Panoramania nella Valgrande


Publiziert von Schneeluchs , 23. Juni 2012 um 22:36.

Region: Welt » Italien » Piemont
Tour Datum:28 Mai 2012
Wandern Schwierigkeit: T6- - schwieriges Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: I   Vigezzo 
Zeitbedarf: 3 Tage 18:00
Aufstieg: 6000 m
Abstieg: 6500 m
Strecke:Von Malesco über die Kreten und Gipfel nach Bèura
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mit dem Zug über Domodossola nach Malesco
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Autobus Circolare Domodossola - Bèura: http://www.vcoinbus.it/cagnoli/comazzi/i_villadossola_beura.pdf
Unterkunftmöglichkeiten:Biv. Cortechiuso, Biv. Btta di Campo, Biv. In la Piana, Biv. A.Mottac, Biv. Pozzolo
Kartennummer:285 Domodossola

Start am Pfingstmontag um 16:30 in Malesco mit dem Ziel, eine gute Ausgangsposition fürs Valgrande zu erreichen, ansonsten ist eigentlich alles offen, ausser dass ich diesmal endlich auf die Cima della Laurasca will. Mit diesem Ziel war ich schon 2004 von Malesco aufgebrochen, über die Costa Orsera damals und mit geschientem Bein und Krücken, musste allerdings bei der Cappella del Group nach einem Biwak einsehen, dass es nichts werden würde, schon wegen dem vielen Schnee. Diesmal würde es besser sein, die Kniescheibe ist längst zusammengewachsen und der Schnee weitgehend weg, was ich vor ein paar Tagen vom Moncucco di Cuzzago aus beobachten konnte.
Im Gepäck die Landeskarte von 2000 und jede Menge ausgedruckter Beschreibungen, unter anderem den inspirenden Hikr-Beitrag "Unterwegs im Val Grande" von Lorenzo.
Ich mache mich auf Richtung Valle Loana. Wieder werde ich mit der Grande Devastazione, welche momentan Richtung Valle Basso angerichtet wird, konfrontiert... Es ist wirklich richtig traurig. Ich frage mich, wieso man das Valle Basso nicht auch in den Nationalpark integriert hat, als jedermannstauglichen Zustieg, bei welchem man praktisch vom Zug weg Ruhe hat(te) vor der Zivilisation, weil man gleich in ein Tal einbiegt. Jetzt mittendrin der Baulärm und diese hässliche Piste.
Beim Überschreiten des Rio del Basso steht die Sonne schon gefährlich tief, die Frage ist beantwortet: Nicht im Tal bleiben, sondern rauf auf die Krete! Leider muss ich beim Wasserfassen feststellen, dass ich meine beiden 1.5l-Flaschen vergessen habe... Fülle also zweimal 0.5l und mache mich dennoch auf Richtung Rücken. Auf der Alpe Cortino treffe ich ein älteres Paar bei einer Hütte und frage freundlich... Und tatsächlich, sie haben, was mir fehlt, und Wasser auch gleich dazu. Wobei ich es dann bei einer vollen und einer leeren Flasche bewenden lasse, übertreiben muss man ja nicht gleich...
Zügig erreiche ich La Cima und geniesse einen wunderbaren Tiefblick auf Malesco. Auf dem Weg zur Testa del Mater hat es eine geeignete Stelle für ein kleines Feuer, und so koche ich bei Sonnenuntergang Hörnli mit Chanterelles-Suppe, gewürzt mit frischem Chili und Knoblauch.
Schliesslich setze ich die Wanderung fort, bei schönster Abendstimmung und noch nicht sicher, wo ich übernachten kann. Der Himmel meint es gut mit mir... Wie erhofft, bietet sich die Mater höchstpersönlich an :) Wunderbare Aussicht auf die Gipfel, die morgen kommen werden und rüber zum Monte Leone, zum Monte Ziccher di Vigezzo und Monte Zucchero di Verzasca, Poncione Piancascia... Ich zähle jetzt nicht alle auf, das würde lange dauern... :) Das Valle Cannobina, jetzt habe ich einen kleinen Überblick...
Kaum im Schlafsack, werde ich auch noch mit farbigen Wolken verwöhnt.
Am nächsten Morgen heisst es früh aufstehen, die Etappe wird lang. Ich bin aufgeregt... Gipfelsammeln steht auf dem Tagesprogramm :) Problemlos geht es alles über den Rücken, eine Herde hübscher Schafe begrüsst mich mit lautem Gesang auf dem P.1850. Nach der Forcola mache ich einen kleinen Umweg, um Wasser zu holen, was nicht unbedingt nötig wäre, denn kurz nach dem Biv. Cortechiuso gibt es genug davon. Beim Bivacco sehe ich einen Einzelgänger. Nach dem Frühstück auf der Cima Fornaletti weiche ich vom Grat ab, der für ein Stück nicht so anziehend wirkt, und schaue mir das Biwak an. Der Ofen ist noch warm.
Auf dem Weiterweg komme ich in mein Element: Schnee! Recht lange kann ich noch ausweichen, aber irgendwann gehts nicht mehr. Zum Glück ist er nicht zu weich. Es gibt zwei Aufstiegs- und Abrutschspuren. Unglaublich, über Pfingsten nur zwei Menschen auf diesem Aussichtspunkt erster Güteklasse! Schliesslich stehe ich auf dem Cimone di Cortechiuso und kann das allumfassende Panorama geniessen. Zum ersten Mal sehe ich das Val Pogallo und bin natürlich entzückt.
Nun wirds auch gleich richtig spannend: Alles über den Grat rüber auf die Cima della Laurasca... Es ist leichter als erwartet, kann aber als unterhaltsam bezeichnet werden. Die Schlüsselstelle ist eine kleine Felsstufe, welche etwa 10Hm unterhalb der Kante gewonnen werden kann (im Abstieg vermutlich nur mit Pickel sicher begehbar; Abseilen schwer vorstellbar). Kurz danach zücke ich die Handsäge und schneide eine Erle raus, die auf der Kante mitten in der Wegspur wächst. Leider bringe ich die Wurzel nicht weg, aber die nach mir kommen, werden bestimmt helfen, dass sie nicht wieder den Durchgang blockiert [edit Aug14: Wiederaustrieb mit Gartenschere abgeschnitten]. Auf dem Gipfel Kreuz und Buch, eine Seltenheit in der Gegend. Und genügend Liegeplatz.
Das folgende Stück gestaltet sich überraschend einfach. Nur kurz vor der Bocchetta di Scaredi muss einer Steilstufe gegen rechts anspruchslos ausgewichen werden, jedoch ohne Zeit- und Höhenverlust. Glücklicherweise hat es gerade genug wenig Schnee für das Manöver. Ein Ausläufer der Cima di Campo lädt zu einem Abweichen vom Hauptgrat ein, um den Tiefblick ins Alta Valgrande aufzunehmen. Das Panorama ist wirklich ausserordentlich ausgedehnt, die Fernsicht lässt keinerlei Wünsche offen. Und im Schnee gibt es nur eine ganz alte Spur, vielleicht von Gianfry. Die ganzen Feiertage kein Mensch auf der Bocchetta di Campo! Die Hütte wird keinen Schönheitswettbewerb gewinnen, das ist klar, und Fenster hat sie praktisch keine. Offensichtlich wurde sie bewusst so gestaltet, dass niemand auf die Idee kommt, sich hier zu lange einzurichten... Materialdepot beim Biwak und mit leichtem Gepäck die Gegend erkunden... Krönender Abschluss des Tages ist die Besteigung der Cima Pedùm, mit ein wenig Schnee im obersten Teil, was mich kurz zögern lässt. Aber den Schneeluchs kann das nicht abschrecken ;)
Auf dem Weg zurück zum Biwak eine reinigende Dusche mit Wasser, das kälter nicht sein könnte: Es fliesst direkt aus dem Schnee. Füsse kühlen, das tut gut. Balance finden zwischen Kühlen und Abfrieren. Ahh, herrlich, sich nach einer anstrengenden Etappe zu waschen ist einfach das Beste :)
Holz gibt es genug im Biwak, aber leider das meiste in viel zu grossen Stücken, und zum verkleinern hat man zur Verfügung: Eine nicht sehr scharfe Machete, einen Hammer und einen völlig stumpfen Meissel...!? Zum Glück gibt es doch ein paar dünnere Teile, denn die harten Buchenscheite mit der Ausrüstung zu spalten - vergiss es! So wirds dann natürlich leider nichts mit Holzsparen, denn um das Feuer am Leben zu erhalten, muss man mindestens ein paar dieser Monsterbrocken opfern [Eine Woche später habe ich bei einer weiteren Expedition ein kleines Beil mitgenommen und dann in der Colma di Premosello einer Gruppe Deutschen mitgegeben, die auf dem Weg in die Bocchetta di Campo waren...]. Was drinnen in dem kleinen Ofen kaum möglich wäre... Immerhin, es gelingt zu kochen, und das so dringend benötigte warme Essen mit heissen Gewürzen ist wieder lecker (merke mir für die Zukunft, dass ein kleiner Gaskocher mit kleiner Kartusche entscheidend sein könnte [Inzwischen angeschafft, nicht einmal 300g Kocher und Kartusche]). Ich richte mich vor der Hütte ein, in deren Windschatten. Es hat ein recht zügiger Nordostwind eingesetzt, dafür werde ich mit Mondschein teilweise entschädigt. "Draussen" drinnen schlafen bin ich nicht so gewohnt.
Am Morgen wieder früh auf und immer noch dasselbe Wetter. Morgenessen und Sonnenaufgang diesmal auf der Cima di Campo, nur 10m tiefer als die Laurasca. Auf dem Weg nach Scaredi komme ich in teilweise leiden Schnee, wühle mich durch. Sicher ein Grund dafür, dass niemand hier war über Pfingsten. Hübsches Biwak, wirklich, sogar Tisch und Bänke hat es draussen, und einen Brunnen - ein Ort zum Wohlfühlen. Aber ich kann nicht lange bleiben, denn ich habe mich entschieden, statt direkt nach In la Piana abzusteigen noch die Diosi-Runde anzuhängen mit der Costa dei Riazzoli als Höhepunkt der Abenteuerlichkeit. Kurz vor dem Pizzo Stagno finde ich direkt auf der Kante nahrhafte Genusskletterei, nur kurz zwar, aber immerhin.
Vor dem Abstieg muss ich mir Mut zusprechen - immerhin handelt es sich um eine ziemlich wilde Geschichte, die Frank Seeger im unteren Teil mit T6 bewertet. Ein Ausstieg sei nur bei 1358m möglich. Was, wenn ich den nicht erreiche? Andererseits hatte ich von gegenüber den Eindruck, dass ein Notausstieg auch weiter oben möglich sein sollte. Und Ferruccio Rossi schreibt "Un percorso ... molto panoramico, in buona parte senza sentiero, ma che non presenta particolari difficoltà; sia di orientamento (basta seguire la dorsale), che di percorso (le eventuali asperità nel tratto boscoso, si possono aggirare sul versante nord)." Also ab ins Abenteuer... Es geht sehr steil hinunter, und die Sonne brennt bereits quasi gnadenlos. Gar nicht dran zu denken, wenn ich das wieder rauf muss, denn ich habe die Etappe von gestern noch spürbar in den Beinen und auch nicht allzuviel (0.5 Liter...) Wasser dabei. Schliesslich erreiche ich den Wald (der schon die ganze Zeit sehr nah aussieht) und auch bald darauf eine deutliche Verzweigung auf 1560m, wo es problemlos möglich sein sollte, die Costa zu verlassen. So weglos wie erwartet ist es gar nicht. Auf der Krete gibt es einen meist guten Weg. Vielleicht bin ich im Laufe der Zeit auch einfach anspruchslos geworden in dieser Beziehung. Jedenfalls bin ich wieder unbekümmert, mit dieser Fluchtmöglichkeit und einer weiteren 200m tiefer kann eigentlich nicht mehr viel passieren. Also investiere ich in die Wegpflege, zücke öfters mal den Fuchsschwanz, um eingewachsene Äste zu entfernen und kerbe das eine oder andere Bäumchen auf dem Weg ein, damit es abstirbt ohne neu auszutreiben. Sonst können sich gerade die hier in Mengen wachsenden Buchen und Schneebälle (und die anderswo in der Gegend anzutreffenden "Ontanelli"=Grünerlen sowie Hasel) zu wahren Hydras entwickeln, die einmal geköpft zehnfach austreiben. Nur ganz langsam verliere ich Höhe, ich bin im ausflachenden Teil der Costa. Die Aussicht ist jetzt nicht mehr so ungehindert, dafür komme ich in den Genuss von Schatten. Ein schöner Aussichtspunkt ist wirklich erwähnenswert. Drei jährige Birken reisse ich dort wie wohl schon viele vor mir samt den Wurzeln aus, um das Zuwachsen ein wenig hinauszuzögern und hoffe, dass zukünftige Besucher mit noch spriessenden Bäumchen ähnlich unzimperlig umgehen, damit dieser einmalige Ausblick noch lange erhalten bleibt, vielleicht sogar der nächsten Generation. Aber das sind womöglich Illusionen angesichts dessen, was 7 Jahrzehnte mit Gebäuden anrichten. Nach längerer Zeit komme ich schliesslich zu P.1358, und tatsächlich ist da der Steinmann und die Abzweigung Richtung Alpe Portaiola - so etwas ist jedes Mal wie eine Zwischensicherung, wenn man ein langes Dokument schreibt...
Hier wandere ich nun im dichten Buchenwald, und der ist weniger anfällig für einwachsende Vegetation, dafür räume ich mit den Stöcken allerlei Fallholz weg - mit der Zeit geht das automatisch, beinahe ohne den Schritt zu beeinflussen und mit minimaler Konzentration. Die Augen müssen ohnehin dauernd auf den Boden gerichtet sein wegen der Vipern, die überall rumfläzen und darauf lauern, dass ihnen etwas Leckeres in den Mund tritt. Plötzlich verliert sich der grosszügige Weg, und ich schaffe es nicht, ihn wieder aufzunehmen. Da, eine Lichtung... Es muss die Alpe Riazzoli sein, die ich weiter rechts erwartet hatte. Ohne mich wirklich meiner unerwarteten Enteckung widmen zu können, gehe ich rechts drum herum. Es gilt, den Weg auf keinen Fall zu verpassen. Eingezeichnet ist auf meiner Karte leider keiner, und so muss ich halt systematisch suchen gehen. Links anfangen wäre in der Situation natürlich logischer ("seguire la dorsale..."), aber das fällt mir gerade nicht ein... Rechts geht einer horizontal weg, ich folge ihm kurz - er führt an den Bach, also zurück. Rechts unten ein weiterer Weg, selbes Ergebnis... Genau unter der Alp geht einer ziemlich steil nach links unten. Dem folge ich, er ist sehr deutlich (zuhause auf der Karte von 1963 finde ich diesen nicht, aber denjenigen, welchen ich bis zur Alpe Riazzoli gekommen bin, zusammen mit dem eigentlich gesuchten... da wurden Wege, die es noch gibt, einfach willkürlich aus den neuen Karten gelöscht, anstatt dass man sich den wirklichen Problemen der alten Karte angenommen hätte) und führt dorthin, wo ich hin will - an den Fluss. Denn wenn ich erst dort bin, sollte es laut Karte kein Problem sein, dem zu folgen und In la Piana zu erreichen. Es gibt sehr viel Fallholz wegzuspicken, aber es fällt hier leicht, denn der Hang ist steil. Jedoch nie "unangenehm steil", und von heikel kann auch nicht die Rede sein. Der Bach wird immer lauter. Plötzlich verliert sich der Weg, es gelingt mir nicht, ihn wieder aufzunehmen (später werde ich rekonstruieren können, dass er nach links abzweigt, ich habe einen Steinmann hingesetzt an die Stelle, sie ist etwa 50m leicht nach rechts vom Zusammenfluss). Da ich den Rio Fiorina schon sehe, gehe ich querwaldein gerade runter und merke mir gut, wo der Ansatz ist, ich muss ja schlimmstenfalls bis zum P.1358m backtracken können. Hier bin ich bei 1020m. Rechts mündet der von Riazzoli kommende Bach ein, schöne Becken, ich nehme erstmal ein Bad, trinke einen schönen Schluck und esse den viel zu salzarmen Fisch aus der Dose, welchen ich als Bonus eingepackt hatte (das Essen wird knapp). Danach versuche ich, dem Fluss zu folgen. Das gebe ich nach 5 Minuten schon auf... Felsen beidseits und kein gangbares Flussbett. Dafür finde ich einige Meter flussabwärts den Weg und sehe, wie er hoch geht in Richtung meines Steinmannes. Fallholz erschwert die Wegfindung ungemein... Ohne mich um den Weg zu kümmern, steche ich gerade hinauf, in der Hoffnung, die Felsen zu umgehen. Keine Chance. Bei der Vorstellung, jetzt wieder zur Alpe Riazzoli hochzusteigen und den nächsten Weg zu suchen und auszuprobieren und dann doch schlimmstenfalls zum Ometto auf 1358m hoch zu müssen, entschliesse ich mich, den Rio Fiorina zu queren (was nicht das geringste Problem ist an dieser Stelle und mit diesem Wasserstand) und auf der anderen Seite die 140Hm wild hinaufzukommen versuchen - schliesslich will ich ja nicht auf die Alpe Riazzoli, sondern auf den Pizzo Mottàc, der Fluss war, ist nur ein Zwischenziel, ein hydrationstechnisch und strategisch wichtiges zwar. Wegspuren zu Beginn, doch die lösen sich im sehr steilen Buchenwald bald auf (wohl weggeschwemmt mit der Zeit), dafür wirkt es so, als wäre da mal eine Seilbahn gewesen (unten hat es sogar Pneureste...) und insgesamt geht es zwar wirklich steil aufwärts, aber es lassen sich keine wirklichen Hindernisse ausmachen. Laut dem rudimentären Höhenmesser müsste ich nun auf dem Weg sein, auf dem ich vor 14 Tagen mal war, doch nirgends ein solcher zu sehen. Übersehen kann man den eigentlich auch nicht, dafür ist er zu auffällig. Es wird immer steiler, der Boden ist hart, ich halte mich schon an den jungen Buchen, viel mehr geht nicht mehr. [T5] Weiter oben ein Felsriegel. Weit und breit kein Weg. Ich mache den WachTraumCheck, nichts. Nehme die Karte hervor, obwohl ich eigentlich genau weiss, wie die Lage laut dieser sein sollte. Ja, der Weg muss da sein, genaugesagt 30m unter mir! Ich verhandle mit dem Hindernis, kann es links umgehen, et voilà, viel lieber spät als nie: IL SENTIERO :)
Bei soviel Erfolg wird man übermütig, ich komme spontan auf die Idee, via Alpi Ceresa und Monticello aufzusteigen. Mit dem Weg, der von der Alpe Basciòt dort hochgeht, habe ich vor zwei Wochen, als ich von Vald runterkam, schon geliebäugelt. Und jetzt ist der Moment gekommen. Ich unterbreche hier also meinen Weg über den Rücken und hole aus. Der Weg von Basciòt hoch ist weniger deutlich als erwartet, auch da liegt wieder viel Fallholz. Schliesslich erreiche ich die Alpe Ceresa ohne nennenswerten Verhauer, aber mit dem sicheren Gefühl, dass die Route auf den Mottàc mühsam wird und ich vielleicht sogar umkehren würde müssen. Und das schon nach 15 Uhr. Die Position auf dem Mottàc ist das strategische Minimum für diesen Abend, denn auf Donnerstag ist eine Gewitterfront angesagt. Ziel wäre eigentlich einmal Pozzolo gewesen, aber das ist in unerreichbare Ferne gerückt. Ich WILL gar nicht schon heute "raus", Mottàc ist schon länger ein Übernachtungsziel, mal da das Einnachten erleben. Und: Auf dem Pizzo Stagno hatte ich kurz Natelkontakt, dabei erfahren, dass ein Kollege vorhat, auf Mottàc zu übernachten, leider vergessen zu fragen, wann... Angesichts der Tatsachen beginne ich ernsthaft in Erwägung zu ziehen: Ich habe neulich den SE-Rücken entdeckt und mich gefragt, ob der wohl "gehe"...... Ohne lange nachzudenken, entschliesse ich mich, das hier und jetzt zu klären und auf das bestmögliche Ergebnis zu spekulieren - ein Blitzaufstieg, der sich praktisch lückenlos an den Riazzoli-Abstieg anschliesst und ich in einer knappen Stunde auf dem Mottac beim Kollegen... Oberhalb Ceresa einfühlen, ob auf dieser Costa viel los ist/war... Einige schwache Wege mit einigem Fallholz - aber weniger als auch schon, keine hinderliche Vegetation. Beschliesse, der Spur zu folgen. Es geht zügig aufwärts, keine Probleme. Eine Felsbarriere kann ich ohne weiteres links umgehen und anhand der Spuren erfreut feststellen, dass das hier gang und gäbe ist. Es hat hier schon Tannen, und nicht mehr viel höher sehe ich auf dem andern Sporn die Hütten von Mottàc. Mut und Spannung. Der Poker ist hoch; wenn ich das alles zurück muss, schlimmstenfalls bis zum Wanderweg In la Piana - Mottàc, und dann heute noch hoch...! Nicht dran denken, Glaube versetzt Berge, und wenn der Berg doch bleibt, besteige ich ihn. Durst - schon wieder zu wenig Wasser (einen halben Liter, ergänzt beim Bach unmittelbar n von Basciòt) mitgenommen, weil ich fest mit dem Riale Pirin gerechnet hatte, an welchem ich jetzt aufgrund geänderter Route natürlich nicht vorbeikomme. Der Rücken verschmalt sich schon vor P.1629 merklich, rechts wird es immer steiler, links ist es auch nicht anders. Aber oben drüber geht ganz gut, mit kurzen Ausweichern je nach Spurlage. Schnittspuren :) Ich spüre, es geht. Hindernisse werden grossenteils genüsslich überklettert anstatt ausgewichen - das ist immer ein gutes Zeichen, dann hat man Reserve. Zwischendurch erfordert die Vegetation ein Ausweichen, aber immer auf guter Spur. Ich bringe die lange Geschichte zu einem kurzen Ende, es geht - und wie! Tolle Ausblicke, grossartiges Ambiente, Avventura Grande. In zwei Stunden vom Fluss auf die Alpe Mottàc, auf einer weitgehend "weglosen" und undokumentierten Route. Ich fühle mich langsam heimisch im Grossen Tal.
Schon als ich noch auf dem "flachen" Ostteil des Grates bin, höre ich Stimmen vom Wanderweg, welcher von der Alpe Curtìn zur Alpe Mottàc führt. Ich erreiche diesen genau in der Mitte der fröhlichen Gruppe, so dass Verwirrung aufkommt, ob ich nun dazugehöre oder ein Fremder bin. Was natürlich schnell geklärt ist. Und auch, welche Sprache wir sprechen. Si, claro, anch'io parlo Schwizerdütsch. Die ersten Menschen seit dem Rentnerpaar auf der Alpe Cortino - und die letzten bis Bèura. Eine Gruppe Jugendlicher aus dem Haslital unterschiedlichen Alters. Voller Lebensfreude und Begeisterung für die Natur, auch müde vom Wandern. Fix und fertig sind wir zwar alle, aber einig, dass Wandern das schönste Hobby ist (oder höre ich da einen leichten Ton von Ironie?) Ich werde zum Nachtessen eingeladen :) Eine tolle Abwechslung zu meinen Suppenhörnli: Spaghetti al Pesto con Olio di Olive. Buon Appettito :) Zuerst natürlich noch die obligate Dusche. 5 Minuten von den Hütten entfernt hat es ein Rinnsal, wo man Flaschen füllen und dann über sich leeren kann. Das tut einfach sowas von gut! Und dann noch die Abendsonne geniessen :)
Nach dem feinen Essen bin ich soweit gestärkt, dass ich noch einen Spaziergang auf den Pizzo Mottàc vertrage. Zur Sicherheit nehme ich gleich alles mit, dann bleibe ich flexibel. Es ist gar nicht leicht, einen Liegeplatz zu finden auf diesem eher schmalen Gipfel. Schliesslich bringe ich es doch recht komfortabel hin. Endlich liegen... die elenden Rückenschmerzen... Duschen-Essen-Liegen sind die Grossen Drei am Abend beim Trekken. Gewitterwolken, Richtung Valle Vigezzo. Bei der Testa del Mater regnets wohl... Der Wind trägt die Wolken tendenziell weg... Ich geniesse das Naturschauspiel. Bis es beginnt zu tropfen, ich packe alles so schnell wie die Eichhörnchen Nüsse zusammen, um zur Hütte zu flüchten. Will kein Gewitter auf einem Berg erleben, wenn die Hütte so nah ist (das Notbiwak auf dem Simelihorn bei Gewitter ist unvergesslich...). Ich bin schon unterwegs, hört es wieder auf. Entschliesse zu bleiben und halt stehend, in Bereitschaftsposition, das Panorama in mich aufzunehmen. Wirklich unglaublich, diese Lichtverhältnisse und Stimmung. Auf der einen Seite immer opulenter anschwellende Gewitterwolken, auf der andern wolkenlos und Mondschein. Ich genau dazwischen. Habe Gelegenheit, die Tour noch einmal Revue passieren zu lassen und die letzten Touren in Erinnerung zu rufen.
Als es dunkel ist, steige ich mit Lampe zur Hütte (will heute Abend schlafen, nicht mehr pokern...) und begegne noch vier Kreaturen aus einer andern Welt: verwilderte Schafe, mit Glocken. Haare bis auf den Boden. Die sind irgendwo abgehauen in die Wildnis und haben bestimmt schon mehrere Male überwintert.
Im Biwakbuch sehe ich den Eintrag meines Kollegen - vom Vorabend. Leider ist er da schon wieder zuhause. Er konnte nicht wissen, dass ich heute hier bin - ein Tribut an den fehlenden Natelempfang im Valgrande, dafür haben wir ein Natelrückzugsgebiet, wo uns niemand erreichen kann und wir auch vor der Strahlung Ruhe haben.
In der Nacht erreicht mich noch ein SMS, das vor Regen bereits am Morgen warnt. Ich mache mir kurz Sorgen darüber, packe alles regensicher ein und beschliesse, auf alle Fälle auf den Sonnenaufgang auf dem Mottàc zu verzichten und in die Wegverkürzung zu investieren. Bei Tagesanbruch mache ich mich auf meist bequemem Wanderweg (dennoch nicht zu vergleichen mit schweizerischen Verhältnissen - viel dezenter markiert) und ganz passablem Wetter auf Richtung Testa di Menta. Irgendwo in halber Distanz der Costa Mottàc geht die Sonne auf. Kurz danach verabschiedet sich die Kamera mit Zuckungen...
In logischer Route auf die Testa di Menta, wo ich von geschorenen Schafen begrüsst werde... Die Zivilisation streckt ihre Fühler aus. Es zieht und ist kühl, das Wetter wirkt unsicher, aber noch stets dominiert die Sonne. Solange es nicht wie angekündigt auf W dreht, wäge ich mich noch in fragiler Sicherheit. Also entscheide ich mich beim Passo della Rolà, nicht den Notabstieg zu nehmen, sondern den Plan weiterzuführen und zum zweiten Mal innert eines Monats den Pizzo Desèn und die Testa del Parise zu besuchen, was mit einer Prise würziger Krabelei belohnt wird. Angesichts des bösenden Wetters und der geschwundenden Kräfte verzichte ich auf die Punta Pozzolo und Abstiegsträumereien über die Alpe Nancino und wende mich unverzüglich dem NW-Sporn zu, über welchen ich gänzlich ohne Schwierigkeiten auf den Weg und die Alpe Corte Vecchio gelange. Nun beginnt es wirklich zu brodeln, obwohl es erst 10 Uhr ist. Ein zügiger Abstieg hat jetzt Priorität, und trotzdem liebäugle ich mit der einen oder anderen interessanten Route: Die eingezeichneten Pfade über den Sasso Miscioi oder Casal del Colle habe ich immer noch nicht studiert, also mache ich mich auf Richtung Selvaccia und den Pozzolo-Wanderweg und lasse später auch die Abzweigung nach Uler schweren Herzens links liegen. Trocken und sicher runterkommen ist jetzt was zählt - ich weiss, dass die Fähigkeiten, Wege zu finden und geniessen zu können mit zunehmender Erschöpfung abnehmen. Zudem passt der Rücken sehr gut ins Gesamtkonzept der Reise, obwohl hier aufgrund des Waldes nicht mehr soviel Aussicht zu haben ist. Auf einer hübschen Alp mit fliessendem Wasser (1060m) finde ich trotzdem noch einmal einen Happen davon und gönne mir eine letzte Verpflegungspause. Happig ist dann auch der Restabstieg bis Bèura auf 250m mit müden Beinen. Immerhin trockenen Füssen auf trockenem Boden, wofür ich unbeschreiblich dankbar bin. Einmal habe ich noch die in dieser Gegend nicht gerade seltene Gelegenheit, eine fläzige Schlange (1m) direkt auf dem Weg zu beobachten und deren Verhalten ein wenig zu studieren. Aber schliesslich läuft und läuft der Mensch, bis er am Ziel ist - so auch diesmal :)
Der Circolare kommt pünktlich und fährt rassig nach Domodossola, wo bei den Libanonzedern gleich beim Bahnhof ein feines Gelato wartet. Im Coop kaufe ich die ersten Aprikosen dieses Jahr - was für eine Saisoneröffnung, richtig toll süss-sauer sind die :))

Tourengänger: Schneeluchs


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen

T6 L II
21 Jun 10
Unterwegs im Val Grande · lorenzo
22 Sep 15
Ai confini della Valgrande · ciolly
T6 II
T3+
5 Okt 08
PEDUM m 2111 · Giuliano54
T4
22 Okt 21
Pedum 2111 e Cima di Binà 2181 · Antonio59 !
T4
10 Aug 92
Strette del Casè · paoloski

Kommentar hinzufügen»