Überschreitung Oberalper Grat


Publiziert von Maisander , 4. Oktober 2013 um 15:06.

Region: Welt » Schweiz » Uri
Tour Datum:21 September 2013
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: Chaiserstuelgruppe   CH-UR   CH-NW   Bauen - Brisen - Bürgenstock 
Zeitbedarf: 5:00
Aufstieg: 1100 m
Abstieg: 1000 m
Strecke:Gitschenen - Tristel - Bärenstock - Stockzahn - Chaiserstuhl - Sinsgäuer Schonegg - Widderen - Oberrickenbach
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Seilbahn Gitschenen
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Seilbahn Widderen - Ober Spis - Oberrickenbach-Fell
Kartennummer:1191

Trotz seiner beiden unverkennbaren und reizvollen Wahrzeichen Stockzahn und Tor wird der Oberalper Grat erstaunlich selten begangen und könnte deshalb glatt als Geheimtipp durchgehen. Ich will die Gratschneide heute auf ihrer ganzen Länge, von der Tristel bis zum Chaiserstuel begehen. Start ist kurz nach 13h in Gitschenen.
 
Zuerst aber noch was anderes: wer gerne mal einen unverfälschten Betruf  von einem wahrhaftigen Älpler hören und erleben möchte, begebe sich bei der Abenddämmerung zur Sulztaler Hütte. Der Widerhall von den umgebenden Felsen und die eindrückliche Szenerie lassen einen erschaudern!

 
Bei ebendieser Hütte komme ich als erstes vorbei und halte wieder talauswärts auf einem Karrweg zur Arvenegg. Das kurze Waldstück passiere ich leicht nach rechts ansteigend, dann steil die Wiese hoch, bis ein neuerlicher Pfad zu einem kleinen Felssturzgebiet führt. Es wäre wohl leichter gewesen, hier noch etwas weiter raus zu traversieren, ich steige aber durch nur mässig griffigen, etwas mühsamen Schutt geradeaus empor. Sobald das Gelände zu meiner linken es erlaubt, quere ich durch einige Runsen Richtung Tristel. Kurz vor dem Sätteli hält man sich am besten direkt an die Felsen, wo man sich auf Pfadspuren statt in steilem Gras bewegen kann. Ein hübsches Grätchen mit wohlriechend harzig duftendem Gehölze führt auf den noch hübscheren Aussichtspunkt Tristel. Das Grosstal liegt einem hier zu Füssen und der frisch verschneite Blüemlisalpfirn zu Kopfe (oder wie schreibt man das...?)
 
Betrachtet man von Gitschenen aus den Grat von der Tristel zum Bärenstock, scheint es eher unmöglich, fortwährend auf der Gratkante zu bleiben. Besonders der felsige Aufschwung unmittelbar beim Tristelsätteli zwingt einen zu einem Bogen in die NW-Flanke. Scheinbar! Einmal im Sätteli, eröffnet sich eine steile hohle Gasse zwischen zwei markanten Felsen, durch die relativ bequem aufgestiegen wird. Nach etwas Kraxelei blinzelt man plötzlich wieder der Sonne zu und staunt, wie einfach dieser von weitem unübersteigbare Aufschwung bezwingt werden kann!
 
Das nun zumeist grasige Gratstück zum Gipfel des Bärenstocks zieht sich noch recht in die Länge, doch erst mal oben angekommen, offenbart sich die prickelnde Fortsetzung...
 
Nach einem sehr steilen Abstieg in die Scharte vor dem Fifer umgehe ich diesen in abschüssigem Gras in der SO-Flanke. Gemäss Infos von Einheimischen liesse sich der Fifer auch auf Gitschener Seite umgehen, vielleicht wäre dies sogar einfacher. Kurz überlege ich mir, etwa auf halbem Wege der Traversierung, ob ich es auf den Fifer wagen soll. Ich komme dann aber wegen felsdurchsetztem, heiklem Grasgelände wieder davon ab.
 
Der Stockzahn, diese imposante Felsgestalt, rückt jetzt immer näher: Der Älpler im Sulztal erzählte mir, dass man vor vielen Jahren den ersten Klemmblock unterquerte, bis dieser dann eines Tages ein Stück weit runterrutschte. Nun muss er überklettert werden oder aber man umgeht die beiden Felsnadeln, die ihn einklemmen, südseitig. Ein schmaler Sims führt um den linken Zacken herum, ziemlich frisch und zuverlässig mit Drahtseil abgesichert. Nun steckt man quasi im Zahn drin und kann an Seilen, Ketten und Felsen hochkraxeln. Kurz vor dem zweiten Klemmblock lässt mich der weitere Verlauf erstarren: Die Kette wendet sich über mir in einem Linksbogen zum Gipfel und taumelt scheinbar über dem Abgrund, ehe sie für die letzten Meter hinter dem Fels verschwindet. Nie und nimmer traue ich mich dort rauf, denke ich zuerst. Doch wo ich schon mal hier bin, stemme ich mich wenigstens auf dem Klemmblock hinauf – mal schauen wie es von dort aussieht. Und tatsächlich, ein wenig erleichtert bin ich, als ich den letzten Abschnitt zum Kreuz hoch einsehen kann: eine kleine Rinne vermittelt den Zustieg. Doch in diese Rinne muss man erst mal kommen. Mit einem beherzten Schritt über ca. 50m gähnende Leere gelingt dies. Natürlich kann man sich an der Kette festhalten, doch für mich braucht es dennoch ordentlich Überwindung. Ziemlich ausser Atem wegen der Aufregung erreiche ich den Gipfel und frage mich bald, wer die Musse hat, hier ein solches Kreuz hinzupflanzen.
 
So richtig geniessen kann ich es hier oben nicht, ich muss ja auch wieder runter, und dies ist erfahrungsgemäss noch eine Prise anspruchsvoller. Das Herz klopft mir bis zum Hals, die Sache ist einfach extrem ausgesetzt. Zurück beim Klemmblock benötige ich einige Versuche, bis mir der Abstieg gelingen will. Den Rucksack wieder gefasst, geht’s über hochtrittige und exponierte Stufen, aber weiterhin mit Seil gesichert, auf einen Quersims hinab, der um den westlichen Zahn (jener mit dem Kreuz) herumführt. Ausgerechnet vor der schmalsten, am meisten ausgesetzten Stelle endet das Seil; hier braucht es wieder einiges an Mut, weiterzugehen.
 
Nun sind die würzigsten Abschnitte des Grates überwunden. Bald schon erspähe ich eine grasige, nicht allzu breite Brücke in der Fortsetzung: dies muss der Torbogen sein! Von oben kriegt man kaum mit, dass man soeben das „Martinsloch des Urnerlandes“ überschreitet. Unten im Sattel gäbe es die Möglichkeit, nordseitig auf einem ausgesetzten Band ins Tor zurück zu traversieren (mit „Tor-Buch“!), angesichts der fortgeschrittenen Zeit und der nachlassenden Konzentration spare ich mir dieses Unterfangen fürs nächste Mal auf.
 
Vom erwähnten Sattel könnte man nun in schon etwas anspruchsvollerer Gras-und-Felsen-Kletterei direkt wieder auf die Gratschneide aufsteigen, oder man wählt wie ich die einfachere Variante, die im Südhang leicht ansteigend den Grat etwas später erreicht. Der Weiterweg ist nun einfach, bald mündet man in den markierten Wanderweg ein. Ich verlasse diesen aber gleich wieder, um den beiden Erhebungen P. 2237m und 2291m einen kurzen Besuch abzustatten.
 
Gegen 17h setze ich mich auf den Chaiserstuel und geniesse die erhabene Aussicht, die hie und da von aufsteigenden Nebelfetzen bereichert wird. Gleichzeitig realisiere ich, dass das letzte Postauto um 18h in Oberrickenbach zu erreichen nun eine recht abenteuerlich-utopische Sache werden könnte.
 
Nichts soll unversucht bleiben: in alpiner Raserei steuere ich die Sinsgäuer Schonegg an, wobei dem erdigen Abstieg vom Grat – zu dieser Jahreszeit teils ganz schön glitschig! – die nötige Vorsicht entgegengebracht werden muss. Es ist beinah 17.40h; ich rechne mir aus, dass ich um 17.50h auf der Widderen das Seilbähnli erwischen müsste, um es auf die letzte ÖV-Verbindung zu schaffen. Ziemlich erstaunt bin ich, tatsächlich um diese Zeit bei der Bergstation einzutreffen – doch mit folgendem habe ich nun wirklich nicht gerechnet: die Bahn ist vor einigen Minuten abgefahren, und so warte ich erstmal eine Weile...
Als ich dann ins Gefährt steigen kann, muss ich wohl oder übel hinnehmen, dass es nicht mehr reichen wird. Von der Gondel aus sehe ich dann mit leiser Wehmut das Postauto abfahren.
 
Zum guten Glück aber funktioniert hier oben das System Autostopp: Wie beim letzten Mal nimmt mich schon der erste Autofahrer mit nach Dallenwil, wo ich per Zug nach Luzern zurück gelange. Weitergehende Folgen hat meine zu optimistische Zeitplanung aber dennoch: Es reicht mir erst auf die spätere Verbindung nach Bern, und genau zu dieser Zeit ereignet sich auf der Strecke ein Personenunfall, womit ich mit mehr als zwei Stunden Verspätung im Berner Oberland ankomme. Da kommt mir der Flügelschlag eines Schmetterlings in den Sinn, der sich durch eine Verkettung der Umstände zu einem Hurrikan entwickelt... naja, so schlimm wars dann nicht ;-)
 
Fazit: Tolle Tour mit alpinem Anstrich; für die Sehenswürdigkeiten entlang des Grates unbedingt genug Zeit einplanen!

Tourengänger: Maisander
Communities: T6


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