Piz Bernina 4049m (Biancograt), Piz Palü 3900m (Überschreitung)


Publiziert von Bombo , 6. Juli 2008 um 17:33.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Berninagebiet
Tour Datum: 4 Juli 2008
Hochtouren Schwierigkeit: ZS
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR   Piz Bernina   Bernina-Gruppe   Palü-Gruppe   I 
Zeitbedarf: 3 Tage
Aufstieg: 2600 m
Abstieg: 1450 m
Strecke:Pontresina - Tschiervahütte - Biancograt - Pizzo Bianco - Piz Bernina - Rif. Marco e Rosa - Bellavista-Terrasse - Piz Spinas - Piz Palü - Bergstation Diavolezza
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Pontresina - Chamanna da Tschierva CAS 2584m
Unterkunftmöglichkeiten:Chamanna da Tschierva CAS 2584m, Rif. Marco e Rosa CAI 3597m, Berghaus Diavolezza 2973m
Kartennummer:LK 1:25'000, Bl 1277 "Piz Bernina"

"Biancograt, Piz Bernina, Palü-Überschreitung - Ein Traum wird Realität"


Vorwort

Exakt vor einem Jahr wanderte ich mit Simon von Pontresina durch das Val Roseg zur Coaz Hütte, von wo wir das Gletscherparadis des Berninamassives bestaunten. Der Biancograt, die wohl schönste "Himmelsleiter" im Alpenraum tronte nebst dem Piz Bernina hoch über den Eismassen und ich sagte zu Simon: "Simon, da will ich auch mal stehen. Irgendwann, irgendwann realisiere ich diesen Traum."

Ein Jahr ist es nun her. Einige Wanderungen, viele Skitouren, ein paar wenige Kletterrouten und eine Handvoll Hochtouren - mein Palmarès lässt sich sicherlich noch nicht so zeigen, wie dasjenige von anderen Hikrs, aber seit gestern bzw. vorgestern beinhaltet es etwas, woran ich mein ganzes Leben zurückdenken werde und wo ich mit viel Emotionen sagen darf: Ich habe einen für mich beinahe unrealistischen Traum verwirklicht. Biancograt, Bernina, Palü - das sind nicht einfach Namen, Gipfel oder Bezeichnungen - das ist etwas im Leben, was sich nur schwer in Worten auszudrücken vermag.


Tag 1 (3. Juli 2008)

Beim Bhf Pontresina bei den Langzeit-Parkplätzen parkiert und bei schönem Wetter rein ins Val Roseg. Die Flora und Fauna im Engadin überrascht mich jedes Mal auf's Neue - angetan bin ich wie immer vorallem bei der Beobachtung von Tieren. Vor einem Jahr bereits überraschte uns ein Tannenhäher, welcher nur 2 Meter entfernt uns Gesellschaft leistete. Überraschenderweise durften wir auch dieses Jahr wieder ein Exemplar dieses Rabenvogels, welcher im Volksmund auch "Nussrabe" (überhaupt nicht passend...) genannt wird, beobachten. Immer wieder einen Augenschein wert ist das Spiel der Eichhörnchen, welche gerade im Val Roseg zu Hauf vertreten und sich schon sehr an die Touristen gewöhnt sind. Scheinbar wissen diese Nager, was es bedeutet, wenn ein Wanderer den Rucksack abzieht - mit ein wenig Glück gibt's dann etwas zu fressen doch sei hier gesagt, dass das Füttern der Tiere untersagt ist.

Als wir uns langsam vom Tannenwald verabschieden, verabschiedete sich kontinuierlich auch die Sonne und machte dem von den Wetterfröschen prognostizierten Wolkengrau Platz. Hin und wieder ein kleiner Regenspritzer, dann wieder trocken und wo wir dann im Schlussaufstieg zur Tschiervahütte waren, entledigten sich die Wolken endgültig und sorgten so für einen Härtetest unser Alpinbekleidung. Gastfreundlich und sympathisch wurden wir in der Tschiervahütte 2584m empfangen, welche dank dem neuen Anbau einen super Komfort ausweist. "Wohin geht es morgen?" fragte uns die Hüttenwirtin. "Bernina". "Gut, Morgenessen ist ab 03.00 Uhr bereit". Somit wussten wir auch gleich, wann Tagwache ist und wie in etwa unser Zeitplan aussieht. Abendessen und sofort in die Heia, um wenigstens noch ein bisschen zu ruhen.


Tag 2 (4. Juli 2008)

03.00 Uhr Tagwache. Und schon wieder schaffte ich es nicht, in einer Hütte mit Mehrbett-Belegung zu schlafen. Wer um Himmelswillen hat eigentlich das Schnarcheln erfunden? Und warum eigentlich darf ich anderen nicht auch einmal eine schlaflose Nacht bescheren? Immer bin ich es, welcher von jedem einzelnen im Zimmer jede Stimm-Membrane kennt, der weiss, wie viele Atemzüge der links von mir macht und welcher Schnarch-Takt der rechts von mir eingeschlagen hat. Ich fühlte mich einmal mehr wieder wie ein Dirigent, der seine Musiker nicht im Griff hatte. Egal, Tagwache heisst aufstehen und bereit sein für neue Taten.

Die erste Tat war jedoch alles andere als erfolgsversprechend. Draussen gewitterte es noch immer, düstere Wolken trübten die sonst schon sehr dunkle und "mondlose" Nacht. Das Morgenessen glich mehr einem Leichmahl - es wurde wenig gesprochen und die Vorfreude auf die bevorstehende Tour musste sichtlich in den verschlafenden Augen der Frühaufsteher gesucht werden. Für uns war klar, dass wir mind. bis 04.00 Uhr zuwarten und dann die Situation nochmals neu prüfen - wie schön doch diese Stunde schlafen für mich war - endlich durfte auch ich vor mich hin schlummern.

04.00 Uhr - zweite Tagwache. Dunkel war's logischerweise noch immer, aber wenigstens trocken und dank den sichtbaren Sternen durfte wohl das Gewitter vorbei sein. Um 04.40 Uhr verliessen wir die Hütte und folgten den etwas zu zahlreich vorhandenen und leicht verwirrenden Steinmannlis. Obwohl wir uns das Foto in der Hütte, wo der neue markierte Weg bis zum Klettersteig eingezeichnet war, eingeprägt hatten, standen wir doch plötzlich unten bei der Gletscherzunge des Tschiervagletschers. Entsprechend mussten wir steil über loses Geröll aufsteigen, was nicht nur einiges an Zeit sondern auch an wichtiger Energie in Anspruch nahm. Dafür aber standen wir dann wieder auf dem richtigen Weg, welcher uns zum Klettersteig zur Fuorcla Prievlusa 3430m führte.  Dem Nachahmer sei deshalb geraten:  anfangs immer schön den Steinmannlis oder den reflektierenden Leutplatten nach - wer bis zum Klettersteig diese Spur verliert geht am besten zur letzten Markierung zurück - keinesfalls hinunter richtung Gletscher steigen, tendenziell immer möglichst weit oben bleiben.

Der Klettersteig ist gut angelegt, hätte es nicht ständig hinuntergetropft, wäre die ganze Angelegenheit wesentlich angenehmer gewesen. Bei einzelnen Stellen benötigt es Konzentration und Trittsicherheit, meistens sind aber genügend Eisenstangen vorhanden. Bei der Fuorcla Prievlusa 3430m angelangt geht die Kletterei erst richtig los. Steil, jedoch mit Bohrhaken abgesichert, klettert man im mehr oder weniger festen Fels dem Grat entlang, wo man nicht selten viel Luft unter den Füssen hat. Zuoberst angelangt wechselt man die Seite und steht sodann ostwärts in der Firnflanke. Den Felszacken vor dem Biancograt überklettert und schon steht man vor dem weltbekannten und traumhaften Biancograt (romanisch: Crast' Alva). Emotionen pur. Ich spürte, wie mir das Tränenwasser in die Augen stieg - für einen "Nicht-Alpinistenr" wahrscheinlich unverständlich. Der erste Eindruck ist schlichtweg beeindruckend. Wie steil dieser Grat sich nur in den Himmel zieht! Dafür aber ist er wesentlich breiter, als ich es mir vorgestellt habe. Und nun war er da, dieser Moment, worauf wir solange gewartet haben. Endlich durften wir diese Himmelsleiter betreten.

Mit den Steigeisen und dem Pickel erobert man in gutem Trittschnee Höhenmeter für Höhenmeter. Die Atemzüge werden schwerfälliger, das emotionelle Tränenwasser schwindet schon gar nicht mehr aus den Augen. Es folgt ein flächeres Gratstück, bevor's dann nochmals steil auf den Pizzo Bianco / Piz Alv 3995m führt. Der Gipfel selbst ist eher flach und geht im Augenschein des vor einem auftauchenden Piz Bernina 4049m ein wenig unter. Wer nämlich diesen Gipfel vor sich sieht, der vergisst alles drum herum und fragt sich nur noch, wie um Himmelswillen soll man dort hochkommen...

Jörg führte uns einmal mehr über die bevorstehende Felstraversierung, die anschliessende Abseilstelle in den Felssattel, den anschliessenden schwierigen Kletteraufstieg (III) auf den Turm und die erneute Abseilstelle auf den Fuss des Gipfelgrates. Diese Etappe, welche ich jetzt hier in sehr wenigen Sätzen erwähnt habe, war für mich etwas vom schwierigsten, was ich je gemacht habe und entsprechend froh war ich, als ich dann auf dem erwähnten Gipfelgrat stand. Dieser führt sehr steil und luftig auf den Piz Bernina 4049m, welcher oben flach, dafür aber auch sehr schmal ist. Ein Gipfelkreuz sucht man vergebens, der Platz dafür ist kaum vorhanden. Dafür aber findet man die Blechdose für das Gipfelbuch - leider ist die Dose aber leer. Der nächste Hikr bringt am besten ein Buch und Stift mit. 

Wo vor 158 Jahren der Vermesser Johann Coaz und die beiden Bündner Jon und Lorenz Ragut Tscharner das erste Mal überhaupt in der Alpingeschichte auf dem Gipfel standen, stehen nun Jörg, Roger und ich am selben Punkt. Das hört sich zwar nicht ganz so spektakulär an, doch bin ich mir sicher, dass wir uns mindestens so gefreut haben wie unsere Vorfahren und stolz auf diese Leistung sind wir ebenso. Ich für meinen Teil habe es auf jeden Fall noch nie erlebt, dass es mir auf einem Gipfel die Sprache verschlagen hat - die Emotionen gehen hier einfach mit einem durch. Warum auch grosse Worte verlieren, wenn der Moment sowieso unbeschreiblich ist.

Es folgte nun der Abstieg über den Spallagrat, welchen ich mir auch "schlimmer" vorgestellt habe. Guter Trittschnee und beste Wetterbedingungen sorgten jedoch für einen sicheren Gang. Beim Felsabsatz seilten wir ab, es folgte noch ein steileres Couloir und schon standen wir auf dem Morteratschgletscher und wenige Minuten später bei der Rif. Marco e Rosa 3597m, wo wir übernachteten. Von Hütte zur Hütte hatten wir inkl. anfänglichem falschem Weg und diversen Foto- und Verschnaufpausen satte 14 Stunden gebraucht. Diese Tour lässt sich auf alle Fälle schneller "abspuhlen" - doch wollten wir der Sicherheit und dem Genuss höchste Priorität schenken und verzichteten so auf ein "Match-Race" am Berg. Das klare farbenprächtige Abendrot beendete diesen unglaublichen und unvergesslichen Tag und sogar meine Wenigkeit schloss die Augen im Massenschlag - wenn auch nur (aber immerhin) für wenige Stunden.


Tag 3 (5. Juli 2008)

Italienisches Frühstück bedeutet auch sehr kurzes Frühstück. Das ungeniessbare und trockene Brot lässt sich wohl nur in der Not vertilgen - zum Glück gibts noch ein paar zerdrückte Brötli vom Vortag im Rucksack - kombiniert mit Schweizer Schoggi ersetzen diese alleweil das Frühstück. Der Blick aus dem Fenster: Wow! Was haben wir nur für ein Glück! Wolkenloser Himmel, Stimmung pur. Um 06.30 Uhr verliessen wir die Hütte, sagten "ciao a tutti" und querten bei teilweise starkem Wind in der schön angelegten Trittspur die Bellavista-Terrasse. Eindrücklich diese grossen Eisbrocken oder aber auch die gefürchig tiefen Gletscherspalten und -höhlen. Im Nachhinein vielleicht ein wenig schade, dass wir den  Bellavista-Grat nicht mitgenommen haben, aber die bevorstehende Palü-Überschreitung liess diesen Grat sowieso in den Hintergrund rücken.

Bei der Fuorcla Bellavista 3688m beginnt die genussvolle und mehrheitlich sichere Blockkletterei im II Grat auf den Piz Spinas 3823m. Sicherungshaken gibt es keine, benötigt es aber auch nicht, da die Blöcke genügend Spielraum für eine mögliche Schlingensicherung geben. Mir persönlich hat diese Kletterei auf dem Spinasgrat enorm gut gefallen - trotz der teilweise ausgesetzten Stellen kann man sich klettertechnisch richtig entfalten.

Auf dem Piz Spinas 3823m geht es im Schnee locker und einfach weiter auf den Piz Palü Hauptgipfel 3900m. Auf dem flachen Gipfelplateau holte uns auch die prognostizierte Gewitterfront ein, starker Wind pfiff uns um die Ohren und die Wolkendecke senkte sich sekündlich um einige Meter. Die Sicht war für einen Moment sogar auf dem Nullpunkt, doch hatten wir das Glück, dass das Tief mehrheitlich an uns vorbeizog und so wieder die Sicht auf den bevorstehenden Ostgrat bzw. Ostgipfel freigab. Mit voller Konzentration stiegen wir so zum Ostgipfel 3882m und weiter über den ausgesetzten Grat hinunter zum Sattel, wo man auf dem Persgletscher die letzte Etappe in Angriff nimmt.

Der Abstieg erfolgt durch die Cambrena-Abbrüche, welche eindrücklich und furchterregend mich immer wieder ins Staunen versetzten. Vorsicht beim Abstieg, nicht selten queren kleinere Gletscherspalten die Trittspur - trotz der gewaltigen Gletscherarena um einem herum gehört immer auch ein Blick voraus. Beim P 3011 verstauten wir unser Alpin-Klimbim und "wanderten" so via Fuorcla Trovat 3019m um den Piz Trovat 3146m herum und erreichten nach exakt 6 Stunden um 12.30 Uhr die Sonnenterrasse der Diavolezza-Bergstation 2973m.

Mit der Seilbahn (Abfahrt immer Punkt, 20ab, 20vor) ging's hinunter, wo wir dem abfahrenden 13.45 Uhr-Zug aus der Seilbahn zuwinkten. Nächster Zug somit um 14.30 Uhr - die Seilbahn ist also NICHT auf den Zug abgestimmt :-) Mit der Rhätischen Bahn fuhren wir dann zurück nach Pontresina, dazwischen auf Höhe Station Morteratsch hat man noch mehrmals die Möglichkeit, vom Zug aus das unvergessliche und eindrückliche Bernina- und Palü-Panorma zu geniessen - welches man nur wenige Stunden zuvor selbst bestiegen hat.

Mit Erreichen der Bahnstation Pontresina schliesst sich dieser Kreis der Berninatour. Gleichzeitig öffnet es aber auch den Kreis für viele weitere, unvergessliche und abenteuerliche Touren, welche hoffentlich immer wie diese Tour unfallfrei und ohne negative Vorfälle verlaufen.

Alleine hätte ich diese Traumtour nicht geschafft bzw. gar nicht erst in Angriff genommen. Deshalb werde ich meinen beiden Tourenkollegen Jörg joerg und Roger Schlumpf ewig dankbar sein, welche massgeblich zu dieser Realisierung beigetragen haben. Jörg, welcher während der ganzen Tour den Lead übernahm und uns sicher die Felsen hoch und auch wieder runter führte und Roger, welcher die Tour organisiert, vorbereitet und mich in schwierigen Stellen mitgesichert hat.

Euch, Jörg und Roger, gebührt mein Dank - Ihr habt dazu beigetragen, dass dieser Traum für mich Realität wurde.

Bericht von Schlumpf
Bericht von joerg



Tourengänger: Schlumpf, joerg, Bombo


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentare (7)


Kommentar hinzufügen

HBT hat gesagt: Super!
Gesendet am 6. Juli 2008 um 18:34
Super Bericht und super Tour!

Bombo hat gesagt: RE:Super!
Gesendet am 6. Juli 2008 um 23:09
Danke Dir, das war wirklich ne super und unvergessliche Tour. Saludos, Bombo


mali hat gesagt: Glückwunsch ...
Gesendet am 7. Juli 2008 um 12:33
... auch von mir. Hätte die Möglichkeit dieses Jahr auch schon gehabt, hab aber gekniffen :-). Das Ding rennt ja nicht weg ...

Bombo hat gesagt: RE:Glückwunsch ...
Gesendet am 7. Juli 2008 um 19:01
Ciao Mali

Danke auch Dir - Du kannst Dich freuen, diese Tour ist effektiv der wahre Traum. Viel Erfolg und weiterhin viele schöne und unfallfreie Touren,

Bombo

Burro hat gesagt: RE:Glückwunsch ...
Gesendet am 7. Juli 2008 um 20:23
Wunderschöner Bericht zu einer Traumtour. Herzliche Gratulation!!!!
Gruss, Jonas

Bombo hat gesagt: RE:Glückwunsch ...
Gesendet am 7. Juli 2008 um 20:41
Merci Jonas - Dachte, wenn Du so Gas gibst, dann müssen wir wohl auch noch einen Zacken zulegen :-)

Mach's guat,
Dominik

Burro hat gesagt: RE:Glückwunsch ...
Gesendet am 7. Juli 2008 um 20:51
Was ihr für Touren macht, das ist einfach grandios!!
Da bin ich noch weit weg...
Herzliche Grüss und noch viele solche Traumtouren
Jonas


Kommentar hinzufügen»