Saisonschluss an der Dent de Corjon

Just mit dem Monat November gelangt auch die lange Hochdruckphase zu einem abrupten Ende. Letzte Chance im 2020 also, die teils nordexponierte Überschreitung von Planachaux und Dent de Corjon anzugehen. Wobei das Gipfelziel an diesem prächtigen Montag zur Nebensache verkommt, im Mittelpunkt stehen Sonne tanken und Blick übers Nebelmeer geniessen. 

Wer mit dem PW anreist, kann vom Bahnhof La Tine noch etwas weiter bis kurz vor Traylasille fahren. Das Aufwärmen entfällt dadurch, denn der Wanderweg führt ab Beginn steil den Wald hoch. Die Kälte im nordexponierten Kessel braucht mich deshalb nicht stören. Auch der Raureif sorgt - unterhalb der Nebeldecke - für winterliche Gefühle. Auf der Alp Crau Dessous (1277m) verlasse ich die Route zum Col des Gaules und steige stattdessen zur Nordrippe des Planachaux auf. Dieser folge ich dann durchgehend, schwache Wegspuren sind zumindest zu Beginn vorhanden. Im Schlussaufschwung ab Beauregard wird das Gelände zusehends rauer und steiler, aber erst im Felsgürtel ganz oben braucht es kurz die Hände (T5). Dann stehe ich auf dem Planachaux (1925m) und in der Sonne - was für ein erhabener Moment. Von Winter keine Spur mehr, es ist mild und trocken. Und dann dieser Blick übers Nebelmeer...

In etwa dem Grat folgend steige ich via P. 1887 zum Col des Gaules (1637m) ab. Das dauert länger als erwartet, denn er ist stellenweise verwachsen und immer wieder muss ich deshalb leicht nach Westen ausweichen (T4). Passable Wildspuren erleichtern das Fortkommen. Es folgt der kurze Wiederaufstieg an den eindrücklichen Südabbruch der Dent de Corjon. Zugegeben, vor Ort hätte mich der Direktangriff in Nähe der Kante gereizt, doch mir fehlten Informationen und vor allem das passende Schuhwerk. Im gehobenen T6-Stil müsste das aber durchaus machbar sein.

So halte ich mich an den eleganten Durchschlupf etwas westlich davon, sprich das Couloir unterhalb der Tête des Châtelards. Eine Wegspur führt zielsicher hinauf, vorbei am Höhleneingang. Zuoberst hilft ein Drahtseil, die steilsten Stellen zu überwinden (T5). Puristen und T6-Junkies dürfen die Unterstützung auch ignorieren... Zuletzt etwas verwachsener Ausstieg zum Grat. Schön wäre, man könnte diesem durchgehend folgen. Zu empfehlen ist es nicht, es finden sich allerhand Hindernisse in Form üppigster Vegetation und (mindestens) einer kleinen Felswand (III-). Stattdessen weicht man nach Norden in die Flanke aus und sucht sich eine passende Linie. Wild und recht steil ist es auch hier (T5). Ab Vorgipfel folge ich dann wieder dem Grat bis zur Dent de Corjon (1966m). Das ist zweifellos ein formidabler Aussichtsbalkon hoch über dem Senseknie. In Kombination mit dem Nebelmeer über dem Greyerzerland und dem unmittelbar bevorstehenden Wintereinbruch ergibt das einen der schönsten Bergmomente in diesem Jahr. So lasse ich mir eine ausgiebige Mittagsrast nicht nehmen und tüftle bereits an einer Tour zum benachbarten Rochers de Naye herum.

Im Abstieg halte ich mich an den Normalweg über den Nordgrat. Dieser scheint recht beliebt zu sein und auch heute kreuze ich weiter unten zwei Wanderer im Aufstieg. Mit der dünnen Schneeauflage präsentiert sich die Affiche aber recht rutschig. In der "Schlüsselstelle", einem Felsdurchstieg von wenigen Metern, erreicht man ganz kurz die T4. Via Alp Corjon (1597m) lasse ich mir den kurzen Abstecher auf Les Villards (1710m) nicht nehmen. Auch hier geniesst man nochmals einen tollen Ausblick nach Norden. Man könnte von hier über einen alten Weg am Nordgrat direkt Richtung Montbovon absteigen (s. zum Beispiel hier). Aber ich will zurück nach La Tine und folge stattdessen der Alpstrasse nach Crau Dessous (1277m), wo ich wieder auf die Aufstiegsroute treffe. Kurz zuvor hat mich der Nebel verschluckt, womit ich meine Sommersaison 2020 offiziell für beendet erkläre.


Zeiten (kum)
1:30  Planachaux
2:40  Dent de Corjon
3:20  Les Villards
4:10  Traylasille