Aroser Rothorn - Überschreitung: Wegsuche, weiche Eier und 1900 Höhenmeter bergab zur Lenzerheide


Published by Wanderer82 , 13 August 2021, 23h12.

Region: World » Switzerland » Grisons » Lenzerheide
Date of the hike:10 August 2021
Hiking grading: T5 - Challenging High-level Alpine hike
Climbing grading: I (UIAA Grading System)
Waypoints:
Geo-Tags: CH-GR 
Time: 1 days
Height gain: 550 m 1804 ft.
Height loss: 1900 m 6232 ft.
Route:Bergstation Parpaner Rothorn - Aroser Rothorn (via NW-Grat) - Sattel vor Pizza Naira - P. 2650 - Furcletta - Culmet - Alp Sanaspans - Crapera (via Pt. 1971 - Pt. 1825) - Lenzerheide (13km)
Access to start point:Postauto ab Chur bis Haltestelle "Lenzerheide/Lai, Rothornbahn", dann mit Luftseilbahnen über Scharmoin zur Bergstation "Parpaner Rothorn"
Access to end point:Postauto ab Lenzerheide
Accommodation:Ramozhütte SAC

Meine schlechte Kondition (Übergewicht) zwingt mich dieses Jahr zu Wanderungen mit beschränkter Höhenmeterzahl bergauf. Wäre dem nicht so, hätte ich diese Tour wohl rausgeschoben. Auf dem Aroser Rothorn war ich nämlich schon einmal vor wenigen Jahren und ausserdem machten mir die verschiedenen Bewertungen (bis T5) sowie ein Youtube-Video ein wenig Bauchschmerzen. Nun fiel jedoch die Entscheidung (nicht ohne Zweifel), den früher anscheinend gut besuchten Gratweg abzuwandern und dessen markierte Fortsetzung zu erkunden. Dies bedeutete einerseits Abenteuer, doch auch Frustpotenzial.

Aus oben genannten Gründen wechsle ich einen Reka-Check sowie ein paar Fränkli Münz in ein Bergfahrtticket bis ganz oben um: Parpaner Rothorn, kalter Wind, Jacke an! Den Gipfel lasse ich zielstrebig links liegen und folge dem unterquerenden Weg bis zum Sattel, wo auch schon eine Wegspur sowie alte rot-weisse Markierungen in Richtung Aroser Rothorn auftauchen. Guten Mutes überklettere ich - markierungstreu - die ersten felsigen Hindernisse und bemerke für mich: Die neueren roten Punkte, den Hindernissen ausweichend, sind für die Weicheier. Nun ja, da habe ich den Mund wohl etwas zu voll genommen. Und zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht einmal, dass ich später die weichen Eier sogar im Mund haben würde... aber eben, dazu später, denn die Kulinarik musste noch einige Stunden warten.

Der Beginn ist noch nicht richtig ausgesetzt, die Strecke bis zum Gipfel aber auch nicht sehr lang, daher ändert sich das bald. Schon vor dem ersten Aufschwung wird man der sich noch verstärkenden Rutschigkeit und Bröseligkeit gewahr. Ein paar Kraxeleien sind auch dabei. In der darauffolgenden schattigen Aufstiegsflanke ist gerade ein Wanderer am Abstieg. Es geht nun los, die Sache wird exponierter und kraxeliger, man nimmt die Hände als Unterstützung gern hervor und der Puls bei mir steigt. An einigen Stellen ist der optimale Weg nicht sofort erkennbar, auch decken sich alte Markierungen und rote Punkte immer wieder nicht ganz, wobei die Punkte tendenziell (etwas weiter unten) Umgehungen weisen. Ich warte kurz in der Flanke und lasse den Absteigenden passieren. Es soll nicht mehr viel schwieriger werden, meint er, nur der Schlusshang sei noch minimal anspruchsvoller, da rutschig und steil. Die Weg-Charakteristik ändert sich nicht gross, bis ich dem Schatten der Nordwest-Flanke entfliehe und wieder auf dem anfangs noch breiteren Grat stehe. Bis jetzt halten sich auch die technischen Anforderungen in Grenzen, nur die Ausgesetztheit führt zu einem schwachen + beim T4. Doch nun kommt (für mich) die Schlüsselstelle: Über ein paar felsige Höcker setzt sich der Grat fort und fällt sowohl links als rechts steil ab. Die (kraxel)technischen Schwierigkeiten und das Gelände erreichen ein für mich kritisches Mass. Ich stehe vor einem der letzten Höcker, der seitlich querend umgangen wird (ev. ginge auch besser direkt drüber). Es ist rutschig und die Trittmöglichkeiten mässig vertrauenerweckend, ich versuche mich auf dem Hintern abstützend etwas abzusteigen, die Angst kommt hoch. Hier darf man nicht ausrutschen. Auf mehr oder weniger gut Glück setze ich meine Schritte rasch und hoffe einfach, dass alles gut geht. Nach so langer Abstinenz von Touren >T4 ist das schon ein starkes Stück gewesen. Ich vergleiche mit der Silberhornhütte (offizielles T5, von mir als T5- eingestuft). Ja, das war es nach meinem Empfinden mindestens, technisch eher anspruchsvoller, daher setze ich T5. Dieser Peak wird jedoch nur für wenige Meter erreicht und lässt sich möglicherweise durch eine optimalere Wegwahl vermeiden. Der Schlussanstieg gestaltet sich einfacher als gedacht, abwärts wohl wesentlich unangenehmer. Stolz geniesse ich alleine auf dem langweiligen und kargen Gipfel die ganz und gar nicht langweilige Aussicht bei bestem Wetter.

Nun praktisch immer bergab folge ich weiter den fast immer deutlichen rot-weissen Markierungen. Gerade im oberen Bereich muss man ein wenig schauen, wo's am besten geht, da relativ steile Hänge abzusteigen sind ohne klare Wegspur. Später wird es besser. Auch eine kurze Querung über Plattenschüsse hält mich nicht auf, das ist gutes T3-Gelände. Aber so angenehm sollte es nicht weitergehen. Nachdem mich noch ein Trailrunner überholt und den Pizza Naira erklimmt, endet für mich der Gratgang. Jetzt wird es spannend, habe ich doch bislang keine Angaben darüber gefunden, ob und wohin die alten Markierungen nun weiterführen. Und ja, sie führen weiter. Am grossen Felsblock ist ein Pfeil nach rechts aufgemalt (das überrascht mich) und die nächste Markierung sehe ich im steilen Westhang des Pizza Naira. Wegspur undeutlich und rutschig, Weiterweg unklar. Bereits tritt wieder das flaue Gefühl im Magen in Aktion. Ich probiere es und quere etwas heikel. Kurz darauf wird mir klar, wie es ungefähr weitergeht, aber auch dass es für mich hier nicht mehr weitergeht, denn die Markierungen weisen nun zu steil und direkt abwärts, als dass ich das wagen möchte in diesem rutschigen Steilhang. Immer noch unklar wie der weitere Verlauf ist, stelle ich mir vor, dass man später möglicherweise über eine grasige längliche Erhebung zum Lai Plang Bi absteigen würde. Da hatte ich also meinen Frust. Nun hiess es also doch, die Geröllhalde ostseitig abzustolpern. Hier sehe ich keine Markierungen und suche mir den besten Weg. Vom grossen Felsblock gehe ich erstmal ein kleines Stück retour, wo der Hang etwas flacher erscheint. Über mittelgrobes Geröll verliere ich langsam an Höhe. Nur ca. 60 Höhenmeter weiter unten entschwindet mein Frust, denn oh Wunder, ich habe in kleiner Entfernung wieder eine Markierung entdeckt. Gibt / Gab es also zwei Abstiegsvarianten? Ich traue dem Glück noch nicht ganz und suche eine Markierungsfortsetzung. Auf dem nächsten grossen Stein, doch schon wieder ein paar Höhenmeter tiefer, ist mein Frust völlig verdampft. Doch einfach ist es nicht in dieser Geröllhalde Wegzeichen zu finden, zumal sie leicht verwittert sind. Ich verfolge den vermuteten Weiterweg (übrigens etwas weiter südlich) und mache bei einer weiteren Markierung im flacheren Gelände auf knapp über 2600 m ü. M. eine kleine Pause. Am östlichen Ausläufer des Pizza Naira, unter dem ich mich befinde, erblicke ich sowas wie eine kleine Spur, die zu dessen Grat hochzuführen scheint. Auch eine Markierung findet sich. Doch dann wird die Sache schwieriger. Man gelangt irgendwie auf den Grat, aber dort ist unklar, wie es weitergeht. Überall hat es rote Flechten an den Steinen, was einem vermeintliche Markierungen vorgaukelt. Auf der anderen Gratseite ist es wieder sehr steil. Ich versuche weiter dem Gratverlauf zu folgen, ist aber kraxelig und immer exponierter. Endlich sehe ich eine weitere schwache Markierung direkt auf dem Grat und mir wird bange, denn es stellt sich einem ein Zacken (kurz nach Punkt 2650) in den Weg und eine Markierung fehlt wieder. Hier direkt drüber zu kraxeln oder diesen seitlich im steilen und brüchigen Hang zu umgehen, stufe ich als T5+ und I-II ein. Es gibt zwar Trittmöglichkeiten, aber für mich ist Schluss, denn ich weiss (noch) nicht, was nachher kommt. Der zweite Frust stellt sich ein. Mir bleibt nichts anderes als wieder runter ins Geröllfeld zu steuern, weiter abwärts und dann weglos, mühsam den sehr steilen Hang zu queren, um den Wanderweg knapp unterhalb der Furcletta zu erobern. Für die Füsse eine Tortur, denn diese haben ständig Seitenlage im immer geneigteren Hang. Die Zeit schreitet fort, es ist schon gut nach 15 Uhr, als ich die Furcletta erreiche. Unterdessen konnte ich erkennen, dass mich der Ostausläufer des Pizza Naira tatsächlich zügig zur Furcletta runter geführt hätte. Nun packt es mich und ich steige ab der Furcletta nochmal den Grat hoch und gelange zur Stelle, die ich vorher nicht zu überschreiten wagte. Und nein, auch in diese Richtung wage ich es nicht. Es bleibt dabei, mir fehlen knapp 15 Meter dieser Strecke.

Nun folgt der lange Abstieg zur Lenzerheide. Der Zwischenaufstieg bis zum Übergang bei P. 2618 ist kurz mühsam steil und rutschig, für einen Bergwanderweg schon recht anspruchsvoll. Ebenso verhält es sich mit dem Abstieg vom P. 2614 bei Culmet, der rutschiges Terrain auf abschüssigem Pfad hinabquert. Und dann zieht sich die Sache weiter. Unterhalten von einigen sich verdünnisierenden Murmelis und einer plötzlich lieblich-grünen Landschaft mit herrlichem Blick zum majestetischen Lenzerhorn vernichte ich Höhenmeter. Auf der Alp Sanaspans möchte ich einkehren, habe ich doch dort vor etwa 6 Jahren nach dem Abstieg vom Lenzerhorn einen ausserordentlich guten Streusel-Fruchtkuchen verdrückt. Die Gastgeber haben inzwischen gewechselt und weder Streusel- noch andere Kuchen im Dessert-Angebot. Nun, Abwechslung schadet bekanntlich nie und so entschied ich mich für eine Portion Kaiserschmarrn mit Preiselbeer-Konfitüre. Der geneigte Leser wird sich zurückerinnern an den Anfang meiner Tourbeschreibung, wo ich über "weiche Eier" philosophiere. Die finden nun - goldgelb in der Farbe mit kontrastierendem Weiss des Puderzuckers - den Weg in meinen Mund und werden von selbstgemachtem Holundersirup der Älpler flankiert. Da mein Handy keinen Internetempfang anzeigt, frage ich die Wirtsleute, wann denn ab der Lenzerheide das Postauto fährt. Aber sowohl darüber als auch über den nördlichen Abstieg via Crapera können sie keine Auskunft geben, was mich ziemlich irritiert. Dieser Abstieg überquert zuerst wieder die Aua da Sanaspans, verbunden mit einem Ab- und Gegenanstieg. Ich bin das erste Wegstück schonmal gegangen, hatte aber nicht mehr in Erinnerung, wie unangenehm für bereits geplagte Füsse dies an einer Stelle ist, wo man eine schluchtartige Passage (Steinschlag) runtersteigt. Danach durch den Wald, vorbei an einer grossen Feuerstelle mit zwei Tischen und Doppelwasserhahn am Brunnen, die Lenzerheide immer noch einige Höhenmeter tiefer. Ich zücke regelmässig das Handy, aber nachwievor kein Internetempfang, obwohl ich mit Sunrise verbunden bin. Ich ärgere mich, denn es ist schon nach halb neun und wer weiss, wie lange die Postautos noch nach Chur fahren. Nach bald 1900 Höhenmetern Abstieg bin ich ziemlich kaputt und komme nicht mehr zügig voran. Es dunkelt rasch ein, als ich in Crapera die ersten Häuser erreiche und der heimelige Duft von Holzheizungen (oder sind es Grillfeuer?) in meine Nase steigt. Auf Asphalt nun weiter runter zur Hauptstrasse. Noch 50 Meter bevor ich die Strasse erreiche, sage ich zu mir: "Wenn jetzt das Postauto durchfährt, drehe ich durch." Und es fährt durch... als wäre nichts gewesen, als hätte niemand gesagt oder zumindest gedacht, er oder sie würde in dem Falle durchdrehen. Damit handle ich mir nicht nur fast 1 Stunde Wartezeit sondern obendrein eine Nacht ohne Bett ein. An Postautos nach Chur mangelt es zwar nicht, aber nach Zürich ist wochentags in Chur schon um viertel nach zehn Schluss. Im Dunkeln suche ich eine Haltestelle und finde dann auch den Grund für den fehlenden Internetempfang: Ein nicht angezeigtes Systemupdate wollte zu Ende geführt werden (Neustart), was zum Ausfall der Internet-, nicht aber der GSM-Verbindung geführt hatte. Diese unsäglichen Smartphones! In Zukunft drucke ich mir die Rückfahrt-Verbindungen wieder auf Papier aus. Ich reize die ÖV-Verbindungen möglichst aus, um länger im warmen, bequemen Zug sitzen zu können. Um 1:15 überlässt mich der letzte Zug in Herisau dem Schicksal der Nacht. Wenigstens fährt schon kurz nach 4 die erste Bahn nach St. Gallen und von dort bin ich bald in Winterthur und anschliessend in meinem Bett, das bis zum späten Mittag ausserterminlichen Dienst leisten muss.

Hike partners: Wanderer82


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Comments (1)


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Uli_CH says:
Sent 19 August 2021, 17h47
Na, das war ja ein Abenteuer. Danke für den ausführlichen, unterhaltsamen Bericht.

LG, Uli


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