Der Gotthard, historisches Schwergewicht unter den Alpenübergängen


Publiziert von Frankman , 3. Oktober 2014 um 16:12.

Region: Welt » Schweiz » Uri
Tour Datum:28 September 2014
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TI   CH-UR   Gruppo Pizzo Centrale   Gruppo Pizzo Lucendro 
Zeitbedarf: 8:00
Aufstieg: 700 m
Abstieg: 1000 m
Strecke:Andermatt, Hospental, Gotthardpass, Airolo
Zufahrt zum Ausgangspunkt:SBB und MGB Göschenen- Andermatt
Zufahrt zum Ankunftspunkt:SBB Airolo
Kartennummer:Kümmerly+Frey 19 Gotthard

Der Gotthard, historisches Schwergewicht unter den Alpenübergängen
Eine unüberschaubare Anzahl von Beschreibungen über den Mythos Gotthard findet sich in der Literatur oder im Netz. Strapazen und Sehnsüchte sind untrennbar mit dem Namen Gotthard verbunden. Millionen von Reisenden haben den Gotthard schon überquert. Doch wenn man dann zu Fuß den Gotthard überschreitet, ist man plötzlich wieder ganz allein.
Mit der SBB und der MGB erreicht man Andermatt. Eine Runde durch das Dorf macht einem die Bedeutung Andermatts in der schweizer oder europäischen Verkehrsgeschichte deutlich. Nur schwer vorstellbar, wie sich in früheren Zeiten Reisende in Andermatt für die Fahrt über den Gotthard, den Oberalppass oder die Furka auf den Weg machten. Auch James Bond fuhr in den Anfangsszenen von „Goldfinger“ durchs Urserental. Mehrere Häuser schmücken sich zudem mit der Anwesenheit von Goethe, der Andermatt auf dem Weg nach Italien offensichtlich ins Herz geschlossen hatte. „An der Matte trefflicher Käs, Sauwohl.“ Dieses Urteil hat Johann Wolfgang von Goethe am 21. Juni 1755, während der Einkehr beim „Tallman Caspar Antony Meyer Drey Königswirt in Ursern an der Math“ seinem Reisetagebuch anvertraut, nachdem er die Schöllenenschlucht zu Fuß und „mit Not und Müh und Schweiss“ glücklich überwunden hatte.
Den Goethe-Pathos hinter sich lassend führt der Wanderweg Richtung Hospental unter der Bahnlinie und der Ortsumgehungsstraße ans Reussufer. Im Talgrund des Urserentals beeindruckt das 360° Panorama. Der Blick schweift vom Urnerloch, dem Abstieg in die Schöllenenschlucht, über einen bergwärts fahrenden Zug der FO, den Bannwald am Gemsstock, der schon vor 35 Jahren in meinem Schulbuch erwähnt war bis hinauf Richtung Furkapass.
Von dieser Lage war wohl auch der ägyptische Investor beeindruckt, der den gesamten Talgrund zur Luxus-Golfanlage samt Hotels und Apartmenthäusern umgestaltet und dem Urseren ein neues Gesicht verpassen will. Welche negativen Auswirkungen dieser Eingriff in die gewachsene Struktur der Talschaft bringt, wird schnell durch die unzähligen Verbots- und Hinweisschilder deutlich. Hier werden Wanderer und Radfahrer vor der illegalen Benutzung der Golfwege gewarnt, dort müssen Passanten fürchten, von Golfbällen getroffen zu werden – sie sollen sich deshalb zügig durch die Gefahrenzone bewegen und grundsätzlich ist das Betreten der Anlage strengstens verboten. Die Wortwahl erinnert an die Beschilderung der innerdeutschen Grenze, einzig der Schusswaffengebrauch wird (noch) nicht angedroht.
Erst kurz vor Hospental verschwinden die „Andermatt Swiss Alps“ Schilder und die Blicke und Gedanken richten sich wieder auf das Wesentliche des Tages aus.
Hospental wird dominiert von der Pfarrkirche und dem mächtigen Wehrturm. Eigentliches Highlight ist aber die kleine Kapelle im oberen Dorfteil. Die Inschrift links und rechts des Eingangs beschreibt eindrücklich die besondere Lage des Dorfes am Fuß von Gotthard und Furka.
 "Hier trennt der Weg,
o, Freund, wo gehst du hin? 
Willst du zum ew´gen Rom hinunterziehn,
hinab zum heil`gen Köln,
zum deutschen Rhein,
nach Westen weit
in`s Frankenland hinein?"

 
Unmittelbar nach Überquerung der Passstraße am Kreisverkehr beginnt der eigentliche Anstieg zum Gotthard. Erst auf einigen Serpentinen der alten Gotthardstraße, dann auf einem unterhalb der neuen Gotthardstraße verlaufenden Wanderweg, begegnet man wieder dem „Mythos Gotthard“ für die frühen Italien-Reisenden. Immer auf Tuchfühlung mit dem Straßenverkehr steigt der Weg über die erste Steilstufe aus dem Urserental hinauf. Bei der Wasserfassung am P. 1620, Gamssteg,  weitet sich dann der Blick über Mätteli bis zum Brüggloch, der Kantonsgrenze Uri – Ticino. Orientieren kann man sich an der Lüftungsanlage des Straßentunnels, die wie eine Kathedrale aus dem Talgrund herausragt. Immer wieder geht man auf Teilen des mittelalterlichen Saumpfades, der teilweise mit großen Flusskieseln befestigt ist. Die Beschilderung ist anfangs etwas dürftig. Solange man die Gotthardreuss nicht überquert, ist man aber auf dem richtigen Weg. Der Wanderweg verläuft bis zum Brüggloch soweit unterhalb der vielbefahrern Passstraße, dass der Lärm kaum stört. Lediglich Motorradfahrer, die ihre Maschinen jenseits der 20000 U/min Marke auf den Pass heizen und knatternde Chopper sind nervig. Direkt am Brüggloch führt der Wanderweg unter der Passstraße hindurch auf den Grenzstein Uri – Ticino zu. Von nun an hat man die Passhöhe im Blick. Zwischen der in einer Galerie verlaufenden Passstraße und Gotthardreuss steigt der  Weg nur noch leicht. Auch hier erkennt man regelmäßig Reste des mittelalterlichen Saumpfades, der, laut einem etwas versteckten Hinweisschild, vom Auszubildenden des Kantons Luzern als Wanderweg hergerichtet wurde. Ein gutes Projekt zur Schulung der Wertschätzung der Natur und der Sozialkompetenz. Die letzten Höhenmeter führen über glattgeschliffene Felsplatten, die deutlich machen, dass die letzte Eiszeit in dieser Höhe noch nicht allzu lange zurückliegt. Direkt an der Passhöhe treffen Wanderweg, Pflaster- und Passstraße aufeinander. Bis zum Ospizio,  am Lago di Piazza entlang spielt sich der Trubel der Passhöhe ab. Sobald man zwischen Museum und Albergo Gottardo die Straße Richtung Tremolaschlucht einschlägt, kehrt wieder Ruhe ein. Unmittelbar vor dem ersten Steilabfall in die Tremola liegen 3 Generationen Gotthardstraße im Blickfeld. Die vierte und aktuell jüngste Generation verläuft knapp 1000 m tiefer im Berg.  Der Wanderweg führt oft von Serpentine zu Serpentine der Tremola entlang und steigt schnell ab. Einige Stellen auf dem teilweise abgerutschten Wanderweg sind bei Nässe mit Vorsicht zu begehen.
Mehrere Old- und Youngtimers rufen die Bilder aus den 50er Jahren in Erinnerung. Weiß dampfende Kühler waren damals oft Grund für unfreiwillige Zwischenstopps auf der Gotthardroute. Bei der Lüftungsanlage oberhalb der Festung Motto Bartola verlässt der Weg die Schlucht. Das weite Valle Leventina begrüßt den Wanderer mit dem Gefühl, es geschafft zu haben. Festungs- und Bunkeranlagen zeigen erneut die Bedeutung des Gotthards für die Schweizer Nationalverteidigung. Ein schöner Aussichtspunkt befindet sich auf dem Dach eines Bunkers kurz unterhalb von Motto Bartola. Von hier erkennt man den fast schon obligatorischen Stau am Südportal des Straßentunnels ganz deutlich. An jenem Sonntag reichte der Stau bis hin zur Raststätte bei Ambri-Piotta. Eine knappe gemütliche Stunde später erreicht der Wanderweg Nr. 77 Via Gottardo Airolo. In Gegensatz zum Weg Nr. 2  TransSwiss Trail schlängelt sich der Gotthardweg durch den alten Ortskern von Airolo und an der schönen Pfarrkirche entlang. Unmittelbar am Bahnhof treffen  alle Verkehrswege über oder durch den Gotthard wieder zusammen. Im Stundentakt geht’s von Airolo entweder weiter Richtung Bellinzona und Locarno oder durch den Tunnel nach Norden Richtung Zürich und Basel.  Den Tag beschließ dann wieder Goethe, der den Gotthard in den Adelsrang erhebt: "der Gotthard ist zwar nicht das höchste Gebirg der Schweiz, und in Savoyen übertrifft ihn der Montblanc an Höhe um sehr vieles; doch behauptet er den Rang eines königlichen Gebirges über alle andere, weil die größten Gebirgsketten bei ihm zusammen laufen und sich an ihn lehnen.“ Genau!

Tourengänger: Frankman
Communities: ÖV Touren


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