Eins, zwei, drei...


Publiziert von lorenzo , 14. August 2022 um 21:51.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Oberwallis
Tour Datum:10 August 2022
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: ZS-
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS 
Zeitbedarf: 11:00
Aufstieg: 2865 m
Abstieg: 3005 m
Strecke:20km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Herbriggen
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo St. Niklaus
Unterkunftmöglichkeiten:Topalihütte, SAC Monte Rosa
Kartennummer:LK 1328 Randa, 1308 St. Niklaus; M. Brandt, Guide des Alpes Valaisannes 3, CAS 1986; M. Waeber, Walliser Alpen, Rother 1993; M. Sartori, L'Unité du Barrhorn, Uni Lausanne 1990

Wiewohl etwas im Schatten von Bishorn und Weisshorn stehend, erhebt sich das Brunegghorn, schon ab Kalpetran von der MGB aus sichtbar, wie die beiden Aussichtsbalkone Sparrhorn und Mettelhorn dennoch als stolzer Gipfel hoch über das westliche Mattertal. Im Juli 2008 war ich einmal von Herbriggen statt auf die geplanten Inners und Üssers Barrhorn spontan über den damals noch gut begehbaren NE-Grat (II) auf das Brunegghorn auf- und über die Normalroute ins Turtmanntal abgestiegen. Auch im Mai 2014 hatte der damals noch weitherum weiss leuchtende Gipfel nach einem wegen Blankeis abgebrochenen Aufstiegsversuch durch die Bishorn NE-Wand als exquisites "Ersatzziel" - diesmal mit Ski und über den SW-Grat (I) - herhalten müssen. Und da in diesem Jahr wegen ungenügend verschneiten Gletschern und der hitzebedingt raschen Ausaperung bisher eher ungünstige Bedingungen für Gletscher- und Hochtouren im Alleingang bestanden hatten - oder war das nur eine faule Ausrede? -, kam mir der spannende und inspirierende Bericht von Bergamotte über seine Begehung des NW-Grats (III) als Idee für eine verantwortbare weitgehend gletscherfreie Hochtour mehr als gelegen, zumal ich damit dem Brunegghorn zum dritten Mal die Ehre erweisen konnte. Ich plante, wieder in Herbriggen zu starten, aber nicht wie damals über Chastul, sondern über Guggini auf-, und bei genügend Zeitreserve wieder nach Gruben im Turtmanntal abzusteigen, was aber beim letzten Bus um 17.20 knapp werden konnte, so dass ich mir die Option St. Niklaus offen liess.

Wegen Abwartens von Gegenzügen der MGB startete ich mit einer Viertelstunde Verspätung. Zwar war e
in weiterer Hitzetag angekündigt worden, aber bis zum Guggigrabe konnte ich noch im kühlen Schatten des gegenüber liegenden Nadelgrats, und dann durch schattenspendenden Bergwald bis Guggini aufsteigen, wo es schon nicht mehr so heiss war, und eine weidende Ziegenherde die sich weiter unten tummelnden Steinböcke ablöste. Bei der wunderschönen aussichtsreichen Querung nach Abberg kamen mir einige von der Topalihütte kommende Gruppen entgegen, und ein Bartgeier schwebte in luftigen Höhen vorbei. Auf Abberg musste ich den bequemen Bergweg schon wieder verlassen, aber nach einer kurzen Pause kam ich auch auf den folgenden gutmütigen Moränenzügen gut voran, einzig der Schlussaufstieg zum Beginn des Schöllihorn NE-Grats war wegen rutschigem Geröll etwas harzig. Ein Berggänger stieg zum Schöllijoch auf, eine Gruppe kam von diesem bereits herunter. Auf dem Grat erleichterten unten Pfadspuren, und oben anregende leichte Kletterei das Vorwärtskommen. Der Gipfel des Schöllihorns, mein erstes Etappenziel, bot sowohl die einzigartige klassische Aussicht auf die beiden Granden Bishorn und Weisshorn, an denen der bisherige Hitzesommer allerdings auch nicht spurlos vorbeigegangen ist, als auch eine kompakte Übersicht über den weiteren Routenverlauf. Und nach einem federleichten Abstieg auf einer Geröllspur über den angenehm geneigten SSW-Grat erreichte ich in Kürze das Bruneggjoch und stand am Beginn des rund 1km langen und 500Hm hohen und prima vista immer noch aperen NW-Grats. Nun würde sich weisen, ob ich noch zu etwas taugte...

Wegen böigem NW-Wind hatte ich inzwischen die Schirmmütze mit der Wollkappe getauscht, und derart stromlinienförmig kostümiert hüpfte ich nach einer weiteren kurzen Pause in 
leichtfüssigem Auf und Ab über die untere Grathälfte. Der schwarze Rücken des 1. Aufschwungs wartete mit Reibungs- bzw. Genusskletterei in solidem Quarzit auf, und von mir aus hätte es gut und gerne noch eine Weile so weiter gehen können. Aber schon kündigte ein ruppiges Geröllintermezzo den berüchtigten 2. schwefelgelben Aufschwung, das Herzstück der ganzen Tour, an. Ich inspizierte zuerst die Kante links am Grat, wo ein Fixseil zu hängen schien, aber die brüchigen Zustiegsfelsen waren vereist, und die Kante selbst sah auch nicht leicht aus, so dass ich mich unverzüglich der "Schwachstelle" des Felsriegels, dem Rinnensystem SW vom Grat zuwandte. Der Fels war stellenweise nass und von Wassereis überzogen, was die an sich schon delikate Sache nicht unbedingt einfacher machte. Über die rutschigen Einstiegsfelsen schlich ich mich zur Rinne aus brüchigem gelbem Dolomit hoch und mogelte mich mit zunehmend mulmigem Gefühl durch diese zu den abwärtsgeschichteten, brüchigen und mit Kies belegten Ausstiegsfelsen hinauf, die ich auch noch mit klebender Zunge hinter mich brachte. Bis dahin hatte die Frage, wie ich hier wieder heil herunterkommen sollte, nur bedrohlich im Hinterkopf gelauert, aber während ich begann, ernsthaft darüber nachzudenken, wurde sie durch eine naheliegende Erleuchtung auch schon beantwortet: da mir Abklettern zu unberechenbar und zu heikel erschien - Châpeau vor Bergamotte, der dies trotzdem gewagt und geschafft hatte! - und Abseilen bzw. gesichertes Abklettern mangels solider Verankerungspunkte ebenfallls nicht möglich war, blieb nur der Abstieg über den SW-Grat bzw. die Normalroute. Beim Zu- und bisherigen Aufstieg war mir nämlich aufgefallen, dass dieser wie der NW-Grat schneefrei und der darunterliegende Brunegggletscher grösstenteils aper war, und dort, wo ihn noch Firn bedeckte, eine gut sichtbare Spur darüber führte. Unendlich erleichtert über die unerwartete Lösung nahm ich schliesslich auch noch die Gratkante des 3. Aufschwungs, die über der N-Wand ausgesetzt zum Gipfelgrat empor zieht, in Angriff. Obwohl aus brüchigem Marmor, liess sich diese weisse Kante, verglichen mit der soeben überstandenen gelben Rinne, fast schon wieder mit so etwas wie andächtigem Genuss klettern...und schon winkte zuoberst das wohl von etlichen Orkanböen etwas windschiefe gusseiserne Gipfelkreuz.

Inzwischen war es zwei Uhr geworden und die versprochenen Quellwolken hatten nicht auf sich warten lassen. Ohne Pause stieg ich über den tatsächlich knochentrockenen plattigen SW-Grat meistens auf einer guten Kiesspur bis vor den Sattel 3700 ab, wo ich die Steigeisen montierte und den Pickel zur Hand nahm - was ich zum Glück beides nicht am Fuss des NW-Grats deponiert hatte. Auf körnig-griffigem Eis gelangte ich über die W-Flanke zum Bergschrund, der sich auf einer Eiszunge sicher überschreiten liess. Eine nachfolgende breite Spalte konnte ich auf einer Firnbrücke, die so solide wirkte wie ein von italienischen Facharbeitern gebauter Bogen des Landwasserviadukts, ohne Bedenken überqueren, und nach einer Passage auf zwischendurch geröllübersätem Firn entlang dem Fuss der W-Flanke mit nur wenigen und gut erkennbaren Spalten erreichte ich schliesslich wieder sicheres Eis und über dieses den unteren NW-Grat. Zurück beim Bruneggjoch gönnte ich mir eine ultrakurze Pause, bevor ich auf guter Geröllspur über die eindrücklich kahle Schöllihorn W-Flanke und entlang dem NW- und N-Grat zum Schöllichjoch querte. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit waren die Würfel längst zu Ungunsten vom Turtmanntal und von Gruben gefallen. Der Klettersteig erforderte nochmals volle Konzentration, bei der untersten Leiter sogar eine athletische Hangeleinlage und zuletzt schmieriges Tauziehen über einen blanken Eishang hinunter zum Schölligletscher. Dessen Firnteil war gespurt, und der apere, von Schmelzwasserbächen durchfurchte Hauptteil war auch ohne Steigeisen problemlos zu begehen. Unter der Gletscherzunge begab ich mich wieder in die Obhut des gut angelegten Alpinwander- und Bergwegs, der mich zielsicher zur Topalihütte führte. Bei einem erfrischenden Cola tauschte ich mich mit dem freundlichen und interessierten Hüttenwart aus, der den NW-Grat aus eigener Erfahrung kennt und mir als schnellsten Abstieg jenen über Walkerschmatt empfahl. Gesagt - getan: vorbei an weidenden Schafen und aufsteigende Gruppen kreuzend, gelangte ich zu besagter Alp, wo ich mich zusammen mit stolzen Schwarzhalsziegen am kühlen Brunnenwasser erfrischte. Kurz vor Bodu holte ich einen einsamen Tourengänger ein, der in der beschaulichen Landschaft "modo tranquillo" unterwegs war, und ich wünschte ihm einen guten weiteren Abstieg. Dann ging es auf dem steilen, aber bequem federnden Waldweg z.T. zwischen eindrücklichen Flühen hinunter nach Ze Schwidernu, wo als Zückerchen noch ein ziemlich langer Strassen- und Dorflatscher dem MGB-Gleis entlang bis zum Bahnhof wartete. Dort spinnte der Billettautomat im zweithöchsten Grad, einem freundlichen Walliser Ehepaar, das diesem mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen zusetzte, gelang es aber kurz vor der Abfahrt nach Visp schlussendlich doch noch, ihm für mich ein Billett zu entlocken - vielen Dank! -, derweil ich ein letztes Foto vom Brunegghorn im Licht der untergehenden Sonne knipste....


Zustieg von Herbriggen über das Schöllihorn
Vom Bahhnof Herbriggen (1260m) auf dem gelb markierten Wanderweg zur Brücke über die Matter Vispa (1254m) und nach S zur Abzweigung Richtung Topalihütte. Auf dem weiss-rot markierten Bergweg über Reckholder (1556m), Guggini ((2077m), Guggiberg, Guggigrabe und Holzzügji nach Abberg ca. bei P. 2690, 2h 30min, T3. N vom Tummigbach zur Moräne N P. 2703, über diese N ausholend in einem Linksbogen auf Geröll und Gras zu P. 2958 und weiter nach WSW auf Geröll mühsam zu P. 3181. Über den NE-Grat auf Geröll (Pfadspuren, Steinmänner) bis ca. 3300m (Abzweigung des gesicherten Steigs zum Abberggletscher) und weiter auf leichten Felsen (I) zum NNE-Grat und über diesen (eine Stufe I) zum Gipfel (3499m), 1h 45min, L. Abstieg über den SSW-Grat auf Geröll und Platten (Pfadspuren, Stellen I) zum Bruneggjoch (3364m), 15min, L. Insgesamt 4h 30min.

Überschreitung Brunegghorn
Aufstieg NW-Grat: vom Bruneggjoch (3364m) über den unteren Abschnitt auf leichten Felsen (Pfadspuren) zum 1. Aufschwung ("schwarzer Rücken", Quarzit), der direkt überklettert wird (Stellen II-III). Auf Geröll zum 2. Aufschwung ("gelbe Rinne", Dolomit), der SW vom Grat durch ein Rinnensystem überwunden wird (heikel, v.a. bei Nässe und Vereisung): auf brüchigen und rutschigen Felsen (II) zu einer Y-förmigen Rinne aus gelbem brüchigem Fels und durch diese und den rechten Ast hinauf (III), und zuletzt Ausstieg auf abwärtsgeschichtetem brüchigem und rutschigem Fels (II). Auf losem Geröll zum 3. Aufschwung, ("weisse Kante", Marmor), der NE an der Gratkante auf marmorartigem brüchigem Fels (II) erklettert wird. Dann in Kürze über den Grat auf brüchigen, aber leichten Felsen zum Gipfel (3831m), 1h 30min, ZS-.

Abstieg SW-Grat: vom Gipfel (3831m) über den SW-Grat auf Geröll und leichten Platten (Pfadspuren) und zuletzt über die W-Flanke auf Eis zu P. 3700. Weiter über die W-Flanke S ausholend nach N zum Bergschrund W der Felsen bei ca. 3500m. Diesen an geeigneter Stelle überqueren und auf dem oberen Brunegggletscher, Spalten ausweichend, nach N zum unteren NW-Grat, und über diesen zurück zum Bruneggjoch (3364m), 1h, WS.

Hinweis: beide Grate können mehr oder weniger verfirnt oder vereist und entsprechend leichter oder schwieriger sein.

Abstieg über das Schöllijoch und die Topalihütte nach St. Niklaus
Vom Bruneggjoch (3364m) über die Schöllihorn W-Flanke auf Geröll und Platten (Pfadspuren, Steinmänner) zu P. 3474 und entlang dem NW- und N-Grat zum Schöllijoch (3343m), 30min, L. Weiss-blau markiert über den Klettersteig hinunter zum Schölligletscher, auf diesem nach E zu P. 3123, und auf dem Weg, E an P. 3019 vorbei zur Einmündung in den weiss-rot markierten Bergweg bei ca. 2715m, der zur Topalihütte (2675m) führt, 1h 15min, T4. Weiter auf dem weiss-rot markierten Bergweg über Scheidchrommo (2400m), Walkerschmatt (2139m), Bodu (1905m) und Medji (1635m) nach Ze Schwidernu (1163m) und gelben Markierungen folgend über Schwidernen (1162m), Stahlen (1150m) und Birchmatten (1113m) zum Bahnhof St. Niklaus (1123m), 2h 15min, T3. Insgesamt 4h.

Geologie: nähere Angaben zu den Gesteinsarten und -schichten am Brunegghorn und im Turtmanntal finden sich in der aufgeführten vorzüglichen Dissertation von M. Sartori u.a. auf S. 128.

Verhältnisse: bei leichtem NW-Wind sonnig mit Quellwolken und mild. Wege, Gras und Felsen trocken. Grate aper, Rinne im 2. Aufschwung am NW-Grat z.T. nass und vereist. Auf den Gletschern Firnreste, Spalten aber gut erkenn- und umgehbar, sonst aper. Unterste Leiter am Schöllijoch-Klettersteig athletisch. 

Material: übliche Hochtourenausrüstung mit Pickel, Steigeisen und Leichthelm. 30m 6mm Reepschnur, Leichtklettergurt, 1 Schlinge und 1 Express mitgeführt, aber nicht gebraucht.

Fahrplan: 8 Uhr Start in Herbriggen, 9.15 Guggini, 10.30 P. 2690, 12.15 Schöllihorn, 14 Uhr Brunegghorn, 15.30 Schöllijoch, 16.45 Topalihütte, 19 Uhr St. Niklaus.

Bemerkung: trotz einer (durch die Klimaerwärmung bedingten?) Tendenz, Kletter- und Hochtourenrouten mit der Alpinwanderskala zu bewerten, finde ich es sinnvoller, diese nur für voralpine, vornehmlich über Gras, Geröll, leichte bis wenig schwierige Felsen, Schrofen und Firnfelder (und nur ausnahmsweise über spaltenarme Gletscher) führende Routen oder Zustiege (zu Hütten oder alpinen Routen) zu benutzen, und für die alpinen Kletter- und Hochtouren über Gletscher und in Fels, Firn und Eis die Hochtourenskala zu verwenden.

Tourengänger: lorenzo


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T3+
T3 WS
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Brunegghorn 3833 mt. · ALE66
T5
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11 Sep 14
Vom Mattertal ins Val d'Anniviers · poudrieres

Kommentare (2)


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Bergamotte hat gesagt:
Gesendet am 17. August 2022 um 10:40
Wunderbar, Dein Bericht liess mich die Tour soeben ein zweites Mal erleben. Und danke für die geologischen Bestimmungen, die werde ich bei mir ergänzen.

Ich habe gewisse Hoffnung, dass der NW-Grat angesichts zweier solider Begehungsnachweise bzw. Dokumentationen nun vermehrt Zuspruch erhält.

So long!

lorenzo hat gesagt: RE:
Gesendet am 17. August 2022 um 22:58
Hallo Gabri

Ja, es handelt sich wirklich um eine tolle Route, die Du da wiederentdeckt hast. Sie gibt aber schon ein wenig zu beissen, und ist wohl nicht jedermanns Sache...

Trotzdem hätte der NW-Grat hätte sicher mehr Aufmerksamkeit verdient, aber ohne genügende Verfirnung im oberen Teil (v.a. in der Rinne) , werden sich wohl viele von einer Begehung abhalten lassen.

Ich hoffe, dass die geologischen Angaben einigermassen zutreffen, bei Interesse kann sonst der Link weiterhelfen

Weiterhin gute Touren und beste Grüsse

lorenzo


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