Eisberg Südostwand - Wellnesspower


Publiziert von Paco , 5. März 2021 um 19:19.

Region: Welt » Deutschland » Alpen » Berchtesgadener Alpen
Tour Datum:28 Februar 2021
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Klettern Schwierigkeit: VII (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: D 

Es war mal wieder einer dieser Tage. Ende Februar, der Winter hatte sich nicht mit Schneemassen gerühmt und die letzten Wochen mit frühlingshaften Temperaturen machten mit der dünnen, weißen Auflage kurzen Prozess. Die Wettervorhersage bescheinigte absolutes Kaiserwetter und da Christoph und ich die Winterzeit, aufgrund geschlossener Hallen, draußen, mit klammen Fingern und kaum Gefühl in den Zehen verbrachten, dachten wir uns, die Tour ist genau das Richtige für uns beide!

Weil unser Mittwochsklettern ausfiel, einigten wir uns relativ unbürokratisch auf eine Mehrseillänge am Wochenende. Südseitig sollte sie ausgerichtet sein, denn ich wollte im T-Shirt klettern. Christoph, bekannt als kleine Frierkatze, hatte das ganze Winterequipment, bestehend aus zwei Unterhemden, einem Pullover, einer Softshell und einer Dauenjacke inkl. langer Unterhose, dabei.
Das vorangegangene Wochenende konnte ich, durch meinen Exkurs auf Ski, eine Südwand an der Reiteralm nach unten schauen. Da kam mir der Gedanke, „Mensch, hier könnte man doch schon klettern!“ Wobei aus gegebenem Grund eine quarantänefreie Ein- und Ausreise nach Österreich gerade nicht drin ist. Naja, und so kam es dann relativ schnell zur Eisberg Südwand. Was „Knackiges“ sollte es sein. Nach kurzer Recherche, der wirklich tollen Website von Markus Stadler, hatte ich mir die Wellnesspower herausgesucht und Christoph gleich davon in Kenntnis gesetzt.

Die weitere Recherche verdeutlichte, dass die Rezensionen der Begeher von „moralisch“ über „weite Hakenabstände“ bis „deutliche Unterbewertung“ gehen. Somit waren wir vorsichtig euphorisch und druckten gleich mal ein paar Topos der benachbarten Klettereien aus.
Der Zustieg zur Wand verlief ohne größere Schwierigkeiten und ist schon zur Genüge beschrieben. Zielgerichtet steuerten wir auf den Einstieg der Wellnesspower zu und betrachteten die imposante Wandflucht. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass es dort einen Weg im "nur" 6ten Grad nach oben gehen kann.
Plötzlich eine Libelle im Anflug. Das ist das Geräusch, wenn ein Stein von oben runter kommt. Schnell die Helme auf den Kopf, das Kletterzeug an den Gurt und los geht es.

Die 1. SL ist ja ‘nur‘ eine 6- und sollte uns einen guten Vorgeschmack auf das geben, was noch kommt. Die Hakenabstände sind wirklich solide, stecken aber dort wo man sie braucht. Christoph steigt vor und die letzte Passage zum Standplatz sieht bei ihm schon recht akrobatisch aus. Ich komme nach und bekomme ein Gefühl für den wirklich messerscharfen Fels. Die kleinen Rasierklingen bohren sich förmlich unter die Haut. Was einerseits heißt, dass der Griff solide hält und andererseits, dass die zulässige Flächenpressung an den Fingerkuppen mehr als überschritten ist. Schon in der ersten Länge bluten die Hände. Kurz vor dem Stand zeigt sich die Wasserrille doch steiler, als sie von unten noch ausgesehen hatte. Ich muss ganz schön zulangen und erreiche den Stand.

Der Start in die 2. SL verlangt mir alles ab. Am zweiten Haken muss ich passen und mich zum Stand ablassen. Der Rucksack muss runter. Beflügelt ohne Tee, Brotzeit und Bergschuhe am Rücken geht’s dann doch irgendwie. Die Rillen schneiden sich in die Fingerkuppen. Ich kämpfe mich von Haken zu Haken. An der sehr exponierten Platte der Querung muss ich in die Sicherung greifen und kurz rasten. „Was für ein Brett“. Weiter geht es an tollen Schuppen mit etwas größerer Hakendichte und dann erreiche ich den Stand. Unterbewertung? Sicher nicht. Meines Erachtens passt die Bewertung wirklich gut, wenn man eine 10 Meter Route im südlichen Frankenjura als Maßstab nimmt. ABER hier sind es 45 Meter sehr anhaltend bzw. stellenweise mal einen halben Grad darunter. Christoph und mein Rucksack kommen an je einem Einzelstrang nach. Das Kettennotglied am letzten Haken deutet auf einen Rückzug vorhergehender Seilschaften hin. Mir kommt allmählich derselbe Gedanke, zumal die Schlüssellänge noch kommt.

Die 3. SL übernimmt Christoph und startet in einer Wasserrille 5 Meter rechts vom Stand. Der erste Haken hängt hoch und bietet keinen Raum für einen Ausrutscher. Der Sturz auf das Band und dem seitlichen Pendler, wenn man da nicht liegen bleibt, wäre zumindest schmerzhaft. Die ersten Meter aber höchstes der untere 6. Grad, an scharfkantigstem Fels. Danach wird es kräftig-kleintrittig um dann wieder kräftig-henklig in einen abdrängenden Bauch überzugehen. Das Gute an Christoph ist, wenn der Mann die Hand zuschraubt, dann geht die nicht mehr auf. Da ich ihn nicht sehe, gehe ich mal davon aus, er hat gerade die größte Freude. Bald ist er am Stand und muss erstmal die Karabiner seiner Standplatzschlinge wechseln, da keine genormten Hakenlaschen verwendet wurden, und seine nicht durch die Löcher passen. Zudem war noch eine Reepschnur durch die Löcher gefädelt, die als Abseilstand eingerichtet war. Als ich oben ankomme, wird mir immer mulmiger. Christophs Hände haben inzwischen auch schon genug. Er tapt die Kuppen; man will sich ja nicht die Fingerchen vor der Schlüsselseilänge ruinieren.

4. SL. Die Wellnessplatte. Anfangs 3ter Grad, geht über in eine 4. Endlich mal Plaisir. Aber weit gefehlt. Der erste Haken kommt nach 20 (!) Metern. Okay, jetzt kann man sagen, eine 3er Platte muss man auch nicht übersichern, aber es gibt halt auch keine Möglichkeit eine mobile Sicherung unterzubringen. Ein beunruhigendes Gefühl bleibt. Als ich am Stand ankomme und den Weiterweg inspiziere, wird mir erst bewusst, was gleich abverlangt wird. Christoph kommt nach und ich stimme ihn schon moralisch auf die bevorstehende SL ein. Er schaut auch noch etwas eingeschüchtert von den wirklich harten Seillängen bis hierhin, aber ich könnte mir keinen besseren Motivationstrainer als ihn vorstellen. Der Mimik entnehme ich definitiv eine gehörige Portion Respekt und Demut und doch formen seine Lippen mit fester Stimme die Worte: „So! … Jetzt zeige ich dir mal, wie ‘richtig klettern‘ geht!“.

Christoph nimmt den Rucksack ab und er steigt ein in die 5. SL. Die Schlüsselstelle kommt gleich am Anfang. Der erste Haken hängt hoch. Danach geht es richtig an‘s Eingemachte. „Oft nass“ steht in der Topo. Heute auch! Schmieriger Schlamm in der Tiefe des Risses. Das lässt Christoph alles unbeeindruckt. Stoisch-konzentriert reiht er die Bewegungen aneinander. Bald lehnt sich die Wand etwas zurück und er gerät aus meinem Sichtfeld. Da ich recht zügig Seil ausgeben muss, scheint er komplett durchzuziehen. Bald höre ich „Stand“. Er ist oben. Er hat’s geschafft. Was für ein wuider Hund! So, jetzt bin ich dran. Standplatz abbauen und ab geht es hinterher... Klettertechnisch komme ich an meine Reserven. Mein Rucksack zieht mich aus der Wand und an bestimmten Stellen muss ich seinen Rucksack am zweiten Strang nachziehen. Aber auch ich komme oben an. Der Stand ist ein kleiner Absatz. Gerade groß genug für zwei. Ein Adlerhorst in der Wand. Die Sonne scheint uns ins Gesicht. Noch ist es aber nicht vorbei. Es gibt einen Schluck Tee und dann geht’s weiter.

Die 6. Seillänge ist an Ausgesetztheit kaum zu überbieten. Ich quere nach links vom Stand weg. Der erste Haken kommt relativ zeitig, dann wird es aber richtig schwer. Eine Mischung aus kleinsten Griffen mit Plattenschleicherei. Wieder würde ich gern meinen Rucksack ablegen, es ist aber nur eine kurze Passage. Nach ein bisschen tüfteln, mogele ich mich über die Stelle drüber und muss wieder ‘Richtig klettern‘. Der Anfang der SL hat es in sich, dann wird es, oben raus, mit jedem Meter leichter.

Die 7. SL ist eine waschechte Plattenschleicherei. Christophs Hände haben bei so etwas nichts zum Zuschrauben, weswegen er sich hier schwer tut. Jetzt weiß er wie ich mich immer fühle, wenn er von dem „guten“ Griff spricht, den ich halten soll… Er kämpft sich durch, der Sturzgrenze recht nahe, jedoch ohne Zwischenfälle. Durch einen kleinen Schlenker, den er eingebaut hat, wird die Seilreibung enorm, weswegen er sich am letzten Haken mit großer Mühe so viel Seil rausziehen muss, dass es noch bis zum Stand reicht.

Die 8. SL übernehme ich und ist, im Vergleich zu dem bisher erlebten, ein purer Genuss mit moderaten Schwierigkeiten. Übersichert ist die Länge nicht, jedoch könnte man gut noch mobile Sicherungen hinzufügen. Alles im Wohlfühlbereich. Allmählich verabschiedet sich die Sonne und ein kalter Wind kommt auf. Wir ziehen uns die Jacken an. Christoph ärgert sich, dass er seine lange Unterhose immer noch im Rucksack herumschleppt und nicht angezogen hat. Wieso hört er auch immer auf mich?! Wir atmen tief durch. Es kommt schließlich noch der krönende Abschluss.

Für die 9. SL müssen wir nochmal kurz nachtanken. Wir haben ja schon bis hierher wirklich alles gegeben und sind ziemlich unterzuckert. Ein wenig quadratisch-praktisch-gute Rum-Traube-Nuss löst das Problem. Nun steht noch eine zähe Seillänge an, die zum Ende hin immer schwerer wird. 45 m an rauem Fels geben den Fingern den absoluten Rest. Glücklich wer sie eh nicht mehr spürt, dann kann man beherzt zupacken. Die ersten Meter sind genüssliche Kletterei an einem steilen Riss. Gegen Ende hin ist die Linie etwas gesucht und kurz vor dem Stand muss man ein letztes Mal entschlossen zulangen und dann ist es geschafft und man darf sich stolz ins Wandbuch eintragen.

SL 10 gehen wir noch gesichert nach oben und finden am Ende einen schönen Jausenplatz. Die Sicht ist überwältigend auf hohen Göll, Watzmann und Hochkalter und die noch schneebedeckten Berge leuchten im Abendlicht. Wir packen unsere Brotzeit aus und füllen die Energiereserven wieder auf. Wir verweilen noch ein bisschen und genießen den Ausblick, bevor wir uns an den Abstieg machen. Wenig überraschend ist Ende Februar nordseitig noch viel Schnee vorzufinden, weswegen die Pfadspuren nicht auszumachen sind. Wir steigen zunächst zur Eisbergscharte auf einem sehr tragfähigen Harschdeckel ab, der, je tiefer wir kommen, konstant weniger tragfähig wird. Wir brechen manchmal bis zur Hüfte ein und bahnen uns mühsam einen Weg durch die Latschen. Irgendwann erreichen wir den aperen Eisbergsteig. Diesem folgen wir bis ins Tal zurück zum Auto.

Fazit: Anhaltend schwere Kletterei mit soliden Hakenabständen. 6+ obligat ist hier nicht nur notwendig um den nächsten Haken zu erreichen, sondern man sollte das auch sicher klettern um übermäßig viele (schmerzhafte) Flugmeter zu vermeiden.
Grundsätzlich eine wirklich schöne Tour in bestem Fels, die durchaus einen ernsten Charakter hat. Den Erstbegehern meinen größten Respekt für das gute Auge und der Absicherung mit Augenmaß. Dieser Tag wird für uns eine bleibende Erinnerung sein.

 
Eisberg 28. Februar 2021

Tourengänger: Paco


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Kommentare (3)


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ZvB hat gesagt: Top
Gesendet am 6. März 2021 um 14:40
Mensch Paco,

ein exquisites Meisterstück! Zum Wandern bist eben doch noch zu jung/klein!
Aber dass es jemanden geben soll, der noch schneller friert als Du...?

Beste Greetz
Zing

Paco hat gesagt: RE:Top
Gesendet am 8. März 2021 um 08:11
Wenn ich mal so alt/groß wie du bin, dann trage ich auch die Schneeschuhe auf den Berg! :P

ZvB hat gesagt: RE:Top
Gesendet am 8. März 2021 um 12:46
Warte erst ab, wenn ich noch älter/größer bin und die zwei Steintafeln mit den 10 Geboten vom Berg herunter trage..


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