Die Bergtour 1989 (Vorgeschichte): Pizzo Fiorina 2925 m - Pce di Braga 2864 m - Cristallina 2912 m


Publiziert von basodino , 17. März 2013 um 15:17.

Region: Welt » Schweiz » Tessin » Locarnese
Tour Datum: 3 August 1987
Wandern Schwierigkeit: T5+ - anspruchsvolles Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-TI   Gruppo Pizzo Castello   Gruppo Cristallina   I   Gruppo Pizzo San Giacomo   Gruppo Basodino 
Zeitbedarf: 3 Tage
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mit Auto oder Bus nach San Carlo (Val Bavona) und der Seilbahn nach Robiei. 10 Minuten über eine Teerstraße absteigen.
Zufahrt zum Ankunftspunkt:wie oben
Unterkunftmöglichkeiten:Capanna Basodino CAS (1856 m)

Meine alpine Geschichte, mal abgesehen von Tagestouren am Lago Maggiore, begann im Jahr 1987 und gipfelte in einer ersten langen Tour im Jahr 1989. Damals machte ich mir noch die Mühe, einen Bericht über 28 Seiten auf der Schreibmaschine zu tippen. Hier nun hinterlasse ich die Erfahrungen von damals, allerdings habe ich die Namen der anderen Personen verändert, um niemandem zu Nahe zu treten, sind es doch die nur milde überarbeiteten Worte eines 20-Jährigen (man möge dies mit Nachsicht lesen):

Vorwort

Nach langer Zeit des Wartens, komme ich nun endlich zu diesem Bericht. Viel Zeit ist vergangen, während die Erinnerung eine neue Sicht eröffnete, die es mir nun erlaubt, über Geschehenes zu berichten und über Gedachtes zu resümieren. Freilich kann dies nur einen Versuch darstellen, da ich mir nicht genug Zeit lassen kann, jedes Wort abzuwägen.
So werde ich einen Bericht schreiben, der aus meiner eigenen Perspektive subjektiv widergibt, was mir an Erinnerung aus dem letzten Sommer übrig geblieben ist. Ich versuche dabei die Ebene der Wahrheit in dem Rahmen nicht zu verlassen, so wie ich sie erlebt und verstanden habe.
Wenn man mich nach meiner Absicht fragt, die hinter diesem Projekt steht, so muss ich passen. Vielleicht wird es dem interessierten Leser selbst aufgehen, welche Intension in diesen Zeilen liegt.
Ich bitte um Verständnis bei den Personen, die in diesem Bericht vorkommen, als Haupt- oder Nebenpersonen, denn ich kann keine Kompromisse schließen, bei der Beschreibung meiner Eindrücke mit ihnen. So sind alle Personen natürlich existent und Übereinstimmungen mit der Realität sind gewollt, wenn auch subjektiv.
Im Hinblick auf die Bergtour 1990, die jetzt in der Planungsphase ist, möchte ich hoffen, dass dieser Bericht Anregung für neue Diskussionen und Gespräche bietet, dass ich im Tourbericht 1990 von einem glücklicheren Verlauf erzählen darf, als das hier der Fall sein kann. Denn obwohl ich zu den Menschen gehöre, die gerne einmal nach längerer Zeit negative Ereignisse vergessen, möchte ich keine Schönfärberei betreiben wie in so vielen Bergbüchern. Ich bin kein unromantischer Mensch, wie man mir auch schon kritisch vorgeworfen hat, aber an Stellen, in denen Problematiken oder Hochstimmungen verarbeitet sind, möchte ich versuchen, mich an meine Stichwortliste zu halten, die jeweils am selben Tag verfaßt wurde und somit relativ unreflektiert und hautnah zu berichten weiß.

2. Vorgeschichte

August 1987:
Wieder führte mich mein Weg in meine zweite Heimat, den sonnigen, grünen Tessin. In den tiefen warmen Tälern, die von den Wassern des blauen Lago Maggiore nach Norden führen, fühle ich mich genauso heimisch, wie auf den Gipfeln der Zweitausender, die den Blick in die Po-Ebene öffnen. Am Ende eines der Täler, des einsamen Bavonatals, liegt das Dorf San Carlo. Von dort fuhr ich mit einem Freund mit der (damals) größten Gondel der Schweiz zu den Stauseen von Robiei. Auf knapp unter 2000 m liegen von schroffen Bergen eingerahmt ein Hotel, eine Berghütte, drei Stauseen und einige geteerte Straßen, die dem Touristen den ungehinderten Zutritt erst ermöglicht haben. Heute entsteht ein Großteil der Faszination dieses Gebietes durch die unheimlich funkelnden, grünen Seen im Panorama der felsigen Berge und des Tessiner Gletscherberges, des Basodino.
Meinem Freund und mir blieb diese Schönheit zunächst verborgen, da wir an einem düsteren und grauen Regentag die Basodinohütte unterhalb der Stauseen erreichten. Für 4 Nächte suchten wir hier unser Quartier.

Am Morgen des nächsten Tages verhieß uns die Sonne den ersten Gipfel. Mit jugendlichem Übermut stürmten wir den ersten Anstieg hinauf und erreichten den Lago Matörgn (2450 m) nach nur 95 Minuten. Nicht müde erklommen wir die Felshänge des Piz Fiorina (2925 m) und stürmten den Gipfel in weiteren 95 Minuten. Es ist ein schmaler Gipfel, der nur einer Person Platz bot.
Nach einem guten Vesper kehrten wir zurück ins Tal (noch mit einem Abstecher auf den Pizzo dei Matörgn, 2904 m). So unerfahren, wie wir zu diesem Zeitpunkt noch waren, vernebelte der Bergrausch unsere ganze Vernunft.
Am nächsten Tag stiegen wir entsprechend ungehemmt selbst bei nur mässigem Wetter ohne Weg den Westgrat des Poncione di Braga hinauf. Natürlich rächte sich das schnell, denn das Terrain wurde immer schwieriger. Als der Grat zur unüberwindlichen Bastion wurde, querten wir zwei Felsbänke nach Norden und stiegen über ein Schnee- und Geröllfeld zu einem Kamin direkt unter dem Gipfel auf. Nach 200 Minuten erreichten wir durch denselben schließllich doch den Gipfel. Stolz trugen wir uns als Dritt- und Viertbesteiger des Jahres 1987 ins Gipfelbuch ein.
Nach einer kurzen Pause machte ich mir Gedanken über eine mögliche Abstiegsroute, schließlich wollten wir uns die Aufstiegsroute runterwärts sparen. Durch Gemsspuren fehlgeleitet, wagten wir den Abstieg durch die Ostwand (I-II).
An sich wäre der Abstieg kein Problem gewesen, wenn wir nur etwas mehr Erfahrung gehabt und den Weg über den Nordostgrat erkannt hätten. So traf mich mein Freund in der Wand fast mit einem losgetretenen Stein. Der Stein verfehlte mich um Zentimeter, flog ewig in die Tiefe, bevor er zersplitterte und in der Steinwüste unterhalb der Wand im Nichts verschwand. Nie wieder habe ich später soviel Angst gehabt, wie in dieser einen Sekunde. Doch war meine Angst nur in dem begründet, dass ich die Sorge hatte, dass mein (unerfahrener) Freund genauso wie der Stein an mir hätte vorbeifliegen können. Die Angst um mein eigenes Leben hatte ich bereits hinter mir gelassen, als ich einmal den Halt (mit den Füssen) verlor, und mit einem Reflex gerade noch meine Hände an einen Steinsims krallen konnte.
Unten angekommen fanden wir eine Möglichkeit, die Steinwüste auszulassen, indem wir uns quer zum Hang zur Bocchetta della Froda (2692 m) schoben. Dort fanden wir endlich den Weg, welcher vom Nordostgrat zur Bocchetta hinunterführte, den Felsformationen und Schneefeldern westlich folgte und schließlich auf der Alpe Lielp (2003 m) wieder den Hauptweg fand. Nach über 7,5 Stunden kamen wir erledigt auf der Hütte an, mit einem Erlebnis in den Gliedern, welches wir nie vergessen würden.

Der nächste Tag begann sehr deprimierend. Neuschnee blockierte unsere Hoffnungen, den letzten Tag mit einem positiven Erlebnis vergessen zu machen. Als wir um 10 Uhr zum Passo Cristallina (2568 m) aufbrachen, war der Schnee zwar größtenteils geschmolzen, aber ein eisiger Wind schnitt uns ins Gesicht und drang bis ins Mark. Auf dem Passo wendete sich das Wetter zum Guten und verführte uns zum (weiteren) Aufstieg. Wir erklommen ohne Probleme den Poncione della Forca di Cristallina (2792 m). Danach verlor sich der Weg und wir mussten uns den weiteren Verlauf suchen. Über 4 Gratzacken kletterten wir mit Mühe, da in den nördlichen Rinnen das Geröll sehr locker saß. Der Höhengewinn war in dieser Stunde gleich Null.
Wie ein Wunder eröffnete sich auf einmal eine Felstreppe mit überdimensionierten Stufen. Sie führte uns auf einen schmalen Weg, der uns dem Nordgrat entlang den lang ersehnten Gipfel brachte. Nach gut 4,5 Std. besiegten wir die Cristallina (2911,7 m) endlich, es war bereits 14.35 Uhr.

Anmerkung: Die Cristallina war für mich schon immer ein fast mythischer Berg, da meine Tante dort einige Jahrzehnte zuvor auf dramatische Weise beinahe abgestürzt wäre. Ihre Geschichte hatte sich fest in mein Gedächtnis geprägt und so war diese Besteigung sozusagen die Erfüllung eines lang gehegten Traumes und mit der eigentliche Grund für die Tage in Robiei.

Unterhalb des Gipfels fanden wir in einer kleinen Holzhütte Schutz. Bei -2 Grad tauten wir uns ein Stück Schokolade auf, dass hart wie Metall war. Wir staunten nicht nur über die Kerzen, die wir auf fast 3000 m Höhe vorfanden. Uns präsentierte sich ein komplett ausgestattete Hütte, in der man jederzeit eine stürmische Nacht hätte überleben können.
Um 15.05 Uhr brachen wir wieder auf. Das Wetter hatte einen zweiten Umschwung vorbereitet. Dieses Mal wählten wir den direktesten Weg ins Tal. Über Geröll folgten wir einem schmalen Pfad bis an den Rand des steilen Schneefeldes, über das wir bis zur Hauptroute unterhalb des Passo Cristallina abrutschen konnten. Schon eine Viertelstunde nach Verlassen des Gipfels verschwand dieser vollständig in einer Wolke. Mit dem schlechter werdenden Wetter im Rücken stiegen wir in Rekordzeit zur Hütte ab, die wir um 17 Uhr erreichten.

Uns hatten die Erlebnisse in diesem einen Urlaub voll auf gereicht. Wir fuhren wieder mit der Seilbahn am folgenden Tag ins Tal hinab und verließen die Gebirgswelt der Tessiner Alpen. Doch eines wußte ich in meinem Herzen mit absoluter Sicherheit. Ich würde wiederkommen, wenn nicht im folgenden Jahr, so doch 1989, um meine Erlebnisse neu zu erfahren und Neues hinzuzufügen.

Tourengänger: basodino


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