Val Tremola ohne Zittern – Aller guten Dinge sind drei!


Publiziert von rojosuiza , 19. Dezember 2014 um 10:34.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Bellinzonese
Tour Datum:12 Dezember 2014
Schneeshuhtouren Schwierigkeit: WT2 - Schneeschuhwanderung
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TI   CH-UR   Gruppo Pizzo Centrale   Gruppo Pizzo Lucendro 
Zeitbedarf: 8:00
Aufstieg: 900 m
Abstieg: 600 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Zug nach Airolo
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Zug ab Hospental
Unterkunftmöglichkeiten:Airolo und Hospental (Pass im Winter ohne Winterraum)

 
Drei Winter hintereinander – drei Winter, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Beim ersten Besuch ist das obere Reusstal völlig verschneit, neben den Bahngleisen hängt und liegt und stapelt sich Eis; in Airolo, auf der anderen Seite des Gotthard-Tunnels ist dagegen der Frühling ausgebrochen! Ich komme bis zum Val Tremola, ein starker Wind geht dort, alles ist unpassierbar vereist, und vom Pass her dräuen schwer schwarze Wolken. - Im zweiten Jahr ist es umgekehrt: nur leicht weiss überzuckert das obere Reusstal; meterhoch auf den Dächern von Airolo aber der Schnee: grosse, weisse überhängende Wächten in strahlender Sonne. Ausserhalb des Ortes ist kein einziger Schritt möglich ohne Schneeschuhe. Wieder reicht es bis ganz zum Eingang der Tremola. Lawinenabgänge haben den Lauf der Strasse völlig verwischt, als ob es sie nie gegeben hätte; der Fluss ist nicht mehr sichtbar. Wie es dann noch vom Scimfuss her knallt und eine Lawine abgeht, kehrt rojosuiza zurück: Schlucht unpassierbar! – Ganz anders jetzt, im dritten Jahr: nur leicht gezuckert das Reusstal, Frühling im Süden in Airolo, also dieses Mal wird es gelingen müssen.
 
rojosuiza hat am Vorabend in Airolo übernachtet, im Sporthotel, das ihn liebevoll aufgenommen hat. Jetzt ist er deshalb früh dran. Der Faktor Zeit stimmt. Er macht sich wohlgemut auf direkter Linie auf zum Val Tremola. Der Faktor Ortskenntnis stimmt. Liegt die ganze Schlucht voll von Lawinen? – Nein! Auch der Faktor Schneezustand stimmt!
 
rojosuiza läuft auf dem Pfad der Tremola-Strasse Richtung Sankt Gotthard. Er gibt keinen Lochschnee, es gibt keinen Sulz, es gibt keinen Nassschnee und auch keinen übertiefen Pulverschnee. Die Oberfläche ist von der Natur präpariert wie eine Piste. Der Schuh dringt unmerklich ein, gerade recht, um guten Kontakt zu machen und um nirgends auch nur ansatzweise zu rutschen. Und so schön und leicht geht es weiter, selbst dort, wo man die Spitzkehren abschneidet und auf ein Einsinken nur wartet. Es geht ohne Gamaschen, die Jacke ist im Rucksack, die Schneeschuhe bleiben untätig.
 
Die Sonne scheint. In alle Richtungen ist der Himmel blau. Die Richtungsfindung ist kinderleicht. Schon bald kommt der erste Markierungsstein, Ospizio km 5. Das freut rojosuiza ausnehmend, denn den kritischen Teil der Wanderung durch die Tremola, die untere Tremola,  hat er jetzt hinter sich – wenn bei diesen Verhältnissen von ‚kritisch‘ auch wirklich gar keine Rede sein kann. Jetzt kommen eine Menge angenehmer Serpentinen, von denen dann und wann ein paar abgeschnitten werden können. Die Sonne strahlt, rojosuiza fotografiert wie wild, weil es überall um ihn her so schön ist. Immer wieder staunt er über die Galerie der neuen Strasse gegenüber im Hang des Fibbia. So schön. Er kommt zu einem einsamen roten Wächter im Weiss: das ACS-Rettungstelefon. Wo er in der Nähe der Passhöhe im Schnee doch einmal fast den Weg verlieren wollte, helfen 4 bis 5 Meter hohe Metallrohre, an denen sich sonst im Frühling wohl die Schneefräsen orientieren. Dann ist rojosuiza oben, es ist noch nicht einmal Mittag, und er hat seine Marschtabelle perfekt eingehalten. Die Sonne lässt den Schnee gleissen, im Hospiz wartet der Cappuccino, kein Zweifel. Doch alle Vorstellungskräfte des einsamen Wanderers reichen nicht aus: die Kaffebar öffnet sich nicht,  die Cappuccino-Quellen wollen nicht fliessen. Alles ist dicht, kein offener Winterraum zu finden, und es herrscht ein furchtbarer, eisiger Wind, der einem den Flugschnee in alle Ritzen blasen möchte. rojosuiza möchte jetzt gern sein Gipfelmahl einnehmen, vorgesorgt hat er ja. In der Sonne wäre es heller, wärmer, schöner, doch so voll dem Wind ausgesetzt! Eine Rast hier ist unmöglich. Wo rastet der Bergheld also? Hinter dem Passhotel versteckt, im tiefsten Schatten, aber das dafür  etwas windgeschützt. Das Mahl, woraus besteht es? – Für mehr als einen Becher Joghurt reicht es nicht, schon wollen die Pfötchen abfallen! Und Hunger hat der Bergheld auch keinen, nur weiter will er, weg von hier, weg von der so herbeigesehnten Passhöhe. Das Gamaschenanlegen ist ein Trauerspiel, rojosuiza verliert die Sonnenbrille und die Finger wollen nicht mehr. Aber anziehen muss er sie jetzt wohl, da sie hier wahrscheinlich doch nötig werden, so wie der Wind den Schnee verfrachtet.
Die Handschuhe übergezogen, gerade bevor die Finger endgültig taub werden. Schon einmal fotografiert mit dicken Handschuhen an? Schon einmal fotografiert in gleissendem Licht, halbblind? – Auf dem Gotthard im Winter ist es gerne möglich.
Zum Abstieg folgt rojosuiza der neuen Strasse, die schnurgerade nach Norden führt und weiter vorn in einer Galerie verschwindet. Auch hier ist der Schnee so stabil und tragkräftig, dass Schneeschuhe überflüssig bleiben: rojosuiza trägt sie über den Berg, wie er auch die Steigeisen nicht nötig hat, aber auch sie mittragen muss.
 
Was ist das dort vorne, vor der Galerie? – Es scheint als… aber das gibt es doch nicht. Jemand hat hier gepflügt, am geschlossenen Pass, mitten im Winter! Vom Tal kommend, bis ein paar hundert Meter hinter der Galerie hat sich die Schneefräse die Strasse freigelegt. Das im Winter, ganz ohne Sinn und ohne Zweck. rojosuiza steigt hinunter vom Schnee auf die Nackte Strasse. Wie er unten steht, erreicht der Schnee seinen Ellenbogen. Plötzlich hört er Stimmen. Es redet in seinem Kopf! Von nirgendwo her. Er hört Stimmen, wo keiner ist und keiner sein kann. Der Höhenkoller hat eingesetzt!
 
Es ist kein Höhenkoller. Es ist doch einer da: rojosuiza trifft auf Strassenarbeiter mit einem Privatauto und… einer Schneeschleuder! Die machen Schneeschleuderspuren in den tiefen Schnee. Wozu nur? ‚Macht ihr mir einen Pfad?‘ will rojosuiza wissen. ‚Gewiss, dann geht Dir das Gehen leichter!‘
 
Wenig später ist rojosuiza ganz und gar nicht mehr allein. Er läuft durch das einsame gerade Tal der Gotthard-Reuss. Immer wieder erfreut ihn ein grosser Brummer in Knallrot, Knallgelb, Knallgrün oder Knall-Orange. Man holt Schnee vom Berg und rast damit hinunter ins Tal. Wofür? Wozu? – Wer kann es sagen. Die Leute sind verrückt geworden. Oder will man in Andermatt den Schnee aufstocken beim Chedi-Hotel?
 
Im Restaurant Krone gibt die Wirtin dann bereitwillig die Antwort: Schnee ist Handel. Man hat im Engelberg  zu wenig Schnee für einen Sportanlass. Und auf dem Gotthard gibt es welchen. Also exportiert man. Früher wertlos und lästig, gefährlich und tödlich – und jetzt: Weisses Gold! für die Leute aus dem Urseren-Tal.
 
Auch rojosuiza hat sein Weisses Gold gefunden und nippt zufrieden an seinem Milch-Kaffe in der Krone in Hospental. Tremolierend nach der Tremola! – Aller guten Dinge sind drei, juchei!
 
Airolo – Gotthardpass – Hospenthal: Schwierigkeit W2 (aber eigentlich auch T2, da die Schneeschuhe gar nicht zum Einsatz kommen). Essen und Trinken in Airolo und Hospenthal, dazwischen gar nichts… Die Cappuccino-Quellen sprudeln auf dem Gotthard nur zur Sommerszeit…

Tourengänger: rojosuiza


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