keepwild! Neuland am Madone (Val Calnègia)
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mit "keepwild! climbs" setzt sich Mountain Wilderness Schweiz seit gut zehn Jahren für naturbelassenes Felspotential ein.
Klettern ohne fixe Absicherung war für mich erst befremdlich; tätigte ich doch meine ersten Kletterschritte Mitte der Neunziger bereits an den soliden Bohrhaken der ersten Plaisir-Welle. Seither war für mich diese Art der Kletterei der Normalfall, denn der Schweiz fehlt - im Gegensatz zu den USA und Grossbritannien (Trad-Climbing) oder Teilen Deutschlands (Elbsandstein/Pfalz) - die Kultur des bohrhakenlosen Kletterns. Dazu gehört, beim Klettern möglichst wenig Spuren zu hinterlassen, daher auch der Begriff "clean climbing".
Ein paar Gedankengänge weiter - und erst recht nach der hier beschriebenen, wunderbaren Kletterei weitab der Zivilisation - erschloss sich mir Philosophie und Genuss hinter dem Begriff "clean climbing". Für durchschnittliche Sportkletterer, die hauptsächlich im kompakten Kalk der mittleren Schwierigkeitsgrade unterwegs sind, ist es schwer vorstellbar, dass sich eine Route mit Keilen, Friends und Schlingen zuverlässig, ja fast à discretion, abgesichert lässt.
Der richtige Ort ist entscheidend: An den Graten und Wänden zwischen Bosco Gurin und dem Val Bavona ist der Fels oft derart ideal strukturiert, dass sich die mobilen Sicherungsmitteln fast von alleine legen. Dieses Erlebnis muss man sich jedoch mit mehrstündigen, schwer bepackten Aufstiegen und öfters mal einem Freiluftbiwak erkaufen, was für mich unter anderem den Reiz dieser Kletterei ausmachte - es war bestimmt nicht mein letzter Ausflug in "unberührten" Fels!
keepwild! Die kletter- und wunderbare Illusion von unberührter Natur - dazu gar eine Erstbegehung?
Eine detaillierte Beschreibung für den Nordwestpfeiler am Madone westlich P. 2394 erübrigt sich aus mehreren Gründen:
- Erstens ist die Routenführung im unerschlossenen Gelände sehr individuell, die Schwierigkeiten variieren im Meterraster. Jede:r steigt die eigene Linie und sichert nach Bedarf ab, kann sich so kurze Zeit PionierIn fühlen.
- Zweitens liegt der Reiz wie oben erwähnt im selbst gesteuerten, eigenverantwortlichen Wirken. Zu viele Infos sind dieser Art Erlebnis kaum dienlich.
- Drittens beschreibt ein hervorragender Kletterführer die Nachbarrouten, den Zustieg sowie die Eigenheiten des Gebietes bereits bestens: Seiten 50 und 51 im TICINO keepwild! climbs aus dem Topoverlag von Dani Silbernagel.
Dort wird auch das Val Calnègia wie folgt charakterisiert:
"Oft wird das Val Bavona als schönstes Tal im Tessin angepriesen. Wenn dies so ist, ist das Val Calnègia das schönste Seitental des schönsten Tales. Hier stimmt wirklich alles [...] Der südliche Teil des Val Calnègia gehört zu den wildesten Ecken der Schweiz. Die Wege sind zugewachsen, die Orientierung schwierig und mannshohe Farne sowie undurchdringliche Erlendickichte machen das Fortkommen zur Tortur. Kein Wunder warten hier noch eindrückliche Wände auf ihre ersten Besucher. Zum Glück kann man die schönen Klettereien rund um den Lago d'Orsalia gewissermassen auch durch die Hintertür erreichen - mit einem bequemen Zustieg vom deutschsprachigen Walserdorf Bosco/Gurin."
Auf hikr.org ist
Seeger seelig unbestrittener Gebietsdoyen. Seine Tourenberichte aus dem Val Bavona würdigen sowohl unbändige Naturkräfte wie auch den Nachhall der einstigen Bewohner mitsamt ihren unglaublichen Geschichten.
Zur Kletterei selbst sei so viel verraten: Der Pfeiler weist besten, griffigen Fels auf einer Länge von etwa 150 m auf, was in diesem Gelände ca. 4-6 Seillängen um den 4. Grad ergibt. Einzelne Stellen liegen im (unteren) 5. Grad, können aber bis auf die Traverse unter einem Dach in der zweitletzten Seillänge umgangen werden. Diese Stelle ist auch die einzige, die nicht perfekt abgesichert werden kann, hier muss einige Meter vom letzten, dafür sehr guten Sicherungspunkt auf Reibung horizontal nach links traversiert werden - auch für den Nachsteiger nicht zu unterschätzen.
Abstieg am bequemsten durch das Couloir rechterhand, d.h. westlich. Um T5, 45 Grad, schlecht gestuft, mit einer Stelle II zum abklettern bzw. abseilen (Schlinge).
Material: Mind. 30 m Einfachseil, 1 Set Friends bis Cam 2, ein Set Keile, Schlingen, Helm. Kletterfinken nicht zwingend.
Mit Hilfe der Fotos sollte der Einstieg und Abstieg leicht zu finden sein, mit etwas Pionierlust können in unmittelbarer Nachbarschaft etliche Linien gefunden werden - auf ins Neuland!
* Ein paar Gedanken zum "clean climbing"
Fels ist eine endliche Ressource. Erst recht gilt das für talnahe Wände und Grate mit guter, klettertauglicher Felsqualität. In einen Grossteil davon wurden Löcher gebohrt für Borhaken oder gar Stahlseile und Eisenbügeln. Das ist einerseits dem gut zwanzigjährigen Boom des (Plaisir-)Sportkletterns und den gestiegenen Sicherheitsansprüchen zu verdanken: Immer mehr "Bergsteiger" drängen aus den Kletterhallen ins Freie und erwarten vergleichbare Sicherungspunkte wie an der Kunstwand. Andererseits haben auch die handfesten kommerziellen Interessen der Berg(sp)ort-Sommerdestinationen und -Ausrüster dazu beigetragen, die Berge nach DIN-Norm einzurichten.
Ergo schrumpft der Freiraum für diejenigen, die im Fels selbst für Ihre Absicherung sorgen möchten. Sei es nun aus dem Wunsch nach der "heilen, unberührten Natur" oder dem Bedürfnis entspringend, den Massen der Vollkasko-Gesellschaft für ein paar Stunden zu entkommen. Ebenso wichtig scheint mir, attraktive Felsen in möglichst natürlichem Zustand für die zukünftigen Generationen und ihre Bedürfnisse zu bewahren - auch wenn sie dereinst Bohrhaken oder Invasiveres an diesen Orten für unumgänglich halten.
Klettern ohne fixe Absicherung war für mich erst befremdlich; tätigte ich doch meine ersten Kletterschritte Mitte der Neunziger bereits an den soliden Bohrhaken der ersten Plaisir-Welle. Seither war für mich diese Art der Kletterei der Normalfall, denn der Schweiz fehlt - im Gegensatz zu den USA und Grossbritannien (Trad-Climbing) oder Teilen Deutschlands (Elbsandstein/Pfalz) - die Kultur des bohrhakenlosen Kletterns. Dazu gehört, beim Klettern möglichst wenig Spuren zu hinterlassen, daher auch der Begriff "clean climbing".
Ein paar Gedankengänge weiter - und erst recht nach der hier beschriebenen, wunderbaren Kletterei weitab der Zivilisation - erschloss sich mir Philosophie und Genuss hinter dem Begriff "clean climbing". Für durchschnittliche Sportkletterer, die hauptsächlich im kompakten Kalk der mittleren Schwierigkeitsgrade unterwegs sind, ist es schwer vorstellbar, dass sich eine Route mit Keilen, Friends und Schlingen zuverlässig, ja fast à discretion, abgesichert lässt.
Der richtige Ort ist entscheidend: An den Graten und Wänden zwischen Bosco Gurin und dem Val Bavona ist der Fels oft derart ideal strukturiert, dass sich die mobilen Sicherungsmitteln fast von alleine legen. Dieses Erlebnis muss man sich jedoch mit mehrstündigen, schwer bepackten Aufstiegen und öfters mal einem Freiluftbiwak erkaufen, was für mich unter anderem den Reiz dieser Kletterei ausmachte - es war bestimmt nicht mein letzter Ausflug in "unberührten" Fels!
keepwild! Die kletter- und wunderbare Illusion von unberührter Natur - dazu gar eine Erstbegehung?
Eine detaillierte Beschreibung für den Nordwestpfeiler am Madone westlich P. 2394 erübrigt sich aus mehreren Gründen:
- Erstens ist die Routenführung im unerschlossenen Gelände sehr individuell, die Schwierigkeiten variieren im Meterraster. Jede:r steigt die eigene Linie und sichert nach Bedarf ab, kann sich so kurze Zeit PionierIn fühlen.
- Zweitens liegt der Reiz wie oben erwähnt im selbst gesteuerten, eigenverantwortlichen Wirken. Zu viele Infos sind dieser Art Erlebnis kaum dienlich.
- Drittens beschreibt ein hervorragender Kletterführer die Nachbarrouten, den Zustieg sowie die Eigenheiten des Gebietes bereits bestens: Seiten 50 und 51 im TICINO keepwild! climbs aus dem Topoverlag von Dani Silbernagel.
Dort wird auch das Val Calnègia wie folgt charakterisiert:
"Oft wird das Val Bavona als schönstes Tal im Tessin angepriesen. Wenn dies so ist, ist das Val Calnègia das schönste Seitental des schönsten Tales. Hier stimmt wirklich alles [...] Der südliche Teil des Val Calnègia gehört zu den wildesten Ecken der Schweiz. Die Wege sind zugewachsen, die Orientierung schwierig und mannshohe Farne sowie undurchdringliche Erlendickichte machen das Fortkommen zur Tortur. Kein Wunder warten hier noch eindrückliche Wände auf ihre ersten Besucher. Zum Glück kann man die schönen Klettereien rund um den Lago d'Orsalia gewissermassen auch durch die Hintertür erreichen - mit einem bequemen Zustieg vom deutschsprachigen Walserdorf Bosco/Gurin."
Auf hikr.org ist

Zur Kletterei selbst sei so viel verraten: Der Pfeiler weist besten, griffigen Fels auf einer Länge von etwa 150 m auf, was in diesem Gelände ca. 4-6 Seillängen um den 4. Grad ergibt. Einzelne Stellen liegen im (unteren) 5. Grad, können aber bis auf die Traverse unter einem Dach in der zweitletzten Seillänge umgangen werden. Diese Stelle ist auch die einzige, die nicht perfekt abgesichert werden kann, hier muss einige Meter vom letzten, dafür sehr guten Sicherungspunkt auf Reibung horizontal nach links traversiert werden - auch für den Nachsteiger nicht zu unterschätzen.
Abstieg am bequemsten durch das Couloir rechterhand, d.h. westlich. Um T5, 45 Grad, schlecht gestuft, mit einer Stelle II zum abklettern bzw. abseilen (Schlinge).
Material: Mind. 30 m Einfachseil, 1 Set Friends bis Cam 2, ein Set Keile, Schlingen, Helm. Kletterfinken nicht zwingend.
Mit Hilfe der Fotos sollte der Einstieg und Abstieg leicht zu finden sein, mit etwas Pionierlust können in unmittelbarer Nachbarschaft etliche Linien gefunden werden - auf ins Neuland!
Fels ist eine endliche Ressource. Erst recht gilt das für talnahe Wände und Grate mit guter, klettertauglicher Felsqualität. In einen Grossteil davon wurden Löcher gebohrt für Borhaken oder gar Stahlseile und Eisenbügeln. Das ist einerseits dem gut zwanzigjährigen Boom des (Plaisir-)Sportkletterns und den gestiegenen Sicherheitsansprüchen zu verdanken: Immer mehr "Bergsteiger" drängen aus den Kletterhallen ins Freie und erwarten vergleichbare Sicherungspunkte wie an der Kunstwand. Andererseits haben auch die handfesten kommerziellen Interessen der Berg(sp)ort-Sommerdestinationen und -Ausrüster dazu beigetragen, die Berge nach DIN-Norm einzurichten.
Ergo schrumpft der Freiraum für diejenigen, die im Fels selbst für Ihre Absicherung sorgen möchten. Sei es nun aus dem Wunsch nach der "heilen, unberührten Natur" oder dem Bedürfnis entspringend, den Massen der Vollkasko-Gesellschaft für ein paar Stunden zu entkommen. Ebenso wichtig scheint mir, attraktive Felsen in möglichst natürlichem Zustand für die zukünftigen Generationen und ihre Bedürfnisse zu bewahren - auch wenn sie dereinst Bohrhaken oder Invasiveres an diesen Orten für unumgänglich halten.
Tourengänger:
Alpin_Rise,
Bergzottel


Communities: Clean Climbing, Ticino Selvaggio
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