Plattenjoch (2728 m) von Gaschurn: Lang und einsam!


Publiziert von marmotta , 14. März 2013 um 18:29.

Region: Welt » Österreich » Zentrale Ostalpen » Silvretta
Tour Datum:27 Februar 2013
Ski Schwierigkeit: ZS-
Wegpunkte:
Geo-Tags: A   CH-GR 
Zeitbedarf: 6:00
Aufstieg: 1750 m
Abstieg: 1750 m
Strecke:Gaschurn - Ganeumaisäss - Garneratal - Tübingerhütte DAV - Plattenjoch retour
Zufahrt zum Ausgangspunkt:von cff logo Schruns mit dem Landbus 85 nach Gaschurn, Versettlabahn

Wie oft bin ich schon im Sommer durch das schöne und urtümliche Garneratal gelaufen, sei es zu einer Besteigung der Gipfel im Talschluss oder nach Überschreitung des Plattenjochs (2728 m)  und Einkehr in der Tübingerhütte. Und immer habe ich davon geträumt, diese mir so vertraute Ecke einmal im Winter zu besuchen - wenn das abgeschiedene Hochtal tiefverschneit und einsam daliegt und nur das Rauschen des Garnerabachs zu hören ist. Unweit des Pistenrummels im Skigebiet "Silvretta Nova" lassen sich hier Bergeinsamkeit und eine unberührte Winterlandschaft erleben. Tourengänger trifft man hier im Winter nur selten an - wenn, dann wird das Garneratal für die Abfahrt nach der Überschreitung Bielerhöhe-Seelücke-Schweizerlücke gewählt, vereinzelt wird es als Zustiegsroute zur Tübingerhütte benutzt.
 
Die von mir begangene Tour zum Plattenjoch, mit Aufstieg und Abfahrt durch das Garneratal wird wohl nie eine Modetour werden. Zu lang und über weite Strecken zu wenig steil ist die Route durch das Garneratal. Dabei wartet das Plattenjoch mit dem wohl eindrücklichsten Blick auf das Gipfelpaar Gross Litzner- Gross Seehorn und vor allem mit einer Traumabfahrt über den Plattengletscher bis hinunter in die Blockfelder an der Tübingerhütte auf. Dank der schattigen Nordlage herrschen hier lange herrliche Pulverschneeverhältnisse. Dieser Genuss in hochalpinem Ambiente will allerdings hart erarbeitet werden, schlägt doch der Aufstieg mit insgesamt 1750 Hm und ca. 14 km Horizontaldistanz ordentlich zu Buche. Bei dieser enormen Streckenlänge von ingesamt fast 30 km war für mich -trotz des Flachstücks in der Hochebene eingangs des Garneratals- von vornherein klar, dass nicht die Schneeschuhe, sondern die Skis zum Einsatz kommen würden. Schliesslich sollte die Tour ja nicht zur Ganztagesunternehmung ausarten!
 
Start in Gaschurn (980 m) an der Talstation der Versettlabahn um 8.30 Uhr. Die Forststrasse hinauf zum Maisäss Ganeu ist von einem Ski-doo frisch gespurt, gleich zu Beginn überhole ich eine Seniorentruppe, deren Ziel der  Schafbodenkopf (2400 m) ist. Als ich ihnen erzähle, dass ich durch das Garneratal zum Plattenjoch will, meint einer der Gruppe nur, dass ich mir da "einiges vorgenommen" hätte. Später sollte ich mich noch an diese Worte erinnern...
 
Bei frostigen Temperaturen geht es durch den tiefverschneiten Wald hinauf zur idyllisch gelegenen Maisäss-Siedlung Ganeu (1400 m), die ich nach bereits ca. 30 min erreiche. Noch liege ich gut in meinem Zeitplan und fühle mich voller Energie. Der Abschnitt zwischen Ganeu und der Unteren Garneraalpe (Äusserer Stafel) liegt um diese Jahreszeit bis in den späten Vormittag hinein im Schatten, doch die Berghänge rechts von mir und die Gipfel ganz hinten im Garneratal glitzern bereits in der Sonne. Der traumhafte Wintertag ohne ein einziges Wölkchen motiviert mich, mein Tempo und meinen Rhythmus beizubehalten. Womöglich war ich dann etwas gar motiviert, denn ausgangs der weiten Hochebene, wo einst das Filmdorf für Schlafes Bruder augebaut worden war, folge ich -ohne Nachzudenken bzw. auf der Skitourenkarte nachzusehen- der (überschneiten) Skidoo-Spur, die nun weiter auf der orographisch linken Seite des Garnerabachs (rechts im Aufstiegssinne) die Hänge des Matschuner Berges ansteigend traversiert. Irgendwann realisiere ich, dass diese Skidoo-Spur wohl nicht zum Talschluss des Garneratals, sondern höchstens zu irgendeiner Jagd- oder weiss der Teufel was-Hütte führen wird. Also gleite ich durch den feinen Pulverschnee querfeldein hinab zum Garnerabach, den es an geeigneter Stelle zu queren gilt. Ungeduldig wie ich bin, warte ich hierfür nicht bis zum Brückchen beim Äusseren Stafel, sondern quere bereits an der erstbesten Stelle etwas mühsam das Flussbett (wo ein Wille ist, ist auch eine Schneebrücke…)
 
Seit dem letzten Schneefall hat noch kein Mensch das Garneratal betreten, nur etliche Tierspuren verlaufen in den alten, überschneiten Skispuren. So habe ich das "Privileg", selbst eine Spur durch das lange Garneratal zu legen. Wer hier auch wieder zurück will und einigermassen vorausschauend denkt, tut im Übrigen gut daran, die Spur so anzulegen, dass man in dieser später auch ohne grosse Gegenanstiege abfahren kann. Nicht immer ist dabei der Sommerweg (Alpstrasse) die beste Wahl, man halte sich möglichst nahe des Bachbetts, so vermeidet man unnötige Auf und Abs (wobei dies angesichts der vielen Felsblöcke und der Geländeform nicht immer ganz zu vermeiden ist).
 
Nach gut 2,5 h habe ich den Talschluss auf knapp 2000 m Höhe erreicht. Die den Talkessel nach Süden abschliessenden Gipfel des Grenzkamms vermitteln ein beeindruckendes, hochalpines Ambiente. Durch ein chaotisches Labyrinth aus gigantischen, überschneiten Felsblöcken steige ich nun steiler, in einem Bogen nach Süden ausholend, zur Tübingerhütte DAV (2191 m), ca. 3 h ab Gaschurn. Die (im Winter nicht bewartete) Hütte lasse ich jedoch im wahrsten Sinne des Wortes links liegen und halte mich an eine alte, überschneite, aber teils noch schwach erkennbare Aufstiegsspur, welche in Richtung des nördlich der Schwabenplatte hinaufziehenden Tälchens führt. Jetzt merke ich, wie meine Kräfte langsam schwinden. Die strenge Spurarbeit fordert ihren Tribut und so lege ich an einem geschützten Platz unter einem (wie könnte es in dieser Gegend anders sein) Felsblock erstmal eine ausgiebige Picknickpause (neudeutsch: Carboloading) ein. Danach folge ich zunächst der alten Spur - merke aber bald, dass diese (für mich und die vorherrschenden Neuschneeverhältnisse) völlig unökonomisch und auch viel zu weit südlich (mit ständigen Hangquerungen) angelegt ist. So lege ich bald meine eigene Spur durch die chaotischen Blockfelder unterhalb der kühn aufragenden Valgraggestürme. Ich bin nun ziemlich am Ende meiner Kräfte angelangt und mehrmals kurz davor, aufzugeben. Doch der unbedingte Wille, das Plattenjoch zu erreichen und damit sowohl die einzigartige Aussicht auf meine Lieblings-Silvrettagipfel als auch die rassige Abfahrt durch die unberührte Powderarena zu erleben, treiben mich weiter an. Für die geplante Abfahrt über den (ehemaligen) Plattengletscher muss ich zumindest einmal das Skijoch (ca. 2560 m) erreichen, eine Abfahrt zur Tübingerhütte auf meiner Aufstiegsroute wäre weitaus weniger lohnend.
 
Zum sog. Skijoch wird es nochmals richtig steil, einige Spitzkehren später stehe ich in diesem Sattel und blicke erstmals direkt hinauf zu meinem Ziel, dem Plattenjoch - und traue meinen Augen kaum: Denn genau in diesem Moment sehe ich zwei Tourengänger in den Steilhang unter dem Plattenjoch einfahren und meinen Traum von "first lines" zerstören! Na ja, eigentlich habe ich andere Sorgen: Eine schon ziemlich weiche Querung (zwischenzeitlich war es nach 12 Uhr) trennt mich noch vom finalen Schlusshang, diesen kämpfe ich mich anschliessend mehr schlecht als recht hinauf und bin überglücklich, mein Ziel nach insgesamt 4,5 h doch noch erreicht zu haben. Die Aussicht auf die mir bislang nur vom Sommer bekannten Gipfel über dem Seegletscher ist schlicht überwältigend! Ursprünglich hatte ich ja noch mit einer Abfahrt auf den Seegletscher mit anschliessendem Wiederaufstieg zur Seelücke (2770 m) und Abfahrt bis hinunter zum Vermuntstausee (1750 m) geliebäugelt. So wäre mir zwar das lange Garneratal erspart geblieben, doch ich sah mich nicht mehr imstande, auch nur einen zusätzlichen Aufstiegsmeter unter meine Skis bzw. Felle zu nehmen.
 
Stattdessen mache ich mich nach einer ausgiebigen Pause für die Abfahrt zur Tübingerhütte und weiter ins Garneratal parat. Und diese Abfahrt liess kaum Wünsche offen! Nur die obersten, steilen Meter unter dem Plattenjoch waren stellenweise vom Wind bearbeitet, in der Mulde, welche direkt vom Joch hinunterzieht, hatte es aber noch guten Pulver. Ein Absatz auf ca. 2470 m bildet eine Geländekante, hinter der es über eine wunderschöne, knapp 35 ° steile Rampe nochmals fast 300 Hm gleichmässig hinabgeht. Bei feinstem Pulver ein rassiges Vergnügen! Das Gelände läuft in den Blockfeldern südwestlich der Tübingerhütte sanft aus, bei geschickter Routenwahl hat man nur wenige Meter Gegenanstieg beim Umkurven der teils mannshohen Felserhebungen. Anschliessend im Slalom durch die vereinzelten Felsblöcke, bis der Garnerabach wieder erreicht ist. Hier endet der Abfahrtsrausch jäh, denn nun heisst es, weitestgehend in der Afbahrtsspur fahrend, teilweise auch schiebend, die folgenden 300 Hm bis zur "Schlafes Bruder-Hochebene" zu verlieren. Dort ist dann vorübergehend endgültig Schluss mit lustig: Per Laufbindung geht es im Stile eines klassischen Skilangläufers über 1 km völlig eben dahin, bei zunehmender Wärme eine schweisstreibende Angelegenheit. Danach flotte Abfahrt über die Fahrstrasse oder -wo es das Gelände und das Gefälle hergeben- im stiebenden Pulver nach Ganeu und weiter nach Gaschurn. Der untere Teil der Forststrasse von Ganeu nach Gaschurn kann über diverse, teils steile Waldschneisen abgekürzt werden - seit meiner ersten Abfahrt hier 2 Tage zuvor haben die Variantenfahrer aus dem Versettla-Skigebiet hier ordentlich zugeschlagen und den Neuschnee ziemlich zerfahren. Mit etwas müden Beinen stürze ich mich noch die letzte Klippe oberhalb des Dorfes hinab, hier ist es wirklich steil. Doch der Schnee bleibt glücklicherweise bis ganz unten pulvrig-gut, einige Tage später hätte man die Freeride-Abfahrtsvariante ganz zuunterst wohl bereits vergessen können, die Abfahrt wäre dann allenfalls noch auf der Fahrstrasse möglich gewesen.
 
Obwohl die Abfahrt durch das lange Garneratal nicht gerade ein Geschwindigkeitsrausch ist, habe ich für den Rückweg vom Plattenjoch bis Gaschurn gerade mal 1,5 h (mit Pausen) benötigt. Kaum auszumalen, was dies mit den Schneeschuhen für ein langer Marsch wäre…
 
Landschaftlich die schönste, aber auch die längste Skitour, die ich bislang unternommen habe!  

Tourengänger: marmotta


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