Die Vorzüge der Kletterfinken (Schafbergkante)


Publiziert von Fico , 1. November 2015 um 23:47.

Region: Welt » Schweiz » St.Gallen
Tour Datum:31 Oktober 2015
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: V (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-SG   Alpstein 
Zeitbedarf: 8:00
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Wildhaus, Post, Seilbahn zum Bergrestaurant Gamplüt
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Wildhaus, Post
Kartennummer:1115 (Säntis)

Vor drei Jahren sass ich mit zwei andern in der Seilbahn nach Gamplüt. Auf die Schafbergkante wollten die beiden. Ob ich schon einmal dort war, fragten sie mich. Entsetzt wies ich den Gedanken von mir: „Klettern? Nein, das ist nichts für mich!“ Das war ein halbes Jahr, bevor ich mich für einen Tageskurs im Klettergarten anmeldete. Eigentlich mehr aus Neugierde. Inzwischen ist das Unvorstellbare Wirklichkeit geworden.
 
Es wäre wieder einmal Zeit für eine gemeinsame Tour schrieb mir Philippe vor zwei Wochen. „Zum Beispiel die Schafbergkante.“ Ohne lange zu überlegen, willigte ich ein und antwortete: „Wann würde es Dir denn passen?“ Am letzten Oktoberwochenende, falls das Wetter mitmacht, wollten wir es wagen. Zwei Tage vorher telefonierte ich nochmals mit ihm. Er sei noch ein bisschen erkältet, aber bis am Samstag sollte es wieder gut sein.
 
Am Morgen beim Einstieg sind wir mehrere Seilschaften: eine ist vor uns angekommen, eine ist hinter uns und eine weitere bereits weit oben in den Felsen. Da ich beabsichtige, die Tour in den Bergschuhen zu machen, haben wir es so eingeteilt, dass Philippe jeweils die schwierigeren Seillängen vorsteigt. Einer von der Dreierseilschaft hinter uns trägt ebenfalls schwere Bergschuhe. „Im nächsten Sommer muss ich ja auch wieder in den Bergschuhen klettern!“, verkündet er mit geschwellter Brust. Wir lassen der Dreierseilschaft den Vortritt. So klebt uns niemand an den Fersen. Für die erste Seillänge brauche ich ziemlich viel Zeit: Zu lange bleibe ich in der breiten Einstiegsrinne und muss wieder zurück, dann kann ich mich rechts in der schmalen Rinne, wo es hoch geht, nicht durchzwängen und muss zuerst den Rucksack abnehmen. Beim Stand treffe ich den andern wieder. Die Schuhe hat er bereits gewechselt. Nach der zweiten Seillänge seilen ihn die andern in die Schlucht ab. Vermutlich hat er sich alles ganz anders vorgestellt.
 
Die zweite Seillänge, die Philippe vorsteigt, hat es tatsächlich in sich. Mühsam quält er sich hoch. Noch mehr Schwierigkeiten habe ich mit den Bergschuhen nachzusteigen. Inzwischen ist eine weitere Seilschaft eingetroffen. Zwei alte, erfahrene Bergsteiger, die alle andern überholen. Bis ich beim zweiten Stand ankomme, hat sich bei mir die Einsicht durchgesetzt: Es hat keinen Sinn, mir das Leben unnötig schwer zu machen. Ich ziehe die Kletterfinken an, verstaue die Bergschuhe im Rucksack und nehme leichtfüssig die dritte Seillänge in Angriff. Was für ein Genuss! Vorher allerdings machen wir noch Mittagspause. Es ist zwölf Uhr, volle zwei Stunden haben wir für die ersten beiden Seillängen gebraucht. Von nun wird es schneller gehen. Das hoffen wir zumindest.
 
Die Schafbergkante zieht in mehreren Buckeln in die Höhe. Nach einem Aufschwung folgen meist ein eher flaches Gratstück und danach ein kleiner Abschwung, bevor es wieder steil hinauf geht. Auch die Schlüsselseillänge beginnt in einer schmalen Scharte, in die man gelangt, nachdem man rechts um einen markanten Felskopf herumgeklettert ist. Hier besteht eine Fluchtmöglichkeit, um die Tour vorzeitig zu beenden. Vielleicht wäre es vernünftiger, wenn wir diese Möglichkeit nutzen würden. Einen Versuch wenigstens wollen wir machen, um die fast senkrechte, mehr als zehn Meter hohe Wand zu erklimmen. Alles Weitere wäre dann vergleichsweise einfach und damit schneller zu bewältigen, denken wir uns.
 
Die Bohrhaken folgen dicht aufeinander, so dass ich Philippe gut sichern kann. Das Seil ist straff gespannt. Dennoch zögert er. Mehrmals ermuntere ich ihn nicht aufzugeben. Viel fehlt nicht mehr. Auf einmal hat er es geschafft und ist oben. Nun brauche ich bloss noch nachzusteigen, was einfacher gesagt als getan ist. Meine Armkraft reicht nicht, um vom Tritt aus, auf dem ich unsicher und unstabil stehe, die entscheidende Höhe zu erreichen. Philippe gibt sein Bestes, um von oben her zu helfen und nach Kräften zu ziehen. Es nützt alles nichts. Immer wieder bin ich am selben Punkt oder sogar noch ein Stück weiter unten. Es ist zum Verzweifeln! Endlich kommt mir die rettende Idee: Eine Bandschlinge, die ich am Klettergurt habe, kann ich mit der linken Hand in den Karabiner der Expressschlinge hängen, während ich mich mit der rechten Hand an den Fels klammere. Diesmal gelingt es. Erleichtert klettere ich zum nächsten Stand.
 
Nach der Schlüsselseillänge müssen wir uns zuerst ein bisschen erholen. Nur kurz, denn immer mehr wird die zerrinnende Zeit zum Problem. Die Sonne steht bereits ziemlich tief. Die nächste Seillänge ist zwar technisch nicht besonders schwierig, aber ich brauche einige Zeit, bis ich die richtige Route gefunden habe. Nach dem nächsten Stand folgt eine „giftige, kleine Verschneidung“, wie es im SAC-Kletterführer heisst. Es ist für uns fast eine Wiederholung der Schlüsselseillänge. Philippe kommt nur noch mit grosser Mühe voran und erliegt beinahe der Versuchung aufzugeben. Die Müdigkeit steht ihm ins Gesicht geschrieben. „Nur noch einen Meter, dann bist du bei der Legföhre, dann hast du es geschafft!“, versuche ich ihn anzufeuern. Nicht weniger Schwierigkeiten habe ich dann beim Nachsteigen, rutsche auf einem abgespeckten Tritt immer wieder ab und muss erneut eine Bandschlinge zu Hilfe nehmen.
 
Anschliessend geht es fünfzig Meter auf abschüssigen, grasigen Bändern weiter. Ein einziger Bohrhaken an einem Felsen dient als Sicherungsmöglichkeit. Zum Glück hat es weiter vorn eine Legföhre, an der ich eine Bandschlinge als zusätzlichen Sicherungspunkt anbringen kann. Vor dem nächsten und letzten Aufschwung befindet sich der Stand. Als Philippe dort ankommt, sagt er zu mir: „Nur eine Bitte habe ich: Könntest Du auch noch die nächste Seillänge vorsteigen? Ich mag nicht mehr.“ Vom Tal her hört man eine Kirchenglocke. Sie schlägt fünfmal. In wenigen Minuten wird die Sonne untergehen.
 
Zum Überlegen bleibt mir keine Zeit. So rasch es geht, klettere ich weiter. Nach dem kurzen Aufschwung wird es bedeutend flacher. Das Seil kann ich kaum mehr nachziehen. Zuviel Reibung. Vielleicht ist es auch die Müdigkeit, nach sieben Stunden in den Felsen. Bei einer Legföhre setze ich mich hin, befestige um zwei Äste je eine Bandschlinge, so dass ich zwei Fixpunkte habe, und rufe: „Philippe, Stand!“ Er verkürzt das Seil, kommt nach und klettert an mir vorbei bis zum Einschnitt, wo wir die Abseilstelle vermuten. Noch rechtzeitig, bevor es dunkel wird, finden wir sie. Dann seilen wir im Schein der Stirnlampen gegen Norden ab. In eine gähnende, schwarze Tiefe wie eine Höhle. Und in der bangen Hoffnung, auch den zweiten Abseilstand zu finden.
 
Sehr erleichtert sind wir, als wir nach der zweiten Abseillänge unten auf einer steilen Grasflanke ankommen und die Wegspur sehen, die von dort wegführt. Inzwischen herrscht völlige Dunkelheit. Nun nur noch das Seil aufnehmen und die Schuhe wechseln. Dann nehmen wir mit der nötigen Vorsicht den Abstieg unter die Füsse. Nach kurzer Zeit erreichen wir den Wanderweg. Weit unten ist das Licht des Berggasthauses Gamplüt zu sehen. Beeilen müssen wir uns nicht mehr. Es ist ohnehin längst Nacht geworden und in Wildhaus fährt das Postauto auch noch zu später Stunde.
 
Die Seilbahn ist nicht mehr in Betrieb, aber das Restaurant hat noch geöffnet. Der Wirt setzt sich zu uns. „Was nur drei Seilschaften beim Einstieg? Das ist wenig, oft stehen sie dort Schlange“, meint er. Auch die REGA sei regelmässig da und hole die Leute, die nicht mehr weiterkommen, aus der Schafbergwand. „Manchmal sogar zweimal am gleichen Tag.“ Sowas ist uns zum Glück erspart geblieben. Wir haben aus eigener Kraft die unvergessliche Tour erfolgreich zu Ende gebracht. Abends um halb neun sind wir wieder in Wildhaus. Zwölf Stunden nach unserer Ankunft am Morgen. Drei Minuten später fährt das Postauto. Wie er mir erzählt, klettert auch Philippe erst seit etwas mehr als zwei Jahren. Wir sind somit beide eigentlich noch Anfänger. Er ist ungefähr halb so alt wie ich. Sehr froh und dankbar bin ich, dass ich jemanden gefunden habe, mit dem ich meine Abenteuerlust teilen kann.

Tourengänger: Fico, Philippe_Daniel


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Kommentare (2)


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Felix hat gesagt:
Gesendet am 2. November 2015 um 09:39
unglaublich - faszinierend deine Schilderung, und ehrlich - und eine unvorstellbare Leistung; Gratulation!

lg Felix

Dolomito hat gesagt:
Gesendet am 17. Juni 2018 um 11:15
Interessante Beschreibung, hat mir gefallen. Wir (6ältere Herren) waren am letzten Freitag an der Kante. Schöne, rechte anstrengende Tour. Die Schlüsselstelle ist ohne Textilgriffe doch recht kräfteraubend.
LG Dolomito


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