Kurzbericht 

Blue was the color of his dress, then silk orange ...


Publiziert von lorenzo , 1. Februar 2020 um 19:17.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Unterengadin
Tour Datum:22 Januar 2020
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Ski Schwierigkeit: S-
Wegpunkte:
Geo-Tags: Pisoc-Zuort-Gruppe   CH-GR 
Zeitbedarf: 6:15
Aufstieg: 1770 m
Abstieg: 1770 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Tarasp, Fontana
Zufahrt zum Ankunftspunkt:dito
Unterkunftmöglichkeiten:diverse Hotels in Scuol, Vulpera und Villa Maria
Kartennummer:LK 1199 Scuol, 1219 S-charl, 249 S Tarasp, 259 S Ofenpass; V. Eggenberger, Skitouren Graubünden Süd, SAC 2020; Alois Carigiet, "Birnbaum, Birke, Berberitze", Orell Füssli Verlag AG, Zürich, 15. Auflage 2015

Im letzten Oktober verbrachte ich mit meiner 84-jährigen Mutter eine Woche in Guarda. Durch herbstlich gefärbte und leuchtende Haine und Wälder unternahmen wir Talspaziergänge oder wanderten zu umliegenden Maiensässen. Die Wege waren mit Berberitzen gesäumt, von deren sauren Beeren wir zu unserer Erfrischung immer wieder naschten. Langsam dämmerte mir, wie die stachlige Berberitze in Alois Carigiets berührende "Geschichte aus den Bündner Bergen", die "von Duméni Tubàk, seiner Frau Nesa und ihren Kindern Viturin und Babetin"  aus Canterdun erzählt, Eingang gefunden hatte...Einmal besuchten wir bei regnerischem Wetter das Bogn Engidania in Scuol und am letzten Ferientag vom unteren Val S-Charl aus den geheimnisvollen Lai Nair, von dem wir nach Tarasp-Fontana abstiegen. Und jedes Mal war ich vom Blick auf die Engadiner Dolomiten überwältigt und schaute immer wieder sehnsüchtig zu ihren stolzen Gipfeln Piz Nuna, Piz Nair, Piz Plavna Dadaint, Piz Zuort, Piz Pisoc, Piz Lischana und Piz S-Chalambert hinüber. Ich erkor den primus inter pares, den Piz Pisoc zum meinem nächsten Ziel. Aber die Tage waren schon kurz und die weiten Geröllhalden, wild gefurchten Flanken und kühn gezackten Grate ab ca. 2500m bereits von erstem Schnee überzuckert, die Bedingungen für eine Besteigung also denkbar ungünstig.

Über das folgende Neujahr weilte ich mit zwei Kolleginnen und ihren beiden Hunden wieder im Unterengadin, diesmal an seinem unteren Ende in Tschlin. Das ganze Tal bis hinunter zum Inn war tief eingeschneit und wegen erheblicher Lawinengefahr kamen höchstens Skitouren in Südexpositionen in Frage, von denen es dort zum Glück eine reiche Auswahl gibt, die wir uns denn mit dem Mot da las Amblanas, dem Piz Malmurainza und dem Piz Arina auch nicht entgehen liessen. Und immer wieder winkte, aus verschiedenen Perspektiven, der verführerisch weiss gekleidete Piz Pisoc, laut Ivo66 der höchste Gipfel des Schweizerischen Nationalparks, mir zu. Nur, an seine Besteigung unter diesen Bedingungen durfte ich nicht einmal zu denken wagen. So musste ich mich ein zweites Mal gedulden. Aber noch hatte ich zwei leere Felder auf meiner bald ablaufenden Mehrfahrtentageskarte, und ich war zuversichtlich, dass sich bald eine nächste Gelegenheit ergeben würde. An Silvester begegneten wir a
uf dem Weg von Vnà hinunter nach Ramosch zufällig Adam Quadroni, der sich am Strassenrand mit jemandem austauschte. Wir hielten an und wünschten ihm ein gutes neues Jahr, er erwiderte unsere Glückwünsche und winkte uns lächelnd zu. Auch eine Geschichte aus den Bündner Bergen: diesmal von einem erschütternden Leidensweg biblischen Ausmasses mit Prüfungen, wie sie einst Hiob erdulden und bestehen musste. 

Da die Züge ins Bündnerland und von dort zurück im Winter erfahrungsgemäss voll bis übervoll sind, nahm ich mir vor, einmal unter der Woche blau zu machen, um nach Scuol und den Ausgangspunkt Tarasp-Fontana zu fahren. Das schöne Wetter hielt, abgesehen von einigen geringen Schneefällen und z.T. starken Winden aus wechselnden Richtungen seit Jahresbeginn praktisch unverändert an, und auch das Lawinenbulletin pendelte, zumindest für das Unterengadin nur zwischen "gering" und "mässig" hin und her. Am geplanten letzten Mittwoch schien alles zu passen: Meteoblue vermeldete wolkenloses "Blau" mit - dank Inversion - milden Temperaturen in den Bergen und ohne Wind, und das SLF "gering", einzig das in dieser Woche in Davos stattfindenden WEF hätte villeicht noch für unliebsame Überraschungen sorgen können....

In Sagliains staunte ich dann zuerst einmal: wie im Prättigau waren auch hier im Unterengadin die Sonnenhänge bis hoch hinauf aper. Ich beruhigte mich aber rasch, denn an den Schattenhängen hatte sich der viele Schnee seit dem Jahreswechsel gut erhalten. Im bitterkalten Tarasp-Fontana, das noch im Schatten lag und in diesen Januartagen wohl nicht viel Sonne erhalten würde, verstaute ich meine Zugutensiiien in einen Plastiksack und versteckte diesen am Dorfausgang bei einer Tannengruppe unter einem Stein. Eine freundliche Dorfbewohnerin erklärte mir den Weg zum Val Zuort, und schon kurze Zeit später stieg ich auf einer guten Spur dem murmelnden Bach entlang hinauf. Ab dem Hang von Zuort verloren sich die z.T. vereisten und zunehmend verblasenen Spuren zusehends, so dass ich ein eigene Spur zu legen begann, was in dem grösstenteils gut verfestigen Schnee keine besondere Mühe bereitete. Je höher ich kam, desto blauer wurde das schattig-düstere Kar von Zuort, und desto tiefblauer der ausgespannte Himmel darüber. Auch war es hier oben wärmer als unten im Tal.

Zum Einstieg ins SW-Couloir musste ich durch etwas tieferen Schnee spuren, im Couloir selber lag dann zum Glück recht guter Trittschnee, auch traf ich zwischendurch auf noch vorhandene Spuren, so dass ich zügig voran kam. In der Gratscharte, wo ich die Ski deponierte, dann ein erster atemberaubender Tiefblick hinunter ins Val S-charl, über dem der Piz Sesvenna und der Ortler thronten. Kurz nach der Gratscharte blinzelte ich erstmals in die Sonne und ihre warmen 
Orangetöne stimmten mein Gemüt zuversichtlich. Der Schnee auf dem SSW-Grat war unregelmässig verfestigt und erforderte ein vorsichtig-tastendes Gehen, dafür erleichterten nur wenig verblasene Spuren sowie weiss-rote Markierungen die Orientierung und das Vorankommen. Obwohl ich anhand der Karte auf die respektable Gratlänge von einem halben Kilometer vorbereitet war, glaubte ich mich vor Aufschwüngen zwei- bis dreimal schon unter dem Gipfel und musste mich dann ernüchtert nochmals zusammenreissen. Schliesslich ging es auf allen Seiten nur noch abwärts, und ich stand auf dem Gipfel und genoss die prächtige Aussicht hinunter ins Unterengadin und ins Val S-charl, auf die umliegenden Engadiner Dolomiten, die Silvretta, die Ötztaler Alpen, die Suldener Berge, und - last but not least - weit im Südwesten auf die Bernina.

Dank meinen eigenen Spuren ging der Abstieg über den SSW-Grat zurück zum Skidepot etwas leichter, verlangte aber trotzdem noch volle Konzentration. Gespannt, was mich erwarten würde, schnallte ich die Ski an, und machte zuoberst im SW-Couloir einige Probeschwünge, die sich bei gutem Grip weniger schwierig, als bei wechselnder Schneekonsistenz eher anstrengend anfühlten. So ging es, einige Engstellen passierend und Felsen umfahrend, durch das ganze Couloir hinab, bis ich zuunterst wieder in den blauen Schatten eintauchte. Nach der darunterliegenden Felsinsel konnte ich es vorerst 
Schwung um Schwung so richtig ziehen lassen, staunte aber über die vielen Höhenmeter, die ich am Vormittag offensichtlich bewältigt hatte, bis dann das coupierte Gelände über der Abzweigung Richtung Avrona nochmals etwas ruppiger wurde. Die Variante über Magnüda war dann wieder bequem zu fahren und dürfte einer Abfahrt durch das enge Val Zuort unbedingt vorzuziehen sein. Und schon bald näherte ich mich wieder der Postautohaltestelle unter dem Ehrfurcht gebietenden Schloss von Tarasp, das wie das ganz Dorf schon wieder im Schatten lag.

Nachdem ich meinen Plastiksack wieder aus seinem Versteck geholt hatte, reichte es um Minuten gerade noch auf das frühere Postauto. Während der Rückfahrt durch das Unterengadin sah ich durch das Zugfenster nochmals zurück zum Piz Pisoc, dessen Gipfel und SSE-Grat, wo ich erst vor nur wenigen Stunden auf- und abgestiegen war, von letzten Sonnenstrahlen beleuchtet wurden. Im Zug ab Landquart fragte mich die im Abteil gegenüber sitzende junge Frau, die gerade vom Snowboarden in Flims/Laax kam, wo ich gewesen sei. Im Unterengadin, antwortete ich. Wo genau? wollte sie wissen. Ob sie sich denn auskenne? fragte ich zurück. Ja, sagte sie. Auf dem Piz Pisoc, antwortete ich. Was, auf dem Piz Pisoc? Dort habe sie als Mädchen jedes Mal hinaufsteigen wollen, wenn sie mit ihren Eltern in Scuol in den Ferien weilte, leider seien sie aber nie ganz hinauf gekommen. Ich beschrieb ihr kurz die Route im Sommer und im Winter mit den dazugehörigen Schwierigkeiten und Gefahren. Villeicht würde es bei den nächsten Familienferien in Scuol klappen?

Aufstieg durch das Val Zuort und das SW-Couloir

Von Tarasp-Fontana (1402m) auf der Dorfstrasse oder querfeldein zur Brücke 1437 und entlang dem weiss-rot markierten Bergweg durch das Val Zuort zur Brücke 1717. Über die weiten Hänge von Zuort und E der felsigen Stufe von P. 2284 hinauf und weiter nach S zu P. 2532 SE auf der Abflachung von Mot Zuort. Nun nach SE und N oder S der Felsinsel von P. 2713 (bis 35 Grad) hinauf zum Beginn des SW-Couloirs bei ca. 2780m. Zu Fuss durch dieses hinauf (ca. 200Hm, 40-45 Grad) zur Gratscharte N von P. 3016, Skidepot, 3h 45min-5h, ZS (Skitourenskala). Weiter zu Fuss entlang dem SSW-Grat (weiss-rote Markierungen, Stellen I-II, Querungen und Rinnen bis 45 Grad), felsigen Hindernissen W ausweichend auf den Piz Pisoc (3174m), 45min-1h WS, (Hochtourenskala).

Abfahrt durch das SW-Couloir und über Magnüda
Zu Fuss über den SSW-Grat zurück zum Skidepot, 45min-1h, WS. Abfahrt durch das SW-Couloir und weiter entlang der Aufstiegsroute bis zur Brücke 1717. Auf dem weiss-rot markierten Bergweg bis nach Chalchera da Flach (1657m), nach N über Magnüda zur Alpstrasse bei Clüs Sura (1563m) und entweder nach NW direkt über Clüs Gronda oder auf der Alpstrasse über Fontana Sura und die Dorfstrasse zurück, 1h-1h 30min, S-.

Verhältnisse: sonnig, kaum Wind und mild (Inversionslage). Ab dem Dorf ca. 50cm-1m mehr oder weniger verblasener und gedeckelter Pulver auf guter Unterlage. Im Couloir beim Aufstieg Trittschnee, bei der Abfahrt griffig und Felsen gut umfahrbar. Am SSW-Grat unterschiedlich verfestigter Pulver. Unten gute, ab Zuort mehr oder weniger verblasene Aufstiegs- und Aufstiegsspuren bis bzw. ab Gipfel.

Material: Helm, Steigeisen und Pickel zusätzlich zu üblicher Skitourenausrüstung.

Fahrplan: 9.45. Start, 13.30 Gratscharte, 14.15 Gipfel, 15 Uhr retour Gratscharte, 16 Uhr zurück.

Nur bei sicheren Lawinenverhältnissen!

Tourengänger: lorenzo


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