
Da wir uns der Heerfahrt so entledigt sehn, |
Und so fuhren wir auf der B460 immer tiefer in den Odenwald hinein. Tiefer und tiefer.
Mehr und mehr Gedanken machte uns dabei mit jedem zusätzlichen Kilometer eine Entfernungsangabe im Nibelungenlied: Sie ergibt sich daraus, dass Siegfrieds Leiche bis zum Abend am Lagerplatz blieb, bevor sie dann in der Nacht nach Worms verbracht wurde, wo sie zur Morgenmesse eintraf. Der Platz, den der Verfasser vor Augen gehabt haben mag, kann also von Worms nicht allzu weit entfernt gewesen sein. Daraus ergibt sich, dass der Siegfriedsbrunnen nicht sehr tief im Odenwald gelegen haben kann. Das passt gut zu einer weiteren Formulierung, nämlich "fvr die Berge" (des Odenwalds), was man wohl als "vor den Bergen" übersetzen muss. Damit läge der Siegfriedsbrunnen nicht sehr weit im Odenwald, möglicherweise sogar noch in der Rheinebene, an der heutigen Bergstraße:
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Den helt von Niderlanden dwanch des durstes not |
Den Held von Niederlanden (Siegfried) zwang des Durstes Not |
Mit wachsenden Bedenken ob der zunehmenden Entfernung von Worms fuhren weiter in den Odenwald hinein, und bogen erst in dem kleinen Ort Hiltersklingen (332 m) von der B460 (die hier, passend zu unserer Tour, auch Siegfriedstraße heißt) ab. Dann machten wir uns an unsere Tour.
Die Tour
In Hiltersklingen wandern wir die Fürther Straße hinauf zum Friedhof des Ortes, und von hier aus im Zickzack Richtung Norden hinauf in den Wald. Auf dem Bergrücken erreichen wir den schönen Grenzweg, dem wir nun nach rechts (grob: Osten) folgen. Dabei passieren wir als erstes die kleine Grenzweghütte (433 m). Unterwegs besprechen einen weiteren Anhaltspunkt, nach dem wir Ausschau halten müssen:
Eine weitere Ortsangabe lautet "zem Spehtsharte": Der listige Hagen hatte den Wein für das Trinkgelage nach der Jagd fernab in den "Spehtsharte" bringen lassen, irrtümlich, wie er behauptete, so dass die Jäger gezwungen waren, ihren Durst mit Brunnenwasser zu löschen. Auf diese Weise konnte Hagen den Wettlauf mit Siegfried zum Brunnen arrangieren, und dort dann den Mord begehen:
Do sprach der von Tronege vil lieber herre min |
Da sprach der von Tronje „Viel liebe Herren mein, |
"Spehtsharte" klingt ja nun wirklich sehr nach "Spessart". Der ist aber über 100 Kilometer von Worms entfernt, und damit zu weit weg für einen Jagdausflug. Dorthin hatte Hagen den Wein sicher nicht verfrachten lassen, einen derartigen Irrtum hätte ihm niemand abgenommen. Aber "Spehtshart" bedeutet einfach "Spechtswald" - und Wälder mit Spechten gab (und gibt) es viele.
Wir müssen also nach einem Brunnen oder einer Quelle Ausschau halten, die am oder nicht weit im Odenwald liegt, auf die Entfernung nach Worms achten, und nach einem Flurnamen "Spehtshart" oder "Spessart". Na, das kann man sich doch merken.
Nach der Grenzweghütte geht es kurz am Waldrand entlang, bevor wir, eine Kreuzung geradewegs überquerend, wieder in den Wald hineinwandern. Wir bleiben noch für etwa eineinhalb Kilometer auf dem Höhenweg, bis es dann rechts steil hinunter zum Lindelbrunnen (330 m) geht.
Der erste Siegfriedsbrunnen! Der Brunnen von Hiltersklingen heißt "Lindelbrunnen", was natürlich sofort Assoziationen sowohl an das schicksalhafte Lindenblatt weckt, das beim Bad im Drachenblut auf Siegfrieds Rücken gefallen war, als auch an den Drachen bzw. Lindwurm selbst. Die Quelle ist bereits 773 in einer Beschreibung der Mark Heppenheim erstmals erwähnt worden, hat also schon vor langer Zeit gesprudelt - lang genug, um im Nibelungenlied vorzukommen.
Heute fließt das Wasser aus einer runden Steineinfassung zwischen aufgetürmten Steinblöcken hindurch. Das ist recht romantisch - eine belastbare Verbindung zum Nibelungenlied gibt es aber nicht: ein "Spehtshart" ist hier weit und breit nicht, und über Nacht mit einem Pferd von hier nach Worms - das dürfte wohl ein bissl zu weit sein. So schön der Lindelbrunnen auch ist - wir mussten ihn leider von unserer Kandidatenliste streichen.
Wir stiegen nun hinter der Quelle den Hang hinauf, und traten oben aus dem Wald heraus. Dort folgten wir einem breiten Feldweg, der nach rechts Richtung Hüttenthal (283 m) führt. Wir überquerten die B 460 und betraten (passenderweise auf der Siegfriedstraße) den kleinen, hübsch gelegenen Ort. Dort bogen wir nach links ab, auf die Güttersbacher Straße, und wanderten auf dieser etwa 500 Meter nach Osten. Dann zweigten wir nach Süden hinauf und verließen den Ort wieder.
Am letzten Haus bogen wir rechts ab, und folgten dem Feldweg hinauf zu einem spitzen Waldeck. Hier, an einem Hüttl, wechselten wir auf einen schmalen Pfad, der nun südwärts hinauf zur kleinen Frankfurter Hütte (380 m) führt. Hier ist man wieder auf einem breiten Feldweg unterwegs. Direkt nach Westen geht es in den Wald, über den Bergrücken, und über schöne Wiesen hinunter in den ebenfalls hübsch gelegenen Ort Güttersbach (310 m).
Im Ort nahmen wir die Hüttenthaler Straße, die die Kirche umrundet, und verließen Güttersbach am südlichen Ortsende. Hier führt halbrechts ein Hohlweg zum Friedhof hinauf. Nach der Kurve der K47 wandten wir uns nach rechts auf einen Feldweg, und bogen an der ersten Abzweigung nach links wieder ab. Es geht hinauf in den Wald.
Oben auf dem Bergrücken kommt man an eine Kreuzung, von der sechs Wege abgehen. Wir nahmen den zweiten Weg im Uhrzeigersinn, das ist fast geradeaus. Hier geht's hinunter zum Roten Wasser von Olfen (425 m).
Das Rote Wasser, das seinen Namen vom hohen Eisengehalt hat, ist eines der wenigen echten Moore im Odenwald. Es handelt sich dabei um ein Nieder- bzw. Zwischenmoor. Entstanden ist es in einem stark vernässten, stellenweise vertorften Bachtal.
Hier wachsen zahlreiche seltene Pflanzen wie der fleischfressende Sonnentau, das Wollgras, Birken, und diverse Torfmoose. Das Rote Wasser ist auch Lebensraum für viele seltene Tierarten, darunter die kleine Moosjungfer, die Adonislibelle, die Hufeisen-Azurjungfer, und viele weitere Libellenarten. Im Frühling ist das Moor Laichgewässer für Kröten und Frösche.
Rechts des Bachs geht es nun auf einem hübschen Pfad das Tal hinauf. Kurz bevor der Weg endet, kann man links zu einem breiteren Weg hinaufsteigen. Dieser führt bald zu einer Kreuzung, von der nun immerhin fünf Wege abgehen.
Wir nahmen gleich den ersten nach rechts, und bogen gleich darauf links ab. Es geht hinauf auf den Spessartkopf (547 m).
Oha! "Spehtshart"! War das nicht einer der Hinweise im Nibelungenlied? "Spehtshart" hieß es doch da! Waren wir nun vielleicht in der Nähe des tatsächlichen Tatorts?
Und wirklich befindet sich der Siegfriedsbrunnen von Grasellenbach in unmittelbarer Nähe. Folgt man dem Weg, der den Spessartkopf nach Westen umrundet, geht es bald rechts hinunter zu der Quelle, dem Siegfriedsbrunnen (502 m) von Grasellenbach.
Unter den vielen Siegfriedsbrunnen ist die Quelle in Grasellenbach der bekannteste. Seit langer Zeit schon wird er für (Wander-)Touristen vermarktet. Eine in einen Fels gehauene Inschrift weist die Quelle als "Siegfrieds-Brunnen" aus, 1851 wurde daneben ein gotisierendes Steinkreuz errichtet, in dessen Sockel die Strophe 981 aus der 16. Aventiure des Nibelungenlieds in mittelhochdeutscher Sprache eingemeißelt ist.
Die Quelle ist heute versiegt (Nadelholz-Monokulturen), wird aber von einer kommunalen Wasserleitung gespeist, um den Siegfriedsbrunnen zu erhalten.
Die Quelle trägt angeblich schon "seit Menschengedenken" den Namen "Siegfriedbrunnen". Im 19. Jahrhundert soll ein altes Sühnekreuz daneben gestanden haben, wie man sie früher oft zur Erinnerung an Mordtaten errichtete. Und natürlich wird auch die Nähe des Spessartskopfs als Argument für diesen Brunnen herangezogen.
Doch der Grasellenbacher Siegfriedsbrunnen liegt zu nahe am Spessartskopf: Hagens Wein wäre gerade mal fünf Minuten von der Quelle entfernt gewesen, also alles andere als "fern", so dass es keinen Grund gegeben hätte, stattdessen zur Quelle zu gehen. Und wie schon beim Lindelbrunnen hätte man auch von hier aus Siegfrieds Leiche nicht über Nacht nach Worms bringen können. Zudem fragt sich, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Verfasser des Nibelungslieds ausgerechnet diese Quelle gekannt haben könnte, mitten im Wald, fernab menschlicher Behausungen, an denen er hätte vorbeikommen können.
Macht nichts: Der Grasellenbacher Siegfriedsbrunnen ist hübsch gelegen, und lädt zu einem Päuschen ein. Wir lasen die berühmte Passage im Nibelungenlied, vor allem diese Strophe:
Da der herre Sivrit ob dem brunnen tranch |
Als der edle Siegfried aus dem Brunnen trank, |
Wir wanderten nun ein kurzes Stück bergab, zu einem breiten Waldweg. Hier wandten wir uns nach links, zur Adam-Heim-Ruh (485 m). Dort verließen wir den Weg, der hier eine Linkskurve macht, und wanderten geradeaus den Berg hinunter. Dann nahmen wir die zweite rechts, umwanderten den Hügel, auf dem die Adam-Heim-Ruh steht, nordseitig, und nahmen bei einer Gabelung den oberen (rechten) Weg. Dort, wo dieser wieder auf den breiten Weg unterhalb des Siegfriedsbrunnens stößt (der hier nochmal ganz in der Nähe ist), überquerten wir diesen, und wanderten auf einem Pfad nach Osten weiter. An der nächsten Möglichkeit nach links (Nord(ost)en), und auf einem hübschen Weg weiter über einen langgezogenen Bergrücken. An einer Wegkreuzung östlich des Kirchbergs wieder rechts, und auf einem breiten Weg hinunter zu einer rekonstruierten Köhlerhütte (433 m). Dort kann man sich über das historische Köhlerhandwerk informieren.
Die Köhlerhütte steht unmittelbar an einer Kreuzung. Hier links, und durch einige Kurven hinunter nach Hiltersklingen (332 m), wo unsere Tour endet.
Statt eines Fazits:
Zu tief im Odenwald, zu weit weg von Worms, kein Spessart (oder ein zu nahe gelegener Spessartkopf) - nichts scheint so recht zu passen. Keiner der beiden Brunnen scheint als diejenige Stelle in Frage zu kommen, die der Verfasser des Nibelungenlieds bei seiner Beschreibung der Mordtat als Schauplatz vor Augen gehabt haben könnte. Also, wo ist denn nun der richtige Siegfriedsbrunnen? Der, auf den sämtliche Kriterien zutreffen? Immerhin haben wir Euch hier eine Runde vorgeschlagen, die nach Siegfried benannt ist!
Der Grund? Wir wollten Euch eine schöne Wanderung vorschlagen, nicht unbedingt eine literaturhistorisch korrekte. Deshalb haben wir Euch etwas verschwiegen. Es gibt nämlich noch einen weiteren Hinweis im Nibelungenlied, den wir Euch bis jetzt vorenthalten haben. In Aventiure 16 heißt es:
Von dem selben brunnen da Sivrit wart erslagen |
Von demselben Brunnen, da Siegfried ward erschlagen |
Hier wird ein Ort namens "Otenhaim" genannt, gelegen vor dem Odenwald. Dort, so der Verfasser, "fließet noch der Brunnen" , was nahelegt, dass ihm ein Brunnen in oder bei Otenheim vorschwebte, der zumindest zu seiner Zeit noch vorhanden war. Kein Wunder, dass wir in Hiltersklingen und Grasellenbach nicht fündig wurden. In der ganzen Gegend gibt es weit und breit kein Otenheim, auch nicht als Wüstung. Einen in einer Beschreibung der Gemarkung Gras-Ellenbach aus dem Jahr 1613 erwähnten Distrikt "Dautenhan", "Doteshan" bzw. "Dotenhan" kann man nur mit viel Fantasie mit dem "Otenhaim" des Nibelungenlieds identifizieren.
Also nochmal: Wo ist der richtige Siegfriedsbrunnen?
Nun, wer den sehen will, muss nach Heppenheim fahren...
Mhm, fahren. Denn zum Wandern ist die Ecke leider nicht geeignet: Der Heppenheimer Siegfriedsbrunnen liegt nämlich mitten in einem belebten Industriegebiet, zwischen Baumärkten, einem Gastro-Ausrüster und amerikanischen Schnellrestaurants. Die Brunneneinfassung, die sich dort an der Stelle einer durch die industrielle Nutzung des Grundwassers mittlerweile versiegten Quelle befindet, wurde erst im 20. Jahrhundert hierher versetzt, und der Findling, auf dem Erläuterungen zur Nibelungensage nachzulesen sind, stand ebenfalls nicht schon immer hier.
Aber dafür kann der Heppenheimer Siegfriedsbrunnen im Vergleich zu den anderen Kandidaten eine sehr gute Indizienreihe vorweisen: Zunächst einmal liegt die Quelle vor un d nicht im Odenwald ("fvr die Berge"). Damit passen auch sofort die Entfernungsangaben: jedenfalls lässt sich Worms von hier aus deutlich leichter erreichen als von Hiltersklingen oder Grasellenbach aus (es sind ca. 20 Kilometer). Und den "Spehtshart" des Nibelungenlieds könnte man im Spissert, einem bis heute so bezeichneten Waldstück bei Hüttenfeld wiedererkennen, etwa sieben Kilometer vom Heppenheimer Siegfriedsbrunnen entfernt. Weit genug für Hagens List mit dem Wein.
Für diesen Kandidaten spricht außerdem die Nähe zu dem nur wenige Kilometer entfernten ehemaligen Kloster Lorsch. Der Lorscher Abt Sigehart (Abt von 1167 bis 1210) galt sogar Einigen als möglicher Autor des Nibelungenlieds. Das wird heute zwar überwiegend abgelehnt, trotzdem könnte in diesem Zusammenhang eine Erklärung für die Ortsbezeichnung "Otenheim" ("vor dem Otenwalde ein dorf lit Otenhaim") liegen: Zum Kloster Lorsch gehörte nämlich unter anderem das nur wenige Kilometer südlich gelegene Kloster "Hagen ze Lorse", das 1130 auf einem Gebiet gegründet worden war, das Uta von Calw gehörte (das ist die, die auch das Prämonstratenser-Chorherrenstift Allerheiligen im Scharzwald gegründet hat). Dort befand sich auch ein herrschaftlicher Hof, der nach ihr "Uotenheim", später "Ottenheim" genannt wurde, so wie ein ganz in der Nähe gelegenes Dorf gleichen Namens, das später untergegangen ist.
Und damit hätten wir schließlich doch alles beisammen: Wir haben eine Quelle, die 1. vor dem Odenwald liegt, 2. in der Nähe eines Ortes namens "Otenhaim", wir haben 3. den Flurnamen "Spehtshart" bzw. "Spissert", und wir haben 4. die Nähe zu Worms, das über Nacht mit einem Pferd zu erreichen gewesen wäre.
Der Heppenheimer Siegfriedsbrunnen hat den anderen Kandidaten aber noch etwas anderes voraus... Etwas, wodurch er am Ende uneinholbar vorne liegt: Gegenüber befindet sich nämlich das Outlet eines großen deutschen Speiseeisherstellers. Der mit der langen Nase. Nese. Ihr wisst schon.


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