Kurzbericht 

Schwidenegg leicht(er) gemacht - und schwieriger: auf Ziegenpfaden und Gemswechseln ins Ungewisse...


Publiziert von lorenzo , 28. Oktober 2020 um 14:58.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Simmental
Tour Datum:30 September 2020
Wandern Schwierigkeit: T5+ - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Zeitbedarf: 7:15
Aufstieg: 1275 m
Abstieg: 1275 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Weissenburg
Zufahrt zum Ankunftspunkt:dito
Kartennummer:Swisstopo; M. Brandt, Clubführer Berner Voralpen, SAC 1981

Abgelegen und etwas verloren steht die Schwidenegg zwischen der Gantrischkette und dem mittleren Simmental in der Landschaft. Von Norden ist sie zwar einfach, aber nur indirekt z.B. über den Schibe- und Talmattespitz, und von Süden nur über die imposante, oben von der Gälbi Flue durchzogenen S-Flanke erreichbar. Auch die im Führer und auf Hikr beschriebenen "umwegigen"  und nur mit einigem "Murx" zu habenden Zugänge über Hindere Beret und die Leiterweideni zum störrischen Paradepferd, dem E-Grat, sind lang und nicht einfach. Entsprechend hielt sich meine Begeisterung für diesen sperrigen Gratzug lange Zeit in Grenzen. Nach einem auf dem Haagge abgebrochenen Skiversuch von Süden Ende Dezember 2008 und einer Skibesteigung von Norden Anfang Januar 2009 fasste ich mir nach den ergiebigen Schneefällen am letzten Wochenende bis auf 1200m hinunter trotzdem nochmals ein Herz und machte mich in der Hoffnung, dass sich der viele Schnee unterhalb von 2000m bis zur Wochenmitte in schmeichelhaftes Wohlgefallen auflösen würde, anhand der Karte auf die Suche nach einem bequemeren Zustieg, den ich am ehesten auf der Nordostseite des Haagge vermutete, wo ich seinerzeit - allerdings eine ziemlich ruppige Angelegenheit - mit Ski abgefahren war. Zwar ist dort nur bis zum Haaggli ein Weg eingezeichnet, aber weiter oben am NE-Rücken auch eine weitere kleinere Hütte.

"Wo eine Hütte ist, ist auch ein Weg" versuchte ich mir einzureden und machte mich schon am folgenden Mittwoch auf, diesen zu finden. Sonst würde ich mich halt durch die Büsche schlagen, es wäre ja nicht das erste Mal, dass ich mich auf dem Holzweg befand...Als ich in Weissenburg aus dem Zug stieg, trübte noch Hochnebel die Sicht auf die umliegenden Gipfel, und auf dem langen Marsch durch das Buuschetal, wo tief unten in der Schlucht der Buuschebach rauschte und toste, zwang mich ein beissender Kaltluftsee zu Jacke und Handschuhen, aber schon bald tauchte aus den Wolkenschwaden die Schwidenegg auf, die zu meiner grossen Erleichterung bis auf wenige Schneereste bis zuoberst fast aper war. Beim Haaggli angekommen, genügte ein Blick, um festzustellen, dass wegen im Wald lauernden Flühen ein Direktaufstieg zur Hütte oder sogar zum Haagge nicht ratsam schien, und ich vorerst also besser der nach Nordwesten ausgerichteten unteren Weide folgte. Und siehe da: zu meiner nicht geringen Überraschung führte ein bequemer Ziegenpfad genau dort hindurch und von ihrem oberen Ende über den NE-Rücken 
durch Wald zur oberen Weide. Die Hütte fand ich zwar nicht, dafür war der Weg umso besser...und nach einem Intermezzo in z.T. steilem Bergwald, wo auch Pfadspuren den Aufstieg erleichterten, stand ich auf dem Haagge. Zwischen abgestorbenen und geknickten Bäumen blinzelte die Schwidenegg hinüber, und ich bahnte mir im undurchdringlichen, von Sturmschäden gepeinigten Wald erwartungsvoll den kurzen Weg zum Sattel 1636, meinem ersten Pausenplatz.

Frisch gestärkt trat ich den Bussgang über den E-Grat zum Kalvarienberg an. Die ersten beiden Aufschwünge waren noch leicht, der dazwischen liegende und folgende Gratabschnitt ist aber von Tannen und Tännchen gespickt, die z.T. ausgesetzt zu umturnen oft nicht einfach war. Der dritte Aufschwung beginnt mit einem breiten und gutmütigen Grasrücken, der zuoberst in Felsen ausläuft. An diesen kann man sich zuerst noch links vorbeimogeln, bis die Stunde der Wahrheit in Form einer unerbittlichen Felsstufe schlägt, die zwar nur zwei Meter hoch, dafür recht unhandlich ist, weil die guten Griffe lose und die weniger guten ungenügend sind, und zudem den schrägen Tritten - v.a. wenn sie noch feucht sind - eine Neigung zum Abschmieren innewohnt. Ich bediente diese Verbindlichkeit mit dem zunächst fiktiven Kredit eines vorerst ausser Reichweite darüber hängenden Tannenastes, schlängelte mich am Stamm vorbei und robbte über den anschliessenden Felsrücken zum höchsten Punkt. Nun hatte ich meine Schuldigkeit getan, denn die letzten beiden Gratabschnitte und der dazwischen liegende vierte Aufschwung liessen sich problemlos und genussvoll überschreiten, so dass ich meine Aufmerksamkeit bis zum nahen Gipfel wieder den kleinen Annehmlichkeiten des Wanderns wie z.B. den Bergblumen am Wegrand oder dem sich immer weiter öffnenden Panorama zuwenden konnte.

Eigentlich hatte ich geplant, über die NNW-Kante und den Looheregrabe abzusteigen, wo ich damals mit Ski abgefahren war. Letzterer machte jedoch in aperem Zustand keinen "ahmächeligen" Eindruck, ganz im Gegensatz zum luftigen WNW-Grat, der meinen Blick magnetisch bis dorthin in die Tiefe zog, wo er sich in dichtem Wald verlor. Immerhin schien dort laut Karte auf ca. 1650m ein Durchgang im Flaschenhals zwischen dem die WNW-Flanke bei Lätzwang teilenden Felsgürtel und den die Krete südwestlich begrenzenden Felsen möglich zu sein. So verfiel ich einmal mehr der "Verlockung des Ungewissen" und begann vorsichtig über den ausgesetzten Grat hinunter zu balancieren. Ein von mir aufgeschrecktes Rudel ausgewachsener und junger Gemsen jagte weiter unten über die Flanke und verschwand im mittleren, teilweise bereits bewaldeten Grat. Als ich dort anlangte, war ich froh um ihre Spuren, die zwischen den Tannen hindurch führten, oder wo diese zu dicht standen, sie rechts in der Flanke umgingen. Als mir die Umgehungen zu steil wurden, stieg ich über die Flanke bis zu einer angedeuteten Schulter über dem Felsgürtel ab. Auch hier hatten die Gemsen vorgesorgt, indem ein bequemer Wechsel zurück zum unteren Grat führte, dem ich - z.T. auf erahnbaren Spuren - durch
 steilen und hindernisreichen Bergwald hinunter folgte, jeden Moment befürchtend, plötzlich vor einem unüberwindlichen Felsabbruch zu stehen und wieder aufsteigen zu müssen. Der Flaschenhals liess sich aber - offenbar ohne dass ich es merkte - gut passieren, und zwei Felsabbrüche weiter unten konnte ich mit einigen Hangelübungen an Baumwerk in sehr steilem Gelände links umgehen. Das tosende Rauschen der Morgete- und Looherebachfälle wurde immer lauter, und plötzlich gewahrte ich unter mir die Looherebrücke, von der mich nur noch eine niedrige Böschung trennte. Ich war erleichtert, dass ich zuletzt nicht doch noch den ganzen Spiessrutenlauf in umgekehrter Richtung zurück zum Normalabstieg über WNW-Kante machen musste.

Wie bereits auf Vordere Beret waren sie auch auf Undriste Morgete am Einwintern. Beim Abstieg auf der Alpstrasse über die Guggerehorecheere konnte ich  die beiden etwa achtzig Meter hohen Wasserfälle des Morgete- und Looherebachs, die oben am Grat immer wieder durch dichtes Geäst aufgeblitzt waren, endlich in aller Ruhe bewundern. Ich befand mich nun auf der "Via Casea", mochte mich aber in die am Wegrand aufgestellten Informationstafeln zur hiesigen Alpkultur und Bädergeschichte sowie zum Kohleabbau im Simmental nicht vertiefen, sondern genoss einfach nur den monoton-meditativen Ausklang entlang dem vor sich hinmurmelnden Morgetebach. Mit angenehmem Prickeln überschritt ich die schwankende Hängebrücke über die rund hundert Meter tiefe Morgeteschlucht, bevor der gesicherte Weg steil in diese hinab tauchte. Obwohl ich mich nicht als Esoteriker betrachte, wurde ich auf dem eindrücklichen Schluchtweg entlang dem Buuschebach von einer eigentümlichen Kraft und Ruhe erfasst, und bei den hinteren und vorderen Ruinen des ehemaligen Weissenburgbads bedauerte ich es en wenig, das dieses nicht mehr existiert, denn dorthin hätte ich mich als Gast zum Ausspannen gerne zurückgezogen, auch wenn mir der Kurbetrieb wahrscheinlich gar nicht zugesagt hätte, und die heutige Stille dem damaligen Rummel vermutlich vorzuziehen ist. Immerhin steht vor dem Bahnhof Weissenburg immer noch ein Brunnen mit Mineralwasser. "Trinket nume", rief mir der ehemalige Vorstand, der dort nach dem Rechten schaut, zu, "de wärded Dir Hunderti!"  Das Angebot nahm ich gerne an, und ich genehmigte mir einige erfrischende Schlucke: "Itz wei mer de luege, hoffe mer z.Beschte! Villeicht werde ich doch noch Esoteriker...

Zustieg durch das Buuschetal
Vom Bahnhof Weissenburg (781m) auf dem gelb markierten Wanderweg zum Badmädli (ca. 815m),  weiss-rot Markierungen folgend auf dem Bergweg zur Alpstrasse bei P. 1072 und auf dieser durch das Buuschetal zur Brücke 1106 bei Hindere Beret, 1h, T2.

Haagge
Aufstieg NE-Rücken: von der Brücke 1106 auf der Alpstrasse und dem eingezeichneten Pfad über P. 1172 zur Brücke ca. 1190m und auf dem eingezeichneten Pfad zur Hütte von Haaggli (ca. 1220m). Auf einem guten Ziegenpfad über die untere Weide nach NW zum NE-Rücken und über diesen hinauf und an der Hütte ca. 1415m vorbei zur Abflachung der oberen Weide auf ca. 1540m. Weiter über den Rücken durch zwischendurch steilen und felsdurchsetzten Bergwald (Pfadspuren) auf den Haagge (1667m), 1h 15min, T3.

Abstieg WSW-Rücken: leicht absteigend auf überwachsenen Felsen und durch sperriges Fallholz zum Sattel 1636, 15min, T2.

Schwideneggflue
Aufstieg E-Grat (Schwidenegg): vom Sattel 1636 über einen 1. grasigen Aufschwung zu P. 1716. Auf einem 1. überwachsenen Gratabschnitt mit einem kurzen ausgesetzten Felsgrätchen (I) und über einen 2. grasig-felsigen Aufschwung (I) zu P. 1807. Auf einem 2. überwachsenen Gratabschnitt mit zuletzt einem ausgesetzten Felsgrat (I) zum 3. Aufschwung: zuerst auf Gras unter die Felsen, die zunächst links ausgesetzt über eine Grasrampe umgangen werden können, dann über eine Felsstufe (2m, II+, z.T. lose Griffe, oben ggf. Äste zum Halten, Schlüsselstelle), zwischen Tännchen hindurch und den felsigen Grat (I) zur Anhöhe ca. 1860m. Auf dem fast horizontalen, felsdurchsetzten und nur noch wenig überwachsenen 3. Gratabschnitt über P. 1893 und den grasig-felsigen 4. Aufschwung zur Gratschulter ca. 1965m und auf dem grasigen 4. Gratabschnitt oder Gipfelgrat einfach zum Schwideneggflue E- (ca. 2005m) und nach einer Senke zum W- oder Hauptgipfel (2007m), 1h 15min, T5+ (Pfadspuren).

Abstieg WNW-Grat: vom Schwideneggflue Hauptgipfel (2007m) leicht absteigend über den westlichen Gipfelfirst, dann steil und ausgesetzt über das obere felsdurchsetzte Gratdrittel hinunter bis ca. 1850m. Im mittleren, inzwischen mit Tannen überwachsenen Drittel auf dem Grat oder auf Gemswechseln rechts davon bis zur angedeuteten Gratgabelung bei ca. 1800m. Von hier nach N auf steilem Gras hinab zu einer schwach ausgeprägten Schulter auf ca. 1700m, von der auf einem guten Gemswechsel nach W zurück zum Grat gequert werden kann. Nun über das untere Gratdrittel durch Stauden und steilen Bergwald, 2 felsige Abbrüche mit Hilfe von Ästen, Baumstämmen und Wurzeln links umgehend, hinunter zur Looherebrücke (1460m), 1h 15min, T5 (Pfadspuren).

Rückweg über Leiterweideni
Von der Looherebrücke (1460m) weiss-roten Markierungen folgend auf der Alpstrasse E der imposanten Loohere- und Morgetebachfälle über die Guggerehorecheere nach Schönebode (1224m), auf der Bergwegabkürzung zurück zur Alpstrasse und auf dieser über Sagi (960m, Via Casea zur Kohlegewinnung im Simmental) zur oberen Hängebrücke (ca. 1010m), die über den Morgetebach zu den Leitereweideni führt. Von dort auf dem gesicherten Bergweg steil in die Schlucht hinunter, über die untere Hängebrücke über den Morgetebach und entlang dem nun vereinigten Buuschebach zum ehemaligen Weissenburgbad (862m). Durch den Badwald auf dem gelb markierten Wanderweg zurück zum Bahnhof Weissenburg (781m), 1h 45min, T2.

Verhältnisse: morgens Hochnebel, dann zunehmend sonnig mit Schleierwolken und mild. An den Graten und auf dem Gipfel mässiger SW-Wind. Wege, Gras und Felsen z.T. noch feucht, schattseitig oberhalb ca. 1600m einige Schneereste.

Material: Leichtpickel (nicht gebraucht) zu üblicher Alpinwanderausrüstung. Die Mitnahme einer 20m Reepschnur für alle Fälle wäre sicher auch nicht übertrieben.

Fahrplan: 7.45 Start, 10 Uhr Haagge, 11.45 Schwideneggflue, 13.15 Looherebrücke, 15 Uhr retour.

Kartenauschnitt Swisstopo.

Tourengänger: lorenzo


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