Grosse Sesvenna-Rundtour (mit zwölf 3000ern)
Lange Grattour im Unterengadin – ein Traum für Gipfelsammler
Morgens hochsteigen auf die Grathöhe und ihr dann folgen bis es Abend wird, Gipfel an Gipfel reihen, ganze Talkessel umrunden, den Wandel der Landschaft und des Lichtes geniessen – das ist Alpinwandern wie ich es am allerliebsten habe. Die heutige Rundtour ist etwas vom Strengeren was ich letzter Zeit gemacht habe: 3300 Höhenmeter Aufstieg, 33 Kilometer Strecke, 15 Gipfel, davon 12 über 3000 Meter. Der erste Eintrag in der Monstertour-Community, der über mehrere 3000er führt, und dazu noch die schnellste Tour, welche die darin gesetzten Kriterien erfüllt.
Eigentlich wollte ich diese Runde mit mindestens einer Biwak-Nacht (und ein paar Extensions) machen. Doch diesen Sommer gibt es kaum zwei schöne Tage am Stück. Als ich kürzlich den Eintrag von Bacillus zu einer 1-Tages ÖV Tour zum Piz Sesvenna gesehen hatte, wollte ich es auch versuchen, bzw. diese etwas ausdehnen. Aus dem Unterland kommt man allerdings frühestens um 9.15 nach S-Charl, womit das ÖV Zeitfenster schon arg kurz wird. Mit einem Abstieg nach Scuol kann man es aber auf 11 Stunden verlängern. Trotzdem liegt bei dieser grossen Runde kaum eine lange Rast drin, will man den letzten Zug erreichen. Während den 10 Stunden Marsch habe ich zwei Pausen à 5min und ein paar kürzere gemacht – und sonst durchgepowert! Es ist schon eindrücklich wie man auf solchen Touren ab einem gewissen Punkt in den „Flow“ kommt: Man spürt keine Müdigkeit, keinen Hunger und Durst mehr, und ist trotzdem total konzentriert, fühlt sich auch auf brüchigen Graten absolut sicher.
Meine Route folgt über rund 18 Kilometer dem Gratverlauf im Val S-Charl. Keiner der Gipfel erfordert einen Abstieg auf unter 2800 m.ü.M. Die Überschreitung ist nirgends schwierig, jedoch sind grosse Teile der Tour Kraxelgelände, die sicheres – und mit meinen Zeitlimitierungen – auch schnelles Gehen erfordern. Herzstück ist der erstaunlich zeitaufwändige Gratabschnitt zwischen Piz Sesvenna und Fuorcla Sesvenna über Foratrida und Muntpitschen – zwei 3000er, die auf Hikr bislang noch nicht beschrieben waren.
Piz Sesvenna über Piz Plazer (T5, WS, II)
Nach einer Anreise von >4 Stunden spuckt mich das Postauto in S-Charl aus und ich mache mich etwas zu schnell auf ins Val Sesvenna. Bald nach der Alp Sesvenna quere ich den Fluss und steige direkt, aber sehr effizient über die steilen Grashänge von Plattuns zum Mot da l’Hom – ein strenger Auftakt. Dort ist die „Reisehöhe“ erreicht. Für die nächsten 7 Stunden werde ich immer zwischen 2800 und 3200 m.ü.M. pendeln.
Der Grat zum Piz Plazer ist recht lange und weist viele kleine Kuppen auf, die alle überschritten werden. Steiler wird es erst beim letzten Aufschwung vor dem Gipfel (kurz T5, II). Abstieg über den Geröllgrat an den Aufstieg zum Piz Sesvenna. Auch dieser Grat ist nicht schwierig, erfordert an einigen Stellen aber etwas Kletterei und Gespür für den besten Weg (WS, II). Teilweise führt die Route über grosse Blöcke aus gutem Fels. Auf dem Gipfel hat sich zu meinem Erstaunen eine internationale Menschentraube zusammengefunden, weshalb es mich nach dem einsamen Aufstieg nicht zu lange dort hält.
Foratrida – Muntpitschen (T5, WS, II)
Der Abstieg vom Piz Sesvenna ist mit italienischen rot-weiss Markierungen gekennzeichnet und windet sich teils mit etwas Kletterei sehr schön um riesige Felsblöcke. Der Aufschwung zur Foratrida ist recht steil und wird etwas linkshaltend umgangen (kurz etwas Kletterei, II). Abstieg über den breiten Schuttgrat zu den auffälligen Türmen, die überschritten oder nahe ihrer Spitze umgangen werden. Auch hier ist die Route klettertechnisch nicht anspruchsvoll, führt aber ohne Unterbruch durch Blockgelände, wo man seine Schritte sorgfältig wählen muss um nicht eine Felsspalte abzuknicken. Beim Aufstieg zum Muntpitschen gibt es einige steilere Stellen (II), die zumindest teils auch umgehbar sind. Auf der italienischen Seite wird soeben ein „sentiero“ markiert... Auf dem Gipfel ein pompöses Kreuz und ein nasses Gipfelbuch. Der Abstieg vom Muntpitschen ist nicht ganz einfach und bereitet mir schon aus der Ferne etwas Kopfzerbrechen: Zuerst in der Westflanke nahe des Grates zu einer Schulter. Dann hält man sich an den Grat und durchquert die Platten auf Bändern und kleinen Absätzen. Eine Stelle ist relativ exponiert (WS, II). Dann wird der Grat einfacher, zieht sich aber weiterhin extrem in die Länge und erfordert Trittsicherheit. Über den Fernerspitz (Geröll, T4) schliesslich zur Fuorcla Sesvenna.
Piz Cristianas – Piz da l’Aua (T4)
Das Umstellen vom Kraxeln der letzten drei Stunden auf einen Wanderweg fällt mir schwer und bis zum Schadler muss ich mich etwas quälen. Dann läuft es aber wieder wie von selbst und es geht über den Piz Rims, den Piz Cristianas zum Piz d’Immez. Auf dem nicht markierten aber deutlichen Weglein hat es erstaunlich viele Wanderer – ich treffe gegen zwei Dutzend Leute an. Mit einem davon, ein Hikr-Leser, komme ich ins Gespräch und wir amüsieren uns beide köstlich über seine spontane Reaktion als ich mich zu erkennen gebe: „De Delta! Läck, du bunte Hund!“. Beim Lajet da Lischana gibt es das einzige Mal die Gelegenheit etwas Wasser nachzufüllen. Dann über etwas mühsames Geröll zum Piz Cotschen und im immer schöner werdenden Abendlicht über die beiden Gipfel des Piz dal’Aua. Die Mondlandschaft ist einfach unglaublich schön und hinter jeder Geländekante immer wieder eindrücklich.
Traverse Piz Son Jon (T5, WS, II)
Schon etwas dreist um 16.45 Uhr zur Traverse der drei Gipfel des Piz Son Jon zu starten, einem wilden und langen Kalkgrat, den alle meine Vor-Hikr als Ganztagestour gemacht haben. Doch diesen krönenden Abschluss wollte ich mir nicht nehmen lassen. Ausserdem war ich immer noch genau in meinem optimalen Zeitplan. Die ersten Spitzen umgehe ich hart an ihren Wänden auf der Ostseite. Das Gelände ist zwar sehr unzuverlässig und offenbar gab es verschiedene Felsausbrüche vor kurzer Zeit. Doch im feuchten Sand lassen sich die Hänge effizient queren und schnell stehe ich am von weitem kaum passierbar erscheinenden Aufschwung zum Gipfelplateau. Tatsächlich führt aber eine Geröllverschneidung leicht rechts des Grates recht einfach hinauf. Nach etwa 30 Höhenmetern kann man links aussteigen (Steinmann). Dann einfach zum höchsten Punkt des Son Jon Dadaint.
Wenn ich nicht mit Anspannung und im Speed-Jet unterwegs gewesen wäre, hätte mir der anschliessende Grat vielleicht mehr Schwierigkeiten bereitet. So aber fliege ich über die Gratzacken und Bänder der Westseite in 20min zum Piz Son Jon d’Immez. Das Gelände ist steil und der Fels brüchig. Trotzdem ist die Routenfindung erstaunlich offensichtlich (ab und zu Steinmänner) und nur stellenweise ausgesetzt (WS, II). Den Gipfelkopf umgeht man links um dann zum höchsten Punkt zu steigen. Der Abstieg in die tiefe Scharte (das Ende Abstiegscouloirs zur Lischanahütte) ist steil und wegen des splittrigen Gesteins besonders am Schluss etwas heikel (geht gegen T6). Von der Scharte hält man ganz an den senkrechten Aufschwung und kann dort in einer Rinne etwa 20 Höhenmeter nach Westen absteigen. Anschliessend über plattigen Fels und Geröll immer leicht links haltend zum höchsten Punkt des Piz Son Jon Dadora, teils mit etwas Kletterei (II). Ich verzichte bis zum Gipfelsignal, das auf dem etwas niedrigeren Vorgipfel steht, zu gehen.
Falls ich das Couloir am Piz Son Jon nochmals begehen sollte, dann sicher wieder im Abstieg. Der Aufstieg muss grauenvoll sein. Runter fliegt man im rutschfreudigen Geröll und nach weniger als 10 Minuten stehe ich auf der grünen Wiese bei der Lischanahütte. Der Weg nach Scuol ist dann lang und geht ganz schön in die Beine, vor allem, wenn man den Zug erwischen will. Auch der Gegenaufstieg zum Bahnhof kostet nochmals etwas Zeit, für die vom Abstieg verhärteten Muskeln aber fast eine Wohltat. In 100 Minuten vom Piz Son Jon Dadora zum Bahnhof – wenn man auf die 2000 Höhenmeter über Scuol thronenden Kalkzacken zurückblickt, erscheint einem das fast ein Ding der Unmöglichkeit.
Durchgangszeiten:
S-Charl: 9.20
Muot da l’Hom: 10.50
Piz Sesvenna: 12.20
Fourcla Sesvenna: 14.05
Piz d’Immez: 15.30
Piz Son Jon Dadora: 17.40
Scuol Bahnhof: 19.20
Hike partners:
Delta
Communities: Monstertouren
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