Abschied vom Fjäll
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Im Jahr 1986 reisten Käthi und ich erstmals nach Skandinavien. In drei Tagesetappen umrundeten wir den Hardangerjökulen. Und dann packte er uns: der Skandinavien Virus. Diese unendlichen naturbelassenen Weiten, die Einsamkeit, die nordische Flora und Fauna: das war der wohltuende Kontrast zu unserer touristischen Heimat. Wir kamen wieder und wieder, durchwanderten in Norwegen die Hardangervidda, das Dovrefjell, Femund und Rondane, das Narvikfjell, später in Schweden die Leden im UNESCO-Weltkulturerbe Laponia.
Ein Prinzip hielten wir dabei (fast) konsequent ein: wir fuhren immer mit Zug, Bus und Fähre in den Hohen Norden. Zweimal mussten wir allerdings aus medizinischen Gründen nach Hause fliegen.
Die nun wohl letzte längere Fjällwanderung war eigentlich schon im August 2017 geplant. Hannes, Res und ich kamen jedoch nur bis Basel. Bei Rastatt war ein Eisenbahntunnel eingestürzt, es war unmöglich, in Kiel die Fähre und in Stockholm den Nachtzug nach Narvik zu erreichen.
So nahmen wir denn einen neuen Anlauf, starteten am 13. August 2018 zur Reise und kamen am 15. August mit dem Nachtzug Stockholm -Narvik in Katterat an. Kein gewöhnlicher Bahnhof: eine Haltestelle für Wanderer. Der Zug ist sehr lang, der Bahnsteig sehr kurz: aussteigen kann man geleitet vom Bahnpersonal nur aus dem Wagen 16.
So ganz naturbelassen ist das Hunndalen nun nicht. Hier wurden vor Jahrzehnten Stauseen und Stollen gebaut, aber das Strässchen in Richtung Hunndalshyttene ist von Moos bedeckt und stellenweise abgerutscht. Nach 10 km zweigt dann ein Pfad ab und wir erreichen unser Tagesziel, die Hunndalshyttene. Die Hütten in Norwegen sind übrigens meist unbewartet und verschlossen. Ich besitze jedoch seit Jahrzehnten den Nöckel (Schlüssel), mit dem ich über 1000 Hütten öffnen kann. Der Haupteingang ist nämlich mit einer eisernen Stange blockiert. Daran hängt ein grosses Vorhängeschloss – mit dem Nöckel kann man es öffnen.
Eigentlich sind es ja kleine Hüttendörfer: zwei bis drei kleine Hütten fürs Wohnen und Schlafen, Toilettenhäuschen, ein Servicehaus mit Werkzeugen und Gasflaschen, ein Holzhaus. Platz ist genug da, die vorfabrizierten Elemente werden mit dem Helikopter hochgeflogen. Wie bei uns wächst rund um die Hütten eine Lägerflora – und die salzhaltigen Gräser scheinen die neugierigen Rentiere zu lieben. Sie grasen stundenlang rund um die Hütten.
Am zweiten Wandertag geht es zuerst zurück zur Staumauer. Der Fluss aus dem Doaresvaggi wird ab hier durch einen Stollen in einen Stausee geleitet. Wir waten durch das Restwasser und beginnen den langen Anstieg zum Oallesvaggi. Kurz vor der Kvilebu (Rasthütte) ist ein schwieriger Bach zu queren. Schwierig, weil die Steine über und knapp unter dem Wasser mit glitschigen Algen überzogen sind. Mein Rezept: eben voll ins Wasser stehen. In der Rasthütte könnte man sogar kochen und übernachten. Wir halten ganz einfach Mittagsrast.
Im norwegischen und schwedischen Fjäll hat man keine Internetanbindung. Telefonieren oder Meldungen senden geht nicht. In den schwedischen Hütten hat es Nottelefone, in den norwegischen nicht. Im Falle eines Unfalles könnte man ein Problem haben – aber doch sicher nicht auf meiner 44. Fjällwanderung. Aber erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt …
Nach der Rasthütte sind oben auf dem Plateau einige Blockhalden zu queren. Rote Punkte markieren den idealen Weg. Ich liebe solche Passagen gar nicht und will sie vorsichtig begehen. Und völlig unerwartet stürze ich seitlich in die rauen Blöcke. Andreas und Hannes befreien mich aus meiner misslichen Lage. Blutende Wunden habe ich keine, aber der ganze Oberkörper schmerzt. Andreas tastet mich ab: Rippen sind offensichtlich nicht gebrochen. Die Beine sind intakt – also muss es möglich sein, die 10 km bis zu den Cunojavrihyttene zu Fuss zu gehen … Und es ging, wenn auch mit grossen Schmerzen. Gut fünf Stunden dauerte es, bis wir endlich bei den Hütten ankamen.
Nach diesem langen und stressigen Wandertag haben wir grossen Hunger – und gross ist dann die Enttäuschung: in jeder der drei Hütten steht ein moderner Gasherd mit vier Kochstellen, und alle 12 Gasflaschen sind leer. Es gelingt uns, auf dem Holzofen Wasser zum Kochen zu bringen, und dank der Polenta in meinen Lebensmittelvorräten gibt es doch noch etwas Warmes.
Die Nacht verbringe ich auf dem Sofa im Wohnraum und kann trotz Schmerzen einige Stunden schlafen. Am nächsten Morgen gehe ich anfänglich in fast normalem Tempo voraus Richtung Unna Allakas. Wir passieren die Grenze und kommen gegen Mittag in der schwedischen Hütte Unna Allakas an. Eine junge deutsche Ärztin kümmert sich um mich, und nach einem Schwächeanfall wird klar, dass ich die Wanderung abbrechen muss. Die Hüttenwartin fordert einen Helikopter an, dieser trifft erstaunlich rasch ein, und ich übergebe Hüttenreservationen, Billette, schwedische Kronen, Karten und Lebensmittel meinen Kameraden Andreas und Johannes. Sie sind nicht das erste Mal in dieser Gegend und werden auch ohne mich durchkommen.
Dann folgte für mich zuerst ein Höhe- und dann der absolute Tiefpunkt. Der Flug übers Fjäll war unglaublich schön – der Empfang in der Notfallstation des Spitals Kiruna für mich völlig unverständlich. Ich musste wie am Bahnschalter eine Nummer ziehen, man stellte mir einige Fragen, hielt mich offensichtlich für gesund und riet mir, in die Schweiz zu fahren ….
Das tat ich denn auch, ging nach qualvollen Reisetagen in Bern in den Lindenhof. Fazit: drei Rippen gebrochen, viel Flüssigkeit im rechtseitigen Rippenfell.
Es ist ja allgemein so, dass ein Anfang schöner ist als das Ende – aber so habe ich mir den Abschied vom Fjäll nicht vorgestellt!
Diesen Bericht gibt es auch auf meinem Blog "Wanderwunderbar". Ohne Werbung - und die Fotos in höherer Auflösung. Siehe hier:
https://wanderwunderbar.blogspot.com/2018/08/
Ein Prinzip hielten wir dabei (fast) konsequent ein: wir fuhren immer mit Zug, Bus und Fähre in den Hohen Norden. Zweimal mussten wir allerdings aus medizinischen Gründen nach Hause fliegen.
Die nun wohl letzte längere Fjällwanderung war eigentlich schon im August 2017 geplant. Hannes, Res und ich kamen jedoch nur bis Basel. Bei Rastatt war ein Eisenbahntunnel eingestürzt, es war unmöglich, in Kiel die Fähre und in Stockholm den Nachtzug nach Narvik zu erreichen.
So nahmen wir denn einen neuen Anlauf, starteten am 13. August 2018 zur Reise und kamen am 15. August mit dem Nachtzug Stockholm -Narvik in Katterat an. Kein gewöhnlicher Bahnhof: eine Haltestelle für Wanderer. Der Zug ist sehr lang, der Bahnsteig sehr kurz: aussteigen kann man geleitet vom Bahnpersonal nur aus dem Wagen 16.
So ganz naturbelassen ist das Hunndalen nun nicht. Hier wurden vor Jahrzehnten Stauseen und Stollen gebaut, aber das Strässchen in Richtung Hunndalshyttene ist von Moos bedeckt und stellenweise abgerutscht. Nach 10 km zweigt dann ein Pfad ab und wir erreichen unser Tagesziel, die Hunndalshyttene. Die Hütten in Norwegen sind übrigens meist unbewartet und verschlossen. Ich besitze jedoch seit Jahrzehnten den Nöckel (Schlüssel), mit dem ich über 1000 Hütten öffnen kann. Der Haupteingang ist nämlich mit einer eisernen Stange blockiert. Daran hängt ein grosses Vorhängeschloss – mit dem Nöckel kann man es öffnen.
Eigentlich sind es ja kleine Hüttendörfer: zwei bis drei kleine Hütten fürs Wohnen und Schlafen, Toilettenhäuschen, ein Servicehaus mit Werkzeugen und Gasflaschen, ein Holzhaus. Platz ist genug da, die vorfabrizierten Elemente werden mit dem Helikopter hochgeflogen. Wie bei uns wächst rund um die Hütten eine Lägerflora – und die salzhaltigen Gräser scheinen die neugierigen Rentiere zu lieben. Sie grasen stundenlang rund um die Hütten.
Am zweiten Wandertag geht es zuerst zurück zur Staumauer. Der Fluss aus dem Doaresvaggi wird ab hier durch einen Stollen in einen Stausee geleitet. Wir waten durch das Restwasser und beginnen den langen Anstieg zum Oallesvaggi. Kurz vor der Kvilebu (Rasthütte) ist ein schwieriger Bach zu queren. Schwierig, weil die Steine über und knapp unter dem Wasser mit glitschigen Algen überzogen sind. Mein Rezept: eben voll ins Wasser stehen. In der Rasthütte könnte man sogar kochen und übernachten. Wir halten ganz einfach Mittagsrast.
Im norwegischen und schwedischen Fjäll hat man keine Internetanbindung. Telefonieren oder Meldungen senden geht nicht. In den schwedischen Hütten hat es Nottelefone, in den norwegischen nicht. Im Falle eines Unfalles könnte man ein Problem haben – aber doch sicher nicht auf meiner 44. Fjällwanderung. Aber erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt …
Nach der Rasthütte sind oben auf dem Plateau einige Blockhalden zu queren. Rote Punkte markieren den idealen Weg. Ich liebe solche Passagen gar nicht und will sie vorsichtig begehen. Und völlig unerwartet stürze ich seitlich in die rauen Blöcke. Andreas und Hannes befreien mich aus meiner misslichen Lage. Blutende Wunden habe ich keine, aber der ganze Oberkörper schmerzt. Andreas tastet mich ab: Rippen sind offensichtlich nicht gebrochen. Die Beine sind intakt – also muss es möglich sein, die 10 km bis zu den Cunojavrihyttene zu Fuss zu gehen … Und es ging, wenn auch mit grossen Schmerzen. Gut fünf Stunden dauerte es, bis wir endlich bei den Hütten ankamen.
Nach diesem langen und stressigen Wandertag haben wir grossen Hunger – und gross ist dann die Enttäuschung: in jeder der drei Hütten steht ein moderner Gasherd mit vier Kochstellen, und alle 12 Gasflaschen sind leer. Es gelingt uns, auf dem Holzofen Wasser zum Kochen zu bringen, und dank der Polenta in meinen Lebensmittelvorräten gibt es doch noch etwas Warmes.
Die Nacht verbringe ich auf dem Sofa im Wohnraum und kann trotz Schmerzen einige Stunden schlafen. Am nächsten Morgen gehe ich anfänglich in fast normalem Tempo voraus Richtung Unna Allakas. Wir passieren die Grenze und kommen gegen Mittag in der schwedischen Hütte Unna Allakas an. Eine junge deutsche Ärztin kümmert sich um mich, und nach einem Schwächeanfall wird klar, dass ich die Wanderung abbrechen muss. Die Hüttenwartin fordert einen Helikopter an, dieser trifft erstaunlich rasch ein, und ich übergebe Hüttenreservationen, Billette, schwedische Kronen, Karten und Lebensmittel meinen Kameraden Andreas und Johannes. Sie sind nicht das erste Mal in dieser Gegend und werden auch ohne mich durchkommen.
Dann folgte für mich zuerst ein Höhe- und dann der absolute Tiefpunkt. Der Flug übers Fjäll war unglaublich schön – der Empfang in der Notfallstation des Spitals Kiruna für mich völlig unverständlich. Ich musste wie am Bahnschalter eine Nummer ziehen, man stellte mir einige Fragen, hielt mich offensichtlich für gesund und riet mir, in die Schweiz zu fahren ….
Das tat ich denn auch, ging nach qualvollen Reisetagen in Bern in den Lindenhof. Fazit: drei Rippen gebrochen, viel Flüssigkeit im rechtseitigen Rippenfell.
Es ist ja allgemein so, dass ein Anfang schöner ist als das Ende – aber so habe ich mir den Abschied vom Fjäll nicht vorgestellt!
Diesen Bericht gibt es auch auf meinem Blog "Wanderwunderbar". Ohne Werbung - und die Fotos in höherer Auflösung. Siehe hier:
https://wanderwunderbar.blogspot.com/2018/08/
Tourengänger:
laponia41

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