Das Leutaschtal und die falsche Söllerrinne


Publiziert von alpensucht , 29. Mai 2012 um 23:35.

Region: Welt » Deutschland » Alpen » Wetterstein-Gebirge
Tour Datum:17 Mai 2012
Wandern Schwierigkeit: T6- - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: D   A 
Zeitbedarf: 10:15
Aufstieg: 1100 m
Abstieg: 350 m
Strecke:Mittenwald-Geisterklamm-Unterleutasch-Reindlau-Rastplatz Puitegg-falsche Söllerrinne-Rastplatz 14km


So ein schönes verlängertes Wochenende kann man doch einzig und allein für eine zünftige Bergtour verwenden! Dieses Mal wollen wir allerdings mehr mit Fels als mit Schnee in Berührung kommen. Ob das nur ein Wunschtraum bleibt, fragen wir uns alle, als wir morgens von Garmisch nach Mittenwald fahren.
 
Dort angekommen frühstücken wir zunächst einmal an einem warmen Plätzchen, ordnen unsere Mehrtagerucksäcke und spazieren durch das wunderschöne Städtchen Mittenwald, welches im Westen und Osten von den frischverschneiten Karwendel- und Wettersteinkämmen eingerahmt wird, in Richtung Leutascher Geisterklamm. Ob wir überhaupt so hoch hinaus kommen wie wir gern hätten? Es gab schon im Tal über Nacht 10-15cm Neuschnee. Jedenfalls können wir mit stabilem (nicht stürmischen!) und kühlem Frühlingswetter in den nächsten Tagen rechnen.
 
Hinter der Straße nach Leutasch führt ein Brücke rechts über die beinahe überfüllte Leutasch hinaus aus dem Ort am Waldrand bis zu einem Gasthof, bei dem der modern ausgebaute Weg durch die Geisterklamm beginnt. Nach einigen Serpentinen (T2) beginnt das Drahtgitter mit Geländer.
Es fühlt sich etwas an, als liefen wir durch eine riesige Fabrik, wäre da nicht tief unter uns die Klamm mit den tobenden Wassern. Überall liegt noch Schnee, so dass wir uns auf der zweiten Hängbrücke eine zünftige Schneeballschlacht leisten. Für den Rest des Wegs hört diese auch nicht wirklich wieder auf. Alle paar Meter  gibt es kleine Stationen und Infotafeln, wo die Besucher über geografische oder mythologische Hintergründe aufgeklärt werden. Das alles wird jedoch übertrumpft von atemberaubenden Blicken in die bis zu 60m tiefe Klamm, wo unten die Leutasch tobt. Insgesamt ein sehr familientauglicher Erlebnisweg, sofern keiner Höhenangst hat.
 
Nach ca. 90min endet die Reise durch die Schatten der Klamm und wir finden uns im wunderschönen stillen Leutaschtal. Zunächst laufen wir wenige km an der Straße entlang bis in Gasse ein Weg uns nach rechts in den Wald führt. Der Waldweg wird deutlich erschwert durch zahlreiche umgestürzte Bäume, die sich quer über ihn gelegten haben und natürlich auch durch den immer tiefer werdenden Schnee. Dazu kommt, dass wir einem permanenten „Regen“ ausgesetzt sind, da der Schnee von den Bäumen sehr schnell abschmilzt. Es steigt kaum merklich an. Etwas unterhalb der Chinesischen Mauer (Klettergarten) trennen wir uns, weil die anderen vier lieber schwer klettern wollen (die einfachsten Routen sind UIAA VI, 5c), ich aber gern eine Vorhut hinauf auf das Leutascher Platt bilden würde, um heraus zu finden, ob alpine Kletterei so weit oben in der Dreitorspitzgruppe überhaupt schon möglich wäre.
 
Als Aufstiegsroute überlegte ich mir die Söllerrinne, die ich bei dem Besuch des Puitentals vor zwei Wochen (Link) schon ausgemacht zu haben glaubte. Vorher muss ich noch den steilen Weg durch den Neuschnee hinauf zum Puitegg (T2+) unter meine schweren Alpinstiefel nehmen, die ich mitnahm, damit meine Füße dieses Mal trocken bleiben würden. Außerdem sind leichte Klettereien mit diesen besser durchführbar als mit den leichten, weichen Trekkingschuhen.
Der Rastplatz wird von einem großen Kalkfelsblock mit oben befestigten Wegweisern gebildet. Hier liegen bereits gut 30cm Neuschnee. Ich lege meine schweren Sachen ab, hänge einiges zum trocknen in die pralle Sonne, studiere kurz die AV-Karte, aber vergesse mir im AVF das Bild mit der Route durch die Söllerinne mit dem realen Bild vor Augen zu vergleichen. Mit einem Fleecepulli um die Hüfte, einem Helm auf, einer guten Hardshelljacke an, einem Eispickel in der Rechten, einer Tafel Schokolade, einigen Müsliriegeln und einem halben Liter Wasser und der AV-Karte in den Taschen beginne ich den direkten Aufstieg durch die Latschen zum Beginn der Söllerrinne.
 
Dabei dachte ich, es handele sich um die am deutlichsten ausgeprägte Rinne, die von unten steil, aber mit etwas Geländevertrautheit machbar aussieht. Aus den Südwänden der Schüsselkarspitzen und den SW-Rinnen des Öfelekopfs höre und sehe ich einige Lawinenabgänge. Die Nassschneelawinen in der „falschen Söllerrinne“ sind schon abgegangen, somit sehe ich keine große Gefahr mehr von dieser Seite her. Die Sonne wirft auch schon Schatten in die südseitigen Rinnen. Mit diesen Gedanken beschäftigend kämpfe ich mich durch den tiefen Schnee und die Latschen bis zu einer Schuttreiße, in der ich nun besser voran komme. Eine Markierung kann ich nicht finden, da die richtige Route einige 100m weiter westlich verläuft. Leider tut das auch die richtige Söllerinne!
 
Da wo der erste Lawinenkegel erreicht ist, steilt sich das Gelände deutlich auf, aber die Eisbrocken halten meine Füße verhältnismäßig gut an der Oberfläche (T3). Als links eine Rippe beginnt, halte ich mich eher an diese Seite, falls aus der großen Rinne noch etwas herunter kommt, kann ich schnell darauf ausweichen. Augen und Ohren muss ich permanent offen halten. Etwa 100m unterhalb einer Steilwand mündet eine kleine Rinne von Nordwesten hinab in die große „Falsche“. Dass ich mich unter einer Steilwand links halten muss, weiß ich noch aus dem AVF. Hier wird es nun bis 45°steil und weil ich nun öfters in der schattigen Rinne bis zur Hüfte einsinke, weiche ich rechts auf eine felsige/schrofige Flanke aus, die sich mit intensiven Pickeleinsatz unschwierig aber heikel zu erklimmen ist. Abrutschen ist verboten und es ist schwer zu erkennen, wo unter dem Schnee die guten Tritte sind (T5+, I). Knapp unter der aufsteilenden Wand traversiere ich bei Pickeleinsatz nach links, wo die Rinne auf einer Rippe endet.
Zum ersten Mal spüre ich leichte Zuckungen im Oberschenkelstrecker (mein ewiges Leiden die Muskelverkürzung, weil ich beim Training oft die Dehnung danach vergesse). Hier sehe ich an vielen Stellen die Abrutschzonen der Nassschneelawinen, denn darunter befindet sich noch eine dicke, kompakte, durchgefrorene Altschneedecke.
Beim Durchqueren der Rinne hinauf zur Rippe sinke ich mehrmals bis zum Bauchnabel im Schnee ein. Oben auf der Rippe angekommen, sehe ich die eigentliche Söllerinne beim Blick nach Westen und wie weit es noch geht. Ich hätte noch etwa 150Hm bis zum Söllerpass zu steigen und um auf die richtige Route zu gelangen, müsste ich auch noch einiges wieder absteigen.
 
Ich beschließe umzukehren, auch weil es schon 17:30 ist und wir uns unten am Rastplatz um 18:30 Uhr treffen wollen. Da wo ich tief einsinke und wo es abzuklettern gilt, komme ich kaum schneller als hinauf voran. Doch wo die Neuschneedecke schon abgerutscht ist, macht es einen Riesenspaß abzufahren, obwohl das Halten des Gleichgewichts nicht einfach ist ohne Stöcke. Einmal verliere ich das Gleichgewicht bei 40-45° Steilheit und rutsche auf meinem Hintern hinab, werde immer schneller, dass mir angst und bange wird. Schnell ramme ich mein ganzes Gewicht auf meine Pickelhaue, die etwa 5m durchs Eis kratzt und schließlich mich anhalten lässt. Ich benötige auch einige Pausen, weil sich noch viel deutlicher als beim Aufstieg die Muskelkrämpfe an besagter Stelle andeuten. Etwas Dehnung etwas Massieren und weiter geht’s. Als ich wieder so oft tief einsinke, wähle ich für etwa 20 Meter eine interessante Stelle, die ich schon beim Aufstieg in Erwägung gezogen habe. Eine etwa 4-5m hohe Verschneidung im oberen II. Grad. Mit Kletterübung kann ich trotz der inzwischen leicht vereisten Felsen unschwierig abklettern und habe sogar großen Spaß daran, weil ich das super „safe“ Ausspreizen in einer Verschneidung optimal anwenden kann und meine Alpinstiefel verlässlich halten. Meinen Pickel habe ich vorher an der Stelle hinab in den Schnee geworfen, um beide Hände frei zu haben.
Etwas weiter unten wo die Steilheit unter 40° liegt beginne ich langsamer absteigend die Landschaft rundherum im Abendlicht zu genießen.
Auch wenn ich das Ziel des Söllerpass nicht erreicht habe und sogar durch eine falsche Rinne aufgestiegen bin, so habe ich dennoch enorm an Erfahrung gewonnen und musste seit langem mal wieder relativ kurz vorm Ziel umkehren.
 
Meine vier Begleiter kommen gegen 19Uhr an, wo ich schon begonnen habe, den Biwakplatz zu bauen. Wir brauchen über zwei Stunden, bis wir einen ordentlichen Platz in den Altschnee gehauen (nur ich habe einen Pickel dabei) und einen Windschutz aus Schnee errichtet haben. Als Unterlage gibt es Latschenzweige, darüber die Plane, Isomatten, Schlafsäcke und fertig ist der Schlafplatz. Im Verlauf des Abends sinken die Temperaturen bis -3°C, wir nehmen dennoch ein ausgiebiges Mahl ein und sind uns nicht sicher, wie wir morgen z.B. in der Scharnitzspitze-Südwand klettern wollen. Eng aneinander gekuschelt werden nur die Füße einiger von uns etwas kühl…
 
Meine Freunde verraten mir noch vor dem Einschlafen, dass sie den ganzen Nachmittag an der Chinesischen Mauer verschlafen haben und gar nicht klettern waren. Das stimmt mich umso zufriedener trotz meines Abbruchs.
 
Die Söllerrinne (I) dürfte bei diesen Bedingungen nicht unmöglich aber sehr schwierig sein. Pickel und Steigeisen schleppt sowieso keiner mit hier herauf, also lieber noch einige Wochen warten, bis der gröbste Schnee weg ist. Im Hochsommer würde ich den Weg wegen seiner südlichen Exposition nur früh morgens empfehlen. Die letzte Wasserstelle liegt übrigens unten am Puitbach, außer es liegt so viel Schnee wie jetzt im Mai. Obwohl der Neuschnee alles viel anstrengender macht, so gibt es doch mindestens zwei Vorteile: im Abstieg kann man abfahren und die Landschaft wird um ein Vielfaches reizvoller! Meine Route bekommt wegen des heiklen Abstiegs und vielen Schnees das Prädikat T6(-) :D

Tourengänger: alpensucht


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