Churzenberg – mein «Corona-Gebirge»


Publiziert von ABoehlen , 14. Juli 2020 um 17:33.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Emmental
Tour Datum:11 Juli 2020
Wandern Schwierigkeit: T1 - Wandern
Mountainbike Schwierigkeit: L - Leicht fahrbar
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Zeitbedarf: 4:00
Aufstieg: 700 m
Abstieg: 700 m
Strecke:kreuz und quer über den Churzenberg
Unterkunftmöglichkeiten:zuhause
Kartennummer:LK1187 Münsingen, 1188 Eggiwil

Ausgangslage

Der Corona-Notstand ist aufgehoben, der Aufruf zuhause zu bleiben auch, aber das Virus ist natürlich immer noch da und es empfiehlt sich, bei nicht unbedingt notwendigen Reisen weiterhin Zurückhaltung zu üben. Nachdem ich mich seit März vor allem auf dem «Corona-Berg» getummelt habe, muss ja nun als nächste Steigerung das «Corona-Gebirge» folgen! Und dies befindet sich gerade mal etwa 10 km von zuhause entfernt. Sein Name: Churzenberg, oder auch – früher amtlich – Kurzenberg. Für Wanderungen ab der Haustüre ist das allerdings etwas weit, jedoch gerade ideal für Velotouren im Umfang von 30 – 50 km mit Höhendifferenzen zwischen 600 und 800 m.

Gebirge? Hierzulande käme wohl den wenigsten in den Sinn, das so zu nennen. Schliesslich sind wir in der Schweiz, wo schneebedeckte 4000er die Norm setzen. Befände sich der Churzenberg aber in Deutschland, hätte man es mit einem recht beachtlichen Mittelgebirge zu tun. Daher analysieren wir es mal aus dieser Optik:

Definition

Die Abgrenzung wird im «Berner Wanderbuch 4», welches auch «Emmental II» heisst [1], wie folgt gezogen: «Bahnlinie EBT Oberdiessbach – Konolfingen, Bahnlinie SBB Konolfingen – Signau, Strasse Schüpbach – Eggiwil – Röthenbach – Linden – Oberdiessbach». Dies ergibt eine Fläche von rund 75 km². In der Landeskarte wie auch in swissNAMES3D wird nur der westliche Teil als Churzenberg bezeichnet, d.h. die Zone vom Kiesental bis Mühleseilen, topographisch betrachtet, ist aber die zuvor genannte Abgrenzung logischer und soll daher fortan gelten.

Der tiefste Punkt liegt in Oberdiessbach an der Mündung des Diessbachs auf ziemlich genau 600 m, der höchste Punkt auf dem Ringgis mit genau 1200 m, somit beträgt die Reliefenergie stolze 600 m.

Bleiben noch die Parameter Schartenhöhe und Dominanz: Weil die südlich gelegenen Täler vergleichsweise hoch liegen und Richtung Alpen bald höhere Gipfel folgen, ergeben sich hier nur recht bescheidene Werte. Gemäss GipfelverzeichnisCH [2] lauten sie für die Schartenhöhe 285 m (Süderenmoos), und für die Dominanz 6.4 km (Naters). Zusammengefasst als Tabelle in der bei Wikipedia angewendeten Formatierung sieht das so aus:

Gebirge Höchste
Erhebung
Höhe in m Fläche in
Stufen
Relief-
energie in m
Dominanz
in km
Scharten-
höhe in m
Churzenberg Ringgis 1200 2 600 6 285

Vergleiche

Anhand der «Liste der Gebirge und Höhenzüge in Deutschland» [3] lässt sich daher feststellen, dass der Churzenberg am ehesten mit folgenden Deutschen Mittelgebirgen verglichen werden kann:

Adelegg
(etwas geringere Reliefenergie, sonst recht ähnlich, auch wegen der Lage am Alpenrand)

Binger Wald
(insgesamt etwas geringere Werte)

Rheingaugebirge
(etwas grösser und dominanter, ansonsten etwas geringere Werte)

Zittauer Gebirge
(etwas dominanter und selbständiger, dafür etwas geringere Reliefenergie)

In der Wahrnehmung gibt es verglichen mit den meisten deutschen Mittelgebirgen aber einen wesentlichen Unterschied: Er hängt mit dem eingangs erwähnten Punkt zusammen, dass in der Schweiz die Alpen das dominierende Gebirge sind. Aus diesem Grund erscheint der Churzenberg nur aus der Nähe horizontbildend, ansonsten wird er stets von den alles überragenden Alpen- und Voralpengipfeln in den Schatten gestellt und entsprechend kaum wahrgenommen. Es sei denn, die Alpen sind wolkenverhangen und deshalb nicht zu sehen.

Beschreibung

Der Churzenberg besteht aus einer rund 10 km langen Hauptkette, die im westlichen Teil teilweise sehr schmal ist, weiter östlich dagegen allmählich in ein gewelltes Hochplateau übergeht, in das zahlreiche markante Täler eingeschnitten sind. Das ganze Gebiet ist Molasselandschaft mit Nagelfluh, Sandsteinen und Mergel [4] und war während der letzten Eiszeit, mit Ausnahme des westlichsten Teils eisfrei [5]. Dies erklärt dann auch – ähnlich z.B. dem Napfbergland – die kleinräumige, nur durch Fliessgewässer gestaltete Topographie. Grössere Ortschaften finden sich entsprechend nur am Rande, während im Innern des Gebietes Weiler und Einzelhofsiedlungen dominieren.

Die beträchtlichen Höhenunterschiede und die durch den West-Ost Verlauf ausgeprägten Sonn- und Schattseiten sorgen für regional sehr unterschiedliche Voraussetzungen für die Landwirtschaft. Dies zeigt sich darin, dass von den insgesamt 7 Landwirtschaftlichen Zonen, die das Bundesamt für Landwirtschaft definiert, im Churzenberg deren 6 vorkommen! [6] Den überwiegenden Teil bilden die Bergzonen 1 und 2, während die Tal- und Hügelzone nur an den Rändern zu finden ist. Die Winterseite liegt bereits in der Bergzone 3 und das Schwändeli ist als Sömmerungsgebiet ausgeschieden. Anhand dieser Gliederung lässt sich erkennen, dass zum allergrössten Teil Dauergrünland vorherrscht. Ackerbau wird nur an den Rändern und auf wenigen kleinen Parzellen an flachen Stellen im Inneren des Gebietes betrieben. Dieser Anteil war früher vermutlich höher, als auch an steilen Hängen noch Kartoffeln angebaut wurden. Beispiele wie das ausgesehen hat, finden sich z.B. im eingangs erwähnten «Berner Wanderbuch 4». Über die Jahrzehnte weit gehend unverändert blieb der hohe Waldanteil. Im Allgemeinen sind es Nadelwälder, nur die Südhänge bei Oberdiessbach weisen auch einen nennenswerten Laubwaldanteil auf. [7]

Der Name ist alt: Die früheste Erwähnung stammt aus dem Jahre 1146, erstmals in einer Karte taucht er 1578 als «Kurtzenberg» in der Karte von Thomas Schöpf auf, dessen 500. Geburtstag dieses Jahr gefeiert wird. [8, 9] Laut neueren Forschungen ist es allerdings möglich, dass die Karte gar nicht von Schöpf ist, sondern er eher als eine Art «Strohmann» agierte, damit die wirklichen Urheber im Hingergrund bleiben konnten. Politisch und militärisch war eine derart detaillierte Karte damals sehr brisant, entsprechend wurde sie als hoch geheim eingestuft. [11]

Gebiet des «Kurtzenberg» in der Berner Karte von Thomas Schöpf [10]

Liste der Gemeinden im Bereich des Churzenberg (ungefähr von West nach Ost):
– Oberdiessbach
– Freimettigen
– Niederhünigen
– Mirchel
– Oberhünigen
– Zäziwil
– Linden
– Bowil
– Signau
– Röthenbach im Emmental
– Eggiwil

Liste der höchsten Erhebungen:
– Ringgis (1200 m)
– Eggwald (Müliseilewald) (1180 m)
– Chnubel (1162 m)
– Gaucherenwald (1131 m) – mit Aussichtsturm
– Barschwandhubel (1105 m)
– Chapf (1096 m)
– (Hint.) Tanzplatz (1089 m)

Touren

Wie eingangs erwähnt, habe ich das Gebiet bis jetzt ausschliesslich per Fahrrad erkundet. So entstanden, wie beim Bericht über den Worbberg, die Bilder an verschiedenen Tagen und sind daher jeweils mit dem Datum gekennzeichnet. Das dichte Netz von Fahrsträsschen mit und ohne Hartbelag bietet allerhand Möglichkeiten, auch für normale Strassenvelos, und erlaubt sehr abwechslungsreiche und auch anspruchsvolle Touren. Trotzdem sind mir nur recht selten andere Radfahrer begegnet und Wanderer auch primär auf den Hauptwegen entlang der Krete. Dies überrascht, war ich doch ausschliesslich am Wochenende unterwegs und nur bei sonnigem Wetter. Aber wo die Alpen so nahe liegen wie bei uns, fahren die meisten Ausflügler wohl dorthin und lassen die kleinen Berglandschaften am Alpenrand links liegen. Auch gut! So erweist sich der Churzenberg als ein ideales Ziel für Ruhesuchende, wo es noch manche verborgene Schönheit zu entdecken gibt. Zu diesem Schluss kam auch die Stiftung für Landschaftsschutz, welche in ihrer «Tranquillity-Map» Gebiete beschreibt, in denen Menschen Ruhe finden können, wie unlängst in der Zeitung zu lesen war [12]. Eines der grössten solchen Gebiete im Raum Emmental ist der Churzenberg!

Nachtrag: Der Churzenberg eignet sich auch bestens für «Bike&Hike», wie hier beschrieben.

Quellennachweis

[1] Berner Wanderbuch 4 «Emmental II», Kümmerly+Frey, Bern 1948
[2] GipfelverzeichnisCH: http://www.gipfelverzeichnis.ch
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Gebirge_und_H%C3%B6henz%C3%BCge_in_Deutschland
[4] Geologischer Atlas GA25: https://s.geo.admin.ch/8a2c073dec
[5] Die Schweiz während dem letzteiszeitlichen Maximum: https://s.geo.admin.ch/8a2c05c27c
[6] Landwirtschaftliche Zonengrenzen: https://s.geo.admin.ch/8a2bee6cc5
[7] Waldmischungsgrad: https://s.geo.admin.ch/8a2befc411
[8] Geschichte von Linden: http://www.linden.ch/de/portrait/geschichte/
[9] Universität Bern, Schöpfkarte: https://www.unibe.ch/universitaet/dienstleistungen/universitaetsbibliothek/recherche/sondersammlungen/kartensammlungen/500_jahre_thomas_schoepf/index_ger.html
[10] Thomas Schöpf, Helvetia occidentalis südwestlicher Teil: https://www.e-rara.ch/bes_1/content/zoom/21522593
[11] «Der Bund» – Unabhängige, liberale Tageszeitung, Ausgabe 13.05.2020
[12] Wochen-Zeitung (für das Emmental und Entlebuch), Nr. 35, 27.08.2020

Tourengänger: ABoehlen


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Kommentare (2)


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rihu hat gesagt: Wahrlich
Gesendet am 14. Juli 2020 um 18:21
eine veritable Lektion in Geographie und Geschichte. Vielen Dank!
Gruss, Richard

ABoehlen hat gesagt: RE:Wahrlich
Gesendet am 16. Juli 2020 um 10:24
Herzlichen Dank. Freut mich sehr, wenn dir der Bericht gefällt!

Liebe Grüsse
Adrian


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