Balmenhorn, Vincent Pyramide - Mein(e) erster(n) 4000er


Publiziert von Ekkehard , 17. September 2023 um 13:55.

Region: Welt » Italien » Aostatal
Tour Datum: 5 September 2023
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettersteig Schwierigkeit: K1 (L)
Wegpunkte:
Geo-Tags: I 
Zeitbedarf: 3 Tage
Aufstieg: 2400 m
Abstieg: 940 m
Strecke:20km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mit dem Auto bis nach Pont-Saint-Martin, dann die SR44 bis zum Ende hinter Greyssoney-Trinite nach Staffal. Dort versuchen auf der Talstraße abwärts einen kostenlosen Parkplatz zu ergatterm
Unterkunftmöglichkeiten:Rifugio Gabiet: http://rifugiogabiet.it/ Rifugio Mantova: http://www.rifugimonterosa.it/de/web/mantova-h%C3%BCtte-136
Kartennummer:IGC 109

Frustriert war ich am 13.8.2023 (*Tourenbericht) aus dem Aostatal 1000km zurück nach Hildesheim gefahren - wieder nicht geschafft die 4000m zu überschreiten :-(. In Gedanken sah ich mich schon auf den Hohen Atlas steigen oder in den USA mit dem Auto auf einen 4000er fahren.
Und dann noch der tägliche Blick auf die 40 SFR teure Schweizer Vignette auf der Windschutzscheibe... Mit anderen Worten: Frust auf ganzer Linie.
Aber dann tat sich erst verschwommen, dann immer deutlicher, ein kleines Fenster in der Wettervorhersage und in meinem Terminkalender auf, der den verwegenen Plan reifen ließ, mit einer kurzen Gewalttour, das ersehnte Ziel doch noch zu erreichen. Der sah grob so aus:
Eine Nacht Anreise und am Tag danach, Aufstieg per Bahn bis Punta Indren (3275m) und quer zu Fuß zur Mantova Hütte (3497m). Am folgenden Tag Aufstieg zum Balmenhorn (4167m) und Vincent Pyramide (4215m), Abstieg zur Hütte, Abstieg zur Bahn, Abfahrt zum Auto und eine lange Nacht Rückfahrt nach Hildesheim. Und alles in der Hoffnung nicht Höhenkrank zu werden und natürlich unfallfrei die 2000km im Auto zu bewältigen.
Aber im Inneren hörte ich die mahnende Stimme, das sei nicht gut und irgendwie falsch, insbesondere bzgl. der vielen Höhenmeter per Seilbahn. Einige Telefonate später hatten sich zwei Menschen gefunden, mein Freund Frank und ein Freund meiner Tochter, beide hatten eine ähnliche Lücke im Terminkalender vorzuweisen wie ich und ähnliche Beweggründe. Mit den Telefonaten hatte sich der Plan verändert: Wenn wir einen Tag mehr spendieren würden, könnten wir vom Tal aus aufsteigen und alles würde ein wenig „echter“ und entspannter ablaufen. Passend verbesserte sich die Wettervorhersage, war zunächst der Donnerstag (7.9.2023) schon eher wieder schlechter vorhergesagt, so war er jetzt eher der beste Tag der Woche.
Mit einiger Mühe konnte ich meinen Hund unterbringen und so ging es tatsächlich am Montagabend (4.9.2023) nach den nachmittäglichen Terminen los.
Mit Abholen meiner Mitstreiter vom verspäteten Zug und einer kurzen Schlafpause bei Frankfurt/M., trafen wir (nach obligatorischer Pause auf dem Parkplatz bei Montreux und der schon bekannten Befahrung des Großen Sankt Bernhard Passes) am Dienstag gegen 15 Uhr in Staffal ein. Die Saison war deutlich vorbei. Überall war Platz, keine Staus, kein Gedränge, die Fahrzeiten entsprachen der des Navis und es gab auch einen kostenlosen Parklatz neben der Seilbahnstation.
Eine Stunde ging fürs Packen, Aussortieren von Wäsche und Verpflegung für die Rückfahrt und die Anpassung der Steigeisen drauf, aber um 16 Uhr dann Aufbruch.

Tag 1: Staffal (1830m) – Rifugio Gabiet (2370m)
Mit 4,5km und 560Hm sollte dies auch nach der bisher erfolgten anstrengenden Anreise ohne Schwierigkeiten zu meistern sein. Das Wetter sah allerdings seltsam aus, das Tal empfing uns im Nebel. Kurz nach dem Aufbruch kam uns aber eine größere Gruppe Wanderer entgegen, die  - so verstand ich sie – meinten die Sonne oben sei wunderbar.
Etwas weiter oben trafen wir eine ältere Wanderin, die laut italienisch telefonierte und offensichtlich mit dem Weg im unklaren war. Auf englisch erklärte sie uns, dass der Wanderweg weiter oben gesperrt sei und der Hüttenwirt der Rifugio Gabiet ihr geraten hätte die Skipiste aufzusteigen, von der sie aber nicht wisse wo sie sei. Wir waren etwas irritiert, denn eine Sperrung war uns nicht aufgefallen. Dennoch entschieden wir uns nicht den schönen Wanderweg zu nehmen, sondern die äußerst steile und hässliche Skipiste. 800m Wegstrecke bei 250Hm Anstieg und dann kam die Sonne raus. Ich kroch wie eine Schnecke den Berg hinauf. Wie gut, dass man eine Kamera zur Ausrede dabei hat. Eine volle Stunde quäle ich mich diesen Hang hoch und verfluche diese verrückte Idee. Immer wieder zwingt mich mein völlig überhöhter Puls zu Pausen. Völlig erledigt erreiche ich die Straße und ich muss erst mal eine Pause machen. Ein Blick auf die Karte zeigt, das Schlimmste ist überstanden, jetzt fehlen nur noch 100Hm und ein knapper Kilometer Weg. Kaum ist der Puls runter, etwas Zucker mit Wasser im Magen und die Psyche beruhigt, geht es munter weiter und man versteht gar nicht mehr was denn da so schwierig war, denn eine halbe Stunde später erreichen wir die Hütte, nach 2,5h Gehzeit inklusive Pause(n). Wir beziehen unser Zimmer, bekommen noch eine warme Suppe mit etwas Brot, genießen den Ausblick auf die von den Seilbahnen völlig verschandelte Natur (von denen wir natürlich beim Abstieg profitieren werden!) und sind überrascht, dass binnen Minuten auf einmal die Hütte völlig in den Wolken liegt.

Tag 2: Rifugio Gabiet (2370m) - Rifugio Mantova (3497m)
Mehr als 1100Hm auf 7km in schwierigem Gelände, vor dieser Strecke habe ich Respekt, erst recht nach dem gestrigen Tag. Aber ich habe gut geschlafen, das Frühstück ist gut und der Rucksack schon um etwas Proviant leichter. Das Wetter ist fantastisch, also los geht's!
Um viertel nach Acht marschieren wir ab, zunächst ziemlich eben unter der Seilbahn durch in das enger werdende Tal. Und als der Abzweig von der Fahrstraße kommt wird es richtig schön. Blumen, kleine Wasserläufe und natürlich ganz oben die Vincent Pyramide und man sieht auch weit oben beide Hütten, die Mantova und die Gnifetti. Die Gehzeiten auf den Schildern sind natürlich wie immer der blanke Hohn. Nach 45 Minuten geht es dann doch den Berg rauf, an den drei Lago Verde vorbei, von denen aber nur der unterste vom Weg aus sichtbar ist. Der Weg wird immer unklarer, wobei doch viel Farbe spendiert ist. Der Blick zurück in die spätsommerliche, eher herbstliche Hochgebirgslandschaft, atemberaubend. Teilweise geht es durch große Blöcke, ein Weg im eigentlichen Sinne ist das nicht mehr. Es geht langsam voran und ich muss auch wieder häufiger pausieren, weil mein Puls auch durch langsamstes Gehen nicht mehr zu beruhigen ist. Aber trotzdem, kein Vergleich zur Quälerei von gestern. Um etwa Viertel nach Zwei haben wir auch den letzten Blockanstieg gemeistert und erreichen die Hütte. Das ist mit 6h, inklusive zweier Pausen, eine Zeit die zu meiner Bummelrechnung (3km pro Stunde, je 300 Hm eine Stunde extra) passt und ich bin eigentlich zufrieden.
Wir beziehen unser Zimmer, machen uns mit der Örtlichkeit vertraut und beschließen dann noch den Weg zum Gletscher zu erkunden, damit wir morgen früh in etwa Bescheid wissen. Das sind nochmal 100Hm bei 400m Wegstrecke. Hier gibt es keine Markierungen mehr und man muss sehen wie man zurecht kommt. Ein paar Tupfer Farbe wären aber schön. So irren wie doch etwas planlos über das Geröll. Aber der Gletscher sieht besser aus als erwartet. Ich befürchtete, dass durch die anhaltenden Plusgrade der Gletscher ein einziger Morast wäre, aber dem ist nicht so. Der vorhandene Schnee ist zwar etwas sulzig, aber keinesfalls ein knietiefer Brei. So betrachten wir noch ein bisschen, wie die anderen das so auf dem Gletscher machen und kehren dann beruhigt um.
Bei der Rückkehr wird deutlich wie exzellent die Sichtbedingungen sind. In der Ferne im Dunst ist ein markanter Berg zu sehen, den ich bald als Monte Viso identifiziere. Er ist 150km entfernt. Die Po-Ebene erscheint zum greifen Nahe. Während des Abendessens wird die Sicht immer besser und als die Sonne weg ist, hält es viele nicht mehr auf ihren Plätzen, es ist absolut unfassbar was sich draußen abspielt. Später kommen noch die Sterne dazu (Skorpion und Schütze am südlichen Horizont) und eine wunderbare Milchstraße. Aber wir wollen leidlich früh aufstehen und zwingen uns deshalb bald ins Bett.

Tag 3: Rifugio Mantova (3497m) - Balmenhorn (4167m) und Vincent Pyramide (4215m) - Punta Indren (3275m) (Seilbahn-) Staffal
Wir frühstücken um halb sechs und brechen um halb sieben in der Morgendämmerung auf und erreichen den Gletscher um kurz vor sieben. Steigeisen anziehen. Dabei eine kleine Schrecksekunde, die am Auto angepassten Steigeisen passen nicht, sie sind zu groß, aber zum Glück kann dieses Paar ohne Werkzeug justiert werden, so dass hieraus kein Problem erwächst. Trotz Plusgraden ist der Schnee gut gefroren und der Weg (oder soll man sagen: Die Wanderautobahn?) exzellent zu begehen. In das Seil binden wir uns etwas weiter oben ein. Während die beiden anderen voraus gehen und dabei ihre Wanderstöcke benutzen, nehme ich den Pickel in die eine Hand und in die andere den Wanderstock. Wir steigen langsam, aber sehr konstant auf und erreichen knapp zwei Stunden später die 4000m Höhe. So hoch war ich noch nie (außer mit dem Flugzeug), erstmals seit 45 Jahren stelle ich einen persönlichen Höhenrekord auf, jetzt bin ich mir sicher es wird klappen! Um 9:20 erreichen wir den Fuß des Balmenhorns. Der Klettersteig ist durch eine Seilschaft blockiert, hinter uns zieht eine weitere Seilschaft mit 6 Personen heran, ich bin genervt, weil ich nicht erkenne, was hier so lange dauert. Es sind doch nur so wenige Stufen - die mich vom Ziel trennen.
Der jüngere Begleiter unserer Dreiergruppe hat mit der Höhe zu kämpfen, Frank möchte den Klettersteig nicht wegen des Gedränges. Jetzt richtig genervt, mache ich das, was ich mir zuvor für diesen Fall überlegt hatte, ich schalte den Ego-Booster ein und steige alleine und ohne Sicherung den Klettersteig nach oben. Das ist kein Problem und gelingt wesentlich schneller als gedacht. Oben stehen die Blockierer und diskutieren, lassen mich allerdings freundlich passieren - und dann ganz real ist es vollbracht, das Balmenhorn ist mein erster 4000er. Ich mache ein Selfie, einige Fotos und dann kommen schon die ersten der nachfolgenden Seilschaft. So ist ganz schnell Zeit zum Absteigen, ich will die anderen ja nicht warten lassen. Runter ist der Klettersteig unangenehmer als rauf, insbesondere wegen der Steigeisen. Ganz unten ist der Schnee weit abgetaut, so dass es 2m ohne Steighilfen nach unten geht, aber das ist kein Problem. Dem Kollegen mit der Höhenkrankheit geht es schlechter als ich es zunächst wahrgenommen hatte, sein Puls ist sehr hoch. Wir beschließen erst einmal zum Colle Vincent abzusteigen, jeder Meter soll ja helfen. Dort machen wir erst mal Pause. Wir entscheiden dann, dass der "Patient" dort wartet und wir beiden anderen, ohne Seil, auf die Vincent Pyramide steigen. Gesagt getan. In knapp 20 Minuten erreichen wir den Gipfel. Mein zweiter 4000er, oder mein erster, wem die Schartenhöhe des Balmenhorn zu wenig ist, mir auch egal. Die Aussicht und die Fernsicht ist überwältigend. Ich mache ein Panoramafoto und werde später erkennen, dass die Sichtweite vermutlich über 250km ist. Jedenfalls sind hinter den Gipfeln der Seealpen in 200km Entfernung noch Wolken zu sehen. Ein Selfie, etwas Schokolade und dann ist auch schon der Abstieg dran. Etwas wehmütig frage ich mich, ob ich jemals wieder höher steigen werde, das Leben kann kurz sein, so wie das meiner 2022 verstorbenen Frau, an die ich hier ganz besonders denken muss. Sie würde sich jedenfalls mir mir um die Wette gefreut haben.
Um 11 Uhr erreichen wir unseren zurück gelassenen Kollegen, der sich zwischenzeitlich etwas erholt hat und wieder steht. Natürlich ist er enttäuscht, aber er ist ja 30 Jahre jünger als wie beide alten Herren, so dass sich für ihn sicher noch die Gelegenheit ergeben wird. Elf Uhr ist gut, denn meine pessimistischste Planung ging von einer spätesten Abstiegszeit 13 Uhr aus, um die letzte Bahn in Indren noch zu erreichen. Wir haben also einen guten Puffer.
Der Abstieg zur Hütte geht ziemlich flott, in etwas mehr als 1,5h sind wir unten. Dann packen und Abstieg zur Seilbahn. Der Indren-Gletscher stirbt, ich denke nicht, dass da in wenigen Jahren noch etwas sichtbar übrig ist, es ist so unendlich traurig.
Wir erreichen die erste Bahn nach der Mittagspause und sind um 15 Uhr unten im Tal. Umziehen, ab ins Auto und die lange Fahrt zurück beginnt. Die Überquerung des Großen Sankt Bernhard ist problemlos, wir halten sogar nochmal kurz an um Fotos zu machen. Vor vier Wochen war hier Stop-and-Go, so dass anhalten völlig zwecklos gewesen wäre, heute aber kein Problem.
Der Rest der Fahrt hat etwas Surreales: Oben die wilden Gletscher und hier unten die banale Normalität.
Aber endlich, nach Jahrzehnten (nicht immer kontinuierlichem Streben, Beruf, Kinder, Sonnenfinsternisse, waren wichtiger) ist es endlich geschafft und das ist es, was mir für einige Zeit danach ein leichtes Grinsen ins Gesicht zaubert.

Tourengänger: Ekkehard


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden


Geodaten
 61282.gpx Staffal-Gabiet
 61283.gpx Gabiet-Mantova
 61284.gpx Mantova-4000er-Indren

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentar hinzufügen»