I Dreamed a Dream: Gesamtüberschreitung Piz Ner - Piz Scantschala - Piz Curtin


Publiziert von PStraub , 30. August 2012 um 09:57.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Surselva
Tour Datum:29 August 2012
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: S
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR   Bifertengruppe 
Zeitbedarf: 11:00
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Sumvitg - Alp da Glivers (gebührenpflichtige Strasse)
Kartennummer:1213

Es gibt Ideen, die formieren sich nur allmählich zu einem Projekt, und schliesslich zu einer Herausforderung. Eine solche Idee war die Gesamtüberschreitung der schroffen Gipfel zwischen der Puntegliashütte und der Alp da Glivers: Piz Ner (2859 m) - Piz Scantschala (2924 m) - Piz Curtin (2974 m).
Einer der Gründe war, dass es für diese Gipfel keine halbwegs brauchbaren Routenbeschreibungen gibt. Bei meinen Nachforschungen hiess es jeweils, darüber wüsste man nichts, diese Gipfel würden wenig bis gar nie bestiegen.
 
Nachdem ein erster Termin geplatzt war, hatte Bergführer David Berther von Segnas ganz kurzfristig Zeit, und da die Wetterprognose sehr favorabel tönte, gabs kein Zögern: Wir versuchen es!
 
Wir treffen uns um 06:30 Uhr in Sumvitg und fahren die Strasse hoch zum Parkplatz auf gut 1900 m Höhe in der Nähe des Stafels Dado Sut der Alp da Glivers (Tagesgebühr Fr. 7.-). Unterwegs erleben wir einen farbenprächtigen Sonnenaufgang - der perfekte Start zu einem perfekten Tag.
 
Ab hier dem markierten Weg entlang Richtung Muot da Munt. In der Mulde nach P. 2214 steigen wir querfeldein hinauf zum Ostgrat des Piz Ner, den wir etwa bei P. 2563 erreichen (T4). 
Die Kletterausrüstung angezogen, dann gehts los über den Grat Richtung Gipfel. Immer wieder geht das recht einfach durch grob strukturierten Blockschutt, immer wieder muss man auch eine Rinne hoch- oder auch wieder hinunterklettern (ZS). An diesem Grat gehts ganz schön rauf und runter, man akkumuliert so (unfreiwillig) Höhenmeter bis zum Gipfel, den wir um ca. 09:30 Uhr erreichen. 
 
Der Absteig in die Scharte zwischen Piz Ner und Piz Scantschala ist gut gegliedert und trotz ihrer Steilheit erstaunlich einfach zu begehen (WS+). 
 
Dort steht man vorerst mal vor einem Problem in Form von praktisch vertikalen Platten. Um diese zu umgehen, steigen wir in mehreren Stufen weit Richtung Val Punteglias ab. Immer wieder zwingt uns eine weitere Platte zu einer weiteren Umgehung, bis wir endlich mit einigen Schwierigkeiten Schrofenbänder erreichen, die uns einigermassen direkt Richtung Gipfelgrat führen (ZS, immer wieder S-Stellen).  
 
In der Scharte unmittelbar vor dem Gipfelstein ist ein Gipfelbuch deponiert. Leider ist es nass, immerhin erkennt man, dass es im Juli 2011 von den Herren Nay und Decurtin dort deponiert worden ist und seither genau einen weiteren Eintrag aufweist. 
Diese Scharte kann von der Alp Glivers direkt erreicht werden, was vermutlich der "einfachste" Aufsteig zum Piz Scantschala ist. Der obere Teil der Route sieht nett aus, wies weiter unten aussieht, kann man nicht erkennen.
 
Um ca. 11:30 stehen wir auf dem Gipfel. Es ist eine kantige Pyramide ohne ebene Stelle, die nicht zum Sitzen einlädt. Er hat auch keinen Steinmann, wohl, weil man lose Steine deutlich weiter unten zusammensuchen und die steile Flanke hinauf schleppen müsste.  
 
Der Absteig zur nächsten Scharte geht vorerst recht flott. Bei einer kürzeren Abseilstelle hats sogar eine gar nicht so alte Schlinge. Doch dann steht man vor einem vertikalen bis überhängenden Abbruch von sicher 50 m Höhe. Mit genug Seil wäre hier Abseilen die einfachste Lösung, doch soviel Seil (2 x 50 m) haben wir nicht, und die Westflanke sieht für eine Umgehung recht einladend aus. Also dort runter, bis wir wieder vor so einem Abbruch stehen. Der ist wenigstens nicht zu hoch zum Abseilen, aber jedes Band, das wir so erreichen, endet irgendwo im Nichts. So werden wir schliesslich gezwungen, ganz bis zu den Schutthalden auf ca. 2650 m hinunterzusteigen (S). 
Nach Umgehung der folgenden Felsrippe steigen wir die in den Satellitenfotos gut sichtbare Schuttrinne bis zum Grat wieder hoch.  
 
Ab hier dem langen und oft sehr steilen, aber recht gutgängigen Grat entlang. Trotz einiger Gegensteigungen geht das recht effizient - der Piz Curtin ist auf dieser Route einfacher, als man beim Betrachten des Grates erwarten würde (ZS-). 
Um 15:00 Uhr stehen wir endlich auf dem dritten und letzten Gipfel, Zeit für die erste Pause.
 
Der Absteig durch die Westflanke offeriert uns noch einmal alle einschlägigen Genüsse: Extrem steiles Gelände mit oft allenfalls dubiosen Sicherungsmöglichkeiten, mehrere fehlgeschlagene Versuche, in die Nordflanke zu wechseln, erst am Schluss einen recht einfachen Absteig über Blockschutt zur Fuorcla Posta Biala, wo wir uns um 16:00 Uhr der Kletter-Utensilien entledigen (ZS).
 
Jetzt folgen noch fast 1000 m Abstieg zum Auto, davon gut die Hälfte über die endlosen Blockschuttfelder der Falluns. 
F. Weber, der Erstbegeher dieser Berge, schrieb über die Falluns: ".. das unendliche Trümmerfeld, das C. Hauser ein Bild der Zerstörung genannt, wie er in solcher Großartigkeit noch keines je gesehen. (Ein) trostlos-grausiges Gipfelgrab mit einer düstern, zackigen Felsumrahmung". 
Was im Gelände nicht ersichtlich ist, sieht man auf Luftbildern ausgezeichnet: Das war ein Blockgletscher, der vermutlich noch lange "gekrochen" ist, nachdem das oberflächliche Eis weg war. Anders sind die teils riesigen Blöcke im fast ebenen Gelände ja gar nicht erklärbar.
 
Wir haben für Anmarsch und Überschreitung fast 11 Stunden gebraucht, und das mit minimalen Pausen. Diese Tour ist also ein ernstzunehmendes Unterfangen.
 
Soweit der Bericht - und ja, bisher tönt das eher nach Plackerei als nach Genuss-Wandern. Doch das ist nur die eine Seite. 
Wir sahen Gemsen in einem Schneefeld, Steinbockkitze, die - wie um uns zu veräppeln - Akrobatik in steilsten Flanken demonstrierten, einen Adler weit unter uns. Wir hörten plantschende Kinder im Lag Serein. Wir fühlten den wunderschönen, gutgriffigen Puntegliasgranit, der wider mein Erwarten hier auch die Gipfel bildet.
 
Und wir (oder zumindest ich) hatten eine gute Zeit. Mit einem Bergführer unterwegs zu sein, der "Biss" für eine Neubegehung hat und einem von Anfang an das Gefühl vermittelt, dass wir es zusammen schaffen können, war für mich eine schöne Abwechslung von meinen Alleingängen.
 
Anmerkung 1: Da weite Teile der Auf- und Abstiege in den Flanken keine sinnvollen Sicherungen ermöglichen, könnte man diese Abschnitte auch als T6 einstufen.

Anmerkung 2: "I Dreamed a Dream" ist der Song aus "Les Misérables", mit welchem Susan Boyle ihre Karriere startete.

 
Damit hat auch die Bifertengruppe für jeden Gipfel mindestens eine Beschreibung in HIKR. 

Tourengänger: PStraub


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Kommentare (2)


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Alpin_Rise hat gesagt: Gratulation
Gesendet am 30. August 2012 um 15:09
zur Überschreitung, toll habt ihrs durchgezogen! Und dass jetzt jeder Gipfel beschrieben ist, ist auch dein Verdienst.

> der Piz Curtin ist auf dieser Route klar der einfachste Gipfel der Gruppe (ZS)
Ist nicht die Überschreitung des Ner einfacher (ZS-)?

Würdest du eine Route als lohnend/Genuss einstufen von der Gesteinsqualität her? Südgrat Piz Curtin, Überschreitung Ner? Der Scantschala tönt ja recht happig...

G, Rise

PStraub hat gesagt: RE:Gratulation
Gesendet am 30. August 2012 um 20:06
Danke für die Gratulation.

Bezüglich relative Schwierigkeit hast du recht, ich habe den entsprechenden Text etwas umgeschreiben: Die einfachste Route ist der Piz Ner von Nordwesten.

Ich würde sagen, Muot da Munt - Piz Ner via Ostgrat und hinten runter, das ist die attraktivste Tour der Gruppe.
Dort wo Fels ansteht, ist das Gestein super. Man geht allerdings meist auf Blockschutt.


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