Gipfelsammeln im "Ländle" - für mich ein teurer Spass (ZSCH-)


Publiziert von marmotta , 15. Februar 2011 um 01:14.

Region: Welt » Liechtenstein
Tour Datum:12 Februar 2011
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: FL 
Zeitbedarf: 7:00
Aufstieg: 1900 m
Abstieg: 1100 m
Strecke:Balzers - Triesen, Säga - Magrüel - Tuass - Tuassegg - Koraspitz - Langspitz - Rappastein - Sattel P. 2071 - Goldlochspitz - Kolme - Heubüal - Chrüppel - Sücka - Steg
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Triesen, Säga
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Steg FL, Hotel

Das Fürstentum Liechtenstein machte in den letzten Jahren hauptsächlich als Wirtschaftsstandort und Steueroase Schlagzeilen. Dass der Zwergstaat weitaus mehr zu bieten hat als niedrige Steuern und geheime Konten, wissen die wenigsten Menschen ausserhalb des Alpenraums. Auch ich hatte das "Ländle" in meinen alpinistischen Aktivitäten lange Jahre etwas vernachlässigt. Waren es bislang hauptsächlich die Gipfel der grenzbildenden Grate zur Schweiz (GR) und zu Österreich (Vorarlberg), die ich bestiegen hatte, stach mir neulich der zentrale Kamm ins Auge, der in Nord-Süd-Richtung praktisch ohne Unterbruch von Feldkirch bis zum Falknis-Grauspitz-Massiv verläuft. Fährt man von Vaduz über Triesenberg nach Malbun, sticht einem vor allem die eindrückliche Gestalt des Langspitz (2006 m) ins Auge, der sich als kühnes Horn aus dem Westgrat des Rappasteins (2222 m) erhebt. Die Begehung des gesamten Grats von Triesen über Koraspitz und Langspitz ist hier bereits gut dokumentiert von Zwieback, der leider viel zu früh von uns gegangen ist…Nun ist mir die Wiederholung seiner Tour gelungen – als "Winterbegehung", welche diese Bezeichnung kaum verdient hat.
 
Das erste Malheur passierte bereits vor dem eigentlichen Start meiner Tour: Entweder war ich noch nicht ganz wach, oder ich war so fasziniert vom Anblick der Alvierkette in der Morgensonne – jedenfalls "verschlief" ich meine Haltestelle cff logo Triesen, Säga und erwachte erst kurz vor Balzers aus meinem Delirium. So konnte ich noch ein paar Extrameter absolvieren, um meine neuen Bergschuhe einzulaufen. Nach 15 min war ich dann am eigentlichen Ausgangspunkt, der "Säge" (476 m), angelangt. Vorbei am Lawena-Kraftwerk umrundete ich den dortigen Campingplatz "Mittagspitze" und erreichte über den Fitness-Parcours P. 618, von wo ich dem äusserst steilen und wegen des vielen Laubs mühsam zu begehenden Alten Lawenaweg bis hinauf nach Tuass (1434 m) folgte. Kurz vor Erreichen der Hütten auf Tuass stiess ich auf die ersten, pickelhart gefrorenen Schneereste, die ein Ausweichen in die steile Grasflanke Richtung Tuassegg erzwangen. In diesem Moment tauchte wie aus dem Nichts plötzlich ein Bergläufer neben mir auf, der leicht bekleidet und bepackt ebenfalls Richtung Rappastein strebte. Seinem enormen Tempo konnte ich nur kurz folgen, mein Rucksack mit der kompletten Alpinausrüstung bremste meinen Vortrieb doch gewaltig. Nun, ich hatte ja auch nichts zu verrennen - immerhin stand mir noch ein ordentliches Programm bevor, das mich zum Einteilen meiner Kräfte mahnte.
 
Während der Bergläufer in südöstliche Richtung die steilen Flanken unterhalb von Kora- und Langspitz querte, stieg ich in direkter Richtung über den zunächst breiten Kamm der Tuassegg nach oben. Der fast völlig apere Kamm wurde zusehens schmaler und steiler, bis ganz zum Schluss mehrere Felsstufen überkraxelt werden müssen (T5, I). Der kleine Gipfel des Koraspitz (1927 m) ist nicht besonders spektakulär (weder Kreuz noch Gipfelbuch), die Aussicht hinunter ins Rheintal und hinauf zur Westwand des Langspitz und darüber zum Rappastein hingegen schon! Nach kurzem Abstieg nach Osten erreichte ich den Felsaufschwung, den Zwieback mit grösserem Höhenverlust in der Westflanke umgangen hatte. Die direkte Linie erschien mir jedoch eleganter und bei den vorherrschenden Verhältnissen durchaus vertretbar. In kurzer Kletterei (I-II) gelangte ich auf den Gratkopf - lediglich eine Stelle war wegen eisüberzogenem Fels etwas heikel.
 
Die gewaltige Westwand des Langspitz (2006 m) umging ich dann ohne Schwierigkeiten in der Flanke (kurze Schneepassage, jedoch ohne Pickel und Steigeisen gut zu meistern), um dann über steile, aber gut begehbare Grasmatten zum schönen Gipfel mit grossem Gipfelkreuz emporzusteigen. Der letzte Eintrag im dicken Gipfelbuch, das wohl noch in Jahrzehnten nicht vollgeschrieben sein dürfte, datiert vom 14.10.2010! Ich machte es mir bei T-Shirt-tauglichen Temperaturen auf dem Gipfel gemütlich und beobachtete während meines Picknicks die weit unter mir in den Flanken friedlich äsenden Gämsen.
 
Vom Langspitz dann über die abermals steile, aber völlig schneefreie Westflanke bis auf den Nordgrat des Rappasteins (T4) und über diesen bzw. in der Ostflanke im stellenweise nicht tragenden Schnee hinauf bis unter den Gipfelkopf. Die letzten Meter über die Felsen direkt zum Gipfelkreuz - schöne Aussicht in die Liechtensteiner Bergwelt! Der Rappastein wird - im Gegensatz zu Koraspitz und Langspitz auch im Winter gelegentlich (mit Skis oder Schneeschuhen) begangen und kann von Steg aus leicht erreicht werden.
 
Nach kurzer Pause setzte ich meine Reise fort, zunächst meiner Aufstiegsroute folgend bis zur Steilstufe oberhalb des Sattels P. 2071. Dort montierte ich nach kurzem Antesten "unten ohne" dann doch die Steigeisen, nachdem die Spuren teilweise vereist und dementsprechend rutschig waren. Mit guten Nerven (und guter Lebensversicherung) geht´s vielleicht auch ohne Steigeisen… Das Kabel, mit dem die Steilstufe versichert ist, schaute nur an einer Stelle aus dem Schnee heraus und war somit keine Hilfe.
 
Im weiteren Verlauf der Gratüberschreitung Richtung Chrüppel wiederholte sich das Spiel noch einmal: Im völlig vereisten Abstieg auf der Nordseite des Kolme (abschüssige Hangquerung) musste ich überraschend noch einmal die Steigeisen aus dem Rucksack fischen und montieren - um sie im anschliessenden (fast aperen) Aufstieg vom Wangsattel (1884 m) zum Heubüal (1936 m) sogleich wieder im Rucksack zu verstauen. Ich konnte nicht ahnen, dass dies das letzte Mal in meinem Leben sein sollte, dass ich diese Eisen in den Händen hielt… doch dazu gleich.
 
Auf dem legföhrenbewachsenen Gipfel des Heubüal angekommen, merkte ich nun langsam meine Beine - die vielen (steilen) Höhenmeter forderten ihren Tribut. Ich genoss die herrliche Wärme und ass und trank noch etwas aus meinem Rucksack, bevor ich den Weg Richtung Chrüppel (wie kam der bedauernswerte Berg eigentlich zu diesem Namen?) fortsetzte. Der Abstieg durch das Legföhrenlabyrinth hindurch war -trotz einer alten Schneeschuhspur- etwas mühsam, brach ich doch immer wieder tief in tückische Löcher neben den Legföhren ein. Dies war aber auch die einzige Passage, in der ich die Schneeschuhe etwas vermisste - im übrigen wären sie auf dieser Tour momentan nur unnötiger Ballast.
 
Wie ich dann auf dem schönen Pfad im Wald zwischen Heubüal und Chrüppel so dahinwandelte, sah ich auf Höhe des schmaleren Gratstücks kurz vor dem Ritboda aus dem Augenwinkel plötzlich etwas Grosses, Schweres aus meinem Rucksack fallen. Als ich realisierte, dass dies die Steigeisentasche mitsamt den Steigeisen war, war sie auch schon in weiten Sprüngen den sich von hier steil hinunterziehenden Tobel hinabgestürzt und meinen Blicken entschwunden. "Das darf doch einfach nicht wahr sein!", war mein erster Gedanke. Kurz darauf entledigte ich mich meines Rucksacks (der an der Seite noch immer offen war) und stieg so schnell ich konnte in den Tobel ab, in der leisen Hoffnung, dass der unwahrscheinliche Fall eingetreten wäre und die Tasche in ihrer rasenden Fahrt in die Tiefe irgendwo hängengeblieben ist. Nach ca. 150 Hm brach ich die Übung ab, nachdem der Tobel, von Felsflanken gesäumt, fast senkrecht abbrach und zudem Schneereste die Sache gefährlich machten. Mühsam kehrte ich zum Grat und meinem Rucksack zurück.
 
War es zunächst die Wut darüber, durch eigene Blödheit (ich hatte nach der letzten Rast auf dem Heubüal den seitlichen Reissverschluss am Rucksack nicht mehr zugezogen) gerade knapp 150 Euro aus dem Fenster (bzw. in die ewigen Jagdgründe des Guggaboderwalds) geschmissen zu haben, offenbarte sich bald ein anderer negativer Aspekt dieses Missgeschicks: Entgegen meiner Hoffnung waren nach Passieren des romantischen Hüttchens vor dem Chrüppel (1707 m) noch nicht alle Schwierigkeiten überwunden. Der Wanderweg quert hier noch einmal am Abgrund entlang eine Felswand, stellenweise durch ein Drahtseil und Holzbohlen gesichert. Was unter normalen Umständen sicher eine lustige und spannende Sache ist, gestaltete sich angesichts des mit Blankeis bestückten Pfades nun ohne Steigeisen zu einer kniffligen Angelegenheit. Ganz langsam arbeitete ich mich vorwärts, die Füsse vorsichtig in kleinste Aussparungen im Eis setzend - jetzt nur nicht wegrutschen…Erst nachdem diese -zum Glück kurze- Passage mit Absturzgefahr überwunden war, konnte ich aufatmen und setzte zum Schlussspurt hinunter nach Sücka (1402 m) und weiter auf dem ebenfalls völlig vereisten Wanderweg nach Steg an, wo ich bis zum Eintreffen des Busses noch auf einen Kaffee und Apfelstrudel einkehrte.
 
Fazit:
 
Eine der schönsten Gratüberschreitungen, die ich jemals im Winter unternommen habe, wurde leider stark getrübt durch den Verlust meiner Steigeisen. Eine intensive Suchaktion am nächsten Tag blieb leider ebenfalls ohne Erfolg, zu weitläufig, wild und teilweise auch unzugänglich ist das mögliche "Einschlagsgebiet". Theoretisch könnte die Tasche ja sogar bis fast hinunter nach Triesen gedonnert sein. Der Vergleich mit der Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen drängt sich geradezu auf. Der Materialverlust an sich hätte wohl nur zu einem WSCH gereicht, da aber durch das Fehlen der Eisen im vereisten Abschnitt am Chrüppel zudem noch Gefahr für Leib und Leben entstanden war, vergeb ich für diese "Pleiten, Pech und Pannen"-Tour mal ein grosszügiges ZSCH-. Auf dieses Erlebnis hätte ich gerne verzichtet…  
    
 

Tourengänger: marmotta


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Kommentare (2)


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Sputnik Pro hat gesagt: Oje, so 'ne Sch...
Gesendet am 15. Februar 2011 um 06:36
Hi Marmotta,

Schade um die Steigeisen, aber hauptsächlich bist du unfallfrei wieder nach unten gekommen. Es ist immer ärgerlich auf einer Tour oder im Zug etwas zu verlieren oder zu vergessen - ich kann ein Lied davon singen. Auf einer Berner Juratour vergass ich ein neues Jäckchen im Zug und verlor den Geldbeutel unterwegs da mein Hosensack zeriss und ich es nicht merkte... oder Anfang Jahr stand ich mit noch müden Augen in Einsiedeln wärend meine Ski zurück nach Wädenswil fuhren - immerhin kamen sie zwei Stunden später mit dem Schaffner zurück und ich konnte meine Rütistein-Tour fortsetzten. Übrigens nach den Fotos hast du eine interessante Grattour gemacht, hätte mir auch Spass gmacht wieder einmal im Ländle unterwegs zu sein:-)

Bis spätestens auf der Kuchenspitze Tour!

LG, Andi

Seeger hat gesagt: Pannen
Gesendet am 15. Februar 2011 um 20:47
Ciao Martin
Liest sich wie ein Krimi.
Shit happens! Und wie.
Tröstliche Worte da zu finden?
Einfach dies: Bin echt froh, dass Du Heil und Ganz zurückgekehrt bist.
Cari saluti
Andreas


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