Scalino Hike


Publiziert von lynxx , 7. September 2022 um 23:24.

Region: Welt » Italien » Lombardei
Tour Datum:10 August 2022
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR   I   Bernina-Gruppe   Margna-Tremoggia-Gruppe 
Zeitbedarf: 5 Tage
Aufstieg: 6100 m
Abstieg: 7000 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Maloja
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Poschiavo
Unterkunftmöglichkeiten:Zelt


Prolog:
Aufgefallen ist der Berg mir diesen Frühling auf Skitour im Val da Camp, die Pyramide im Westen, die höchste Erhebung gegen Süden mit einem Gletscher im Norden. Ein Blick in die Karte: Es ist der Pizzo Scalino. Im Juli dann für ein paar Tage im Puschlav und wieder ist er da, der Scalino. Und mit ihm das Verlangen, diesen Berg mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Bald wird klar, dass es von Schweizer Seite keinen schnellen Zugang gibt, da braucht es ein bisschen Fantasie und ein Zelt. Und von Italien her braucht es wohl ein Auto, was mir als GA Besitzer nicht wirklich in den Kram passt. Anfangs August kann ich dann plötzlich kurzfristig eine Woche frei nehmen. Schnell wird klar dass das die Gelegenheit für das Projekt Scalin ist. Ein weiterer Blick in die Karte und der Plan steht fest: Von Maloja nach Poschiavo soll es gehen, mit dem Zelt und möglichst in der Höhe bleibend und so unterwegs beim Scalino vorbeischauen. 

Sonntag 7.8
Um 13.00 starte ich in Maloja Richtung Murettopass. Schnell ist der herrliche Lägh da Cavloc erreicht. Ein Bad gönne ich mir nicht, die Wetterprognose sagt gegen Abend Regen voraus, schön, wenn das Zelt dann schon steht. Auf gutem Weg erreiche ich den Pass gegen 16.00. Wolken kommen, der Wind frischt auf, höchste Zeit sich um das Nachtlager zu kümmern. Zwei Deutsche mit grossen Rücksäcken, die oben auf dem Pass ein Süppchen kochen packen zusammen um noch runter ins Tal nach Italien zu gehen, sie fürchten sich vor dem Wetterumschwung. Ich bleibe hier, morgen soll es ja noch in der Früh auf den Monte del Forno gehen. Tatsächlich finde ich beim Pass hinter einer Kuppe ein Rifugio, das auf der Karte nicht als solches markiert ist. Es ist zwar zu, aber es hat einen Steintisch unter einem windgeschützten Vordach, perfekt! Etwa 100 Meter neben der Hütte finde ich auch einen schönen Platz für mein 1 Personenzelt. Kaum steht es fängt es an zu regnen, ich aber sitze im Trockenen am Steintisch und köcherle mein Süppchen und eine Polenta. Bald aber geht's in den warmen Schlafsack.

Montag 8.8.
Um 5.30 krieche ich aus dem Zelt, über Nacht hat es wieder aufgeklart. Ich trinke eine Tasse Tee und esse einen Riegel, um 6.00 ziehe ich mit leichtem Gepäck los, ziemlich weglos aber markiert (wam) geht es zum Monte del Forno, dessen Gipfel ich nach 2 h erreiche. Im letzten Teil hat es zum Glück ein paar Ketten, ansonsten wäre für mich dort heute Schluss gewesen. Traumhafte Aussicht nach allen Richtungen, im Südosten in der Ferne sehe ich den Pizzo Scalino. Kein Mensch hier weit und breit. Um 10.00 wieder beim Zelt, frühstücken, das Zelt an der Sonne trocken, zusammenpacken. Dann geht es los auf gutem Weg hinein nach Italien. Bei der Alpe dell'Oro verlasse ich das Tal und gehe dem Hang entlang zur Alpe Fora, ein sehr schöner Weg im lichten Lärchenwald. Dann ansteigend zum Rifugio Longoni, das von aussen an ein Skipistenrestaurant erinnert, man könnte schöner bauen hier. Ich bin froh weiterzuziehen. Jetzt wam über Blockwurf etwas absteigend bis zur ehemaligen Fahrstrasse, mit dem Gewicht auf dem Rücken am späten Nachmittag doch etwas anstrengend. In Serpentinen ansteigend hoch Richtung Lago d'Entova wo ich beim kleineren See etwas weiter unten mein Zelt aufstelle und mir ein erfrischendes Bad in der Abendsonne gönne: herrlich.

Dienstag, 9.8
Heute klingelt der Wecker um 6.00. Das Wetter ist schön aber im warmen Schlafsack ist es noch schöner. Eine Stunde später krieche ich aus dem Zelt, es steht kein Gipfel an, dafür werden es bis am Abend vier Pässe sein. Gestern Abend habe ich nochmals die Karte genau studiert, von Norden über den Gletscher sehe mit meiner Ausrüstung keinen sicheren Zugang zum Scalino. Dafür habe ich auf der Karte eine Möglichkeit entdeckt, wie ich um den Scalino herumgehen kann und so auf die Normalroute stossen kann. Was aber bedingt, dass ich noch einiges an zusätzlicher Distanz und Höhe zurücklegen muss und somit heute möglichst weit kommen sollte. Also wird gepackt und bald geht es los, zuerst anstrengend über Blockwurf auf die Forcella d'Entova, dann leicht hinten hinunter. Der Aufstieg von der Brücke unterhalb des Cimitero degli Alpini zum Rif. Carate meistens wuwm (weglos und wenig markiert) so dass ich mich zweimal mit der Karte auf dem Handy vergewissern muss, in welche Richtung es jetzt wohl weitergeht. Oben angekommen werfe ich einen Blick in das Rifugio, hier könnte ich mir gut vorstellen, einmal eine Nacht zu bleiben.  Mein Tageswerk ist aber noch nicht vollbracht. Jetzt wieder wam über groben Blockwurf zur Forca di Fellaria, dann auf einem guten Weg hinunter zum Rif. Bignami, wo mich der Rummel um das wieder sehr geschmackslose Gebirgshaus etwas abschreckt, war ich doch in den letzten Tagen über weite Strecken keinem Menschen begegnet. Der halbleere Stausee tut dann noch das Seine. Schnell zieht es mich weiter, nördlich den See umgehend, bald durch das traumhaft schöne und saftig grüne Valle Poschiavina, ein schöner Kontrast zu den Steinwüsten, die ich heute Vormittag durchquert habe. Sanft ansteigend geht es zum Pass da Cancian, wo ich für ein paar Meter wieder Schweizer Boden betrete, bevor es dann weiter über den Passo Campagneda geht. Beim Lago di Campagneda finde ich einen Traumplatz für mein Zelt, ein Bad und eine wunderbare Abendstimmung, der Pizzo Scalino leuchtet hoch über mir in der Abendsonne während mein Gaskocher brummt.

Mittwoch 10.8.
Wolken hängen am Scalino als ich am Morgen aus dem Zelt krieche. Schnell packe ich zusammen während ich meinen Morgentee trinke und einen Riegel esse. Leicht abwärts geht es zur Alpe Prabello. Meine Rechnung geht auf, bei der Alpe habe ich endlich Empfang. Gerne möchte ich nochmals auf Hikr nachlesen, wie es vom Rif. Cederna auf den Scalino geht. Das einzige, was ich mir von meiner etwas hektischen Vorbereitungsphase merken konnte ist dass es vom Rifugio relativ einfach zum Gipfel gehen sollte. Von der Karte aber ist es nicht ersichtlich, wo man auf welchem Grat hochsteigt. Und je nach Gelände ist es doch beruhigend zu wissen, wo es eigentlich durchgehen sollte. "Beim Punkt 3064 erreicht man den Südgrat", heisst es da gut übersetzt aus dem Italienischen von Google translate. Das ist alles, was ich wissen wollte. Beschwingt durch die Zuversicht, jetzt auch alle relevanten Informationen für den erfolgreichen Aufstieg zu kennen steige ich steil und wam über grosse Blöcke zum Passe degli Ometti hoch. Zwischendurch auch mal ein bisschen Sonne, aber auch immer wieder tiefhängende Wolken. Jetzt kommt mir in den Sinn, dass ich eigentlich auch noch die Wetterprognose hätte nachschauen sollen, seit drei Tagen habe ich keinen update mehr und heute sieht das Wetter definitiv nicht stabil aus. Aber natürlich auch auf dem Passo degli Ometti und bis auf weiteres keinen Empfang mehr. Dafür geht es jetzt einfach und fast horizontal wam zum Passo Forame, von wo ich zum Rif. Cederna hinunterblicken kann. Dieser Teil war ein richtiger Spass, ein bisschen wie bei einem Orientierungslauf, immer wenn ich bei einer Markierung war habe ich Ausschau nach der Nächsten gehalten, manchmal ein bisschen ein Versteckspiel, aber gefunden habe ich sie immer.  Umso grösser die Ueberraschung dass ich vom Passo Forame hinunter keine Markierung oder Wegspuren entdecken kann. Und hier geht es doch steil und abschüssig zur Sache. Nach einigem Suchen, runter und wieder raufkraxeln und genauerem Ausschau halten wird klar, dass es eigentlich nur eine Möglichkeit geben kann. Ich kraxle die gleiche Stelle wieder hinunter und ziehe dann etwas in südlicher Richtung in ein grosses und steiles Schuttfeld, ziemlich besorgt, dass hier der eine oder andere Stein herunterkommen könnte. Zum Glück geht alles gut. Weiter unten entdecke ich auch auf einem grösseren Stein eine alte verblasste Markierung, offensichtlich bin ich richtig. Viel begangen scheint dieser Uebergang aber nicht zu sein.
Das Rif. Cederna ist wie auf Hikr beschrieben nicht bewartet und heute auch verlassen, eine gemütliche Hütte. Ich deponiere meine Zeltsachen auf dem Tisch, esse etwas und gehe bald los Richtung Scalino. Das Wetter macht mir etwas sorgen, mittlerweile ist es sehr grau. Es gibt Markierungen und Wegspuren, zügig geht es die Ostflanke hinauf. Auf etwa 2900 müM fängt es aber an zu regnen und kurze Zeit später an zu hageln. Muss das sein? Das darf doch nicht wahr sein dass mir jetzt das Wetter einen Strich durch die Rechnung macht? Ich beschliesse bis auf den Grat zum Punkt 3064 zu steigen, von hier kann ich jederzeit problemlos und bei jedem Wetter schnell wieder absteigen, sollte das Wetter noch viel schlechter werden. Oben bin ich etwas beruhigt wie ich sehe dass es jetzt nicht wie befürchtet über einen ausgesetzten Grat weiter geht sondern unschwer über eine leicht abfallende Flanke. Aber der anhaltende Hagel verdirbt die Laune und ich beschliesse abzuwarten, in der Ferne höre ich Donnergrollen. Zum Glück hört es nach einer Viertelstunde auf zu hageln, ich gehe eine Stück weiter, auch von hier ist ein Abstieg jederzeit möglich. Und bald hört auch der Regen auf und wie ich auf den Südostgrat komme sind der Fels und die Steine schon weitgehend abgetrocknet. Auch der Gipfelhang sieht durchaus machbar aus. Den Spuren und Markierungen folgend geht es etwas in die Südflanke und dann zügig hinauf zum riesigen Gipfelkreuz aus Metall, das ich um 15.00 erreiche, 2 Stunden nachdem ich vom Rifugio los bin. Scalino, du hast es bis zum Schluss spannend gemacht! Es freut mich riesig, dass ich jetzt nach 3 Tagen hiken hier oben stehen kann. Und um den Moment noch vollkommen zu machen tanzen für kurze Zeit auch noch ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolken. Ich schaue runter auf den Gletscher und zum Lago Campagneda, wo ich heute früh das Zelt zusammengepackt habe. Der einzige Vermutstropfen ist, dass es keine Fernsicht gibt, zu gerne hätte ich von hier auf die Berninagruppe und zurück auf den Monte del Forno geschaut. Der Abstieg geht gleitig, in der Ostflanke werde ich wieder vom Regen eingeholt, trotzdem mache ich noch den kleinen Umweg zum Seelein oberhalb der Hütte. Wie ich mich der Hütte nähere staune ich nicht schlecht als ich Rauch rieche. Ich hätte nicht gedacht dass bei diesem Wetter heute noch jemand hochkommen wird. Es ist eine Gruppe von 4 Italienern mit einem Guide aus Tirano, morgen wollen sie auch auf den Scalino. Ich koche in der Hütte im Trockenen meinen z'Nacht. Gegen 20.00 packe ich dann meine Sachen, in der Zwischenzeit hat der Regen aufgehört. Auf der anderen Seite des Baches habe ich schon beim Anstieg zur Hütte heute Mittag eine schöne Stelle gesehen, wo ich jetzt mein Zelt aufstelle. Hier werde ich sicher viel besser schlafen als bei den anderen in der Hütte. 
     
   
Donnerstag, 11.8
Mitten in der Nacht schrecke ich aus dem Schlaf, es prasselt auf das Zelt, als ob die Welt untergehen würde. An Schlaf ist bei dem Lärm nicht zu denken. Aber es bleibt trocken im Zelt und schön warm im Schlafsack. Am Morgen verstehe ich auch, warum da so ein Krach war, weisse Häufchen liegen um das Zelt, es hat in der Nacht gehagelt, nicht geregnet. Der Morgen ist neblig und feucht, ich packe zusammen und schon bald geht es weiter, mein letzter Tag. Ein schöner Weg führt hinunter zur Alpe Campiasco auf rund 1700 müM, mein tiefster Punkt zwischen Maloja und Poschiavo. Dann wieder zügig hoch zu den Laghi Gemelli, zwei wunderschöne kleine Seen in Wiesen eingebettet, hier muss ich unbedingt auch einmal mit dem Zelt übernachten. Nach einer schönen Mittagsrast  bei den Seen geht es hoch zum Passo dell'Arase auf 2600 müM, wo ich wieder Schweizer Boden betrete und sich die Sicht ins Puschlav auftut. Schön über Wiesen ist der Weg hinunter zur Alp Valüglia. Hier habe ich wieder Empfang. Ich buche mir ein Hotel für heute Abend in Poschiavo. Noch bin ich aber nicht dort. Jetzt auf gewohnt guten Schweizer Wanderwegen hinunter, dem Hang entlang in nördlicher Richtung, gegen den Schluss etwas ungeduldig, die kleine Gegensteigung zur Seilbrücke im Val Pednal kurz vor dem Ziel empfinde ich schon fast als eine Frechheit. Noch vor half sieben erreiche ich den Bahnhof von Poschiavo, gerade noch rechtzeitig um mir im Coop nebenan einen Apfel und ein Rivella zu kaufen. Auf der Bank vor dem Bahnhof sitze ich noch eine Weile, geniesse den Apfel und das Getränk und füge mich so langsam wieder in die Zivilisation ein. Später gehe ich dann ins Dorf hinein, jetzt freue ich mich auf das Hotel, die Dusche, die Pizzoccheri auf der Piazza und das grosse Bett.


Epilog:
Die Gegend südlich der Bernina ist wild und einsam, eine wahre Entdeckung für mich. Bei meiner Routenwahl habe ich versucht, wenn immer möglich in der Höhe zu bleiben, was mich dann doch über 9 Pässe geführt hat, drei über 2800 müM. Ich habe mich wenn immer möglich auf markierten Wanderrouten bewegt, aber auch diese sind oft weglos über Blöcke und Steine was einem oftmals viel Zeit kostet. Orientiert habe ich mich mit der App Outdooractive, wo diese Routen alle eingezeichnet sind. Die Karten müssen unbedingt vorher herunterladen werden, es gibt auf der Route praktisch nirgends Empfang. Bei schlechter Sicht könnte die Orientierung an einigen Stellen schwierig werden, falls noch Schnee liegt könnte es zum Teil auch gefährlich werden, insbesondere der Abstieg vom Passo Forame. Typisch bewegt man sich im T3-T5 Gelände. Den Aufstieg auf den Scalino vom Rif. Cederna würde ich unter den vorgefundenen Bedingungen (kein Schnee) auf ein T5 einstufen (andere Berichte schätzen das anders ein). Ausser am ersten Tag war ich täglich  9-10 h unterwegs, grössere Pausen nicht mit eingerechnet. Es gibt auch etablierte Wanderrouten, die das Gebiet durchqueren. Gewisse Abschnitte habe ich mit dem Sentiero Bernina Sud geteilt, auch die Via Alpina rot quert hier durch. Meine Route könnte man im wesentlichen auch mit Hüttenübernachtungen machen, z.B. Fornohütte, Rif. Longoni, Rif. Carate, Rif. Bignami, Rif. Cristina, Rif. Cederna, was ein paar Etappen mehr ergibt und weniger Gepäck. Aber was gibt es schöneres als auf 2500 müM an einem klaren Bergsee vor dem Zelt zu sitzen, etwas zu köcherln und das Lichtspiel der Abendsonne in den Gipfeln um einen herum zu bewundern?  



 

 

 



Tourengänger: lynxx


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Kommentare (2)


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Nyn hat gesagt:
Gesendet am 9. September 2022 um 15:25
Danke fürs Teilen dieses charismatischen Abenteuers.
Mit Zelt und Sack und Pack für einige Tage loszuziehen und die Natur, Bergwelt und Wetter auf ganz direkte Art zu erLEBEN....toll!

lynxx hat gesagt: RE:
Gesendet am 10. September 2022 um 17:56
Danke Nyn. Genau: Abseits ausgetretener Pfade gibt es viel Natur zu entdecken und zu erLEBEN.


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