Wandel am Horen...


Publiziert von lorenzo , 6. Juli 2021 um 18:28.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Berner Voralpen
Tour Datum: 3 Juli 2021
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Zeitbedarf: 6:30
Aufstieg: 1750 m
Abstieg: 1750 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mit dem Auto oder Velo über Unterbach oder Balm oder von cff logo Balm b. Meiringen, Schulhaus (5-10min länger) zum Parkplatz Züünstäg (588m)
Zufahrt zum Ankunftspunkt:dito oder cff logo Balm b. Meiringen, Zaunstrasse
Kartennummer:LK 1209 Brienz, 1210 Innertkirchen; M. Brandt, Clubführer Berner Voralpen, SAC 1981

An meine erste und letzte Besteigung des Wandelhoren in der Kindheit während Familienferien in einem Sommer in den 70er Jahren mag ich mich nur noch vage erinnern. Und diesen Winter verpasste ich einmal mehr, den Gipfel von Falcheren aus endlich einmal mit Ski zu besteigen. Vorletzten Sommer war mir aber vom Aufstieg zur Oltschiburg die abweisende, abwechselnd von Gras- und Felsgürteln quer durchzogene NW-Flanke aufgefallen, wo ein Aufstieg nicht unmöglich zu sein schien. Da kam die Einladung zu einem abendlichen Konzert der Musikfestwoche Meiringen wie gerufen, um tagsüber der NW-Flanke des Wandelhoren einen Probebesuch abzustatten. Umso mehr, als besagter Musikabend - was ich allerdings erst nach der Tour beim Hervorholen und Zeigen des Tickets realisierte - unter dem Motto "Im Wandel der Zeit" stand (was sich - obwohl wir uns im Bergsteigerdorf Meiringen befinden - aber natürlich nicht auf einen allfälligen "Wandel am Horen" bzw. auf die dortigen jahresezeitlichen Wechsel, allfällige Faltungsschübe, die unermüdliche Erosion oder die Begehung von alten und neuen Routen, sondern auf die Entwicklung der Kammermusik anhand aufgeführter Werke von Mozart über Brahms bis Shostakovich bezieht).

Das Wetter war durchzogen, als ich loslief, laut Meteo sollte es aber erst nachmittags zu regnen beginnen. Nach einer anregenden Aufwärmphase im Züünwald und auf Züün bei Bielen angekommen, spähte ich fieberhaft nach Durchstiegsmöglichkeiten in der inzwischen bedrohlich vor mir aufragenden NW-Flanke. Der rechte bzw. SW Bereich schien angesichts abschüssiger Schrofen und steiler Flühe für mich nicht in Frage zu kommen (M. Brandt beschreibt einen Aufstieg zum weiter SW liegenden Wandelgrat, wie ich später in seinem Führer lesen konnte). NE unter dem Felskopf S vom Stock glaubte ich aber über der problemlos aussehenden unteren Flankenhälfte mit dem durchlässigen 1. Felsgürtel bis NW Bärwang eine Schwachstelle im dort von Gras durchzogenen oberen 2. Felsgürtels zu erkennen. Der Weg bis dorthin auf meist gut gestuftem Gras war dann tatsächlich unproblematisch, als eigentliche Schwachstelle erwies sich aber schliesslich nicht das vermutete gestufte Band, das mir zu heikel erschien, sondern eine versteckte Schrofenrinne NE davon (siehe unten). Nach einer kniffligen Stufe weiter oben war dann der Weg frei zur felsigen Zentralrippe, die einfacher war als sie aussah, und  stellenweise sogar zu schöner Kletterei in griffigem Sandstein, wie man ihn vom Hohgant oder vom Niesen kennt, einlud. Nach packenden Aus- und Tiefblicken zur Oltscheren, zum Brienzersee, hinüber zum Ländli mit Lungeren- und Sarnersee sowie zum Hasliberg schon während dem Aufstieg, der zudem durch ein unglaublich reiches Bergblumenparadies führte, erweiterte sich das Panorama bei der Ankunft auf dem Gipfel noch Richtung Wandelalp, Susten und Rosenlaui.

Der Abstieg über den ausgesetzten NE-Grat erforderte nochmals volle Aufmerksamkeit und Vorsicht, bevor ich mir nach einer absteigenden Querung der N-Flanke beim oberen Felskopf den Verlauf der Aufstiegsroute diesmal aus der Vogelperspektive vergegenwärtigen konnte. Durch Felder von üppig blühenden Alpenrosen und Ankenbälli gelangte ich über den NE Bärwang zum Mittlisten Wandel, wo wie auf Bielen bereits das Veh gesömmert wurde, dessen Glockengebimmel zwar angenehm in unseren - wohl weniger in jenen der Tiere - klingt, das aber womöglich das Wild vertrieben hatte - oder war ich es selber gewesen? -, indem ich bisher nicht eine Gemse, ein Murmelltier oder einen Steinbock gesichtet hatte. Dem schäumenden Wandelbach entlang ging es in abwechslungsreichem Sinkflug bis Schittelboden, bis mich der etwas eintönige Landeanflug durch den Prastiwald auf den Boden der Realität in der Aareebene zurückbrachte. Schon eine Viertelstunde später fielen die ersten Regentropfen. Aber nach einem entspannenden Bad im Brienzer See, einer erholsamen Schlafpause, dem obligaten Tenüwechsel und einem unterhaltsamen Abendessen durfte ich zu guter Letzt das wunderbare Konzert in der Kirche Meiringen umso mehr geniessen. Und im Nachhinein bin ich froh, vor der Tour den Eintrag von M. Brandt zur NW-Flanke, die er mit BG bewertet (unverbindliche Preisempfehlung...), nicht gelesen zu haben, der da lautet:


"Diese sehr abschüssige Flanke wird von unzuverlässigen Gras- und Felshängen unterbrochen. Dieser Aufstieg ist wohl möglich, kann aber nicht empfohlen werden."
 

Dies trifft vermutlich für den mittleren und rechten bzw. SW Bereich zu, für den linken bzw. NE Bereich kann ich rückblickend dagegen Folgendes anmerken: 1. "sehr abschüssig": stimmt nur teilweise, 2. "unzuverlässige Gras- und Felshänge": stimmt nur bedingt, 3. "wohl möglich": stimmt tatsächlich, 4. "kann aber nicht empfohlen werden": stimmt nicht, im Gegenteil.

So wandeln sich mit der Zeit auch unsere Auffassungen, über den Wandel am Horen aber wachen die Horen...

 

Aufstieg Bielen-Chüewang- NW Bärwang-NW-Flanke
Von Züünstäg (588m) auf dem gelb markierten Wanderweg durch den Züünwald nach Furen (965m) und auf dem weiss-rot markierten Bergweg über Gugger (1023m), durch den Guggerwald und über Blatti bis unter die Brücke ca. 1590m (weiss-rot markierter Pflock) vor Bielen (1628m). Nach SE, die Alpstrasse querend und über Chüewang zum Einstieg in die NW-Flanke auf ca. 1760m (roter Punkt auf Fels und Bh zur Zauninstallation) bei der am weitesten hinunter reichenden Grasrippe, 2h, T2-3. Über diese hinauf und zuoberst durch eine erdige Rinne auf den folgenden Grasrücken, der zwischen dem unteren 1. und oberen 2. Felsgürtel - NW Bärwang - hinauf führt. Unter letzterem Querung auf Grasbänden nach NE und weiter über eine ausgesetzte Grasrampe unter den Felskopf ca. 2105m S vom Stock (2031m). Nun nicht durch den Graben oder das gestufte Band NE davon aufsteigen, sondern auf einem Wildwechsel nach NE um dass nächste Egg herum, wo durch eine Schrofenrinne bequem zum darüberliegenden felsdurchsetzten Grashang aufgestiegen werden kann. Über diesen NE vom Graben hinauf und unter dem Felskopf auf Schrofenbändern (eine leicht überhängende 2m-Stufe, M2, 1. Schlüsselstelle) nach SE in die weite Grasmulde W unter der N-Flanke. Durch diese ansteigend nach S zur markanten felsigen NNW-Rippe, die bei ca. 2130m betreten werden kann. Über diese auf grasdurchsetztem, griffigem und solidem Sandstein der Wildhorndecke (Dogger) in anregender Kletterei (I-II, zuoberst 2. Schlüsselstelle II+) direkt auf den Gipfel des Wandelhoren (2304m), 2h, T6. Insgesamt 4h.

Abstieg NE-Grat-N-Flanke-NE Bärwang-Im mittlisten Wandel
Vom Gipfel (2304m) über den NE-Grat auf Gras und Schrofen z.T. ausgesetzt bis ca. 2160m. Über die N-Flanke schräg nach NW hinunter zum Felskopf ca. 2105m, der schöne Einblicke in die Aufstiegsrote gewährt. Am linken Rand der N-Flanke, die sich allmählich nach E wendet und zum NE Bärwang ausläuft, , auf Gras hinunter, und ab ca. 1700m auf einem Fahrweg und zuletzt auf der Alpstrasse zu Im mittlisten Wandel (1649m), 45min, T4. Weiss-roten Markierungen folgend abwechselnd auf dem Bergweg und auf Alp- und Forststrassen über die Kreuzung 1453, Isetwald (1346m) und durch den Louwis- und Prastiwald hinunter nach Balmer-Ey (590m) und auf der Strasse zurück, 1h 15min, T2-3. Insgesamt 2h.

Verhältnisse: bei leichtem SW-Wind abwechselnd bewölkt und sonnig sowie mild. Gras morgens und schattseitig z.T. feucht, Gras und Felsen sonst trocken, Erde z.T. feucht und rutschig.

Material: Leichthelm und altes Eisgerät zusätzlich zu üblicher Alpinwanderausrüstung.

Fahrplan: 6.45 Start, 8.45 Einstieg NW-Flanke, 10.45 Gipfel, 12 Uhr Im mittlisten Wandel, 13.15 retour.

Tourengänger: lorenzo


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Kommentare (2)


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jimmy hat gesagt: Schön,
Gesendet am 7. Juli 2021 um 13:06
Wird wohl bald als "Via delle Variante" eingerichtet!
Gruss von Jimmy

lorenzo hat gesagt: RE:Schön,
Gesendet am 7. Juli 2021 um 16:16
Hoffentlich nicht, denn die Route liesse sich bei Bedarf gut flexibel absichern. Aber der erste Bohrhaken, sogar mit rotem Punkt, ist ja zuunterst schon gesetzt, wenn auch vermutlich zu einem anderen Zweck...


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