Kurzbericht 

Nicht auf der Pitla Cansla - Wo Spass aufhört und Mühsal beginnt


Publiziert von ZvB , 17. September 2021 um 11:58. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Italien » Trentino-Südtirol
Tour Datum: 8 September 2021
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: I 
Zeitbedarf: 6:00
Kartennummer:Tabacco 05

Irgendwann hatte mir Georg einmal erklärt, dass Männer mit langen Haaren ein psychisches Problem hätten bzw. irgendwie verrückt seien. Gerade als die bröselige Schuttrinne die magische Neigung von 38° zu überschreiten versucht, glaube ich zu erkennen, dass unter Georgs Schirmmütze zwei dicke, geflochtene Zöpfe hervorkommen ...

Aus der Großen Fermeda wird heute nichts. Jetzt, nach der Kleinen am Vortag, muss ich mir eingestehen, dass man mit gebrochener Rippe nicht so gut klettern kann. Schon gar nicht könnte ich mir vorstellen, Schorsch am kurzen Seil zu sichern. Heute umspielen z.T. dichte Wolken die Fermeda. Das bewegt uns dazu, uns anderen Zielen zuzuwenden. Schorsch bietet den Wasserkofel oder irgendwas an der Pitla Cansla  an. Es wäre angeblich etwas bröselig ...

Wir wandern in Richtung Wassertal und bestaunen das seltene Spiel der Nebel mit den Geislern. Bis hierher ist meine Welt noch in Ordnung. Dann erreichen wir den Punkt der Entscheidung. Geradeaaus weiter zum Wasserkofel oder nach rechts in eine steile Rinne, die vermutlich irgendwie auf die Pitla Cansla führt. Georg kennt den Wasserkofel schon und ich möchte, dass das Drama so früh wie möglich beginnt, damit es ganz schnell vorbei ist. Ich stimme der Pitla Cansla zu.

Auf dem Schuttkegel ist Georg in seinem Element. Mit seinem 60.000-fachen Superzoom fotografiert er Gemsen, die nur noch mit dem Kopf schütteln. Er zieht davon, was mit Stöcken auch weniger ein Problem zu sein scheint. Irgendwann erbarmt er sich und leiht mir einen der wertvollen Stöcke. Das geht schon besser, wobei sich bei mir zu keiner Zeit ein Gefühl der Sicherheit oder des Wohlbefindens einstellen mag.
(btw: weiter rechts hätte es auch einen bequemen Weg gegeben, der sogar in Karte verzeichnet ist und bis zur Spitze des Schuttkegels geführt hätte. Georgs Rache ist eben geröllig und schuttig!)

Wir haben die Spitze des Schuttkegels erreicht. Die Felsen rücken von rechts und links immer mehr zusammen und geben eine klare Richtung vor: nach oben! Georg hüpft auf den Spuren der Gemsen davon. Meine Unterschenkel brennen. Ein Schritt vorwärts und zwei zurückgerutscht. Da hilft auch der Leihstock nicht. Irgendwann wird es irgendwo in der Mitte der Rinne immer steiler. Es bleibt nur noch die Möglichkeit, sich auf losem Untergund geduckt unter einem abdrängenden Felsen am rechten Rand vorbeizumogeln. Georg gelingt das. Jetzt ist der Boden bereits aufgewühlt. Ich stochere im losen Schutt. Die Sohle findet keinen Halt. Die Erkenntnis entsteht ganz plötzlich: 'Das ist doch alles Mist, ich hab keinen Bock mehr', denke ich mir und sage zu Schorsch: "Das hat doch nix mehr mit Bergsteigen zu tun! Ich dreh um."

Natürlich fordert er seinen Stock zurück. Das macht meinen 'Notabstieg' nicht leichter. Abwärts ist noch beschissener ...
War das ein Versehen oder wirft er jetzt sogar mit Steinen nach mir?
Eine Blume in in einer Felsnische spricht zu mir und sagt: "Hey Zing, ist doch schön hier, oder?" Wenn man schon einmal Blumen sprechen lässt ...

Ich erreiche endlich nach einigem Rutschen wieder die Spitze des Schuttkegels. Dieses Mal nehme ich den bequemeren Pfad für den Abstieg auf die grünen Matten im Tal. Warum gibt es eigentlich diese eher sinnlos erscheinende Spur? Tja, da möchte ich nicht zu viel verraten, aber es ist quasi das östliche Pendant zum instgramablen Blick von der Seceda.

Ich vergammle den Rest des Tages in den Ncisles. So wird die Hügelkette südlich der Geisler in der Karte bezeichnet. Laut Tamara bedeutet Ncislesgar nix, aber wahrscheinlich lautet die tatsächliche Übersetzung "Hügel für nicht so richtige Bergsteiger".

Als ich an der Regensburger Hütte ankommen, kommt mir der Gedanke, dass ich vor Kaffee und Kuchen endlich einmal duschen könnte. Da aber entdecke ich schon den Schorsch und verwerfe den Plan. Schlechten Geruch kann man auch mit Kaffee und Kuchen überwinden ...

Tourengänger: georgb, ZvB


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