Unterwegs im Val Grande


Publiziert von lorenzo , 25. Juni 2010 um 21:43.

Region: Welt » Italien » Piemont
Tour Datum:21 Juni 2010
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: L
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: I 
Zeitbedarf: 4 Tage
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Domodossola, weiter mit Zug (www.ferroviedellostato.it) oder Bus (www.comazzibus.com) nach Premosello
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Bus Finero-Malesco (www.vigezzina.com/Tedesco/autolinee.htm), cff logo Malesco
Unterkunftmöglichkeiten:Biv. A. della Colma: Brunnen vor der Hütte, Staudenholz SW am Moncuccio. Biv. Btta di Campo: Wasser ca. 80m unterhalb am Weg zum Pedum, Holzvorrat in der Hütte. Rif. Lidesc: Brunnen neben der Hütte, falls ausgetrocknet, Bach 15min am Weg zum Pso Crosit. Holzvorrat vor der Hütte. Mitnahme von Essen, Geschirr, Schlafsack und Matte obligatorisch, Kocher wegen teilweise feuchtem Holz zudem empfohlen. Details unter www.alpi-ticinesi.ch und www.in-valgrande.it
Kartennummer:LK 285 T Domodossola

Vor ein paar Jahren drückte uns ein junger Fahrer, der uns nach einer Wanderung vom Simplonpass zur A. Veglia von S. Domenico nach Varzo mitnahm, einen Prospekt vom Val Grande in die Hand: "conoscila?" Ich musste eingestehen: "no". Mir kam dazu nur Vallegrande in der bolivianischen Sierra in den Sinn: ein Fahrer hatte uns damals mit einem rostigen Toyota über eine Schlammpiste nach La Higuera gebracht, wo 1967 El Che von einem betrunkenen Leutnant auf Befehl in der Dorfschule hingerichtet worden war. Das Skelett von El Che wurde dann 1997 am Ende der Flugpiste von Vallegrande ausgegraben und nach Kuba überführt. Die Schule wurde inzwischen in einen Sanitätsposten umfunktioniert, wo kubanische Aerzte ihren Dienst tun.

Erst später stiess ich auf erstaunliche Parallelen zwischen dem Val Grande und Vallegrande, die sich nicht nur auf die homonymische Aehnlichkeit ihrer Namen beschränkten: wie dort die rund 30-50  kubanisch-bolivianischen Guerilleros einen aussichtslosen Kampf gegen die von den USA unterstützte bolivianische Armee geführt hatten und gescheitert waren, endete auch hier das Restrellamento der 450-500 ossolanischen Partisanen gegen die 17'000 Soldaten umfassenden Verbände der Nazis mit einer Niederlage und dem Tod von rund 300 Partisanen, von denen die Hälfte gefoltert und hingerichtet wurde. Zwei "grosse Täler" des Todes, der Tränen und der Trauer also, "due valli di lacrime", auf denen für immer der Fluch von Macht und Gewalt lastet? Villeicht helfen historische und Erinnerungsarbeit, den Fluch soweit als möglich zu bannen, und der Schönheit von Natur und Kultur  wieder zu ihrem Recht zu verhelfen, wie z.B. die im Val Grande am Eingang und an den Orten der Massaker errichteten Erinnerungstafeln oder die Ruinen alter Stellungen, die uns erst die Augen für den Zauber dieser Landschaft wieder öffnen und freimachen. Und hoffentlich lebt auch der kämpferische und freiheitliche Geist der Partisanen im Val Grande für uns alle spürbar weiter.

Genug des Pathos...und Zeit, endlich ins Val Grande aufzubrechen! Wo beginnen? Schon vor dem Monat Mai blätterte ich immer wieder zu einem von Franks Kalenderfotos mit dem Rifugio Lidesc, und dann liess ich es noch bis weit in den Juni aufgeklappt. So hatten wir das früher immer mit dem Adventskalender gemacht. Wie liess sich aber Lidesc mit einer Durchquerung des Val Grande verbinden? Ich wählte den klassischen Einstieg von Premosello, kombinierte ihn mit einer passeggiata zum innersten Heiligtum, dem Riserva integrale del Pedum und fügte noch eine launige Gratüberschreitung hinzu. Damit würde auch für Erinnerungen an Vallegrande und Bolivien genug Zeit bleiben: etwa an den Reisebeginn in Santa Cruz de la Sierra beim Start in Premosello, an einen Ausflug von La Paz nach Yungas im tropischen Amazonasbecken beim Durchwandern des üppigen Buchen- und Birkenwalds im Val Gabbio oder an die schwebende Cordillera Real über dem Titicacasee beim überwältigenden Panorama zur Cordillera Valesan zwischen Monte Leone und Monte Rosa und zu den Laghi d'Orta und Maggiore.


21.6.2010: Anreise mit Zug und Bus nach Premosello und Aufstieg entlang der rot-weiss (rw) markierten Route über Colloro, A. Lut (804m) und A. La Motta (1077m) zum Biv. A. della Colma, 3h 30min, T2. Hier kreuze ich eine 6. Klasse mit 40 SchülerInnen aus Stuttgart auf ihrer Traversierung von Malesco nach Premosello: Gratulation zum Durchhaltewillen bei teilweise garstigem Wetter und den LehrerInnen zum logistischen Kunststück! Abstecher mit leichtem Rucksack rw zum P. Proman und zurück, 2h 30min, T3. Gegen Abend trifft schliesslich noch ein Gruppe junger fröhlicher Milanesi mit Gitarre ein, und bald ertönen ausgelassene Canzoni, auf meinen Wunsch als Zugabe sogar "Ragazzo fortunato" und "Serenata Rap" von Jovanotti.

22.6.2010: Abstieg bei Morgendämmerung rw zur Colletta (1270m) und im Schatten des dichten Buchenwalds durch das Val Gabbio zur Lichtung von In La Piana, wo mir schon ein Gruppe entgegenkommt, andere aber gerade erst Tagwacht feiern, 2h 30min, T2. Auf der wackeligen Brücke über den Rio Fiorina und rw zur A. Portaiola (1293m), wo ich Guida Tim mit einer Gruppe treffe, der mir wertvolle Zusatzinformationenen zum Gebiet gibt. Bei der Brücke nahe der A. Boschelli (1420m) hole ich im 7-8 Grad kalten Wasserfallbecken die verpasste Morgenwaschung nach und wache endlich auch noch richtig auf...oder doch nicht ganz: nach La Balma (1544m) verpasse ich dann offensichtlich trotzdem den direkten Aufstieg zur A. Scaredi, indem ich statt den rw Markierungen dem besseren, aber unmarkierten Umweg über die Cappella di Terza (1859m) folge, 2h 30min, T2. Dafür werde ich hier mit einem überwältigendes Panorama auf die Walliser und Tessiner Alpen entschädigt und staune nach dem anstrengenden Aufstieg über die fantastische Zeit von il dottore...Rw und z.T. auf Altschnee weiter zur Btta Scaredi (2095m) und dem Grat entlang über die C. di Campo zum Biv. Btta di Campo, 2h, T3, insgesamt ca. 7-8h 30min. Hier erklärt mir ein freundlicher Italiener den Aufstieg zum Pedum (siehe Foto): auf einem Pfad hinunter zum Schneefeld bzw. Bach (hier Stelle zum Wasserholen) und Querung nach SW und am markanten N-Couloir vorbei zum Einstieg am N-Rücken (Steinmänner); auf Pfadspuren über diesen hinauf in eine Scharte, ausgesetzt in die Gipfelschlucht hinabqueren und durch ein felsiges Couloir und die abschliessende E-Flanke auf den Gipfel (Steinmänner). Hier betritt man wirklich ein wunderbares Heiligtum und spürt innere Ruhe und Zufriedenheit - oder war ich einfach nur müde? Abstieg auf der gleichen Route, hin und zurück  2-3h, T5+.

23.6.2010: geplant war die direkte Gratüberschreitung zwischen der C. della Laurasca und dem M. Torrione, die aber aus Zeitgründen und mangels Kletterausrüstung nur zum Teil gelang. Rw zurück zur Btta di Scaredi. Umgehung des ersten Aufschwungs und von N über eine ca. 5m hohe Stufe (III, wahrscheinlich einfacher auf Pfadspuren östlich davon, siehe Foto) auf den WSW-Grat und über diesen auf die C. della Laurasca, wobei ein Aufschwung und zwei Grathöcker in leichter Genusskletterei (I-II) überschritten werden, 1h 30min, L. Abstieg auf Pfadspuren über den ENE-Grat: eine erste Stufe wird ausgesetzt über eine Platte abgeklettert (II), eine zweite Stufe kann an guten Griffen NW umgangen, oder vermutlich auch direkt abgeklettert oder SW auf Pfadspuren umgangen werden. Nun einfach über den WSW-Grat auf die C. di Cortechiuso, 1h, T6. Abstieg: wegen einer ca. 20m hohen senkrechten Stufe im ENE-Grat über den NNW-Rücken einfach hinunter bis ca. 2100m und aufsteigende Querung auf den W-Grat und über diesen rw auf die C. Marsicee, 1h, T3. Abstieg rw über den ENE-Grat, und zuerst nördlich, dann südlich des Grats zur Btta di Terza (1836m), 1-2h, T4, Ketten (den Versuch einer direkten Gratbegehung bis kurz nach der Kreuzung Pfad-Grat brach ich wegen der sperrigen Türme im letzten Drittel ab und stieg ruppig durch ein Couloir nach S auf den Pfad ab, T6+, nicht empfehlenswert). Weiter SE entlang dem SW-Grat rw auf den Gipfelgrat des M. Torrione (Steinmänner) und über einen kurzen gezackten Grat ausgesetzt (II) nach W auf den Hauptgipfel (der SW-Grat dürfte klettertechnisch zwar machbar, zeitlich aber um Einiges länger sein ), 1h, T4. Abstieg rw nach SE in eine Schlucht und durch diese (nass) und nach E querend zum Pso Crosit (bzw. delle Crocette), 1h, T5, Ketten. Zuletzt rw zum Rif. Lidesc, 45min, T3, Ketten, insgesamt 7-8h 30min.

24.6.2010: Abstieg rw über die A. Motto (1493m) nach Provola (929m) und erfrischendes Bad bei der Brücke über den Torrente Cannobino, 2h, T3, Ketten (die Brücke am Motto Cante [1618m] ist tatsächlich zerstört, die Stelle aber gut passierbar [Seil]). Kurzer Schlussaufstieg nach Finero, wo bereits der Pullman nach Malesco wartet.

Tourengänger: lorenzo


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Kommentare (2)


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lobojack hat gesagt: Einzigartig!
Gesendet am 20. Juli 2010 um 19:54
Der Val Grande Nationalpark bietet wirklich einzigartige Erlebnisse. Vielen Dank für diesen schönen Bericht!

Allerdings sollte man wissen was man tut. Die Gegend ist nichts für "Warmduscher". Schwerer Rucksack mit Proviant, oft schwer erkennbare Wege und lange Marschzeiten bis zum nächsten Notfalltelefon sind typisch für die Gegend.

Tourentipps und Informationen dazu auch hier:

http://www.mountainzones.com/tag/val-grande/

lorenzo hat gesagt: RE:Einzigartig!
Gesendet am 20. Juli 2010 um 21:27
Vielen Dank für die Rückmeldung und den Link!

Zur Komfortzone würde ich das Val Grande auch nicht rechnen.

Mehr als 10-12kg sollte der Rucksack aber nicht wiegen - so viel braucht man ja auch wieder nicht - sonst macht das Wandern auf die Dauer keine Freude.

G. lorenzo


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