Die rassige "direkte" Überschreitung des Kleinen Widdersteins


Publiziert von Kris , 5. August 2018 um 20:18.

Region: Welt » Österreich » Nördliche Ostalpen » Allgäuer Alpen
Tour Datum: 7 Juli 2018
Wandern Schwierigkeit: T6- - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 6:00
Aufstieg: 1150 m
Abstieg: 1150 m

Zum Abschluss des diesjährigen - erneut regnerischen - Aufenthalts im südlichsten Zipfel Deutschlands sollte es nochmal eine knackige Tour unter professioneller Anleitung sein. Das Wetter war als mittelprächtig angesagt, die Tage zuvor haben den Fels ordentlich nass hinterlassen. In Absprache mit dem Führer kamen eigentlich nur drei Touren infrage - der ziemlich unbekannte Mindelheimer Grat über die Sechszinkenspitze, die Überschreitung der Fuchskarspitzen mit relativ langem Zustieg für eine Eintages-Tour sowie die Traverse über den Kleinen Widderstein. Alle drei Touren bewegen sich in ähnlicher Kletter-Schwierigkeit (obere III) sodass der Bauch entscheiden sollte. Die Fuchskarspitzen fielen für mich aufgrund des Zustiegs aus, der Mindelheimer Grat klang super interessant, auch wegen der wenigen Besuche die er erhält aber letztendlich sprach der Bauch für den Widderstein, da in seiner kecken Formschönheit schon vom großen Bruder aufgefallen war..

Mit einem der ersten Busse geht es von Oberstdorf nach Baad, wo ich mich mit Stefan ,dem heutigen Führer treffe. Unterhaltend laufen wir erstmal in zügigem Tempo in Richtung der äußeren und inneren Widdersteinalpe. Dort zweigen dann schnell Trittspuren ab, die zur Jägerhütte und dem Bärenkopf leiten. Es geht zuerst über einen Wiesenabschnitt, dann durch ein Gatter, durch eine Waldpassage - leider bei uns sehr schlammig - um erneut in offenes Gelände zu kommen - und an ein zweites Gatterl. Hier sehen wir bereits weiter Berggänger, die zumindest über den Bärenkopf auch den Hauptgipfel besuchten, weiteres ist mir nicht bekannt. Nach dem Gatterl kommt man in flacheres Gelände, welches ich zum Verschnaufen nutze - wir sind relativ flott unterwegs. Anstatt nun nach links in Richtung Jägerhütte und dem Bärenkopf den weiteren Trittspuren zu folgen, steigen wir durch ein ausgetrocknetes Bachbett, welches zu einer Rinne leitet, die direkt und nicht über den Umweg Bärenkopf zur Scharte zwischen selbigem und dem Hauptgipfel des Kleinen Widdersteins leitet.

Die Rinne zu nutzen hat 2 Vorteile und 2 Nachteile - um mit dem positiven zu beginnen: der Aufstieg umgeht die teils als heikel beschriebene Passage kurz vor der Scharte vom Bärenkopf kommend durch Schrofengelände oder exponierteres Gras und die Variante ist so natürlich viel kürzer. Downside: Das Gelände ist anhaltend schwieriger als der Aufstieg über den Bärenkopf (bis auf die erwähnte Passage) und man nimmt den Bärenkopf als zusätzlichen Gipfel so natürlich nicht mit. Weiterhin wäre ich vorsichtig in Bezug auf Steinschlag, Helm an lohnt hier schon auf niedrigerer Höhe. Bevor man aber wirklich in Berührung mit der felsigen Rinne kommt, geht es über fast unsichtbare Trittspuren im Gras auf einer linkerhand befindlichen Rippe steil nach oben (T4). Die Trittspuren sind so unscheinbar, dass nur Tasten mit den Stöcken bei der Suche hilft. Sobald sich das Gelände erneut aufsteilt, wird es einfacher, nach rechts in die Rinne zu wechseln. Hier legen wir die Helme an und steigen nun einfach und mittelmäßig steil nach oben (meist I oder Gehgelände). Umso höher man in der Rinne kommt, umso steiler stellt sie sich auch dar, was maximal in unterem T5 und evtl. einer unteren II resultiert. Zwischendurch treffen wir aber erstmal auf einen Gams-Kadaver, der beim Vorbeischreiten den süßlich-widerlichen Duft der Verwesung so stark verströmt dass die Übelkeit quasi unmittelbar einsetzt. Ganz oben in der Rinne wird es deutlich bröseliger und dadurch etwas heikler. Die Rinne ist hier quasi nicht mehr ausgeprägt und so steigt man eher einen steilen kleinteiligen Geröllhang nach oben, der kurz vorm Ende wieder etwas grasiger wird, bevor man schließlich an der Scharte zwischen Bärenkopf und Kl. Widderstein angelangt. 

Nun geht es quasi direkt ans Eingemachte. Nachdem wir uns angeseilt haben, steigt Stefan die ausgeprägten Risse im plattigen Startgelände nach oben. Leider sind die Risse noch sehr nass, was mir den Aufstieg erschwert (II). Ich bin nur in LaSportiva Boulder Approach Schuhe unterwegs die nicht maximal kantenstabil sind, daher fühlt es sich für mich im Antritt noch etwas schwerer an (was Stefan auch bemängelt ;-)) Nach dieser Einstiegslänge wird es quasi schlagartig deutlich einfacher. Was nun folgt ist viel einfaches Gehgelände in normal-alpinem Geröllgelände (T4). Beim nächsten Wandl steigt man von links zur rechten Gratseite an einem Einschnitt vorbei, gut gestuft. (II) Von hier aus sieht der Hauptgipfel noch ziemlich schwierig aus, was sich aber einfacher als gedacht herausstellen wird. Nach weiterem Gehgelände geht es eine markante Rinne nach oben, bei der man sich am besten etwas rechts hält und schon steht man unterhalb des Hauptgipfels. Der "Normalweg" leitet nun einmal um den Hauptgipfel herum um dort steil aber gut gestuft nach oben zu leiten (II). Wir wählen auch hier die direktere Variante, der Rinnen die zum Gipfel leiten, je nach Route II-III, teils brüchig. Anfangs gehen wir hier noch am kurzen Seil aber als es zu steil wird, steigt Stefan vor. Und siehe da, schon steht man am Hauptgipfel des Kleinen Widdersteins, der zwar immer wieder Besuch erhält (gerade von einem Einheimischen gefühlt dutzende Male im Jahr) aber das Gipfelbuch von 2006 ist dennoch nur halb gefüllt. Pro Saison gibt es definitiv nicht mehr als ein paar Dutzend Besucher, man kann sich also fast immer alleine am Gipfel wägen. 2018 waren es bisher ca. 20 Einträge. Die nun folgende Überschreitung wird schon deutlich seltener gemacht, da sie einen ganzen Zacken schärfer und alpiner ist als der reine Hauptgipfel. Die ansässige Bergschule, mit der ich die Tour gemacht habe, führt das max. 3 im Jahr. Auch hier also durchaus auch was für den einsamen Extremwanderer, wenn auch der Namen relativ bekannt anmutet.

Der Beginn der Überschreitung beginnt mit dem im letzten Absatz beschriebenen "Normalaufstieg" über das steile aber gut gestufte Gelände (II). Nun folgt man etwas links ziehend einem brösligen Grashang vorsichtig nach unten, bis man nach rechts in eine Scharte abklettern kann (hier wieder II). Nun geht es kurz leicht kamin-artig nach links durch einen breiten Felsriss, der leicht abdrängend wirkt, aber überhaupt nicht ausgesetzt ist. Den folgenden Teil empfand ich als eine der schwierigeren Stellen. Hier - wiederum abdrängend und auch noch bedeutend nass - geht es eine exponierte Wand über einen Riss erst nach links und dann nach rechts drehend nach oben. Kurzer Schreckmoment, als mir ein faustgroßer Griff knallend ausbricht, es riecht kurz fast nach Schießpulver. Also Obacht, es ist wirklich brüchig (an alle Solo-Geher ;-))  (II+). Nun wird es deutlich exponierter oben am Grat. Dieser verengt sich oben stark, ohne aber in "Reiter"-Regionen zu kommen. Es geht über einige Zacken hoch und runter, eine kleine Stelle muss ge-piazt werden an der Kante (II). Der Grat stellt sich nun sehr schwer uns gegenüber sodass wir zuerst wieder etwas in die Westflanke absteigen nur um schnell wieder an den Grat heranzutreten. Hier muss ein sehr großer Schritt auf einen glatten Felsblock gemacht werden, da ich nicht der Größte bin, hatte ich hier etwas Bedenken. Man muss aber nur wirklich - sehr - beherzt steigen, dann geht es. Nach einer erneuten, exponierteren Stelle (I+) geht es nun etwas milder über einen breiteren, teils grasbesetzten Gratabschnitt. Nun folgt die Schlüsselstelle, ein sehr scharfer Gratabschnitt mit folgend senkrechtem Wandl auf einen Gratturm. Dieses Wandl hat nur sehr kleine Tritte - hier kommen meine Approach-Schuhe dann langsam aber sicher (für mich) an ihre Grenzen (III+) 

Als letztes Hindernis vorm grasigen Südgipfel stellen sich nun die "berüchtigten", surrealen Gratzähne in den Weg. Auch wir werden über diese nicht steigen, sondern weichen nun endgültig aus sind aber somit meistens dem oberen Gratverlauf gefolgt. Dies ist - wenn man sichert - objektiv sicherer als die brüchige Westflanke. Für Solo-Geher sind die Kletterschwierigkeiten in der Flanke aber geringer. Wir steigen also brüchig in die Flanke ab (II) und folgen hier nun dem logischen Verlauf unterhalb der Gratzähne. Ausgesetzt aber relativ einfach, bis auf ein bis zwei Stellen (II). Nun gelangt man bald auf den unscheinbaren Südgipfel. Hier verweilen wir nur kurz und machen uns an den kurzen aber rassigen Abstieg in Richtung Karlstor. Hier empfand ich die Wegfindung als schwierig und nicht besonders logisch. Meistens folgt man aber dem Gratverlauf nach links absteigend Grasspuren um dann nach rechts immer wieder in Rinnen zu steigen. Die sind teils fast senkrecht, haben aber immer gute Griffe und Tritte (II). Man steigt durch einen auffälligen Grateinschnitt, der hinter dem Einschnitt erneut steil in eine Rinne abbricht. Nun einfacher über Trittspuren und eine letzte Kraxelstelle zum Karlstor folgend. Hier legen wir eine Rast ein, und die leider am Hauptgipfel zugezogene Sicht kommt wieder zurück sodass wir die geschaffte Überschreitung überblicken können. Die Tour ist nun allerdings noch nicht vorbei. Der Abstieg vom Karlstor ist wirklich kleinbröselig aber technisch nicht schwierig. Dennoch muss man aufpassen, dass es einen nicht von den Füßen reißt, gerade mit etwas weniger technischen Schuhen wie ich sie anhatte. Es ist teilweise schon recht steil und wenn es unglücklich läuft auch durchaus noch an manchen Stellen Absturzgelände. Langsam aber relativ sicher schaffe ich auch dies und setze mich erst unten kurz vor dem ausgetrockneten Bachbett 2 mal auf den Hosenboden. Stefan dagegen hält nichts mehr und so (im Vergleich zu mir) rennt er quasi hinab. Wir treffen uns erst an einem Boulderfelsen wieder, an dem er gerade traininert. Nun laufen wir zusammen zur Inneren Widdersteinalpe zurück, an der wir zusammen noch ein Skiwasser/Radler trinken. Nach dem kurzen Abstieg nach Baad verabschieden wir uns - schee wars, wenn ihr eine etwas ausgefallenere Tour im Kleinwalsertal oder in den Allgäuern sucht, kann ich es euch wärmstens empfehlen: https://bergschule.at/ 


Eine wirklich rassige und fordernde Überschreitung in toller Atmossphäre, nicht überlaufen und abwechslungsreich. Was will es mehr? Naja, ok - das Gestein könnte etwas fester sein! ;-) Im Vergleich zur Trettach-Überschreitung empfand ich diese Traverse als deutlich fordernder. Beide Touren sind aber super und sehr zu empfehlen!

KONDITION 3/5
ORIENTIERUNG 4.5/5
TECHNIK 5/5
EXPONIERTHEIT 5/5

--- Video folgt evtl. noch ---

Tourengänger: Kris


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Kommentare (2)


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quacamozza hat gesagt:
Gesendet am 5. August 2018 um 22:09
Hallo Kris,

eine schöne Tour ist das, der Kleine Widderstein wird langsam wirklich zum Klassiker im Kleinwalsertal. Und beim Stefan bist wirklich in besten Händen.
Der nächste Klassiker steht ja direkt neben diesem Tourenbericht ;-)

Gruß
Ulf

Kris hat gesagt: RE:
Gesendet am 6. August 2018 um 22:20
Hey Ulf,

ja, hat die Tour auch verdient und sicher hat man sich auch zu jeder Zeit gefühlt :-)
Hab deine geniale Höfats-Tour gesehen. Auf meiner Wunschliste, trau ich mir aber (noch) nicht zu... auch nicht, wenn es nur eine "einfache" Traverse wäre..

VG
Kris


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