Bergtour Schlieren N-Grat (ab Sassigrat) - auf den Spuren der Uri Rothstock-Bahn


Publiziert von El Chasqui , 21. Juli 2020 um 18:50. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Schweiz » Uri
Tour Datum:19 Juli 2020
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-UR 
Zeitbedarf: 1 Tage

Schlieren-Norgrat, was für eine tolle Tour! Ich habe den Bericht zweigeteilt.
Teil 1 beschreibt unsere Tour
Teil 2 gibt einen geschichtlichen Hintergrund, was auf dieser Route auch mal noch geplant war...


Wir starteten unsere Schlieren-Nordgrat-Tour um 06.00 beim Neihüttli. Gemütlich stiegen wir hoch zur Musenalp, genehmigten uns ein Kaffee und erfuhren, dass schon einige Leute – u.a. eine 10er SAC-Gruppe – unterwegs waren. Kein Grund zur Eile also. Ein wunderschöner, nicht zu heisser Tag stand bevor.
Über den Sassigrat erreichten wir auf guten Wegspuren den Chli Schlieren. Nun wurde es spannend. An einem geschlagenen Hacken und einer Reepschnur hing ein in die Jahre gekommenes Fixseil. Ne, diesem trauten wir nicht mehr und wir benutzten somit unser 40-m Seil. Mit einem Prusik gesichert stiegen wir somit in die Scharte ab. Das ging sehr gut, auch wenn der Untergrund beim Runtersteigen hie und da etwas nachgab. Die grosse 10er-Gruppe hat die Scharte schräg abwärts über das Geröll erreicht, war aber scheints sehr unangenehm und feucht.
 
Wir seilten uns an, da wir nicht wussten, was noch alles folgte. Im Nachhinein gesehen ginge es aber auch gut ohne. Von der Scharte ging es auf guten Wegspuren einige Meter nach rechts, ehe wieder Richtung Grat hochgestiegen werden konnte. Ausgesetzt, aber trotz der noch vorhandenen Feuchte gut zu begehen. In der Folge waren immer Spuren zu erkennen. Ab und zu musste etwas in die Westflanke ausgewichen werden, es ging aber immer viel besser, als es von weitem ausgesehen hat.
Die für uns unangenehmste Stelle kam dort, kurz bevor die Route von der Bywaldalp hochkommt. Hier hatte es die erste blaue Markierung, die mittels Pfeil in eine kurze Rinne runterzeigte. Uns schien die etwas höher gelegene Rinne komfortabler, aber so vier, fünf Meter waren sehr griffarm. Aber irgendwie ging es doch ganz ordentlich (ich bin mir nicht sicher, ob man diese Stelle ev. sogar über den Grat hätte meistern können). Nun auf guten Wegspuren hinüber – Achtung keine Steine lostreten - , wo die Route von der Bywald hochkommt. Von oben sieht dieser Aufstieg nicht gerade einladend aus, wir waren froh, dass wir beim Sassigrat gestartet sind. Nun noch wenige Meter hoch zum Grat und weiter zum Einstieg in den Nordgrat.
 
Ja, der berühmte Schlaghacken leistete guten Dienst und so stiegen wir den Felsgraben hoch weiter. Rund alle fünf Meter hat es blaue Markierungen, bei gutem Wetter kann man sich nicht versteigen. Ein wirklich schöner Aufstieg. Durch das, dass wir schon einige Zeit im ausgesetzten Gelände unterwegs waren, schien uns das nicht wirklich sehr luftig. Störend waren die herunterstürzenden Steine, die unsere Vorsteiger ab und zu ausgelöst haben (kein Vorwurf, es ist fast nicht möglich, nichts loszutreten). Kurz wird der Graben nach links verlassen, wo eine kleine Platte überwindet werden muss. Diese Stelle ist nun mit einem Fixseil gut abgesichert. Nun erreichten wir definitiv den Grat, wo es galt, eine Steilstufe zu überwinden. Auch diese Stelle ist mit einem rund 10-Meter langen Fixseil ausgerüstet. Es wurde nun sogar noch etwas steiler, bis man den Vorgipfel erreicht, aber auch das alles im sehr gut gestuften Gelände.
Die 10er-Gruppe hatten wir inzwischen eingeholt und beobachteten, wie sie etwas unbequem einen 20-Meter-Ost-Abstieg über loses Geröll bewältigt hatten. Während der Wartezeit installierten wir unsere Reepschnur mit Maillone Rapide, so dass wir wieder bequem an unserem Seil gesichert auf den Verbindungsgrat runtersteigen konnten. Von nun an wurde es einfach. Durch das Geröll, kurz über ein kleines Schneefeld, steiler ansteigend gegen den Gipfel erreichten wir ohne Probleme den Schlieren. Tolle Sicht, wir machten ausgiebig Pause.
Der Abstieg zur Schlierenlücke ist nur im untersten Drittel etwas schwieriger. Aber auch hier ist alles bestens blau markiert und ausgesetzt ist es nicht sehr.
Der nachfolgende Aufstieg zum Uri Rotstock ist anfänglich klettermässig etwas schwieriger als beim Schlieren, aber kurz und halt auch wieder durchsetzt mit viel losem Gestein. Dann kommt Gehgelände, ehe man exponiert in die Westseite queren muss. Dann durchs Felsentor hindurch, und in guten Spuren hoch Richtung rotem Gestein. Von da an herrliches Kraxeln auf den Uri Rotstock, wo wir auf einige Besucher gestossen sind.

Für den Abstieg nahmen wir den Weg zur Musenalp. So konnten wir noch wenige Schneefelder für den langen Abstieg nutzen.

Fazit: eine tolle und spannende Tour, die aber konditionsmässig einiges fordert (über 2000 Höhenmeter). Die vollständige Überschreitung ist lohnenswert, sollte aber nur bei trockenem Wetter begangen werden. Am besten unter der Woche, so wird auch das Steinschlagrisiko reduziert. Heute waren rund 20 Leute auf dieser "einsamen" Route unterwegs.

Teil 2 - auf den Spuren der Uri Rothstock-Bahn

Wir schreiben das Jahr 1890. Bereits seit 1883 beschäftigte sich Literat C. F. Türler aus Bern mit dem Bau einer Eisenbahn auf den Uri Rothstock. Was man auf den Rigi, den Pilatus, den Salvatore oder den Generoso geschafft hat, sollte auch für den 2932 m hohen Berg über dem Vierwaldstättersee möglich sein. Die Bodenverhältnisse für ein Bahntrasse vom Urner Becken des Vierwaldstättersees nach Isenthal und durch das Kleinthal hinauf zum Sassigrat erachtete Türler als sehr günstig. Nur für den weiteren Verlauf hinauf auf den Gipfel des Uri Rotstocks erwartete er grössere Schwierigkeiten.
Der Uri Rotstock war zu dieser Zeit ein Ziel für erfahrene Berggänger, er wurde jeden Sommer von rund 300 Bergsteigern bestiegen (heute wohl ein Vielfaches davon). Schon damals wurde die tolle Aussicht vom Gipfel gelobt. Dr. Hermann Christ, Jurist und Botaniker und Verfasser des Buches Das Pflanzenleben der Schweiz, äusserte sich folgendermassen über die Eindrücke eines Uri Rotstock Gipfelbesuches: Die Aussicht ist die ergreifendste aller Schweizer Aussichten, die ich je genossen habe, denn über 8000 Fuss hoch, scheinbar senkrecht schwebt man über dem tiefgrünen Vierwaldstättersee, ein Anblick, dem ganzen Bilde einen unnennbaren Zauber, ein Leben gibt, wie es nicht entfernt auch die noch so mächtigste Gipfelschau allein gewährt. Wenn auch der Einblick in die Firnmeere der Centralalpen hier schon etwas beschränkter ist, als auf dem Titlis, so ist die malerische, die landschaftliche Wirkung eine unvergesslich grössere, sie übersteigt alle Erwartung, ja fast die Grenze der Phantasie.“
Türler preiste den Uri Rotstock sogar als „schönsten Aussichtspunkt Europas, der Vesuv könnte allenfalls noch in Betracht gezogen werden… selbst die Aussicht von der Jungfrau muss gegenüber der vom Uri Rotstock erheblich zurückstecken.“ Türler musste es wissen, als erfahrener Berggänger hat er mehr als 400 Berge bestiegen.
 
Türler reichte sein Konzessionsgesuch im Juni 1890 beim schweizerischen Eisenbahn-Departement in Bern ein. Für den genauen Verlauf der projektierten Bahn sind leider keine Unterlagen mehr vorhanden. Aufgrund der guten Beschreibungen im Urner Wochenblatt vom 5. Juli 1890 bzw. Vaterland 28. Juni 1890 lässt sich der Streckenverlauf etwa folgendermassen rekonstruieren.
Ausgangspunkt der Zahnradbahn wäre Bauen am Urnersee gewesen. Andere Quellen sprechen von der Isleten als Ausgangspunkt. Mit einer Maximalsteigung von 20% (vergleiche Rigi-Bahnen 20%, Jungfraubahn 25%) ging es vom See hinauf zum Hof Birchi, wobei der Isenthaler-Bach auf einer 20 Meter langen Brücke überquert worden wäre. Die Strecke führte weiter taleinwärts, wobei 600 Meter vor dem Dorf die Station Isenthal geplant gewesen wäre. Von dort zweigte die Linie in einer leichten Linkskurve in das Kleinthal ab. Nach einer weiteren Brücke über den Kleinthalbach erreichte das Trasse die „Alpweiden der Hermisegg“. Dort war eine Wasserstation geplant. Weiter ging es durch das Kleinthal, ehe nach dem Klosterbergwäldchen der Streckenverlauf steiler wurde. In bis zu 30% Steigung werden die „weitläufigen, sonnigen und trockenen Rasenabhänge“ gleichmässig erklommen. Die Strecke erreichte den Sassigrat, dem sie noch rund 600 Meter bis auf 2060 M folgte. Hier endete der erste Teil der Zahnradbahn. Von Bauen wurde eine Strecke von 8.6 Km bei einer Höhendifferenz von 1620 m zurückgelegt.
Von dieser Zwischenstation bis hinauf auf 2880m (50 Meter unter dem Gipfel) hätte eine Standseilbahn auf einer Länge von 2.4 Kilometer bei einer Steigung von 37% gebaut werden sollen. Aufgrund der Beschreibung ist nicht ganz klar, wo der Endbahnhof zu liegen gekommen wäre. Zwar wird der 2798 m hohe Übergang von Chlitalerfirn ins Grosstal auch heute noch von den Einheimischen als Bahnhöfli bezeichnet, gemäss Berichten wäre aber die Endstation auf 2880 m zu liegen gekommen, also deutlich höher und somit vermutlich unterirdisch.
Tönt alles spannend, aber doch auch schön, dass die Bahn nicht zu Stande gekommen ist.
Besten Dank an Bruno G. für die grosse Mithilfe zu diesen Recherchen! 


Tourengänger: El Chasqui, leuti


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Kommentare (5)


Kommentar hinzufügen

Bombo hat gesagt:
Gesendet am 22. Juli 2020 um 14:50
Vielen Dank für den sehr spannenden und für mich überraschenden Exkurs betreffend Bergbahn. Und das alles Ende 19. Jahrhundert, unglaublich.

Gratulation natürlich auch zur erfolgreichen Tour!

Lg
Bombo

Linard03 hat gesagt:
Gesendet am 22. Juli 2020 um 18:54
coole Tour und interessanter Bericht; merci!

Lg, Richard

Parlando2 hat gesagt:
Gesendet am 23. Juli 2020 um 10:29
Spannend: eine URS-Bahn! Die kannst du dann ja bei deinem Jubiläum beantragen ;)
Glückwunsch zur Tour!

Hami hat gesagt:
Gesendet am 24. Juli 2021 um 09:09
Super Beitrag!
Dank deinem Bericht habe ich mich nun auch solo an diese Tour gewagt. Allerdings bin ich von St.Jakob und Bywald aufgestiegen und habe den Sassigrat ausgelassen. In der Rinne beim Aufstieg zwischen Bywald und Grat bröckelt es leider ordentlich. Für mich definitiv die Schlüsselstelle dieser Tour. Danach aber super Fels bis zum Schlieren Vorgipfel.
Scheint, als wären die Fixseile beim Aufstieg zum Schlieren kürzlich ersetzt worden. Sie sind in gutem Zustand.

El Chasqui hat gesagt: RE:
Gesendet am 26. Juli 2021 um 07:49
Super! Ja, der Umweg über den Sassigrat lohnt sich allemal, das ist weniger steinschlägig als diese dunkle Rinne...


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