Im September stand ich zum ersten Mal auf dem Haggenspitz, war damit ganz zufrieden und dachte, meine Freunde würden mich nun mit dem Thema „Überschreitung“ vorerst in Ruhe lassen. Nun... ich schaffte es nicht mal, die Sache über die Winterpause hinaus in den nächsten Bergsommer zu schieben. Sämtliche Verzögerungs-Strategien versagten...
Als wir für diesen Freitag Tourenideen sammelten, fiel meinem Tourenpartner natürlich nichts anderes ein, als: „Ich wüsste da noch was...: Haggenspitz-Überschreitung!!!“ Sämtliche Einwände hinsichtlich Schnee und Eis in der Route, Wölfe und Bären in der Gegend und baldiger Weltuntergang prallten an ihm ab und klar: Irgendwie wollte ich die Sache ja schon lange mal angehen und nach meinem erfolgreichen T5-Sommer und ein paar erfolgreichen Ausflügen in den T5+/T4-Bereich im Herbst fühlte ich mich eigentlich bereit für die Haggenspitz-Überschreitung. Aber eben: Respekt flösste mir die Sache schon ein...
Kurz vor Mittag trafen wir auf der Haggenegg ein. Im Rucksack hatten wir ein Seil und etwas Kletter-Klimbim für Notfälle und Angsthasereien, Eispickel und Steigeisen. Ungefähr bei P. 1410 hat man einen guten Blick auf die Route und nach einigen Überlegungen kamen wir zum Schluss, dass die paar Schneefelder in der Route dann schon irgendwie zu bewältigen wären.
Bald schon ging's steil aufwärts – und zwar richtig. Der Wanderstock landete am Rucksack, denn von nun an brauchte man beide Hände zum kraxeln und klettern. Griffe, Tritte und Wurzeln gab's stets genug, doch eben: das Gelände ist sehr, sehr steil und Fehler sollten tunlichst vermieden werden. Rote Punkte und Pfeile sorgen dafür, dass man keine dummen Ausflüge in irgendwelche Flanken unternimmt und schön auf der Route bleibt.
Bald erreichten wir die ausgesetzte, kurze Traverse, von welcher es auf hikr schon diverse Fotos (wie bspw. dieses hier von
Bombo) gibt. Am Anfang konnte man sich gut an einem fixen Drahtseil festhalten, bei den folgenden paar exponierten Schritten bot der Fels gute Griffe. Mir gelang die Passage viel besser, als ich erwartet hatte.
Bei der Verzweigung zum Müller-Kamin gingen wir (auf meinen Wunsch) nach links. Meinen Entscheid bezahlten wir dafür mit einer etwas heiklen Traverse im Schnee durch sehr abschüssiges Gelände. Hier hatte ich am meisten Mühe und brauchte einige Zeit. Ohne Schnee ist die Passage wohl ein Kinderspiel. Der weitere Aufstieg zu den Ausstiegskaminen war auch nicht gerade schneefrei und einfach, jedoch etwas angenehmer zu erkraxeln.
Und ähm... dann sah ich plötzlich nur wenige Meter vor mir die Sonne auf einen Grat scheinen, schaute um einen Fels herum und... erblickte mit Freude das Gipfelkreuz! Toll! Noch etwas Gratgekraxel und nach eineinhalb Stunden war es geschafft. Und dies erst noch seilfrei und bei nicht ganz einfachen Bedingungen. Klar fühlte ich mich nicht immer super im Aufstieg, doch in vielen Passagen machte die Kraxlerei doch ziemlich Spass!
Nach einer längeren Pause und einem Schwatz mit einem sympathischen Solisten stiegen wir auf dem trockenen Normalweg zum Griggeli ab. Die Traverse hinüber zum Kleinen Mythen war mehr weiss als grün, doch mit den Steigeisen im Gepäck sollte das zu schaffen sein, dachten wir. Da der Schnee aber nicht mehr pickelhart war (ein Grund, weshalb wir nicht früher aufgebrochen waren), konnten wir schliesslich sogar auf Steigeisen verzichten.
Mein Tourenpartner wollte den Direktaufstieg durch den Kamin auf den Gipfel machen, ich verspürte wenig Lust darauf. Die Haggenspitz-Überschreitung hatte mich schon genug gefordert und für heute reichte das erst mal. So ging ich alleine zum Sattel (die rote Route auf meiner grafischen Meisterleistung) hoch und querte dort zur Normalroute hinüber. Am Ausstieg des Kamins hörte ich von unten meinen Tourenpartner keuchen und gemeinsam erreichten wir schliesslich den Gipfel.
Dort gab's erst mal ein Bierchen und was zu essen, denn Zeit hatten wir noch zur Genüge. Das Nebelmeer hatte sich nirgends verflüchtigt und keiner von uns hatte Lust, vor Sonnenuntergang wieder in die graue Suppe einzutauchen. Weshalb auch?!
Nach einer langen, langen Gipfelrast stiegen wir schliesslich zum Vorgipfel hinüber und nach Zwüschet Mythen ab. Von dort liefen wir zurück zur Haggenegg, wo wir zwar den Sonnenuntergang knapp verpassten, jedoch noch ein farbiges Spektakel am Horizont geboten bekamen.
Kommentare (4)