grandioser Abruzzen-Höhepunkt: die Tour auf den Corno Grande (occidentale) via West-Grat

Endlich, das Warten auf gute Wetterbedingungen scheint sich gelohnt zu haben: bereits beim Frühstück und auf der Anfahrt stellen wir hocherfreut fest, dass heute optimale Bedingungen für die Besteigung unseres lange gehegten Gipfelziels in Mittelitalien herrschen.
Nicht nur dem gütigen Wettergott danken wir - indirekt auch meiner Tochter A-D, dank deren Ausland-Semester in Bologna wir erst auf die Idee kamen, es gero gleichzutun, und die lange Anfahrt bis kurz vor L'Aquila auf uns zu nehmen.

Wir starten in unserem Hotel in Assergi gleichzeitig wie immer - also nicht besonders früh: haben wir viel Vertrauen ins Wetter und befürchten keine Wolken, welche uns auf dem Gipfel einhüllen; diesmal sogar gestärkt mit einem leckeren Schoko-Gipfel ... und sehen uns bereits auf der Anfahrt zum Campo Imperatore darin bestärkt, dass es unser Tag werden wird. Keine Wolke in Sicht, keine, die sich den Bergketten entlang des Campo Imperatore hinziehen, keine, welchen den Corno Grande verdecken - ein blendend schöner Herbsttag beginnt. So wird bereits die Anfahrt auf die Hochebene des Campo zum Genuss ...

Auf dem leeren Parkplatz des Albergo Campo Imperatore stellen wir jedoch sogleich fest, dass das Wetter unsere Erwartungen zwar mehr als übertrifft - der Wind jedoch von nicht geahnter Stärke und Kälte weht; wir packen uns ziemlich dick ein ... Glücklicherweise lässt dieser in der Mulde unterhalb des Rifugio Duca degli Abruzzi etwas nach, so dass wir hier nicht nur die Silberdisteln und das knallige Blau des Himmels, sondern auch den stets dominanteren Anblick unseres Gipfelzieles geniessen können.

Schnell einmal erreichen wir die Sella di Monte Aquila; hier öffnet sich die Runde mit dem Pizzo Cefalone und d'Intermesoli - im tief unten nicht mehr sichtbaren Talschluss muss der Arno entspringen. Gut einsehbar ist der weitere Wegverlauf; nach der Abzweigung zum Monte Aquila führt unser Weg erst einige Höhenmeter abwärts, bevor er zu den Geröllhalden unterhalb der Ausläufer des Westgrates hinaufleitet.

Drei Junge überholen wir hier (sie werden uns später, bei unserer Rast noch fragen, ob sie sich auf dem Normalweg befänden) - sie scheinen nicht alle gleich bergtüchtig zu sein (wir treffen sie später weder auf dem Gipfel noch unterwegs nochmals an ...). Die Sonne hat inzwischen eine Höhe und Stand erreicht, dass wir die letzten Aufstiegsmeter zum Sella Breccaio an der Wärme hinter uns legen können und dort einen Znünihalt einlegen.

Nach wenigen Hundert Metern erkennen wir, analog zur Karte, den gut markierten Abzweiger auf den Westgrat; eine deutliche Wegspur führt nun stetig im Geröll aufwärts zum Grat; erst noch im Gehgelände flacher weiter, bevor der Sentiero 154A ins Felsgelände einmündet. Nun beginnt, der glücklicherweise lange, reizvoll zu erkraxelnde Corno Grande (occidentale) Westgrat; zu Beginn im Schatten aufsteigend, wenige Male etwas abschüssig in die Nordflanke blickend - doch nie ausgesetzt, gewinnen wir oft nordseitig (später eher auf der sonnigeren SE-Seite) Meter um Meter an Höhe. Reines Vergnügen, die unzähligen aufwärts führenden Bänder, Felsstufen oder Couloirs zu erklimmen - von bisher nicht gekannter Art; wer genussvolles, längeres Gratkraxeln sucht - findet hier bestes Anwendungsgebiet!

Der Genuss steigert sich, weil der zweite Teil des Grates an der wärmenden Sonne verläuft; stets gut markiert und nun das Gipfelziel vor Augen, sagen wir uns mehrere Male: "geniessen wir diese Tour - so schnell sind wir nicht wieder hier, und können auf einem Grat der Sonderklasse (für meine Verhältnisse) den höchsten Berg der italienischen Halbinsel besteigen!" So kennt unsere Freude keine Grenzen, als wir nach 2 h 40 min das Gipfelkreuz des Corno Grande occidentale erreichen - und über den Wolken eine zwar begrenzte, doch nicht minder fantastische Rundsicht erleben dürfen!

Die drei freundlichen Italiener, denen wir uns im Anstieg angenähert haben, und, wie sie uns erklären, bereits mehrere Male oben gestanden haben, halten unseren Gipfelerfolg fotografisch fest - auch sie geniessen die Erhabenheit. Wir finden, nach dem Besuch des Vorgipfels, unterhalb des Gipfelkreuzes einen windstillen Platz, wo wir ausgiebig die Aussicht auf uns einwirken lassen und dem Mittagsimbiss huldigen.
Doch auch diese Gipfelrast muss eine Ende finden und der Abstieg über den Normalweg unter die Füsse genommen werden. Er zweigt etwas unterhalb des Gipfels ab und quert erst nochmals zum Grat, wo wir noch einmal einen Blick auf den Ghiacciaio del Calderone werfen. Anschliessend wird das Gelände nochmals steiler, etwas ruppiger und schottriger - ein Teilstück wird in einer Rippe abgestiegen. Doch dann geht die Spur endgültig in Gehgelände über und führt uns problemlos zur Sella Breccaio zurück. Wehmütig blicken wir von hier aus auf die gesamte Gratüberschreitung zurück - im Abstieg zur Sella di Monte Aquila sind zwar die Ausläufer dieses Grates in der späten Nachmittagssonne noch zu erkennen, der Grat selbst jedoch nicht mehr einsehbar. Doch auch hier, und bis zu unserer Ankunft beim Albergo Campo Imperatore werfen wir immer wieder Blicke zurück zu diesem traumhaften Berg anlässlich dieses aussergewöhnlichen Bergtages - ein Erlebnis von besonderer Intensität; es neigt sich aktuell dem Ende zu; bleibt jedoch sicherlich unvergessen!