Überschreitung Zanaihorn (2821 m) von Vättis: SE-Flanke rauf, NW-Grat runter


Publiziert von marmotta , 15. Oktober 2014 um 01:39.

Region: Welt » Schweiz » St.Gallen
Tour Datum:12 Oktober 2014
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-SG 
Zeitbedarf: 7:00
Aufstieg: 2170 m
Abstieg: 1880 m
Strecke:Vättis - Älpli Ladils - Unterdavos (P. 1749) - Calvina Rindersäss - Schönplanggen - Zanaihorn SE-Flanke - Zanaihorn - Zanaihorn NW-Grat (P. 2753 - P. 2673 - P. 2721) - "Zazol" (P. 2767) - Grisptäli - Oberboden - Säss - Tersol - Gigerwald
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Vättis, Post
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Gigerwald, Restaurant

Auch in den entlegensten und einsamsten Ecken der Ostschweiz werden die "weissen Flecken" auf der Hikr-Landkarte immer weniger - was im Hinblick auf eine möglichst umfassende und lückenlose Abdeckung durch dieses Bergsportportal sehr erfreulich ist. Nachdem mit diesem Bericht von Delta nun auch die letzten bislang undokumentierten Gipfel des Kantons St. Gallen beschrieben sind, bleiben hier nur noch Brosamen übrig. Wobei diese Brosamen durchaus sehr nahrhaft sein können…
 
Am Zanaihorn (2821 m), einem der wildesten und abgelegensten Gipfel des Taminagebirges bspw. sind bislang zwar die einfachen (und häufiger begangenen) Routen durch die Westflanke (T4) und entlang des Ostgrats (T5) beschrieben, doch kann der mit einem monströsen Kreuz "geschmückte" Gipfel auch über die Südostflanke und -last but not least- natürlich vom Pizolsattel bzw. von P. 2767 über den langen Nordwestgrat erreicht werden. Diese beiden "missing links" wollte ich in einer einzigen, langen Tour mit Start in Vättis (943 m) verbinden. Die Rückführung in die Zivilisation kann dann entweder via Tersol-Gigerwald oder via Pizolsattel-Pizolhütte (Bergstation der Pizolbahnen erfolgen. Ich hielt mir beide Optionen offen, wobei das Zeitfenster, welches durch die Betriebszeiten der Bahnen bzw. des Postautos vorgegeben ist, für solch eine Tour, bei der sowohl Zeitaufwand als auch Schwierigkeiten im voraus schlecht abzuschätzen sind, eher knapp bemessen scheint. Umso schöner, dass es schlussendlich aufgegangen ist - wenn auch das "Dessert" (um den Faden mit den Brosamen wieder aufzunehmen) aus Zeitgründen ausfallen musste…
 
Ein lauer Föhnwind streicht mir um die Nase, als ich um ca. 8.15 Uhr von der Postauto-Haltestelle cff logo Vättis, Post (943 m) starte. Nach (zu) kurzem Warmlaufen durch´s Dorf geht es den unerbittlich und anhaltend steilen, aber effizienten Alpweg zum Älpli Ladils (1890 m) hinauf. Obwohl diese Destination zuvor noch angeschrieben steht, ist der Einstieg oberhalb der Brücke über den Chrüzbach (wo der Weg zum Drachenloch links abzweigt) seltsamerweise nicht mehr ausgeschildert und markiert. Der Beginn des Pfads ist jedoch leicht zu finden: Vom Fahrweg steigt man entlang des Chrüzbachs einige Meter die Wiese empor, bis die rechts im Wald hinauf führende Pfadspur erreicht ist. Der Alpweg ist gut unterhalten und wurde nach einem Hangrutsch vor 2 Jahren im Bereich der Rüfe auf ca. 1200 m sogar verlegt.
 
Nach schweisstreibenden 60 min erreiche ich oberhalb der Baumgrenze die hübsch gelegenen Alphütten von Ladils. Zeitgleich mit mir treffen zwei Älpler dort ein, die von ihrer erfolgreichen Jagd am Vättnerchopf zurückkehren. Mit der geschossenen Gams auf der Ladefläche ihres geländegängigen Kleinfahrzeugs holpern sie wenig später auf der mit Brachialgewalt in den Hang gefrästen Fahrstrasse an mir vorbei in Richtung Calvina Rindersäss. Es sollten die letzten bzw. einzigen Menschen sein, die mir bis auf die untersten Meter des Abstiegs während der gesamten Tour begegneten…
 
Die grosse Strassenkehre zu P. 1857 auf einem Viehpfad abkürzend, erreiche ich nach ingesamt 1 h 45 min die verlassene Alp Rindersäss (1902 m). Von dort wurde die befahrbare Trasse neuerdings noch ein Stück weiter taleinwärts in den Hang hineingeballert, erst kurz vor der Bachüberquerung bei P. 2010 endet die "Strasse" abrupt an einigen Felsen. Nun geht es auf dem alten Alpweg weiter, der die Alpen Rindersäss und Säss im Tersol vor Schaffung des Zugangs von Gigerwald durch die Tersolschlucht über die Furggla (2574 m) verband. Der einstige Weg über diesen alten Übergang ist am Verfallen, er ist aber noch gut zu finden und zu begehen (T2, einzelne rote Markierungen).
 
Auf einer Höhe von knapp 2300 m verlässt man den Weg und wendet sich in nordwestlicher Richtung den steilen Hängen der Schönplanggen zu. Man steuert nun die SE-Flanke des Zanaihorns am besten entlang einer breiten und tief eingefressenen Geröllrinne an, welche von der Scharte zwischen Chli Zanaihorn und Zanaihorn-Südgrat herunterzieht. Da die im Jagdbanngebiet "Graue Hörner" liegenden Zanaihörner ein wichtiges Refugium des Steinwilds sind, ist es nicht unwahrscheinlich, dass die sich dort aufhaltenden Tiere Steinschlag auslösen - aus diesem Grund halte ich einen gebührenden Abstand zu den schaurig-brüchigen Ostwänden des Chli Zanaihorns! Auf einer Höhe von ca. 2450 m endet die Grasrippe unter gewaltigen Felsblöcken, diesen weiche ich auf den für das Gebiet typischen, schiefrigen Flyschplatten aus. Obwohl die Flanke nach Osten hin weniger steil abfällt, ist bei den Querungen Vorsicht geboten, da die Platten oft schuttbeladen und rutschig sind (bei Nässe oder gefrorenem Schutt ist diese Flanke ein No Go!). Hat man sich einmal an das Gelände und die "Steinbockwege" gewöhnt, macht der Aufstieg zunehmend Spass und ist weit weniger mühsam, als ich mir dies vorgestellt hatte! Eine genaue Routenbeschreibung erübrigt sich, man kommt eigentlich fast überall (mal mit mehr, mal mit weniger Kraxelei) hinauf, die vielen Steinwildspuren sind dabei sehr hilfreich (T4-T5, je nach Routenwahl). Etwa 50 Hm unterhalb des Ostgrates quere ich unter dem markanten Gendarmen auf Schuttbändern hinüber zum Südrücken und erreiche über diesen in ziemlich mühsam zu begehendem Schutt-Schiefer-Gemisch in wenigen Minuten den exponierten Gipfel (4 h ab Vättis).
 
Obwohl ich während meines Aufstiegs in der SE-Flanke eine Person unterhalb des Ostgrats ausgemacht zu haben glaubte, ist jetzt weit und breit niemand mehr zu sehen. Vielleicht war´s ja eine Halluzination…
 
Da der Föhnwind ziemlich stark bläst, ist es auf dem Gipfel nicht allzu gemütlich. Nach Eintrag ins leicht schimmlige Gipfelbuch (ca. 10 Einträge pro Jahr, fast ausnahmslos durch Einheimische) und einer kurzen Rast, packe ich daher meine Sachen und überlege, wie ich die Tour fortsetzen soll. Kurz liebäugle ich mit dem relativ bequemen und direkten Abstieg über die Westflanke ins Tersol: Nach 2000 Hm fühlen sich meine Beine nicht mehr ganz taufrisch an und der auf Dauer doch ziemlich lästige Föhnwind ist sicher nicht der beste Begleiter auf einem luftigen Felsgrat. Doch dann überwiegt die Neugier auf das spannende Neue und ich beginne vorsichtig mit dem Abstieg nach Norden.
 
Der Nordwestgrat zwischen Zanaihorn und P. 2721 ist länger und weit weniger kompakt, als dies vom Gipfel aus erscheint. Einige fragil wirkende Grattürme können zwar durch kurze Abstiege in die Südwestflanke umgangen werden, die Umgehungen erscheinen mir aber eher heikler und kraftraubender als der Grat selbst, weshalb ich bald beschliesse, der Schneide konsequent zu folgen. Die Schwierigkeiten sind grösstenteils moderat (T5, I-II), besondere Aufmerksamkeit verlangen lediglich die grossen Gratköpfe, welche zwar allesamt von Süden einfach erklettert werden können, nach Norden aber teilweise furchterregend steil abfallen. Aus diesem Grund dürfte die Begehung des Grats in der umgekehrten Richtung (also vom Pizolsattel bzw. von P. 2767 zum Zanaihorn) wesentlich angenehmer und leichter sein! Das Abklettern einer senkrechten Wandstufe nach P. 2753 empfand ich im Abstieg als äusserst heikel (T6, III). Die folgenden Abbrüche sind dann glücklicherweise wieder besser gestuft, teilweise weicht man mit Vorteil auch auf Bänder in die Nordflanke aus.
 
Neben der Ausgesetztheit stellt vor allem die ausserordentliche Brüchigkeit des Gesteins das Hauptproblem dar. Die Flysch-Plättchen bilden zwar meist passable Griffe und Tritte, doch was nützt es einem, wenn die Hälfte der Felsschuppen unter Belastung herausbricht! Man könnte den gesamten Abschnitt vermutlich sehr grossräumig weit unten in der SW-Flanke umgehen, dies wäre aber mit einem enormen Kraft- und Zeitaufwand verbunden und von einer "Gratbegehung" kann dann auch nicht mehr wirklich die Rede sein…
 
Nach P. 2673 lässt sich der Grat wieder etwas leichter begehen, der finale Aufstieg zu P. 2767 (von Polder sinnigerweise  Zazol getauft) erfolgt über einen breiten Schuttrücken. Obwohl der Föhnwind hier fast Sturmstärke erreicht, gönne ich mir (endlich) eine kurze Pause. Für die Begehung des gesamten Grates habe ich im Abstieg knapp 1,5 h benötigt, dabei muss die Konzentration fast über die gesamte Länge aufrecht erhalten werden, das Gelände verzeiht keinen Fehler!
 
Mit Blick auf den zum Greifen nahen Pizol (2844 m) wäge ich nun meine Möglichkeiten ab. Der Weiterweg über die "Wildsandköpfe" bei P. 2813 sieht spannend und verlockend aus und am Ende würde vom Pizolsattel ein einfacher Abstieg zur Pizolhütte mit schonender Rückführung ins Tal per Seilbahn winken. Doch, würde ich es überhaupt bis zur letzten Talfahrt um 16 Uhr schaffen? Ein kurzer Blick auf die Uhr bestätigt meine Zweifel: es blieben nur noch 1 h 20 min und zwischen mir und dem Pizolsattel lag noch ein Felsgrat mit nicht einschätzbaren Schwierigkeiten. Andererseits könnte ich es bei zügiger Gangart durchaus noch nach Gigerwald (1228 m) auf das letzte Postauto um 16.28 Uhr schaffen. Damit war der Entscheid schnell gefasst: Über die schuttbeladenen Hänge steige ich durch das Grisptäli zum Oberboden ab, vorbei an einem verdutzten Murmeltier, das wohl die allerletzten Sonnenstrahlen vor dem Winterschlaf genoss, weiter zu den Alphütten von Säss (2000 m) und über den stotzigen, eindrücklich in die Felswände oberhalb der Tersolschlucht gehauenen Alpweg hinunter nach Gigerwald. Dort habe ich sogar noch einige Minuten "Reserve", bis das Postauto zum allerletzten Mal in dieser Saison vom Staudamm des Gigerwaldsees heruntergefahren kommt und mich nach cff logo Bad Ragaz bringt, wo mich lauschige 24 °C (Föhn!) empfangen.
 
Fazit:
 
Die SE-Flanke des Zanaihorns ist eine durchaus lohnende und im Vergleich zur Westflanke nach meinem Empfinden sogar weniger mühsame Variante, die sich vor allem anbietet, wenn man vom Vättnerberg oder von Vättis via Ladils-Calvina kommt. (Die Angabe "BG, selten begangen" im mittlerweile etwas antiquierten Clubführer Bündner Alpen, Band 1, hatte dies ja nicht unbedingt vermuten lassen). Deutlich anspruchsvoller und fordernder ist die Begehung des NW-Grates, insbesondere im Abstieg. Aufgrund des ausserordentlich brüchigen Felses ist diese Route nur geübten Alpinwanderern anzuraten, die mit dieser Art von Gelände und Gestein vertraut sind. Ich persönlich würde den Grat nur in der Gegenrichtung empfehlen!       

Tourengänger: marmotta
Communities: T6


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