Aussichtsreiche Klettertour am Trotzigplanggstock (2954 m)


Publiziert von Fico , 28. August 2016 um 21:28.

Region: Welt » Schweiz » Uri
Tour Datum:23 August 2016
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: 4+ (Französische Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-UR 
Zeitbedarf: 2 Tage
Aufstieg: 1060 m
Abstieg: 1060 m
Strecke:Sustenbrüggli - Sustlihütte - Trotzplanggstock - Sustlihütte - Sustenbrüggli
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Parkplatz bei der Postautohaltestelle cff logo Meien, Sustenbrüggli
Zufahrt zum Ankunftspunkt:gleich wie Ausgangspunkt
Unterkunftmöglichkeiten:Sustlihütte www.sustlihuette.ch/
Kartennummer:1211 Meiental

Er ist kein berühmter Berg. Weder Gipfelkreuz noch Gipfelbuch zieren seinen höchsten Punkt. In der 25‘000er Landeskarte von 1980 besass er noch nicht einmal einen eigenen Namen: er war lediglich P. 2954 der Wichelplanggstöcke. Ausser Einheimischen oder in Kletterkreisen, wo sich er wachsender Beliebtheit erfreut, kennt kaum jemand den Trotzigplanggstock.
 
Im Frühling vor einem Jahr auf dem Balmfluechöpfli, am Schluss der längsten Jura-Klettertour, fragte ich Matthias, was nun als nächstes komme. Als er mir den Trotzigplanggstock vorschlug, schaute ich ihn verwundert an: „Wo liegt denn der?“ „Im Sustengebiet.“ „Aha!“ Zu Hause suchte ich auf der Karte, wo sich der mir unbekannte Gipfel befindet. Und wie so oft hat es dann über ein Jahr gedauert, bis alles gepasst hat: der volle Terminkalender von Matthias und das Wetter.
 
Im Kletterführer „plaisir Ost“ ist die Route über den Südgrat auf den Trotzigplanggstock beschrieben. Vermutlich bin ich nicht der Einzige, der in diesem Buch, statt zuerst den Text zu lesen, vor allem die Skizzen und Topos anschaut: Anzahl Seillängen, Schwierigkeitsgrade usw. So habe ich erst nach der Tour den einleitenden Satz bemerkt: „Luftige Gratkletterei, festen Gneis und eine prächtige Rundsicht bietet der sanierte Südgrat.“  
 
Bei schönstem Sommerwetter wandern wir am Montagnachmittag vom Parkplatz gemütlich zur Sustlihütte hinauf. Im Meiental fahren die Postautos nicht im Stundentakt. Zwei Verbindungen pro Tag und Richtung, eine am Morgen und eine am Nachmittag, das ist alles. Solche Umstände rechtfertigen die Benützung des eigenen Autos. Vor allem für die Heimreise könnte es sonst ziemlich stressig werden, wenn man unbedingt das letzte Postauto kurz nach halb fünf erwischen muss.
 
Die Sustlihütte hoch über dem Meiental wäre allein eine Wanderung wert. Zum Greifen nahe liegen in westlicher Richtung die Fünffingerstöcke mit der markanten Pyramide des Wendenhorn, im Südwesten das Sustenhorn mit dem vorgelagerten Sustenspitz. Die Lichtverhältnisse der untergehenden Sonne verleiten zum Knipsen unzähliger, fast gleicher Fotos. Es ist eine merkwürdige Art, seiner Freude Ausdruck zu verleihen. Dennoch kann ich es nicht lassen, auf jeder Tour zahlreiche Sonnenuntergänge zu fotografieren.
 
Gegen sieben Uhr machen wir uns am nächsten Morgen auf den Weg. Der Aufstieg ist bis zum Firnfeld der Trotziglücke ausreichend weiss-blau-weiss markiert, ebenso die Verzweigung Grassen / Trotzigplanggstock. Man könnte sich also kaum verlaufen, würde man denken. Von den westlichen Gratfelsen des Murmetsplanggstock her hören wir Stimmen. Es ist die andere Zweierseilschaft, die vor uns aufgebrochen ist. Auf dem Firnfeld holen sie uns wieder ein. Als sie uns bemerkt hatten, war ihnen klar geworden, dass sie sich verstiegen hatten.
 
Kurz vor der Trotziglücke auf 2760 m Höhe machen wir Rast und seilen uns an. Ich lasse mich von Matthias überzeugen, meinen Knien zuliebe gleich zu Beginn die Schuhe zu wechseln und in den Finken zu klettern. Seit einigen Monaten plagen mich, vor allem nach einem steilen Abstieg, lästige Knieschmerzen. Möglicherweise hatte ich mich zu früh darüber gefreut, dass ich wieder – wie vor mehr als 30 Jahren – ohne Wanderstöcke unterwegs bin. Und noch vor einem Jahr erklärte ich trotzig: „In den Finken klettere ich erst, wenn ich einmal alt bin und nicht mehr mag.“ Nun scheint dieser Zeitpunkt gekommen zu sein. Bereits im letzten Herbst an der Schafbergkante habe ich mich erstmals von den Vorzügen der Kletterfinken überzeugen können. Lieber Genuss als Qual und die Ambitionen nicht allzu hoch schrauben!
 
Obwohl wir nach ihnen beim Einstieg angekommen sind, lassen uns die andern grosszügig den Vortritt. Matthias steigt bis zum ersten Bohrhaken hinauf und baut mit einem zweiten Fixpunkt einen improvisierten Stand. Hier, noch im Schatten des Grates, beginnt die eigentliche Kletterei. Am Ende der Seillänge befinden wir uns in der Sonne und ein gutes Stück über dem Einstieg. Stets den Gratfelsen entlang geht es hinauf. Bequem kann ich nachsteigen und wenn ich jeweils bei Matthias ankomme, hat er, bevor ich Luft geholt habe, mich bereits mit dem Mastwurf am Stand gesichert und alles Material, das ich ausgehängt habe, wieder zu sich genommen. Weder um Standsicherung noch um Routenfindung brauche ich mich zu kümmern. Wellnessklettern pur!
 
So geht es Seillänge um Seillänge. Nach kurzer Zeit ist er jeweils verschwunden hinter den Felsen, die sich in scharfem Kontrast vom tiefblauen, wolkenlosen Himmel abheben und ins Unendliche zu führen scheinen. Während ich langsam das Seil ausgebe, lasse ich mich von der Bergkulisse verzaubern. Neben mir fallen die Felsen fast senkrecht hinab zum blendend weissen Wichelplanggfirn, der umrahmt wird von unzähligen andern schroffen Felsen. Nach Westen ist der Blick frei Richtung Sustenpass und Gadmertal. Die vollkommene Stille der Natur ist überwältigend. Ich werde überschwemmt von einem Gefühl von Leichtigkeit, von grenzenloser Freiheit und von Dankbarkeit, so etwas erleben zu dürfen. Wäre ich kein eingefleischter Städter, würde ich jetzt jauchzen vor Freude.
 
Bedächtig und behutsam steige ich nach. Nicht immer finde ich auf den ersten Blick die besten Griffe, die in genügender Zahl vorhanden sind. Meistens sind sie so gross, dass die ganzen Finger hinter einer Felsschuppe Platz finden. Zudem sind sie fast immer derart stabil, dass man bedenkenlos mit dem ganzen Körpergewicht daran ziehen kann. Und auf dem rauen Fels haften die Kletterfinken wie ein Klettverschluss, so dass man, wenn kein passender Tritt in Sicht ist, getrost auch auf Reibung stehen kann. Keine Frage, der Grat ist überaus luftig. Lässt man sich davon nicht ablenken, kann man sich hier auch als Anfänger (unter kundiger Führung) durchaus wohl fühlen.
 
Eine kleine Herausforderung ist für mich jene Seillänge, bei der in die Scharte hinab geklettert werden muss. Von oben gut gesichert, suche ich einen Weg, wo man vermeintlich ins Bodenlose zu fallen droht, und hänge die Expressschlingen ein, die nachher Matthias als Sicherung dienen. Anschliessend geht es nochmals vier Seillängen auf dem schmalen Grat hinauf. Dann ist nach knapp drei Stunden der Genuss bereits zu Ende. Diesmal hat es kein einziges „Matthias, ziehen!“ gegeben. Das ist allerdings weniger meinen Kletterkünsten als vor allem der beschriebenen Beschaffenheit der Felsen zu verdanken.
 
Eigentlich wäre ich gerne noch ein Stück weitergeklettert. Grundsätzlich wäre das zu haben. Matthias kennt die Fortsetzung auf den Wichelplanggstock und weiss darum aus eigener Erfahrung, wie sehr sie sich in die Länge zieht. „Es wird auch deutlich anspruchsvoller“, meint er. So gebe ich mich lieber mit den gemeisterten elf Seillängen zufrieden und geniesse die kurze Gipfelrast. Nach Osten hin reihen sich, soweit das Auge in die Ferne reicht, unzählige unbekannte Gipfel. Im Westen grüssen die Berner Riesen: Finsteraarhorn, Schreckhorn, die Wetterhorn-Gruppe sowie der Mönch, den ich inzwischen auch aus nächster Nähe kenne.
 
Kurz nachdem die andere Seilschaft auf dem Gipfel angekommen ist, machen wir uns an den Abstieg. Im Unterschied zu den Wochenenden, wo oft grosser Andrang herrsche, ist es heute fast einsam. Es sind allerdings noch weitere Seilschaften unterwegs. Matthias hatte eine Gruppe von acht Personen gesichtet, als sie weit unten im Anmarsch waren. Ich sehe sie auch jetzt noch nicht, aber ich höre sie schreien und kommandieren. Es kommt mir vor, als würde für manche deutschen Bergsteiger und Bergsteigerinnen das laute Kommandieren, das von den Felswänden hallt, zu einer richtigen Bergtour einfach dazugehören.
 
Das erste Stück, bis wir zum Abseilstand kommen, klettern wir am kurzen Seil hinab. Dann lässt mich Matthias buchstäblich am Seil herunter. Das dreimalige Abseilen verkürzt den Abstieg beträchtlich. Es geht schnell und ist vor allem auch knieschonend. Die weitere Strecke, die wir hinunter zu laufen haben, ist gleichwohl lange genug. Schon auf dem Firnfeld machen mir meine Kniegelenke klar, wie wenig ihnen diese Art von Belastung behagt. Der Weiterweg wird zunehmend zur Qual und zieht sich in die Länge. Es ist halb drei, als wir endlich bei der Hütte ankommen. Der Rest bis zum Parkplatz, den wir nach einer ausgiebigen Pause unter die Füsse nehmen, ist weniger steil und angenehmer zu gehen. Anzumerken bleibt, dass ich das Risiko schmerzender Knie von Anfang in Kauf genommen hatte. Hätte ich deswegen auf eine solche Tour verzichten sollen? Die Schmerzen gehen vorbei, die schönen Erinnerungen bleiben.

Tourengänger: Fico


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Kommentare (1)


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Felix hat gesagt:
Gesendet am 8. November 2016 um 11:06
auch wenn dies nicht meine Welt ist - toller Bericht!


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