Val Bavona: Höhentraversierung Alpe Cranzünell – Alpe Cranzünasc


Publiziert von Seeger , 13. August 2009 um 02:12.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Locarnese
Tour Datum:12 August 2009
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TI   Gruppo Pizzo Biela 
Zeitbedarf: 2 Tage
Aufstieg: 1950 m
Abstieg: 1950 m
Strecke:Bignasco 443 m – Piodàu 784m – Fontanella 994m – Alpe di Cranzünell: Corte di Fondo 1398m – Corte di Mezzo 1734m – Corte di Cima 2040m – Übergang Costone 2120m – Alpe di Cranzünasc: Piatto di Cranzünasc, Traverse auf 1920m – Corte di Cima 2067m – Corte di Mezzo 1780m – Corte di Fondo 1459m – Brücke El Chiall 580m – Bignasco 443m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Ö.V: Mit FART von Locarno nach Bignasco, Auto: Neben der Post Bignasco gebührenfreie Parkplätze.
Zufahrt zum Ankunftspunkt:item
Unterkunftmöglichkeiten:Hotel Turisti, Bignasco und Hotel la Posta, Cavergno
Kartennummer:1291 Bosco Gurin und 1271 Basodino

Tour 79 aus  „ Storie e sentieri di Val Bavona“ (Fett kursiv sind Zitate) von Aldo und Nora Cattaneo sei für „buoni escursionisti”. Das lässt sich machen. Der Höhenunterschied vom Tal, 443m, bis zum Übergang, 2120m, ist etwas happig. Also gönne ich mir ein Biwak irgendwo, wenn nötig auch im Freien. Die Wetterfee meint es gut mit dem Tessin.
1. Tag: Zusätzlich ausgerüstet mit Schlafsack und Kochzeugs bin ich frühmorgens in Bignasco. Vor der Brücke nach Cavergno führt eine Teerstrasse nach links zu einem Baugeschäft (Parkplätze). Etwas vorher – hinter dem zweitletzten Haus links – beginnt unscheinbar, und nicht leicht zu finden, der Weg nach Cranzünell. Im Wald führt er jedoch ausgeprägt und gut unterhalten zum Bildstöckchen, dann zur Kapelle.
Dort zweige ich nach rechts ab zu den komplett im Walde liegenden Steinhütten von Piodàu, 784m. Oberhalb dieser Hütten erwarte ich einen schwer zu findenden Pfad. Aber oho! Seit dem letzten Besuch am 22. Mai hat sich Einiges getan. Grossartig herausgeputzt, die Schneeschäden behoben. Durchwegs ausgeprägter und gut zu findender Weg (T3). Das lässt die Steiggeschwindigkeit auf 450m pro Stunde anheben!
Überall erwacht aus den Ruinen neues Leben. Sogar Fontanella, 994m, hat Wasser erhalten: Vom etwa einen Kilometer entfernten Bach transportiert ein Plastikschlauch das wichtige Nass. In der Umgebung hat man mit dem Abholzen begonnen. Bald werden die Dächer geflickt. Ich freue mich über jeden Corte und jede Cascina, welche zu neuem Leben erwacht: „Là haut sur la montagne était un vieu chalet…“
Etwas weniger steil führt der Weg zum oben genannten Bach. Riesige Buchen mussten hier verräumt werden. Lawinenschaden. Der steile Weg auf der Gegenseite ist gut im Schuss. Ich auch. Bei Sonnenschein lässt sich’s im Wald angenehm steigen. Ich erreiche ein Bijou von einem Maiensäss: Corte di Fondo, 1398m. „Eine schöne Hütte belebt den Corte di Fondo; das herunter plätschernde Wasser streichelt die Felsen wie ein Brautschleier. 1997 sind zwei Hütten restauriert worden. Sie sind an Private vermietet und abgeschlossen.“ Anzufügen ist noch, dass ein Nebengebäude in Notfällen als Unterstand benutzt werden könnte. (Rechts aussen). Fliessend Wasser beim Brunnen!
Rechts der Hütten geht der Weg, wie die LK sehr gut markiert, etwas unausgeprägt diagonal nach links zum Wald hoch. Doch bald sind eindrückliche Treppenanlagen sichtbar. Ich steige beinahe senkrecht 200m durch den Wald hinauf. Jeder Meter birgt Neues. Im Juhui-Um kann ich das steile Stück im Wald verlassen. Die Weite des oberen Talkessels wird nun sichtbar. Etwas weniger steil führt der Weg zum Corte di Mezzo, 1734m. Vier bestens unterhaltene Steinbauten schmücken diese Alp. Im Stall links aussen ist ein Notunterstand und fliessend Wasser.  Die Wohnhütten sind abgeschlossen. „Von hier geht man nach rechts diagonal ansteigend nach Ravöra (Route 78); nach links hingegen steigt man jenseits der Hütten und des Flusses des Wasserfalles nach Chint (Route 74).“ Beide Wege sind frisch heraus gemäht!
Ich steige geradeaus ebenfalls auf einem blitzblank herausgeputzten Weg, obwohl die LK den Weg als Fragment darstellt (!) zum Corte di Cima, 2040m. „Ein schöner, zerrissener Felsgrat schützt die Gegend von Norden; die Wasser eines Flüsschens speisen einen kleinen See, in welchem sich das Blau des Himmels spiegelt. Ein Übergang im Westen der Hütten führt in den grossen Talkessel von Cranzünasc“. Die Hütte ist offen. Ich entschliesse mich, hier zu übernachten. Das Dach und der Eingang sind unlängst repariert worden. Der Stall ist am Zerfallen.
Ich benutze den strahlend schönen Nachmittag zum Plegere und Fotografieren. Der nahe Übergang ins Cranzünasc wird auch noch inspiziert. Eine aufgescheuchte Viper verkriecht sich. Besser so. Sie war schlecht sichtbar im Weg zwischen Alpenrosen unterwegs. Zurück zur Hütte. Nachtessen. Unruhige Nacht. Am nächsten Tag weiss ich den Grund. Vorahnung. Es gibt so etwas wie ein Bauchgefühl.
2. Tag: Nach durchwälzter Nacht fand ich gegen Morgen doch noch Schlaf. Ich erwache gut ausgeruht um 06.30 Uhr. Kaffee, Brot, Käse und etwas Schinken. Rest von gestern. Ordnung machen. Abschliessen. Ein fehlendes Brett annageln. Aufbruch. Die Sonne auch. Fabelhafte Beleuchtung. Aufstieg zum Übergang Costone, 2120m. Welch eine Tiefsicht auf die beiden Täler Cranzünell und Cranzünasc – welch ein Rundblick auf die Tessiner Berge!
79.                                                                                                                                            
Traversierung: Cranzünell - Cranzünasc
Für geübte Berggänger
Von den Hütten des Corte di Cima di Cranzünell führen Wegspuren in Richtung Westen zu einem Sättelchen auf der Krete, welche die zwei Talkessel teilt. Auf der anderen Seite steigt man in Richtung Westen ab, zuerst die Kuppe der Pkt. 2096 anpeilend, um dann nach rechts abzudrehen. Nochmals nach links abbiegend steigt man auf das Plateau von Cranzünasc ab.“
Das liest sich wie Zuckerschlecken. So einfach ist dies jedoch nicht: T5! Vier Stunden suche ich systematisch und ganz verbissen nach Wegspuren oder Couloirs, Passagen, etc. Ohne Erfolg. Ich räume die allerletzte Chance ein, ansonsten muss ich den Rückzug blasen. Und wie eine göttliche Eingebung kommt mir die Schlüsselstelle „in die Quere“.
Hier meine Beschreibung:
Von den Hütten des Corte di Cima di Cranzünell führen Wegspuren nach Westen dem Bächlein entlang bis zu einer Geröllhalde, dann in Kehren rechts den Hang hinauf zum tiefsten Einschnitt, etwa 2120m. Auf der Seite von Cranzünasc fällt der Weg steil aber nicht schwierig rund 30 m ab, um entlang einer Felswand nach links Richtung Geröllfeld und Anhöhe, Pt 2096 zu queren. Im besagten Geröllfeld verlaufen einige begrünte Rippen gegen Nordosten. Diesen entlang angenehm bis auf 1910m Höhe Richtung NE absteigen und rigoros nach links traversieren. Hier beginnt die Überwucherung mit Erlen und Haselnusssträuchern. Nach einem ersten Erlengürtel öffnet sich eine kleine Waldwiese bei der zweituntersten, kapitalen Lärche (die unterste steht über dem Abgrund). In diesem Bereich beginnt nach WSW ein etwa 250 m langen Jägerpfad, welcher auf einer Höhe von durchschnittlich 1910m über ein von Erlen überwuchertes Grasband waagrecht über der Felswand traversiert und im letzten Teil in Erlen etwa 10 m auf die Schutthalde absteigt. Von dort kann der Verbindungsweg Corte di Mezzo – Corte di Cima mit wenig Höhenverlust, den unteren Teil des Blockgerölls traversierend, leicht erreicht werden.
Gesagt – getan. Im Corte di cima stürmen die Schafe aus dem neuen Stall, um mich zu begrüssen. Beide Hütten sind geschlossen und der Stall unbewohnbar. Ich trete, nachdem ich ein paar Fotos gegen die Bocchetta di Cerentino, die schöngelegene Hütten und den possierlichen Schafen geschossen habe, den Heimweg an. Der Weg ist nicht leicht zu finden. Keine Putzete. Mit Hilfe von Steinmännern und der LK finde ich den viele geschliffene Felspartien nützende Weg, der Grosso Modo ziemlich weit südlich (rechts) ausholt. Ich erreiche über enorme Plattenschüsse direkt senkrecht von oben den Corte di Mezzo, 1780m. Ungepflegte Hütten, jedoch mit ganzem Dach. Wenigstens dies! Ein Nebengebäude (unten) könnte als ultimative Notunterkunft gelten. Die andern beiden Hütten sind abgeschlossen. Wasserschlauch ohne Wasser.
Der weitere Abstieg ist der LK sehr gut zu entnehmen. Dazu finden sich zur Orientierung immer wieder Steinmänner. Man holt bis auf 1720m Höhe nach rechts aus, dann steil und gepflegt in Kehren direkt auf Corte di Fondo, 1459m. Die letzten 100 m zu den unteren Häusern sind eine wahre Katastrophe. Man sollte Mal HENRIK den Sauerampfer-Prospekt zustellen lassen. Den Brennnesseln-Prospekt gleich dazu! Das Haus ist abgeschlossen. Das Nebengebäude hangwärts ist als Notunterkunft möglich. Schmuddelig. Hingegen befindet sich ein neuer Stall etwas oberhalb, welcher einen passablen Heuboden zu bieten hat. (Ohne Heu)
Von Corte di Fondo kämpfe ich mich durch hüfthohen Wildwuchs Richtung Westen 100m bis in die Nähe des Baches, dann – ohne die alte Treppe zum Bach hinunter zu benützen – auf einem Grätchen parallel zum Fluss etwa 30 m weiter, um dieses herum zur neuen, schon beschädigten Brücke hinunter. Auf der andern Seite steht die ehemalige Käsehütte.
Den Talweg habe ich im Tourenbericht vom 17. Juni beschrieben. Dazu zu sagen: Meine Kamera ist mir treu geblieben. Auch heute. Sie hätte sicher Grund genug gehabt, sich zu verflüchtigen. Wie damals.
Erlen…Erlen…Erlen… Ich träume noch davon. Und vom hinkenden Schaf. Und vom gerissenen Schaf. Die Natur ist hart.
Ich hatte Glück! Oder ist es eher ein kalkuliertes Risiko? Oder Beides?
Nachtrag:
Wie ich aus Jägerkreisen im Cranzünell in Erfahrung bringen konnte, wird die Höhentraversierung gemieden. Statt dessen folgt man links von Pt 2096 in nordwestlicher Richtung in den auf der LK gut sichtbaren Graben in Direttissima zur Schutthalde hinab.

Tourengänger: Seeger
Communities: Ticino Selvaggio


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Kommentare (1)


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valser hat gesagt:
Gesendet am 18. Juli 2015 um 13:51
hallo seeger
habe also nun deine empfehlung ausprobiert (siehe mein bericht). weiss nicht, ob ich an der "richtigen" stelle in den bachgraben eingestiegen bin, und der restschnee unten hat mir recht zu schafffen gemacht. im frühjahr ist wohl die traversierung die bessere variante? trotzdem habe ich den rest der tour sehr genossen!


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