Am unteren Wettersteingrat (fast) vom Winde verweht


Publiziert von TobiasG , 27. Oktober 2024 um 19:35.

Region: Welt » Deutschland » Alpen » Wetterstein-Gebirge
Tour Datum:26 Oktober 2024
Wandern Schwierigkeit: T5+ - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: D   A 
Zeitbedarf: 9:00
Aufstieg: 1750 m
Abstieg: 1750 m
Strecke:20 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Parkplatz der Meilerhütte beim Hotel Hubertushof
Kartennummer:AV-Karte BY8

Eine Tour mit Tom war schon länger verabredet, nun sollte es aber endlich mal klappen. Das Wetter war für Samstag durchaus vielversprechend vorausgesagt und die Verhältnisse sind top. Eigentlich wollte ich was aus dem Karwendel vorschlagen, aber Tom hatte die Idee, den Grat von der oberen Wettersteinspitze zu den drei Scharten zu machen. Da der Wettersteingrat schon länger auf der Liste ist und ich hier auch noch die Schlüsselstelle auskundschaften konnte, bedurfte es keiner großen Überzeugungsarbeit.
 
Auch wenn die Nordseite letztlich schneefrei war gingen wir auf Nummer sicher und wählten den Südanstieg über das Kar „im Fleck“ mit anschließendem Abstieg ins Bergleintal. Die Vorliebe für abseitige Wege teilen wir auf jeden Fall. Start am Parkplatz der Meilerhütte (in Leutasch Lochlehen zu parken, würde ich ehrlich gesagt nicht mehr versuchen) und auf den von algi beschriebenen Weg. Recht zügig gelangt man zu der Schuttreise die in das Kar hinaufführt. Ob aus Ungeduld oder Optimismus meinen wir, die Latschengasse schon recht früh zu erkennen – war sie nicht. Es folgt ein länger anhaltender Latschenkampf bis wir nach einiger Zeit im Unterholz auf die angestrebte Latschengasse treffen.
 
Ab hier ist der Weg nicht mehr besonders schwer zu finden, man hält sich nach Verlassen der Latschen eher rechts und steuert auf ein Rinnensystem zu, das von der oberen Wettersteinspitze herunterzieht. Dort geht es dann über Schrofen und leichte Kletterei in der Rinne zum Gipfel (I-II). Die obere Wettersteinspitze ist ein schöner Gipfel mit toller Aussicht, der auch als eigenes Ziel lohnt. Ich habe ihn mal als Sonnenaufgangstour gemacht, dafür würde ich aber den Normalweg gehen.
 
Schon in der Rinne hat es mächtig zu winden begonnen. Eigentlich ist es relativ warm aber Föhn zieht heute brutal nach Norden. Rückblickend war es hier aber noch harmlos. Wind sowie Länge und Anspruch des Weiterwegs verbieten eine zu ausgiebige Gipfelpause und so geht es weiter am Grat in Richtung Rotplattenspitze. Ich habe heute meine Handschuhe im Auto gelassen, da es selbst unten schon angenehm warm war – ein großer Fehler, wie sich nun herausstellt, da mir die Hände fast abfrieren. Ich spüre nur noch, wie der scharfkantige (und daher gutgriffige) Fels sich in meine Hände schneidet. Es geht auch recht schnell kräftig zur Sache, eine etwas ausgesetzte knackige IIer Stelle muss abgeklettert werden, was mit fast tauben Händen und ohne Aufwärmen den Adrenalinspiegel direkt nach oben treibt. Die Kletterei in diesem Abschnitt ist aber durchaus abwechslungsreich und erfreut trotz kühler Witterung. Die Wegführung ist eigentlich recht selbsterklärend, ein paar Mal weicht man in die Nordflanke aus. Der ganze Grat ist recht brüchig, sodass hier überall Vorsicht geboten ist
 
Der Wind hat inzwischen Geschwindigkeiten erreicht, die ich schon länger nicht mehr erlebt habe. Ein Aufrechtes gehen am Grat will gut überlegt sein, da die kräftigen Böen mittlerweile so stark sind, dass sie das Gleichgewicht ernsthaft beeinträchtigen. Die anspruchsvolle Kletterei geht so bis zur Mittagsscharte weiter. Aus dieser steigt man nochmal in etwas anspruchsvollerem Gelände auf den Grat zur Rotplattenspitze. Ab hier ist es bis zur Wettersteinwand relativ leicht. Quasi Wandern mit Ier Stellen. Ausgedehnte Pausen verhindert der Wind, auf der Wettersteinwand sitzen wir ein bisschen im Windschatten aber wirklich gemütlich ist es nicht. Landschaftlich ist es aber wirklich sehr lohnend: Südlich das Bergleintal mit Öfelekopf, westlich das Leutascher Platt mit den schönen Dreitorspitzen und nördlich der Blick in das Alpenvorland – verschlungen vom Hochnebel.
 
Ab der Wettersteinwand wird’s nochmal etwas ernster, die Gehpassagen werden weniger und es mischen sich wieder einige IIer Stellen dazu. Insgesamt aber schön zu klettern, auch wenn der Wind die Sache weiter erschwert. So geht es weiter bis zum Wettersteinkopf, wobei man die letzte Stufe eigentlich wohl südseitig umgeht. Das haben wir im Eifer des Gefechts übersehen und wurden dafür mit einer ekligen Abkletterstelle im oberen IIten Schwierigkeitsgrad mit anschließendem Abstieg durch eine kleingriffige Bröselrinne belohnt (T6, II+, von der Nachahmung wird abgeraten). Nach dem Wettersteinkopf kommt dann recht bald zur Linken eine markante Scharte, durch die wir auch absteigen, nachdem wir uns die Schlüsselstelle des Wettersteingrats einige hundert Meter weiter angeschaut haben.
 
Der Abstieg führt durch steile Schrofen und Gebrösel. Nicht wirklich schlimm aber auch kein Genuss. Aufgrund des tief eingeschnittenen Bachs im Bergleintal, quert man hier nach dem ersten Abstieg erst einmal in recht direkter Linie zur Mustersteinhütte. Falls man eine der herabziehenden Rinnen an einer ungünstigen Stelle erwischt, muss man sich ein bisschen umorientieren. Es geht hier aber quasi ohne Kletterei über abschüssige Graspolster bis zu einer Schutthalde, über die man dann schnell den Weg ins Bergleintal erreicht.
 
Ab hier geht’s auf dem markierten Weg nach unten. Landschaftlich zwar lohnend, aber nochmal relativ mühsam, da hier überall grobes Geröll rumliegt, das fast durchgehend konzentriertes Gehen erfordert. Unten wird’s dann auch erdig feucht, wobei die teils dichte Laubdecke hier eher hilft, auch wenn aufgrund der darunter befindlichen Wurzeln und Steine Vorsicht geboten ist. Relativ zügig ist man dann aber unten und nach einem kleinen Gegenanstieg und etwas Auslaufen wieder am Auto.
 
Insgesamt eine sehr lohnende Tour, auch wenn es bei weniger windigen Verhältnissen sicher noch angenehmer ist. Das Leutascher Platt bietet einfach eine tolle Kulisse. Die Kletterei bewegt sich immer wieder im zweiten Schwierigkeitsgrad, der aufgrund der Ausgesetztheit und Brüchigkeit auch kompromisslos beherrscht werden sollte.
Der Südanstieg wird im AV-Führer als mühsam beschreiben, was aufgrund der Steilheit und dem Schrofengelände auch zutrifft, wobei ich schlimmeres befürchtet hatte. Für die Latschengasse verweise ich auf algi´s Bericht. Im Frühling und Herbst eine nette Option, wenn man Schnee vermeiden will (die Gipfelrinne könnte aber nochmal ein Problem sein) und Lust auf einen etwas rustikaleren Anstieg hat. Im Sommer vermutlich eher weniger empfehlenswert, da es da ziemlich heiß werden dürfte. Der Abstieg über das ebenfalls eher mühsame Bergleintal ist damit quasi gesetzt, aber man muss sich hier halt auf die Landschaft konzentrieren.
 
Die Verhältnisse sind aktuell sehr gut, selbst die nordseitigen An- bzw. Abstiege sollten problemlos machbar sein, was wir so gesehen haben. Am Grat haben wir auch noch zwei von der Meilerhütte kommende Bergsteiger getroffen, die den ganzen Grat gemacht habe – das geht also auch noch.

Tourengänger: TobiasG, tage


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Kommentare (7)


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frehel hat gesagt:
Gesendet am 27. Oktober 2024 um 21:12
Der Wettersteingrat ist wirklich (bis auf den Musterstein Ostgrat) überall genial. Wollt ihr den kompletten Grat auch in diese Richtung machen?

BG, Moritz

TobiasG hat gesagt: RE:
Gesendet am 28. Oktober 2024 um 11:23
Bin etwas unschlüssig, gefühlt war in dem hier gemachten Abschnitt sogar mehr Abklettern, da man die Höhenmeter ja viel im einfachen Gelände macht, was für die Gegenrichtung spräche. Die Schlüsselstelle wäre in der Richtung aber sicher spaßiger, in die andere Richtung würd ich da abseilen, zum abklettern ist die mir glaub zu heiß.

Hätte auch was, das mit der Dreitorspitzenüberschreitung und ner Nacht auf der Meilerhütte zu kombinieren. Muss mal sehen, was sich dann so anbietet. Wird auch vom Tourenpartner und den konkreten Umständen abhängen aber ich denke, das müsste in beide Richtungen ne schöne Tour sein.

Ich geh mal davon aus, dass du ihn schon gemacht hast, hast due ne Empfehlung?

BG
Tobi

frehel hat gesagt: RE:
Gesendet am 28. Oktober 2024 um 16:51
Habe den Wettersteingrat im Wesentlichen schon in beide Richtungen gemacht, komplett von der Unteren Wettersteinspitze zur Meilerhütte aber erst einmal und in genau diese Richtung.
Andy83 hat einen super Bericht über unsere Begehung letztes Jahr geschrieben

https://www.hikr.org/tour/post180580.html

Wenn man die wirklich sehr schöne Untere Wettersteinspitze noch mitnehmen will, sollte man es in Richtung Meilerhütte machen, da der Abstieg von der Unteren nach dem langen Tag kein Spaß ist.

Von der Orientierung ist lediglich der Musterstein Westgrat nicht 100 % einfach, ich fands sehr entspannt am Ende der langen Tour den schon vorher mal in Ruhe gemacht zu haben.

Die Schlüsselstelle ist sicher nicht ohne, weder direkt am Grat noch über die südseitige "Umgehung" ist das noch wirklich ne III. Aber so wie du drauf bist, dürfte es kein großes Problem für dich sein ;).

Wünsche euch eine geniale Tour! :)

Toni83 hat gesagt: RE:
Gesendet am 28. Oktober 2024 um 18:30
Ich plädiere auf einen leichten IVer. Damit es kein böses erwachen gibt.

TobiasG hat gesagt: RE:
Gesendet am 28. Oktober 2024 um 18:55
Danke für eure Antworten! Ich hatte mir auch schon gedacht, dass die untere am Ende dann vermutlich oft zugunsten einer früheren Heimkehr geopfert wird. Den Bericht von Andy hatte ich auch schon im Auge, der beschreibt das wirklich gut.

Den Westgrat wollte ich auch davor mal noch machen. Da hast du absolut Recht, dass es entspannt ist, wenn man das Ende dann nochmal ohn große Sucherei schafft, zumal der ja auch eher für die Begehung von der Meilerhütte eingerichtet sein wird.

Von der Schwierigkeit ist ein oberer IVer oder unterer Ver so das obere, was ich mache. Aber das sah auf jeden Fall machbar aus.

VG Tobi

Nic hat gesagt:
Gesendet am 28. Oktober 2024 um 16:17
Klasse Tour. Gratulation. Du erwähnst IIer Stellen auf dem Gratabschnitt zwischen Wettersteinwand und Wettersteinkopf? Nicht dass diese mich sonderlich abschrecken würden, aber ich bin überrascht. ADI hat T4 I vergeben. Die Wettersteinwand möchte ich auch noch machen, via Westgrat. Dann stand ich auf allen Gipfeln des Wettersteingrates. :)

Gruß Nico

TobiasG hat gesagt: RE:
Gesendet am 28. Oktober 2024 um 19:17
Hallo Nico,
ich würde vermuten, dass da ein älterer Bewertungsmaßstab zugrunde liegt. Man hat da natürlich sowieso einiges an Subjektivität drin aber ich würde schon sagen, dass man die Passage moderat schwerer bewerten muss, Andy hat hier II T5+ vergeben.

Wenn ich das mit manchen alten Bewertungen von Routen im Kaiser oder so vergleiche wär das aber vermutlich wirklich T4, I. Ich orientiere mich eher an den "neueren" Bewertungsmaßstäben, da ich selbst noch gar nicht so lang unterwegs bin und so quasi sozialisiert wurde.

So als Referenz fängt für mich Weglos bei T4- an und ein IIer ungefähr, wenn man auch mal etwas mehr Armkraft braucht, während ein Ier quasi ne "anspruchsvolle Stufe" ist. Hat den Nachteil, dass die T-Skala im oberen Bereich etwas komprimiert wird, was insofern aber wohl vertretbar ist, als man Begehern solcher Touren mehr kritische Selbsteinschätzung abverlangen kann.

Aber du triffst da schon einen wunden Punkt: Gerade die Bewertungen in den moderaten Schwierigkeiten sind oft nur schlecht vergleichbar. Die ZS Eisenzeit ist mM mit 4- deutlich überbewertet, während die Westflanke der nördlichen Sonnenspitze mit II+ eher wohlwollend bewertet ist.

Auf die konkrete Tour bezogen ist es schon deutlich leichter, als von der oberen Wetterstein zur Mittagsscharte, aber auch deutlich schwerer, als von der Rotplatten auf die Wettersteinwand. Der Wörner dürrfte etwa vergleichbar sein von der Schwierigkeit.

So, langer Vortrag :D ist auf jeden Fall ein schöner Gipfel, bei dessen Begehung ich viel Spaß wünsche! Mir fehlen noch ein paar aber da kommt man ja gern zurück.

VG Tobi


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