Komplett-Überschreitung des Churfirsten-Fortsatzes: Von Starkenbach nach Arvenbüel "obendurch"


Publiziert von marmotta , 25. Mai 2011 um 23:01.

Region: Welt » Schweiz » St.Gallen
Tour Datum:25 Mai 2011
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-SG   Churfirsten 
Zeitbedarf: 6:00
Aufstieg: 1950 m
Abstieg: 1520 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Starkenbach
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Arvenbüel, Arven
Kartennummer:LK 1134 Walensee (1:25.000)

Lange Gratüberschreitungen sind (nicht nur auf Hikr.org) "en vogue". Was gibt es Schöneres als in der Höhe zu wandern und durchgehend Tief- und Ausblicke nach beiden Seiten geniessen zu können? Da ich hierfür keine lange (An-)Reise in Kauf nehmen wollte, fiel mir eine Uralt-Pendenz ein, die sozusagen fast "vor der Haustüre" liegt: Die Churfirsten setzen sich nach Westen bekanntlich durch gleichermassen geformte Gipfel fort, deren Namen mir noch immer nicht ganz so leicht von der Zunge gehen (ehrlich, ich musste mich vor der Tour erst mal mit den Namen und der genauen Lage vertraut machen). Zwischen Selun und Vorder Höhi reihen sich (von Ost nach West) Wart, Schären, Nägeliberg, die Leistchämme incl. Glattchamm sowie das Mikrogipfelchen Flügenspitz auf. Nicht jede der als Gipfel zu klassifzierenden Erhebungen hat auf der LK einen Namen und eine Höhenkote, namentlich Vorder und Mittler Leistchamm und der Glattchamm (aka Hikr-Chamm). Schon lange wollte ich diese etwas im Schatten der Churfirsten stehende und von mir bislang geflissentlich "übersehene" und verschmähte Bergkette in einer einzelnen Tour überschreiten. Endlich hat´s geklappt!
 
Liest man die Hikr-Einträge zum Mittler Leistchamm oder dem Glattchamm, fällt auf, dass sie fast ausnahmslos von Alpinwanderern mit einer ausgeprägten Affinität für die Ostschweizer Voralpen (insbesondere Alpstein und Toggenburg) stammen. Wem die vergessenen Gipfel dieser Region derart am Herzen liegen, der spendet auch schon mal ein Gipfelbuch. So gibt es auf dem Mittler Leistchamm eines von 360 und auf dem Glattchamm eines von Alpin_Rise. Beide Gipfelbücher sind noch in bestem Zustand und weisen jeweils kaum mehr als eine Hand voll Einträge auf. Offenbar verirrt sich ausser den "üblichen Verdächtigen" fast niemand auf diese Gipfel, woran liegt´s?
 
Route und Schwierigkeiten dieser Tour wurden bereits hier von Delta bestens beschrieben, er hat allerdings noch zusätzlich (von Süden kommend) den Selun über den Ostgrat bestiegen, was den Schwierigkeitsgrad nochmal um mindestens eine Stufe gegenüber der von mir durchgeführten Tour hinaufschraubt. Dafür habe ich zusätzlich noch den selten begangenen Glattchamm mit ins Programm genommen.
 
Einige wenige Anmerkungen und Ergänzungen sowie Beschrieb der Route, soweit sie von Delta´s Tour abweicht:
 
Der Aufstieg von Starkenbach (894 m) über den Strichboden (1631 m) zu den Alpen auf Hinterselun ist wenig spektakulär und verläuft weitgehend auf Alpstrassen, die wenigstens anfangs durch schattigen Wald führen. Bis zur Alp Gampi (ca. 1760 m) sind noch einzelne Wegspuren vorhanden, danach suche bzw. bahne man sich den Weg selbst durch (gerade jetzt im Frühsommer) ziemlich verkrautetes und teilweise sumpfiges Gelände, bis der nach Norden wandartig abbrechende Gipfelkopf des Wart erreicht ist. Hier kann man entweder rechts (westlich) über mässig steile Grashalden (leichter) oder links (östlich) auf schmalen und später steil emporführenden Grasbändern (T4) um die Felswände herumgehen. Ich entschied mich für die zweite Variante, sie sah interessanter aus, ausserdem erhält die Ostseite früh Sonne und ist somit am Vormittag bereits schön trocken.
 
Der Grat zwischen Wart und Schären kann direkt begangen werden, ein Abbruch kurz vor der tiefsten Einsenkung zwischen den beiden Bergen verlangt jedoch grosse Vorsicht: Im Abstieg war mir die exponierte Kletterei (II auf ca. 4-5 m) angesichts der auf der Westseite noch klatschnassen und tückisch rutschigen Felsen zu heikel, so dass ich sie mit geringem Höhenverlust in der Nordflanke umging. Begeht man den Grat in der Gegenrichtung, dürfte die Stufe im Aufstieg problemlos zu meistern sein.
 
Die Kraxelei auf die Gipfelabdachung des Schären über dessen Ostgrat ist eine vergnügliche Sache (T5, II), zahreiche Gamsspuren erleichtern teilweise die Begehung bzw. die Orientierung.
 
Der Schären besteht aus mehreren Grathöggern, von denen der westlichste mit 2194 m der höchste ist. Das Gipfelbuch befindet sich jedoch auf dem Ostgipfel (erst 1 Eintrag im 2011).
 
Der Abstieg vom Nägeliberg ist unproblematisch, wenn man vor dem felsigen und schmalen Westgipfel-Grat in die grasige Südflanke absteigt und hier traversiert (zwar abschüssig, aber das Gras hält gut). Anschliessend auf gutem, aber immerfeuchtem Grasband auf der steil abbrechenden Westseite zu den Geröll- und Karrenfeldern absteigen. Danke 360 für den genauen Routenbeschrieb! Aktuell kann noch ein grösseres, steiles Schneefeld zum Abrutschen genutzt werden, um so den unangenehmen Abstieg über grobblockiges Geröll zu vermeiden. Wer es noch nutzen will, sollte sich allerdings beeilen…
 
Von der Gocht kann ohne irgendwelche Schwierigkeiten über einzelne Schrattenkalk-Felsstufen die Grathöhe des Vorder Leistchamm (grosser Steinmann auf der vorgelagerten Kuppe) gewonnen werden (T4). Ein Steinbock stand wie angewurzelt auf einem Felsvorsprung über mir und beäugte mich kritisch.
 
Der Glattchamm ist ein besonderes Phänomen: Wie ein Schiff erhebt sich der nach Westen und Osten in steilsten Flanken abfallende Kamm. Nähert man sich dem "Bug" von Süden, meint man erst, dass die direkte Route über die Südkante so schwer nicht sein kann. Ist aber (ohne Sicherung) wohl nur was für ganz Gewagte…
 
Die mittlere Aufstiegsrinne auf der Westseite wurde durch das Anbringen eines Fixseiles entschärft (T5), ohne Seil hätte ich mich in der fast senkrechten, immer feuchten und rutschigen Graswand niemals hinauf- und vor allem wieder hinuntergetraut! Auf ca. 5 m (mittlerer Teil des Fixseils) finden die Füsse auf Moosbüscheln, die kaum der Belastung eines Menschen standhalten und rutschigen, losen Steinen praktisch keinen Halt. Ist das wirklich die einfachste Linie? Wenn ich mal mehr Zeit habe, werde ich mal den nördlichen Teil des Glattchamms genauer inspizieren, mir scheint, dass dort möglicherweise eine Route zu finden sein könnte, die zwar nicht leichter, aber vielleicht weniger heikel (besser gestuft, nicht gar so nass) ist.
 
Dank den diversen Berichten fand ich die leichteste Route auf den Mittler Leistchamm auf Anhieb. Die "Kletterei" beschränkt sich auf wenige Meter, tellergrosse Griffe und Tritte sowie ausgeprägte Tierspuren drücken die Schwierigkeit meiner Meinung nach unter T5 (auch in Relation zu den anderen T5-Abschnitten dieser Tour, die für mich klar anspruchsvoller sind). Einfacher Aufstieg über die Nordabdachung zum Gipfelsteinmann mit dem schönen Büchlein von 360. Ganze 6 Einträge zähle ich (wenn ich es recht in Erinnerung habe) seit Eröffnung des Buchs im Jahre 2009. Und wenige Meter weiter tummeln sich die Wanderer auf dem Leistchamm und stehen sich fast auf den Füssen…
 
Auf dem letzten Gipfel des Tages, dem Leistchamm (2102 m) traf ich einen sympathischen Wanderer, mit dem ich dann nach längerer Gipfelrast nach Arvenbüel hinunterstieg (ca. 1 h vom Gipfel des Leistchamms).
 
Der wenig markante Flügenspitz (1703 m) könnte noch auf dem Abstieg vom Leistchamm "mitgenommen" werden (ca. 10 min vom "First"). Ich (er-)sparte mir jedoch diesen Aufstieg.  
 
      
    

Tourengänger: marmotta
Communities: ÖV Touren


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentare (12)


Kommentar hinzufügen

xaendi hat gesagt: Well done!
Gesendet am 25. Mai 2011 um 23:57
Jetzt fehlt nur noch die Gesamtüberschreitung aller "Churfirsten+" von Chäserrugg bis Leistchamm ;-)

Wie sind die Verhältnisse in der Gegend? Schnee scheint nur noch stellenweise zu liegen. Ist es ansonsten eher feucht?

xaendi

marmotta hat gesagt: RE:Well done!
Gesendet am 26. Mai 2011 um 07:33
Danke! Die Idee mit der Gesamtüberschreitung "Churfirsten plus" schwebte mir auch schon im Kopf herum. Allerdings sicher nicht für mich, sondern für die Créme de la Créme hier - mir würden da spontan mind. 1-2 Hikrs einfallen, die das innerhalb von 24 h packen könnten. Lange Pausen sind dann aber wohl nicht drin. Zudem sollte das zeitig im Frühjahr bzw. Frühsommer gemacht werden, da ausgedehnte Schneefelder für einen jeweils schnellen und kraftschonenden Abstieg unabdingbar sind.

Die Verhältnisse schätze ich momentan als sehr gut ein. Das Gras ist vegetationsbedingt sehr griffig, ostseitig war alles vollkommen trocken - nur westseitig hielt sich die Nässe sehr lange, was in den anspruchsvolleren Passagen doch einige Vorsicht verlangt.

G.
marmotta

xaendi hat gesagt: RE:Well done!
Gesendet am 26. Mai 2011 um 08:07
Das wären wohl schätzungsweise 4500-5000 Hm, die abzuspulen wären ;-) Danke für die Einschätzung der Verhältnisse.

xaendi

marmotta hat gesagt: Höhenmeter-Cumulus
Gesendet am 27. Mai 2011 um 07:44
Hab mir die Sache mal genauer angeschaut: Bei Start in Arvenbüel und optimaler Routenwahl dürften es kaum mehr als ca. 4300 Hm sein. Die Strecke Arvenbüel - Seluner Joch ist incl. allen Gipfelbesteigungen (ca. 1550 Hm Aufstieg) gut in 4 h zu schaffen, für den Rest würde ich bei gleichbleibender Geschwindigkeit kaum mehr als das Doppelte veranschlagen. Damit dürfte klar sein, dass das Tages- ja sogar Helligkeitszeitfenster nicht das Problem ist, sondern vielmehr die Kondition und die Logistik (wer schleppt die benötigten ca. 5 l Getränke?)...

TeamMoomin hat gesagt: RE:Well done!
Gesendet am 26. Mai 2011 um 09:59
Also in 24 Stunden ist dies sicherlich machbar, aber innerhalb eines Tages sprich von Sonneaufgang bis Niedergang was momentan eher 16 Stunden ist es wohl echt nur ein paar Spitzenhikrs hier vorbehalten, ein Versuch würde zwar schon reizen aber eher zum schauen wie weit man kommt.

Grüsse TeamMoomin

boewer hat gesagt: RE:Well done!
Gesendet am 26. Mai 2011 um 18:05
Von den "Nichthikr.s" gibt es eine ganz ordentliche Handvoll, die das realisieren würde. Man muss nicht unbedingt ein Hikr. sein. Schön zwar, einen gewissen "Berufsstolz" zu haben. Nur nicht übertreiben!!
Gruess
Werner

Alpin_Rise hat gesagt: RE:Well done!
Gesendet am 26. Mai 2011 um 18:48
Schöne Tour! War auch schon lange nicht mehr dort.
Freut mich, dass mein Gipfelbuch noch gut zwäg ist.

A propos Gesamtüberschreitung:
Thomas Wälti hat die eindrucksvolle Traverse von der Nideri über den Tristencholben - 7 Churfirsten - Wart - Schären - Nägeliberg - Leistchämme gemeistert und in der Bergmonografie Churfirsten beschrieben. Ob die Tour jemals wiederholt wurde oder in West-Ost Richtung begangen, ist mir nicht bekannt.

Im Moment hab ich ja genug Zeit, über dem einen oder anderen Projekt zu brüten...

G, Rise

alpstein hat gesagt: Gratulation
Gesendet am 26. Mai 2011 um 06:42
Tolle Tour hast Du da hingelegt mit eindrücklichen Tiefblicken.

Gruß
Hanspeter

marmotta hat gesagt:
Gesendet am 26. Mai 2011 um 07:37
Danke Hans-Peter! Die Überschreitung der Churfirsten-Fortsetzung ist wirklich überaus lohnend. Leider keine Rundtour... ;-)

alpstein hat gesagt: RE:
Gesendet am 26. Mai 2011 um 18:24
Erst wollte ich noch "tolle ÖV-Tour" schreiben, habe es dann aber doch unterlassen ;-)

360 Pro hat gesagt: von Norden, nein Danke...
Gesendet am 27. Mai 2011 um 06:55
Ciao Marmotta,

Ein hübsches Tüürli hast Du da hingelegt, Gratulation!

>Wenn ich mal mehr Zeit habe, werde ich mal den nördlichen Teil des Glattchamms genauer inspizieren, mir scheint, dass dort möglicherweise eine Route zu finden sein könnte, die zwar nicht leichter, aber vielleicht weniger heikel (besser gestuft, nicht gar so nass) ist.

Genau das habe ich schon mal *versucht, bin daran aber kläglich gescheitert und dank Schutzengel mit ein paar Beulen, Schrammen und einem verstauchten Handgelenk davon gekommen. Auch Alpin_Rise hat dem Vernehmen nach solch einen Versuch aufgeben müssen. Der Nordgrat ist sehr brüchig und unzuverlässig, oder wie ossi sagte, wohl eher ein Kamikazeunternehmen. Alternativen zum Normalaufstieg sind die andere Rinne von Westen, oder vielleicht würde man irgend etwas von Osten finden, wobei auch dieser Approach, wenn überhaupt möglich, eher abenteuerlich sein dürfte.

Gruss 360

Zaza hat gesagt:
Gesendet am 27. Mai 2011 um 07:49
diese Tour klingt reizvoll - das werde ich auch mal machen, denn den Wurmfortsatz kenne ich noch gar nicht! Aber ganz sicher nicht inkl. Churfirsten...

Gruess, zaza


Kommentar hinzufügen»