Alphubel, 4206 Meter - ab Täschalp


Publiziert von Leander , 3. Mai 2010 um 23:58.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Oberwallis
Tour Datum: 1 August 2009
Hochtouren Schwierigkeit: WS+
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS 
Zeitbedarf: 13:00
Aufstieg: 2000 m
Abstieg: 2000 m

Nachdem ich mich schon damit abgefunden hatte, das 1. August Wochenende alleine in den Bergen verbringen zu müssen, war ich umso erfreuter als ich von der spontan beschlossenen Tour erfuhr, die mich auf meinen ersten echten Viertausender bringen sollte.

Mit etwas Verspätung kamen meine drei Kollegen in dem schönen Aarestädtchen an, den roten Audi 80 vollgepackt mit Schlafsäcken und Isomatten, Wanderutensilien und Gletscherausrüstung. Sprüche klopfend und voller Erwartung fuhren wir über Bern und den Lötschberg Autoverlad gen Süden ins Rhonetal und weiter über Gambel und Stalden nach Täsch. Das Wetter war schon den ganzen Tag heiß und sonnig und für Samstag war wolkenloser Himmel vorhergesagt.

Von Täsch führte eine schmale Bergstrasse hinauf zur Täschalp. In engen Serpentinen und immer auf der Hut vor entgegenkommenden Wagen schlängelten wir uns hinauf bis zum Parkplatz in Ottafe, welches der Ausgangspunkt für die Tour sein sollte. Das Wetter auf der Täschalp war herrlich. Die angenehmen 20°C ließen nicht vermuten, dass wir uns auf gut 2200 M. ü. NN befanden. Wir waren zeitig angekommen und hatten nun einige Stunden Zeit uns die Landschaft anzuschauen, Tourbeschreibung und Karte zu studieren sowie die nähere Umgebung zu erkunden. Während ich auf der Suche nach Murmeltieren und bessern

Ausblicken den nächsten Schotterhang erklomm, ruhten die anderen am Ufer des Bergbaches und stärkten sich mit Bier und Brötchen. Derweil entdeckten sie sogar am gegenüberliegenden Hang ein Ungetüm, welches sich erst als Bär, dann als Fuchs und schließlich bei näherem Betrachten mit dem Feldstecher doch nur als gewöhnlicher Gemsbock entpuppte.

Der Abend brach bald herein und wir rüsteten uns für den nächtlichen Aufbruch. Alles musste parat sein und somit verbachten wir den Rest des Tages mit dem funktionalen Packen unserer Ausrüstung bevor wir uns gegen 21 Uhr zur Nachtruhe betteten. Obwohl wir uns gut eingerichtet hatten, schliefen wir erst spät ein und wachten immer wieder auf, wachgerüttelt durch seltsame Bergträume und die innere Unruhe, welche vor unbekannten Abenteuern jeglichen Schlaf zu rauben pflegt.

Schon um 01.40 Uhr klingelte der Wecker. Die Sterne standen fast unverändert am Himmel und kontrastierten die düster und drohend umherstehenden Bergriesen. Schnell hatten wir Schlafsäcke und Isomatten verstaut, Schuhe geschnürt und die Rucksäcke geschultert. Und noch halb schlafwandelnd machten wir uns kurz nach 2 Uhr auf den Weg Richtung Täschhütte, welche unser erstes Etappenziel sein sollte. Wir stiegen in stetem Schritt gleichmäßig und zielstrebig den staubigen Pfad entlang. Dank der Dunkelheit und der begrenzten Lichtkegel unserer Lampen querten wir den steil und schroff abstürzenden Geröllhang ohne uns wirklich darüber bewusst zu sein. Immer wieder flatterten Nachtfalter durch unsere von feinsten Staub gedimmten Lichtkegel.

Gegen halb vier erreichten wir die am südwestlichen Ende des Rotgrates gelegene Täschhütte. Die ersten Hüttengäste machten sich noch für den Abmarsch bereit, während wir nach kurzer Pinkelpause schon weiter Richtung Chimmibodmen liefen. Es war immer noch stockdunkle Nacht. Wir traversierten zwei kleinere Bäche ehe wir am linken Ufer des Alphubelgletscherbaches über Geröll und Blockhalden, aber auf gutem Weg weiter aufstiegen. Im Rückblick konnten wir die Lichtkegel, der nach uns losmarschierten Bergsteiger beobachten, wie sie einem kriechenden Lindwurm gleichend hin und her wankten, heller und dunkeler wurden, sich einander annäherten und entfernten und dabei stetig näher rückten.

Nach einer zweiten kleineren Pause am Fuße der Gletschermoräne und einem halbstündigen Anstieg über die freiliegende Grundmoräne der ehemaligen Gletscherzunge, zogen wir gegen 5.30 bei beginnender Dämmerung Klettergurt und Steigeisen an. Die bisher im Dunkeln

verborgene Berglandschaft fing erst unmerklich, dann immer rasanter an, Farbe und Gestalt anzunehmen. Zuerst erblaute der Himmel, dann fingen die weißen Flanken der schneebedeckten Berge im Westen das erste Morgenlicht, während in den Tälern tief unten noch finstere Nacht herrschte.

Um 5.45 betraten wir in zwei Zweierseilschaften den Gletscher auf etwa 3300 Metern Höhe. Von hier ab stiegen wir also am Seil gesichert bergan, den Vordermann immer im Blick und die grandiose, morgendliche Bergkulisse immer im Augenwinkel.

Als wir um 6.15 Uhr zur allgemeinen Erholung eine kurze Verweilpause einschoben konnten wir miterleben wie die ersten Sonnenstrahlen ein natürliches 1. August Feuerwerk an den Ostflanken von Matterhorn und Weisshorn entfachten. Wir befanden uns mittlerweile auf 3500 Metern und vor uns lag eine breite mäßig ansteigende Gletscherfläche, die nach etwa 200-300 Metern steiler werdend und über zwei kleinere Spalten gehend in die relativ flache Passebene des Alphubeljochs überging.

Wir brauchten etwa 70 Minuten ehe uns gegen halb acht die ersten Sonnenstrahlen auf dem 3772 Meter hohen Joch empfingen. Wir veranschlagten zehn Minuten für ein kurzes Vesper, doch stellte sich bald heraus, dass Andi nicht mehr weitermarschieren würde und auch Jürgen hatte mit Erschöpfung und Übelkeit zu kämpfen. Peter verlängerte daraufhin die Pause um 10 Minuten um den beiden noch etwas Erholung und Bedenkzeit zu geben, doch schon bald drängte er vehement zum Aufbruch. Andi entschied sich an Ort und Stelle zu bleiben und auf uns zu warten, während Jürgen die Zähne zusammen biss und sich zwischen Peter und mich ins Seil einbinden ließ.

Der Weg führte nun in gleißendem Sonnenlicht und atemberaubender Aussicht auf die umliegenden Saaser Gipfel an der Westflanke des Alphubels entlang. Der Schnee begann schon weich zu werden und Peter fürchtete zu Recht die Schneebrücken könnten bald zu weich werden, um sicher zu tragen. Wir hatten also keine andere Wahl als unverzüglich und ohne weitere Pause die restlichen 400 Höhenmeter bis zum Gipfel zu bewältigen. Peter spornte uns immer wieder an und ermahnte uns das Seil stets straff zu halten. 50 Meter unterhalb des Gipfels wurde es noch mal heikel als wir zwei Spalten, deren Tiefe nur zu erahnen war über stark angetaute Gletscherbrücken überwinden mussten. Von da ab waren es nur noch wenige Minuten, bis wir den Gipfel erreichten. Glücklich und erschöpft beglückwünschten wir uns zur starken Leistung. Immerhin hatten wir 2000 Höhenmeter Aufstieg und 7 ¾ h Marschzeit hinter uns gebracht. Nach einer kurzen Pause und einigen Gipfelfotos drängte Peter schon wieder zum Abstieg. Wir sollten die noch vorhandene Konzentration und Kraft nicht verlieren. Peter empfahl über den steilen und eisigen, dafür aber nicht von Spalten durchsetzten Südostgrat abzusteigen. Ein kalter Wind blies uns entgegen, als wir die südliche Kante des Gipfelplateaus erreichten. Der Südostgrat verläuft vom Alphubeljoch geradewegs auf den Gipfel zu und mündet etwa 100 Meter unterhalb des Gipfels in die sogenannte Eisnase, ein etwa 45° steiler Firn- und Eishang, der zu beiden Seiten von senkrechtem Absturzgelände begrenzt ist. Nachdem wir die ersten Meter noch aufrecht gehend zurücklegten, mussten wir bald rückwärts, Steigeisen und Pickel benutzend abzusteigen. Anseilen wäre bei dieser Exposition nicht empfehlenswert, da ein Sturz eines Einzelnen höchstwahrscheinlich auch die anderen Seilschaftspartner mitreißen würde. Der Abstieg, der in dieser Art für mich völlig neuartig war, sowie der Gedanke hier den Tritt zu verlieren, veranlasste mich dazu doch lieber gesichert den Hang abzusteigen, sodass wir zu der Übereinkunft kamen, dass Peter Jürgen und mich mittels Eisschraube sichern würde. Dies hatte den Vorteil, dass ein eventuelles Abrutschen weniger fatal enden würde und von Peter als Sicherndem abgefangen werden könnte. Mit dieser psychologisch sehr hilfreichen Absicherung gelang es uns dann anfangs noch etwas unsicher, nach einer Weile jedoch zunehmend abgeklärter die Eisnase zu überwinden.

Am Fuße der Eisnase banden wir uns wieder vom Seil los und stiegen den weniger stark ausgesetzten Südostgrat bis zum Alphubeljoch ohne Seilsicherung ab. Dort komplettierten wir die Seilschaft wieder mit Andi, der am Ende vier Stunden auf uns hatte warten müssen. Nach einer kurzen Rast, machten sich Peter und Andi als erste Zweierseilschaft auf, den Gletscher „abzufahren“. Dazu lösten sie die Steigeisen von den Schuhen und versuchten den Gletscherfirn auf den Schuhsohlen hinunterzuschlittern. Die Methode ging zwar stark in die Oberschenkel, verkürzte aber die Abstiegszeit erheblich, sodass wir schon nach 50 Minuten den Gletscher verlassen konnten. Am Fusse des Gletschers löste sich die Gruppe wieder auf. Jürgen marschierte vorneweg, ihn plagten Unwohlsein und Kopfschmerzen und er wollte nur noch schnell zurück ins Tal, während ich beeindruckt von der Bergkulisse ständig den Fotoapparat zückte und so den Anschluss an Peter und Andi verlor.

Der weitere Abstieg führte über die noch junge Grundmoräne, die erst seit wenigen Jahren vom Eise befreit war und deshalb noch aus charakteristischem feinkörnigem und sandigem Geschiebe bestand, welches gewöhnlich nach wenigen Jahren durch Regen und Wind ausgewaschen sein würde und etwas weiter unten mussten wir, wie schon beim Aufstieg, über großformatige Blöcke klettern, welche zur jüngsten Endmoräne des Alphubelgletschers gehörten. Die Landschaft bot faszinierende Einblicke. Die Felswände des scharf gezackten Alphubel Südwestgrates leuchteten in der Mittagssonne in den verschiedensten Rot- und Ockertönen. Der Gesteinsschutt bestand zum größten Teil aus rostroten, eisenhaltigem Schuttbrocken, durchsetzt mit grünlich schimmernden Felsbrocken, die während des nächtlichen Aufstiegs in der Dunkelheit verborgen geblieben waren und erst jetzt bei Tageslicht ihre wahre Farbpracht entfalteten.

Gegen 14 Uhr erreichte ich die Täschhütte, wo ich den erschöpften Jürgen vorfand. Wir gönnten uns ein großes Glas Rivella bevor wir die letzten 300 Höhenmeter auf dem breit angelegten „Versorgungsweg“ mehr schlendernd als wandernd in Angriff nahmen. Kurz nach 15 Uhr erreichten wir endlich die Täschalp und die beiden anderen, die bereits das verdiente Bier aus dem Gletscherbach gefischt hatten. Wir ließen erst mal alles stehen und liegen und verwöhnten uns mit kühlem Bier, frischer Melone und sonstigen Leckereien, die während der Tour nicht verzehrt worden waren. Der Tag hatte es wirklich in sich gehabt und wir waren allesamt froh heil und einigermaßen munter wieder am Ausgangspunkt angekommen zu sein. Die erste Viertausenderbesteigung war wahrhaftig ein ganz besonderes Erlebnis, dessen unmittelbaren Eindrücke uns noch lange nach der Heimkehr im Kopf herumspukten.


Tourengänger: Leander


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