Im Vergleich zu den drei höchsten Alpstein-Gipfeln (Säntis, Altmann, Wildhuser Schafberg) fristet der nach dieser Zählweise immerhin vierthöchste Berg, der Moor, ein regelrechtes Schattendasein. Kein Wunder, auf seinen Gipfel führt weder eine Seilbahn noch ein markierter und ausgeschilderter Wanderweg, was die Besucherströme etwas abhält. Der vom Wanderweg "Jöchli-Nädliger" -für mich noch immer der schönste (markierte) Wanderweg im Alpstein- nur wenige Minuten entfernte Hauptgipfel (2342 m) ist allerdings für den geübten Berggänger ohne Schwierigkeiten erreichbar. Die kurze Felsstufe zum höchsten Punkt ist gut gestuft, das Gestein ordentlich fest. Ganz anders verhält sich das mit dem südlich davon aus dem Gipfelkamm aufragenden, markanten Högger (P. 2337). Der Schichtkopf bricht nach Norden in einer unangenehm brüchigen, fast senkrechten Wandstufe ab und ist auch über die Flanken nicht direkt erreichbar. Nach Süden läuft er zwar sanft im grasigen Gipfelkamm aus, doch ist dieser Teil des Moor-Gipfelgrats nur über äusserst abenteuerliche Zustiege oder eben über die Moor-Südwand erreichbar. Letztere ist ambitionierten und guten Kletterern vorbehalten (Schwierigkeit: VI-), somit stellte sich mir die Frage, ob dieser alpinistisch zwar völlig unbedeutende, aber eben doch eine Besteigung herausfordernde (Neben-)Gipfel für den Alpinwanderer überhaupt erreichbar sein würde. Lange habe ich den Berg und seine von Schichtstufen und Abbrüchen geprägten Steilflanken studiert und zwei Schwachstellen ausgemacht: Zum einen der Zugang zum südlichen Gipfelgrat über die grosse Felsschlucht entlang des Moor-Westpfeilers und zum anderen einen (vom gegenüberliegenden Wildhuser Schafberg gut auszumachenden) Unterbruch in der sonst geschlossenen Schichtstufe, welche eben in P. 2337 gipfelt. Da mir die zweite Variante zu mühsam und wenig elegant erschien (falls dies überhaupt funktioniert, müsste man vom Hauptgipfel erst ca. 200 Hm absteigen und selbige dann jenseits der Schichtstufe wieder sehr steil zum Gipfelgrat aufsteigen), probierte ich es mit der Felsschlucht entlang des Moor-Westpfeilers. Hier besteht die Kunst darin, überhaupt erst einmal in die Schlucht zu gelangen, welche zum Schafboden in einer senkrechten Wand abbricht. Da der gesuchte Zustieg mit demjenigen zum Einstieg der Kletterroute über den Moor-Westpfeiler identisch sein müsste, konsultierte ich meinen alten Säntisführer, der da schreibt: "In der Falllinie des Pfeilers zieht sich eine tiefe Rinne gegen den mittleren Schafboden herab. Man steigt rechts davon soweit hoch, bis man sie auf einem gut sichtbaren Steinwildwechsel nach links auf ein Grätchen überqueren kann." Kann doch so schwer nicht sein…
Schon bald nach dem Start in Wildhaus (1090 m) war klar, dass dies heute eine Hitzeschlacht werden würde. So führte ich entsprechend grosse Getränkevorräte mit, die meinen Rucksack so schwer machten, dass er mich fast wieder den Berg runterzog.
Über den gut angelegten Wanderweg hatte ich nach ca. 1 h die Alphütte (1678 m) auf dem Schafboden erreicht. Ich folgte noch bis P. 1844 dem (weiss-blau-weiss) markierten Weg Richtung Wildhuser Schafberg bzw. Jöchli, bevor ich -auf Höhe eines markanten Felsabbruchs im grasigen Moor-Südwestausläufer- um diesen herum zu einer felsigen Rinne querte. Durch diese Rinne bzw. daneben im Steilgras in leichter Kletterei gegen die Moor-Südwand hinauf (hier machte ich übrigens die Erfahrung, dass es im Bergland auch auf dieser Höhe Zecken gibt, was mich dazu bewog, in der Folge weniger tief ins saftige Steilgras zu langen). Kurz vor Erreichen des Wandfusses hielt ich auf den gut sichtbaren Überhang (darunter ist der Fels auffallend schwarz gefärbt) zu. Das letzte Stück der Schrofenflanke steilt sich dabei enorm auf, die Platten in der seichten Felsrinne waren von herabfliessendem Wasser nass und moosüberzogen. Es fehlten noch wenige Meter bis zum Überhang am Fuss des Moor-Westpfeilers. Ich setzte mehrmals an, doch mein "Bauchgefühl" sagte mir, dass ich hier zwar hoch- aber evtl. nicht mehr gefahrlos runterkommen würde. Ausserdem war ich mir gar nicht mehr sicher, ob ich von dem Überhang am Wandfuss des Pfeilers überhaupt auf das Grätchen und damit oben in die Schlucht gelangen würde. Wenn überhaupt, wäre eine Überquerung der unter dem Westpfeiler abbrechenden Felsrinne eher weiter unten möglich, der Zugang müsste dann aber von weiter westlich, jenseits des von mir gewählten Sporns, erfolgen. Für einen zweiten Versuch nach Abstieg der mühsam erklommenen Höhenmeter fehlte mir an diesem Tag allerdings die Moral.
Stattdessen querte ich zunächst unter der Moor-Südwand in östliche Richtung hinauf zu P. 2036. Ich stand nun am höchsten Punkt unter den beeindruckenden Südwänden des Moors und überlegte, was ich mit dem angebrochenen Tag noch anfangen könnte. Am Ende des steil nach Südwesten abfallenden Graskamms, auf dem ich mich nun befand, ragt die Felsburg des Tristen (1922 m) auf, ein unlängst von
Delta "entdecktes" Gipfelchen, das -ähnlich wie der Zehenspitz und die Schafbergwand- dem Bergmassiv von Wildhuser Schafberg und Moor vorgelagert ist. Der tiefste Einschnitt in dem von mehreren Schichtstufen unterbrochenen Kamm zwischen Moor und Tristen diente einst als Übergang zwischen der Chreialp und dem Schafboden, möglicherweise wurde auch die breite Gipfelwiese auf dem Tristen für Zwecke der Alpwirtschaft genutzt. Aus dieser Zeit sind noch Fragmente einer Weganlage vorhanden, ebenso ein verrostetes Drahtseil, das den Auf- und Abstieg durch eine markante, mit Gras durchsetzte Felsrinne zur Gipfelwiese erleichtern soll. Das Drahtseil hängt an einem am Ausstieg der Rinne im Erdreich verankerten Metallpfosten und macht keinen besonders vertrauenswürdigen Eindruck. Aus diesem Grund habe ich es auch nicht benutzt, mit etwas Vorsicht kann die wohl immer feuchte, aber gut gestufte Rinne auch ohne Drahtseil durchstiegen werden (T5, I). Vom Ausstieg aus der Rinne folgte ich der Abbruchkante zum wenig höheren Gipfelkopf im Süden. Der Einstieg in den kurzen Felsgrat zum höchsten Punkt erfordert einen Kletterzug im II. Grad. Dank des bombenfesten Gesteins überwand ich die für einen Moment sehr luftige Stelle ohne Probleme. Auf dem höchsten Punkt hat es nicht mal einen Steinmann, geschweige denn ein Gipfelbuch - ein richtiges Gipfelgefühl mag auch nicht aufkommen. Dafür ist die Aussicht hübsch, über den "Zehenspitz" hinweg schweift der Blick zu den Churfirsten und den darüber aufragenden Gipfeln der Glarner Hochalpen.
Um zum Wanderweg oberhalb des Wildhuser Schafbodens zurückzugelangen, muss ich wieder einige Meter erst über Geröll, dann in steinigem und überwachsenem Gelände absteigen, bis mich ein brauchbarer Viehpfad wieder zu P. 1844 führt. Von dort zügiger Aufstieg über den markierten Steig zum Jöchli (2294 m) und sogleich weiter zum Gipfelkamm des Moor. Die erste unbedeutende Graserhebung lässt sich südseitig etwas unterhalb der Grathöhe queren, so dass man bald das kurze Grätchen vor der Felsstufe des Hauptgipfels (2342 m) erreicht. Ohne irgendwelche Schwierigkeiten gelangt man nun entlang der Schneide in gut gestuftem Fels zum höchsten Punkt des aus mehreren Schichtköpfen bestehenden Gipfelkamms (T5, I). Hatte ich den Felsblock, der sich auf halber Höhe in den Weg stellt, bislang immer westlich (rechts im Aufstiegssinn) umgangen, probierte ich es diesmal östlich (links), was tatsächlich noch einfacher ist. Ein wenig Luft unter den Füssen muss man allerdings schon vertragen können.
Leider ist das schöne Gipfelbuch verschollen, nur ein einsamer Kugelschreiber liegt noch lose im Steinhaufen… :-(
Das eigentliche (Tages-)Ziel hatte ich aber nicht aus den Augen verloren: Vom Hauptgipfel (P. 2342) erreichte ich nach kurzem, grasigem Abstieg schnell den Wandfuss des Nordabbruchs des begehrten Südgipfels (P. 2337). Die Kletterei dort hinauf ist nicht eigentlich schwierig, der fein geschuppte Fels bietet viele kleine Tritte und Griffe (II). Jedoch ist die Wand nahezu senkrecht und die kleinen Felsschüppchen brechen leicht aus. Schnell war ich einige Meter hochgeklettert und befand mich an der Stelle, wo sich die Wand (etwa in der Hälfte) auf der linken Seite (NE) leicht zurücklegt. Nach unten in die Tiefe blickend (am linken Schuh vorbei ging es grad mehrere hundert Meter runter), wog ich meine Möglichkeiten ab: Noch ein paar Kletterzüge, und ich hätte den Ausstieg im steilen Gras erreicht - doch die Brüchigkeit des Gesteins liess mich zögern. Auf der gesamten Länge würde das Abklettern wohl nicht allzu spassig werden und einiges an Nerven kosten. Zudem hätte ich mich mit Kletterfinken auf den kleinen Trittchen bedeutend wohler gefühlt als mit den schweren Bergschuhen. Ich folgte meinem Instinkt und kletterte erstmal zurück. Um mich wenig später erneut an der Wandstufe zu versuchen - nachdem ich die Westflanke erkundet hatte und dort keine Möglichkeit sah, die Schichtstufe mit zumutbarem Höhenverlust ohne heikle Kletterei zu überwinden. Doch auch beim zweiten Mal verliess mich an der gleichen Stelle der Mut. Nein, heute war für mich definitiv kein Tag für "Heldentaten"!
Als weiterer Trostgipfel musste dann noch der Altmann (2435 m) herhalten, den ich über den Nädligergrat vom Altmannsattel aus auf der Normalroute beging. Es handelt sich hierbei zwar mehr oder weniger um Gehgelände (T4+), doch sind die Felsen durch die vielen Begehungen mittlerweile so speckig, dass -insbesondere bei Nässe- Vorsicht angebracht ist. Die plattige Rinne im mittleren Teil des Aufstiegs ist durch Eisenstifte entschärft. Auf dem Gipfel genoss ich alleine (was auf dem Altmann im Sommer bei solch traumhaftem Wetter eine Seltenheit sein dürfte) die fantastische Rundumsicht.
Abstieg vom Altmannsattel südseitig über die Schuttrinne (bester bzw. einziger Geröllsurf im Alpstein, den ich kenne) zum Wanderweg Richtung Zwinglipasshütte und in grosser Hitze weiter via Chreialp-Alp Tesel-Flürentobel nach Wildhaus.
Am Altmannsattel und auf dem Weg zur Zwinglipasshütte lungerten einige Steinböcke herum. Die handzahmen Tiere sind jeweils begehrte Fotosujets und posieren schon fast wie Models.
Anmerkung:
Die Schwierigkeitsangabe der Tour (T6, II) bezieht sich ausschliesslich auf meine Versuche, den Moor-Südgipfel (P. 2337) zu erreichen. Wie aus meinen Beschreibungen hervorgeht, endeten diese in sehr heiklem Gelände und können so von mir ausdrücklich nicht empfohlen werden! Mit etwas Mut könnte die Wandstufe von Norden direkt erklettert werden, das brüchige Gestein verlangt jedoch vor allem beim Abklettern grosse Vorsicht. Möglicherweise ist die Sache mit Kletterfinken halb so wild. Das Setzen mobiler Sicherungen dürfte wegen des brüchigen, feingeschuppten Felses problematisch sein.
Im Übrigen ergeben sich die Schwierigkeiten der einzelnen Gipfelbesteigungen aus dem Text.
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