Auch wenn die armen, kleinen Eisbären auf ihren dahinschmelzenden Eisschollen traurig dreinblicken, so gibt es doch auch Gewinner der Klimaerwärmung. Die Hersteller von Klimageräten beispielsweise oder aber Bergsteiger, die zwar gerne hoch hinaus, sich dabei aber nicht auf dünnes Eis wagen wollen. Letztere erfreuen sich an der Tatsache, dass man mittlerweile dort über Schutt und Felsplatten zum zweithöchsten Berg der Zillertaler Alpen hinauf steigen kann, wo sich vor gar nicht so langer Zeit noch die Eismassen den Weg ins Tal gebahnt haben. Diese Tatsache scheint sich noch nicht so richtig herumgesprochen zu haben, denn der Andrang auf dieser Route hält sich für einen Berg dieser "Preisklasse" in engen Grenzen. Vorsichtig muss man aber schon sein, denn der Gletscher hat instabiles Gestein hinterlassen und an warmen Tagen poltert's dort ziemlich kräftig, wo der Gletscher vor einigen Jahren noch den Fels stabilisiert hat. Also heißt es aufpassen, denn am Großen Möseler kommt nicht nur alles Gute von oben!
Die Unternehmung beginnt am Neves-Stausee; am Ende der mautpflichtigen Straße ist vor dem Sperrschild eine große Anzahl an Parkplätzen vorhanden. Man folgt der Schotterstraße weiter, bis kurz nach dem nördlichen Ende des Sees der Wanderweg zur Chemnitzer Hütte (Nevesjochhütte/Növesjochhütte) abzweigt, dem man im Wald bergauf folgt, wobei mehrfach ein Fahrweg gequert wird. Bald wird das freie Gelände der Oberen Nevesalm erreicht und nach dem Passieren der Alm führt der Weg durch den breiten, flachen Nevesboden direkt auf die bereits sichtbare Hütte zu, die oben am Nevesjoch steht. Dort ist das erste Teilziel der Tour erreicht.
Als kleines Gipfelchen für den ersten Tag bietet sich der nahe Schaflahnernock an, der erstaunlich gute Ausblicke in petto hat. Hinter der Hütte beginnt ein Steig, der westlich des Nordgrats des Schaflahnernock nach oben zu einer Verflachung leitet, wo sich die Wassergewinnung der Hütte befindet. Aufpassen, dort geht's links weiter, nicht den Trittspuren entlang der Wasserleitung folgen! Immer den Markierungen nach, geht's durch Blockgelände aufwärts, bis der hübsche Gipfel inklusive Gipfelkreuz und wunderbarem Gipfelblick erreicht ist - wer hätte einem so unscheinbaren Buckel derart fesselnde Ausblicke zugetraut?!? Rieserferner-, Venedigergruppe, der Zillertaler Hauptkamm und Pfunderer Berge - viel Aussicht für wenig Aufwand!
Darf's noch ein Schlenker sein? Dann folgt man dem Grat in Richtung der markanten Weissewand noch ein Stück, bis man günstig nach links durch die Grasflanke hinunter ins Kar steigen kann, in dessen Grund man zum schönen Tristensee absteigt. Dort wird wieder ein markierter Steig erreicht, dem man nach links zurück zur Hütte folgt.
Am nächsten Morgen geht's zum Großen Möseler, immerhin nach dem Hochfeiler zweithöchster Berg der Zillertaler Alpen und einer der ganz Großen der Ostalpen. Auf dem Neveser Höhenweg quert man in nordwestlicher Richtung um den Gamslahnernock herum, kurzzeitig gibt ein (überflüssiges) Drahtseil Sicherheit. Der Steig erreicht schließlich das flache Moränengelände unter dem Nevesferner und quert den Gletscherabfluss. Das ehemalige Gletscherbecken wird gequert, bis der Weg einen markanten Moränenrücken erreicht, der von oben herunterzieht. Hier wird der markierte Steig verlassen.
Man folgt dem Moränenrücken nach oben, bald werden Trittspuren erkennbar, die sich immer stärker ausprägen. Zudem geben zahlreiche Steinmänner Orientierung. Die Moräne endet und nach einem kurzen, flacheren Stück wird plattiges Gelände erreicht, das vor nicht allzu langer Zeit noch vom Gletscher bedeckt war. Die Steinmänner weisen deutlich in des Kar hinein, das sich rechts vom Gipfel des Großen Möseler hinauf zum Kamm zieht. Dabei muss ein kleiner Gletscherrest entweder gequert, oder rechts umgangen werden. Schließlich leiten die Spuren an den finalen Hang heran und immer steiler steigt man durch instabiles Blockwerk hinauf zur Scharte am Zillertaler Hauptkamm.
Jetzt kommt der technisch anspruchsvollste Teil der Tour. Man folgt den Spuren nach links an den Gipfelaufbau heran. Anstelle diesen direkt am Grat zu erklettern, weicht man nach links in die Flanke aus. Es gibt diverse Varianten, sodass sich die Steigspuren schnell verlaufen. Durch übersichtliches, aber brüchiges und instabiles Felsgelände geht es aufwärts (bei optimaler Routenwahl kommt man mit Schwierigkeitsgrad I aus), bis das Gipfelkreuz ins Blickfeld rückt und gleich darauf erreicht wird. Das Panorama, das sich mit einem Schlag eröffnet, ist einfach gigantisch - freie Blicke auf den Zillertaler Hauptkamm mit seinen schneidigen Gipfelgestalten, im Norden die immer noch mächtige, zerrissene Gletscherwelt, in der Ferne aberwitzig viele Gipfel von Ortler bis Großglockner. Ein Anblick, an dem man sich wirklich kaum sattsehen kann, denn es gibt unendlich viel zu bestaunen.
Der Abstieg verläuft entlang der Aufstiegsroute, wobei man noch besser aufpassen muss, keine Blöcke loszutreten, die weiter unten befindliche Bergsteiger gefährden können. Eine Rast im Kar ist wegen der großen Steinschlaggefahr nicht zu empfehlen, der
83_Stefan konnte einen Bergsteiger beobachten, der gegen einen heranrasenden Block (Selbstauslösung!) in der Größe eines Autos um sein Leben rennen musste.
Schwierigkeiten:
Vom Neves-Stausee zur Chemnitzer Hütte: T2 (keine Schwierigkeiten; beim Aufstieg am Fahrweg T1).
Aufstieg zum Schaflahnernock: T2 (guter Steig, technisch unschwierig).
Abstieg vom Schaflahnernock zum Tristensee: T3 (im oberen Bereich relativ steiles Gras).
Gipfelanstieg zum Großen Möseler: T4+, I (Vorsicht vor dem instabilen Gestein!).
Fazit:
Die Kombination aus dem gemütlichen Schaflahnernock, der von einem herzlichen Hüttenwirt ausgezeichnet bewirtschafteten Hütte und dem gewaltigen Großen Möseler ergibt zweifelsfrei eine 5*-Tour, die im Grenzbereich zu einer Hochtour angesiedelt ist. Am Großen Möseler wird die Klimaerwärmung greifbar, man wandert exakt dort, wo vor einigen Jahren noch Eismassen ins Tal geflossen sind.
Mit auf Tour: Stefan (nur Schaflahnernock).
Anmerkungen:
Die Schwierigkeitsbewertung "T4+, I" bezieht sich lediglich auf die technischen Schwierigkeiten. Die Besteigung des Großen Möseler setzt unabdingbar sicheres Wetter sowie reichlich Erfahrung im Hochgebirge voraus. Die hier beschriebene Unternehmung ist im Grenzbereich zur Hochtour angesiedelt. Achtung vor dem instabilen Gestein, vor allem bei warmer Witterung!
Kategorien: Zillertaler Alpen, Mehrtagestour, 5*-Tour, 3400er, T4.
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