Der höchste Berg der Apenninen? Keine Ahnung ... so hätte ich noch vor 3 Wochen gesprochen. Inzwischen waren Petra und ich droben. Es ist das Massiv des Gran Sasso, und dort der Westgipfel des Corno Grande mit 2912m. Neben diesem gibt es in der Gruppe des Gran Sasso noch etliche weitere Gipfel, die aber nur maximal 2600m hoch sind - mit Ausnahme des Ostgipfels des Corno Grande, der es auf 2903m Höhe bringt. Durch das ganze Massiv führt der Grans-Sasso-Autobahntunnel mit einer Länge von gut 10km - die Trasse verbindet die Hauptstadt der Region, L'Aquila (ca. 68000 Ew) mit Pescara an der Adria.
Bleibt noch zu erwähnen, das wir uns hier in Erdbebengebiet befinden: das letzte heftige Beben ereignete sich bekanntlich am 6. April 2009. Die Schäden sind beträchtlich: viele Straßen sind derzeit noch gesperrt, Ortschaften evakuiert und abgeriegelt (so auch die Innenstadt von L'Aquila), etwa 50000 Menschen leben in Zelten oder wurden in andere Gebiete Italiens ausgesiedelt .... ich will es mit diesen geografischen bzw. geotechnischen Vorbemerkungen bewenden lassen.
Meine Frau und ich starteten um 6 Uhr am Albergo Campo Imperatore, auf 2130m am Westrand des Campo Imperatore gelegen, einer Hochebene beträchtlichen Ausmaßes, die an tibetische Ebenen erinnert und deswegen gelegentlich als das italienische Tibet bezeichnet wird. Es empfielt sich meiner Meinung nach aus 3 Gründen, frühzeitig zu starten: erstens kann man dann in der Kühle des Morgens aufsteigen und bekommt die Hitze des Tages erst im Abstieg zu spüren (bis zu 30 Grad sind hier auch auf 3000m keine Seltenheit!) - zweitens entgeht man den Menschenmassen, die gelegentlich am späteren Vormittag den Berg überfluten - und drittens ist es früh morgens noch klar und wolkenlos mit entsprechend guter Fernsicht, spätestens ab 11 Uhr kam es während unseres Aufenthaltes immer zu starker Quellwolkenbildung.
Man kann eigentlich kaum fehlgehen: die Route ist immer gut beschildert und markiert, gleich hinter dem Albergo, der Seilbahn-Bergstation und dem Observatorium folgt man dem Weg Nr.3 und erreicht nach einer guten halben Stunde die Sella Monte Aquila (2335m). Hier muß man sich erstmals entscheiden, wie man aufsteigen möchte: geht es die Via Direttisima Alpinistica hinauf (ein etwas anspruchsvollerer Weg durch die Südwand, er mündet direkt auf dem Westgipfel des Corno Grande, Weg Nr. 4a, über die dortige Kletterei las ich von Zweierstellen) oder Normalweg bzw. Westkamm? Wir wählten in der Folge den unterhaltsamen Aufstieg über den Westkamm und folgten in einer langen, ansteigenden Querung unter der Südwestflanke des Corno Grande auf Weg Nr. 3a der entsprechenden Beschilderung bzw. Markierung.
Um 7:30 Uhr hatten wir einen weiteren Sattel erreicht, die 2506m hohe Sella del Brecciaio. Nochmals 100m höher fällt die Entscheidung zwischen Normalweg und Westkamm. Vom Normalweg ist im Aufstieg abzuraten (viel Kampf gegen Geröllfelder): wenn man Einserkletterei beherrscht und schwindelfrei ist, sollte man sich den Spaß gönnen und den unterhaltsamen Westgrat hinaufturnen. Die Abzweigung ist bei etwa 2600m Höhe unübersehbar markiert, auch am Grat selber kann man nicht fehlgehen, da die roten Markierungen in allerhöchstens 10m-Abständen aufeinander folgen. Der Westgrat ist nirgends sonderlich anspruchvoll, es ist einfach ein Genuß, dort hinaufzukraxeln!
Um 8:45 Uhr hatten wir nach knapp 3 Std. den Westgipfel der Corno Grande (2912m) erreicht - und waren wieder einmal froh, frühzeitig gestartet zu sein. Wir hatten während der folgenden Stunde den Gipfel vollkommen für uns allein (erst beim Abstieg begegneten uns scharenweise Turnschuhtouristen), es war hochsommerlich warm, kein Lüftchen rührte sich, und außer etwas Dunst trübte noch kein Wölkchen die Sicht. Ich las, das man an klaren Tagen die Adria im Osten (das sind etwa 50km Luftlinie) und das Tyrrhenische Meer im Westen (etwa 120km Entfernung) sehen kann - nun, dazu muß man wohl einen der superklaren Herbsttage für die Besteigung wählen, so weit reichte es für uns nicht; aber wir waren es zufrieden!
Beeindruckend ist der Blick hinüber zum Ostgipfel des Corno Grande - ein wilder, türmereicher Zackengrat verbindet die beiden Hauptgipfel des Corno Grande (er besteht neben dem West- und dem Ostgipfel noch aus der Mittelspitze 2893m und dem Corno Piccolo 2613m). Auch der Tiefblick auf den Campo Imperatore ist erwähnenswert.
Wir stiegen dann auf dem Normalweg ab: er führt, wiederum bestens markiert, durch die Westflanke des Berges. Hier gibt es viel Schutt, der im Abstieg noch akzeptabel, aber meines Erachtens für den Aufstieg wenig erfreulich ist. Auf dem Rückweg erstiegen wir noch den Monte Aquila (2495m), er ist beiläufig "mitzunehmen", es handelt sich um einen Wiesen- und Schrofenhügel, der auf einem Pfad problemlos zu erreichen ist. Rund eine zusätzliche Stunde sollte dafür mindestens angesetzt werden.
Gegen 14 uhr waren wir wieder am Ausgangspunkt, hatten für die ganze Unternehmung incl. aller Pausen also 8 Std. gebraucht.
Zum Schluß noch ein Wort zur Landkartenwahl: für die Nationalparks der Abruzzen (und andere Gebiete) gibt es von der Edizioni Il Lupo hervorragend genaue Karten im Maßstab 1:25.000, die auf den IGM-Karten (Italienische Militärkarten) beruhen und bestechend exakt sind. Sie sind auf den Hütten in den jeweiligen Gebieten erhältlich - und vermutlich auch im Internet unter www.illupo.com
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