Mittereggspitze (3045m) - Normalweg bei schwierigen Verhältnissen


Publiziert von BigE17 , 7. September 2020 um 18:00.

Region: Welt » Österreich » Zentrale Ostalpen » Venedigergruppe
Tour Datum: 4 September 2020
Wandern Schwierigkeit: T6+ - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: ZS+
Klettern Schwierigkeit: IV (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 8:15
Aufstieg: 1650 m
Abstieg: 1650 m
Strecke:17 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Von Mittersill über den Felbertauern oder von Lienz kommend nach Matrei in Osttirol. Nun im Virgental bis Virgen fahren. Hier biegt man beim Firschnitzbach nach rechts ab. Man fährt in Richtung Obermauern. Kurz vorher erreicht man den Ortsteil Marin. Hier befindet sich ein kleiner Parkplatz.
Unterkunftmöglichkeiten:Bonn-Matreier Hütte, Nilljochhütte

Die Virgener Nordkette beinhaltet zahlreiche schöne Gipfel. Und trotzdem ist der Ochsenbug der einzige von ihnen, der häufig bestiegen wird. Das liegt in erster Linie daran, dass die anderen Gipfel nur mit Felskletterei bezwungen werden können - und diese kann auch ganz schön schwierig werden. Das gilt auch für die Mittereggspitze. Sie wird wahrscheinlich noch ein wenig häufiger als die anderen Gipfel gemacht. Und das, obwohl der Normalanstieg alles andere als einen guten Ruf genießt. Ein Tourenpartner hatte mir eine Besteigung angeboten und ich sagte zu.

Wir starteten unsere Tour um 7:30 beim Parkplatz in Virgen-Marin. Wir stiegen über den sehr schönen, markierten Steig zur Gottschaunalm auf. Nun folgten wir dem Wegweiser in Richtung Bonn-Matreier Hütte. Bald danach verzweigte sich der Weg nochmal, wir mussten von nun an dem rechten Weg in Richtung Hütte folgen. Weil der Steig gut ausgetreten war, gewannen wir sehr schnell an Höhe. Schon bald konnten wir den Gipfel der Mittereggspitze hoch über uns erkennen. Bis ungefähr 2500 Meter Höhe folgten wir dem Weg, dann verließen wir ihn.

Wir hielten nun direkt auf die Rinne zu, die vom Gipfel durch die SW-Flanke in die Tiefe stürzt. Deren Beginn war auch schon von hier aus zu erahnen. Über immer steiler werdende Grashänge stiegen wir auf, zuletzt querten wir über ein kurzes Blockfeld zum Einstieg in die Rinne.

Ab nun war Schluss mit lustig. Die letzten 300 Höhenmeter hatten mit Wandern absolut nichts mehr zu tun. Am Anfang war die Kletterei in der Rinne noch leicht (I+), dazwischen gab es auch immer wieder steiles Gehgelände. Anfangs ging ich noch voraus, da musste ich höllisch darauf aufpassen, meinen Tourenpartner nicht mit Steinen abzuschießen. Sobald die Rinne eine Kurve nach links machte, nahm ihre Steilheit deutlich zu. Hier sahen wir dann auch, dass sie nach oben hin immer steiler werden würde. Auch die Schwierigkeiten nahmen zu (II), ein Ausrutscher könnte bereits böse enden. Nach einiger Zeit verengte sich die Rinne, und die erste Kaminpassage musste überwunden werden. Das Problem war: In der gesamten Rinne war der Fels nass, und die Sonne schien nicht in die Rinne, um den Fels zu trocknen. Und hier hatten wir das erste Mal ein Problem damit, weil kaum gute Griffe vorhanden waren (II+). Hier dachte ich bereits ans Umkehren, aber ich hoffte, dass es schnell besser werden würde, also weiter.

Daher sahen wir uns nach einer Möglichkeit um, die Rinne nach links zu verlassen. Dabei fiel uns ein Band auf. Es sah aber so aus, dass es bald nicht mehr weitergehen würde. Der nächste Kamin war einfach (II), der darauffolgende musste aber links umgangen werden. Hier war der Fels sehr rutschig, es gab nur wenig vernünftige Griffe (II+). Zum Schluss mussten wir auf einem 5 cm schmalen Band zurück in den Kamin, es waren nur 3 Meter, aber hier hätte man nicht ausrutschen dürfen. Erst im mit Schutt gefüllten Kamin gab es wieder Griffe. Hier gab es wieder ein Band, das nach links führte, es wäre aber nur bei trockenen Verhältnissen machbar gewesen. Um eines vorwegzunehmen: Das 2. Band wäre der richtige Weg gewesen, aber heute war die Begehung unmöglich. Wir erklommen also auch noch den nächsten Kamin, der wegen der nassen Platten schon zu schwer für mich war (IV-). Hier musste ich mir helfen lassen - spätestens hier hätten wir abbrechen müssen. Die Passage danach schaffte ich immerhin wieder alleine (III). Nachher konnten wir endlich die Rinne verlassen, indem wir über ein weiteres Band luftig nach links stiegen (I).

Und tatsächlich: Das Gelände wurde flacher, die Schwierigkeiten geringer. Außerdem befanden wir uns nun in der Sonne und die Felsen waren trocken. Wir stiegen durch die grasdurchsetzte Felsflanke gerade nach oben, wobei wir hier nicht mehr viel falsch machen konnten (I-II). Irgendwann wurde die Flanke dann schmäler und wir wichen kurz nach rechts aus. Da tauchte dann auch schon das Gipfelkreuz auf. Wir mussten nur noch in eine Rinne hineinqueren (I) und dann über die letzten einfachen Felsen zum Gipfel aufsteigen (I).

Nun konnten wir erstmal das Panorama genießen. Das Wetter war heute fantastisch, nur wenige Wölkchen zierten den Himmel. Damit konnten wir Großglockner, Großvenediger, Hochgall, Marmolada und viele andere schöne Berge bestaunen. Nebenbei erwarteten uns schaurige Tiefblick in alle Richtungen - vor allem nach Norden hinunter ins Froßnitztal. Leider war hier auch ein kleines Denkmal aufgestellt, weil ein Bergsteiger am Westgrat der Mittereggspitze verunglückt war. Beim Durchblättern des Gipfelbuches merkten wir auch, dass die Mittereggspitze gar nicht mal so unbeliebt ist. Im Schnitt kamen wir doch auf durchschnittlich 2 bis 3 Besteigungen im Monat - sowohl im Winter als auch im Sommer.

Nun stand uns aber leider noch der schwierige Abstieg bevor. Wir konnten von hier den alternativen Weg durch die Ostrinne nicht gut einsehen - daher folgten wir dem Aufstiegsweg zurück durch die Felsflanke. Ich versuchte nun, nicht über das oberste Band zurück in die Rinne zu queren, sondern weiter unten. Der Weg zum untersten Band war durch einen Abbruch versperrt (mindestens ein hoher 3. Schwierigkeitsgrad und sehr luftig), daher sah ich mir das mittlere genauer an. Aber es war nach wie vor nass, und dabei wäre über 5 Meter im Absturzgelände eine spiegelglatte Platte zu queren gewesen. Das Band war an dieser Stelle auch gerade mal 30 cm breit und zu 30 Grad geneigt. Weil der Fels an der Mittereggspitze generell sehr schlecht an der Fußsohle haftet, hielt ich mich vom mittlerer Band fern und stieg wieder zum oberen auf. 

Nun folgte ich meinem Tourenpartner über das oberste Band zurück in die schattige, feuchte Rinne. Da solche Kaminpassagen im Abstieg viel schwieriger waren, benötige ich sowohl an der 3-er- als auch an der 4-er-Stelle Hilfe. Vielleicht hätte man beide Stellen auch abspringen können, aber eben nur vielleicht... Doch dann kam die ausgesetzte Stelle 2+, wo das kleine Bändchen nun rückwärts zu begehen war. Gerade der erste Schritt war fürchterlich heikel, weil ich ausgerechnet hier nicht ausrutschen durfte. Außerdem musste ich auch noch mit einem Fuß im instabilen Geröll stehen. Ich sah mich erstmal nach einer Alternative um, aber die gab es nicht. Der Kamin war hier viel zu steil. Also warf ich vorsichtig das gesamte Geröll nach unten in die Rinne, bis ich einen weiteren guten Tritt hatte. Dann konnte ich diese Stelle mit Hilfe meines Tourenpartners wieder absteigen. Bei diesen Stellen wäre ein Seil dringend notwendig gewesen, und ausgerechnet heute hatten wir es nicht mitgenommen.

Den restlichen Abstieg durch die Rinne konnte ich wieder ohne Hilfe bewältigen, wobei doch noch einige knifflige Abkletterpassagen auf uns warteten. Irgendwann war dann endlich der Ausstieg erreicht, ich konnte ordentlich durchatmen. Ab nun folgten wir dem Aufstiegsweg zurück ins Tal. Schließlich erreichten wir um 15:45 wieder den Parkplatz.

Erwähnenswertes:

1. Der Anstieg durch die SW-Flanke auf die Mittereggspitze ist sehr anspruchsvoll und nur bei idealen - also trockenen - Verhältnissen im Schwierigkeitsgrad II+ zu bewältigen und auch dann mit ZS zu bewerten. Dann könnte man das mittlere von den 3 Bändern aus der Rinne nehmen. Diese Querung ist auch dann äußerst heikel, weshalb die IV-er Variante eine ernstzunehmende Alternative darstellt - wahrscheinlich ist sie sogar vorzuziehen! Die ausgesetzte Stelle II+ vorher muss man bei beiden Varianten überwinden. Bei nassen Bedingungen (so wie bei uns) ist dieser Weg sehr schwierig und gefährlich!

2. An den Kletterstellen in der Rinne gibt es kaum vernünftige Griffe, weil der Fels auf beiden Seiten sehr glatt ist. Die Platten sind so steil und rutschig, dass man auf ihnen mit den Schuhsohlen keinen Halt findet.

3. In der Rinne herrscht große Steinschlaggefahr, sobald mehr als eine Person unterwegs ist. Wenn ein größerer Stein Schwung aufnimmt, dann muss man wegen fehlender Ausweichmöglichkeiten großes Glück haben...

4. Eine Seilsicherung ist dringend anzuraten. Die Schlüsselstellen könnte man sichern bzw. abseilen, da genau oberhalb von dieser ein Bohrhaken ist. 

5. Auf Grund der großen Schwierigkeiten bei diesem Anstieg ist anzunehmen, dass der Anstieg durch die Ostrinne deutlich einfacher ist - ohne Gewähr! Hier müsste man den obersten Abbruch der Ostrinne ostseitig umgehen und dann durch die Rinne absteigen.

6. Der West-, Süd- und NO-Grat sind ernstzunehmende Klettertouren im 3. bzw. 5. Schwierigkeitsgrad und nur mit entsprechender Ausrüstung und Erfahrung zu begehen. Am Westgrat gab es bereits einen tragischen Unfall.

7. Im Winter sind beide Rinnen begehbar, auch wenn sie sehr steil sind. Pickel und Steigeisen sind obligatorisch. Sobald man die Rinnen verlässt, wird es im Winter jedoch sehr anspruchsvoll.

8. Auch wenn das Panorama am Gipfel fantastisch ist, so lohnt sich eine Besteigung der Mittereggspitze durch die SW-Flanke wegen des gefährlichen Anstieges nicht! Ist man allein unterwegs, kann man nicht seriös sichern, ist man aber zu zweit, erhöht sich die Steinschlaggefahr drastisch. Außerdem gibt es in der Nähe der Mittereggspitze zahlreiche leichtere Dreitausender, die höher und schöner sind.

Tourengänger: BigE17


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