Zugspitze - Überschreitung vom Höllental nach Ehrwald


Publiziert von cardamine , 12. September 2021 um 14:48.

Region: Welt » Deutschland » Alpen » Wetterstein-Gebirge
Tour Datum: 8 September 2021
Wandern Schwierigkeit: T3+ - anspruchsvolles Bergwandern
Hochtouren Schwierigkeit: L
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Klettersteig Schwierigkeit: K2 (WS)
Wegpunkte:
Geo-Tags: D   A 
Zeitbedarf: 2 Tage
Aufstieg: 2400 m
Abstieg: 2160 m
Strecke:31 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Wanderparkplatz P2 (Hammersbach in Grainau)
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Ehrwald, Zugspitzbahn Bahnhof oder Bushaltestelle Ehrwalder Almbahn
Unterkunftmöglichkeiten:Höllentalangerhütte (1387 m)

Nach der Besteigung der höchsten Berge von Italien, Slowenien und Lichtenstein war es schon fast eine Pflicht, als Bayerin endlich einmal den höchsten Punkt des Freistaates zu besuchen. Über die Besteigung der Zugspitze hatte ich schon viel Abschreckendes gelesen, von Staus am Klettersteig und überforderten Turnschuhtouristen am Gipfelkreuz. In der Hoffnung, das Risiko von Wartezeiten zu minimieren, entschied ich mich dafür, die Zugspitze unter der Woche und bei "leicht erschwerten Bedingungen", sprich etwas Schnee, zu besteigen. Von den vier Routen entschied ich mich für die zweitschwerste, aber angeblich schönste, den Höllentalsteig.

Es ist schwierig, diese Route in eine Kategorie zu packen. Irgendwie ist es eine Mischung aus Klettersteig, Hochtour und Alpinwanderung und man braucht Erfahrung in allen drei Bereichen. Als reiner Klettersteiggeher wird man auf dem Gletscher wenig Freude haben, gerade bei Blankeis braucht man schon etwas Gehtechnik mit Steigeisen. Erfahrung mit T4/T5-Gelände sollte man auch haben, um die Geröllpassagen und unversicherten Kraxelstellen zu meistern. Zum Glück ist der Klettersteig „oldschool“ und kein Drahtbügelverhau aka „Sportklettersteig“. Das Alter bedingt allerdings auch einen relativ schlechten Zustand der Sicherungen. Auf der gesamten Strecke habe ich über 20 ausgerissene Bügel oder Zwischensicherungen gezählt und noch mehr Wackelkandidaten. Man sollte doch meinen, dass die zahlreichen in- und ausländischen Touristen, die diesen Berg besuchen, genug Geld für eine Sanierung einbringen.... anyway, der Steig gilt zurecht als der schönste Weg auf die Zugspitze und wenn man früh genug dran ist, erlebt man auch keine Staus ;-)

Tag 1: Zustieg zur Höllentalangerhütte (650 Hm, 1:30 h)
Um dem Gedränge in der Höllentalklamm zu entgehen, starte ich erst gegen 18:30 Uhr am Wanderparkplatz in Hammersbach, wo saftige 15 Euro pro Tag verlangt werden. Am Zustieg zur Klamm steht die Höllentalangerhütte mit 3 Stunden ausgeschildert. Die Gehzeiten wurden wohl schon an die reduzierte Geschwindigkeit von FFP2-Maskenträgern angepasst. Bis zum Eingang der Klamm darf man zum Glück noch Maulkorbfrei, auf dem breitem Forstweg kann man ja gut Abstand halten. Um 19 Uhr wird am Eingang der Klamm immer noch abkassiert - in der Gegend weiß man offensichtlich, wie man Geschäfte macht! Immerhin sind‘s für DAV-Mitglieder nur 2 Euro. Die Maske lasse ich nach dem Eingang wieder im Rucksack verschwinden, bei dem Getropfe in der Klamm wäre das Ding ohnehin sofort durchgeweicht. Schön ist die Klamm, so ohne Menschenmassen, und ich komme wie erwartet zügig voran. Um 10 vor Küchenschluss (20 Uhr) erreiche ich die Höllentalangerhütte. Der Wirt hat mich offensichtlich schon erwartet und bugsiert mich gleich zu einem Tisch. Sitzen und Essen, die Küche geht gleich zu! Keine 5 Minuten später steht schon ein riesiger Teller Spaghetti vor mir. Von wegen bayerische Gemütlichkeit…

Tag 2: Höllentalsteig (max. B/C) via Höllentalferner (L) (1600 Hm, 4:30 h)
Um vor der breiten Masse loszukommen, breche ich vor der offiziellen Frühstückszeit (ab 6 Uhr) auf. Netterweise bekommt man als Frühaufsteher ohne Aufpreis ein Thermofrühstück bereitgestellt. Die erste bin ich aber doch nicht, zu meiner Überraschung sehe ich von der Hüttenterrasse schon Lichter an der ersten Steilstufe und am Höllentalferner herumgeistern. Im Schein der Stirnlampe geht es zum unteren Teil des Klettersteigs, dem sogenannten Brett. Wie geplant erreiche ich die erste versicherte Passage gerade als es dämmert. Dort treffe ich auf ein paar weiße Nike-Turnschuhe, die mich mit einem motivierten moinmoin begrüßen. Einen Pickel hat er seltsamerweise am Rucksack, schon eine merkwürdige Kombination. Ich verkneife mir einen Kommentar gebe Gas, dass ich den Einstieg zur „Leiter“ vorher erreiche. Mit Stöcken in der Hand nehme ich die erste A/B-Passage, merke aber schnell, dass es nun besser ist, die Stöcke gegen das Klettersteigset einzutauschen. An der langen Eisenbügelleiter kommt die Sicherung erstmals zum Einsatz, da die Felswand von Wasser überlaufen ist. Bereits hier offenbart sich der schlechte Zustand des Klettersteigs, mittendrin fehlt ein Bügel. Es folgt das oft fotografierte Brett, die Querung einer senkrechten Felswand auf Stahlstiften mit ziemlich viel Luft unter den Füßen. Gerade als ich im ersten Drittel bin, saust etwas über meinen Kopf hinweg - pfffrmmm. Mein erster Gedanke: Eine Bergdohle im Sturzflug? Pfffrmmm - mein zweiter Gedanke: Ein Depp fliegt schon Drohne? Pfffrmmm - mein Dritter Gedanke: Autsch! Ich schaue hoch und sehe Steine fallen. Schneller Rückzug an dieser Stelle unmöglich, auf den Stiften kann man nicht einfach umdrehen. Also bleibt nur abzuwarten, bis die Geschosse aufhören. Der Steinschlag muss eine natürliche Ursache haben, denn der Weg führt nach dem Brett horizontal weiter in Gehgelände. Nach diesem unangenehmen Morgengruß des Berges bin ich froh, als ich nach einer kurzen, unversicherten Kraxelei (I) den grünen Buckel erreiche, wo man erstmal für eine Weile Gehgelände hat.

Ein guter Weg führt durch das Geröllfeld vor dem Höllentalferner. Hier treffe ich erstmals wieder auf Menschen, eine Zweiergruppe legt gerade Steigeisen an und eine weitere müht sich gerade auf dem Gletscher ab. Wie sich herausstellt, hat er nur Grödeln, die in den Blankeistellen nicht so recht greifen. Ich bin höllisch froh, dass ich richtige Steigeisen dabeihabe, denn im Mittelteil erreicht der Gletscher an die 30° (manche schreiben sogar 35°). Rutschen sollte man tunlichst nicht, denn der Höllentalferner hat ein paar Spalten. Nun folgt der anspruchsvollste Teil der Tour, der Übergang vom Gletscher auf die senkrechte, griffarme Felswand. Stahlkabel und Eisenbügel helfen die Felswand hinauf (B/C). Je nach Jahreszeit gibt es zwischen Gletscher und Fels eine mehr oder weniger breite Randkluft zu überwinden. Es gibt zwei Übergänge, der untere Übergang ist eine schöne Eisenleiter, der obere Übergang oder besser gesagt die oberen beiden bestehen einmal aus einem Seil über eine senkrechte, glatte Platte und noch etwas weiter oben ein paar vereinzelten Bügeln. Heute ist der Übergang dank einer Schneebrücke nur an dem Stahlseil ohne Tritthilfen möglich, an den andern beiden Punkten ist das Eis zu weit weg von der Wand. Den ersten Teil klettere ich mit Steigeisen, abziehen traue ich mich auf dem steilen Gletscher unterhalb der Wand nicht, da man von dort leicht in eine Spalte rutschen kann (passiert anscheinend öfter).

Nachdem ich mich am Seil über die schräge Platte hochgezogen habe, ziehe ich die Steigeisen auf einem kleinen Absatz ab. Anspruchsvoll geht es weiter, auf Eisenstiften muss man um eine abdrängende Felsnase herum und sich dabei leicht nach hinten hängen (daher B/C). Danach sind die technischen Schwierigkeiten geschafft, nach der Querung eines Geröllfeldes folgen nur noch A/B Passagen. Um schneller voranzukommen, hänge ich mich nur noch an den exponiertesten Stellen ein, das Gelände ohne die Kabel wäre T5. Die Seilbahnstation wirkt schon zum Greifen nahe, doch der Aufstieg zieht sich. Über den „Pfeiler“ gelangt man schließlich zur Irmerscharte auf dem Riffelwandkamm. Ab dieser Scharte wird es winterlich, der Steig ist von harschigem Schnee bedeckt. Die Seile wurden zum Glück zum Großteil schon aus dem Schnee befreit, sodass der Aufstieg kein Problem mehr ist. Nach dem Abzweig zum Jubiläumsgrat ist man schnell am Gipfel.

Hier erlebe ich den schon von vielen anderen beschriebenen "Kulturschock". Nach 4,5 Stunden Bergeinsamkeit und körperlicher Anstrengung landet man Mitten im Massentourismus. Turnschuhtouristen mühen sich ab, durch den Schnee zum oder vom Kreuz herunterzukommen und blockieren sich dabei gegenseitig. Es geht nichts mehr vor und zurück. Es bräuchte echt einen Einweiser hier, der den Aufstieg koordiniert, dann hätten alle mehr Spaß! Nach dem obligatorischen Besuch beim Kreuz setze ich mich auf den schönen Nebengipfel, der komischerweise nicht von den Touristen besetzt wird. Die Aussicht ist leider nicht so großartig wie erwartet, die Gebäude auf dem Gipfel erlauben keinen 360° Rundumblick, wie ich es von einem solch prominenten Gipfel erwartet hätte. Nach einer Stunde Pause auf dem Gipfel fühle ich mich immer noch ziemlich müde und beschließe, mir noch schnell im Konsumtempel etwas Koffein zu holen. Beim Dallmayr bekommt man immerhin einen guten Kaffee, wenn auch zu Münchner Preisen. Mittlerweile geht es auf der Aussichtsplattform zu wie am Oktoberfest, ich finde weder einen Platz zum Sitzen noch einen freien Platz am Geländer mit Aussicht. Um Bilder zu machen, muss man sich durch die Massen kämpfen. Nachdem ich auch noch bei der Toilette anstehen musste, stelle ich entsetzt fest, dass ich mit der ganzen Warterei schon 2 Stunden verloren habe.

Abstieg via Knorrhütte und Gatterl (T3+, 2160 Hm, ca. 5 h)
Über eine Treppe mit Warnhinweis vor alpinem Gelände und Absturzgefahr flüchte ich vor dem Trubel Richtung Zugspitzplatt. Doch der Zirkus nimmt kein Ende, ein nicht endend wollender Strom von Menschen quält sich den versicherten Steig vom Gletscherskigebiet herauf. Aus ihrer Ausrüstung schließe ich, dass auf dem schwarz markierten Steig wohl keine Schwierigkeiten mehr warten und entledige mich bei der Seilbahnstation meiner Klettersteigausrüstung. Über das öde Geröll laufe ich zügig Richtung Knorrhütte. Was für ein hässlicher und langweiliger Aufstieg der Normalweg doch ist! Und wie überfordert manche selbst damit sind… Kinder, die auf dem Hosenboden dahinrutschen, weil sie nicht im Geröll gehen können und denen die Mami nebenbei eine Horrorgeschichte von Gewittereinbrüchen im Gebirge erzählt. Welch Ironie, merkt sie denn nicht, dass sie ihre Familie gerade selbst in eine Gefahrensituation gebracht hat?! Kurz vor der Knorrhütte überhole ich noch einen übergewichtigen Asiaten mit vom Hinfallen zerrissener und dreckiger Hose, der sich wie in Zeitlupe abwärts bewegt. In der Zeit, die er braucht, die Hütte zu erreichen, habe ich schon ein Stück Marillenkuchen verdrückt. Wie ist der bloß hochgekommen? Es ist nun schon 15 Uhr und trotzdem machen sich immer noch Leute von der Hütte zum Gipfel auf. Es tut echt weh, das Ganze mitanzuschaun.

Ich wandere weiter zum Gatterl (Grenze D-AT), dieser Steig ist rot markiert. Ab hier ist es endlich ruhig, der Blick ins grüne Reintal erfrischend nach der Geröllwüste. Am Gatterl treffe ich noch eine ortsansässige Alleingängerin, mit der ich bis zum Feldernjöchl gehe. Ein Ratsch mit Gleichgesinnten zwischendurch ist immer schön. Sie zweigt nach Leutasch ab, ich steige über den Sattel „Am Brand“ zur Hochfeldernalm ab. Ich folge noch ein Stück dem Max-Klotz-Steig, dann ist es leider vorbei mit den schönen Almwegen und es geht über die Forstraße zur Bergstation der Ehrwalder Almbahn. Der Abstieg zur Talstation ist wieder gut bevölkert. Dort stelle ich fest, dass ich gerade den letzten Bus verpasst habe. Notgedrungen latsche ich also noch 4,5 km weiter zum Bahnhof Zugspitzbahn, der leider ein Stück außerhalb von Ehrwald liegt. Am Viadukt probiere ich, ob mich nicht vor dem nächsten Zug ein Auto mitnimmt. Keine 5 Minuten später hält ein Taxifahrer, der mich kostenlos mitnimmt, weil er eh Kunden in Hammersbach abholen muss. Echt nett, die Österreicher! Mit diesem positivem Schlusserlebnis endet ein ausgefüllter Bergtag.

Fazit: Ich kann nur bestätigen, was einschlägige Tourenportale über den Höllentalsteig schreiben: Der Steig ist schön und abwechslungsreich, aber er erfordert alpine Erfahrung und einiges an Kondition (offizielle Gehzeit von der Höllentalangerhütte ist 6 Stunden)! Die Route ist definitiv nichts für Gelegenheits-Berggänger und wenn man sich angesichts der vollen Hütte denkt: "Das machen ja so viele, das kann auch", sollte man sich bewusst sein, dass viele von denen umkehren und den Gipfel nicht erreichen! Ich war gut akklimatisiert und Aufstiege von mehr als 1500 Hm sind für mich keine Seltenheit, aber aufgrund des permanent anspruchsvollen Geländes war ich auf dem Gipfel müder als auf so manchem 3000er! Vor allem der große und schwere Rucksack hat mir beim Klettern den Spaß verdorben (Corona-Maßnahmen bedingt musste ich auch noch einen Schlafsack mitschleppen). Würde ich den Steig wiederholen, dann lieber als Tagestour mit leichtem Gepäck. Der Normalweg ist grausig, wer ohne Bahn absteigen möchte, sollte vielleicht besser den Stopselzieher nehmen.

Tourengänger: cardamine
Communities: Ultras


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