Verschwunden: Ober Rzebirze/Rschebirsche (Horní Šebířov)


Publiziert von lainari , 17. März 2018 um 11:25.

Region: Welt » Tschechien » České středohoří
Tour Datum:11 März 2018
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CZ 
Zeitbedarf: 4:30
Aufstieg: 350 m
Abstieg: 350 m
Strecke:12 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Auto oder Bus bis Mukařov
Kartennummer:1:50.000, KČT Nr. 11 České středohoří východ

Ein weiterer untergegangener Ort im Böhmischen Mittelgebirge
 
Eine kurze Frühlingsepisode lockte mich zu einer weiteren historischen Erkundung hinaus. Wegen dem, mit den hohen Temperaturen (bis 15° C) verbundenem oberflächlichem Auftauen des sonst noch tief gefrorenen Bodens suchte ich mir „leichtes Gelände“ heraus und verzichtete auf eine erneute Talwanderung. Meine Auswahl fiel auf die Wernstädter Höhen im rechtselbischen České středohoří (Böhmisches Mittelgebirge). Ich fuhr in das Örtchen Mukařov (Munker) am Passübergang der Straße zwischen Lovečkovice (Loschowitz) und Verneřice (Wernstadt). Die Siedlung wurde bereits 1352 erstmals urkundlich erwähnt. 1890 erhielt der Ort eine Haltestelle an der von Lovečkovice kommenden Stichstecke der einstigen Lokalbahn Groß Priesen-Wernstadt-Auscha (L.G.W.A.). Die Bahnstrecke wurde 1978 stillgelegt und später abgebaut. Die alte turmlose Pfarrkirche des Hl. Franz von Assisi wurde zu sozialistischen Zeiten dem Verfall preisgegeben und noch vor 1989 abgerissen. Der nebenan auf dem Friedhof stehende, als Denkmal ausgewiesene Glockenturm stürzte 2002 zur Hälfte ein und ist heute notgesichert.
 
Ich parkte am Ortseingang neben der Straße und startete zu Fuß aus dem Ort heraus mit der Überquerung der Hauptstraße. Nach wenigen Metern entlang einer Fahrstraße bog ich auf einen Flurweg ein, der mit Betonplatten befestigt war. Nach kurzer Zeit überschritt ich die Anhöhe Horka u Náčkovic/Víťova rozhledna (Zimmers Beule/Beile). Der dort befindliche Sendemast ist im unteren Teil verkleidet und wird als Aussichtsturm (9 m) zweitgenutzt. Geöffnet war er heute nicht aber der Überblicksgewinn dürfte ohnehin nur minimal sein. Ich marschierte auf dem Plattenweg weiter den Kamm entlang. Ungefähr bei seinem Ende zweigte eine Fahrspur nach links ins Wiesenland ab. Nun abseits einer Wegbefestigung unterwegs, zeigte sich nach wenigen Schritten das Dilemma des Tages: Das nur augenscheinlich trockene Grasland war angetaut und das Tauwasser konnte durch den Frost im Boden nicht versickern, so dass es bei jedem Schritt nur so pitschte und platschte. Das konnte noch heiter werden. Leicht abwärts gehend, beschrieb ich einen weiten Linksbogen. Die Fahrspuren hatten sich mittlerweile vervielfältigt und waren dabei undeutlicher geworden. In einem Gehölzstreifen links der Gehrichtung zeichneten sich Mauerreste ab, somit ich hatte das Siedlungsgebiet von Ober Rzebirze/Rschebirsche/Rebire/Sebirsche (Horní Šebířov) erreicht. Nach dem Kaiserpflichtexemplar des Stabilen Katasters umfasste der Ort 1843 zehn Hausnummern. Vor dem II. Weltkrieg lebten hier 47 Einwohner. Mit der Vertreibung der Sudetendeutschen verlor er seine Bevölkerung. Die ungenutzten Häuser verfielen im Laufe der Zeit. An einem Objekt war ein in jüngerer Zeit durchgeführter Wiederaufbauversuch als Wochenenddomizil erkennbar. Der gegen Südwesten ausgerichtete Hang des Kammes war offenbar trotz der exponierten Höhenlage recht gut für Landwirtschaft und Obstbau nutzbar, was einst die Lebensgrundlage des Ortes bildete. Das einstige Bebauungsgebiet ist heute von großen knorrigen Bäumen geprägt. Ich konnte alle einstigen Höfe des Ortes ausfindig machen, wie eine nachträgliche Überprüfung ergab. Einige Ruinen wiesen sehenswerte, leidlich begehbare Keller, fallweise auch mit Hausbrunnen auf. Am unteren Ortsende bog ich nach rechts ab und ging parallel zum einstigen, heute dornenverbuschten Zugangsweg nach Knínice (Kninitz) hinüber.
 
Die von mir benutzte Fahrspur erreichte den oberen Ortsrand jedoch nicht, sondern wurde bergwärts abgelenkt, was ganz in meinem Sinne war. Durch unübersichtliches Wiesenland mit Gehölzstreifen, Flurmauern und Waldstücken strebte ich in einem Linksbogen bergwärts. Eine genauere Beschreibung ist schlicht nicht möglich, weil selbst die Detailkarte die genauen Bewaldungsgrenzen und Wiesenstücke nur unvollständig wiedergibt. Ich verließ mich auf meinen inneren Kompass und hielt auf eine von Süden blickend stärker ausgeprägte Anhöhe zu. Oben an der zunächst sichtbaren Kante angekommen, war ich aber noch nicht wirklich oben. Es zog sich noch eine Weile hin, bis ich auf der weiten Hochfläche den TP und somit den Gipfel des Matrelík (Mathias Röllig Berg/Mathröllig/Math. Rellig/Matrelig) erreichte. Am Namen des Berges zeigen sich schön die Stufen einer sprachlich-mundartlichen Verschleifung und eine tschechische Entsprechung in Laut-Transformation. Der Name geht im Übrigen auf einen einstigen Flurbesitzer dieses Landstückes zurück. Leicht fallend wandte ich mich über das Wiesenland ostwärts. Durch die großflächige Weidewirtschaft wurden die alten Wegbeziehungen überformt. Unterwegs legte ich an einem Lesesteinhaufen eine Mittagsrast ein. Am Rande eines Waldstückes kamen später Häuser der Siedlung Čáslav (Tschiaschel) in Sicht. Der Flurname Ceaslau tauchte bereits 1057 erstmals urkundlich auf, die Siedlung selbst, eine vermutliche Spätrodung aus dem 15. Jh., wurde 1619 erstmals erwähnt. Vor dem II. Weltkrieg waren hier 40 Häuser mit 185 Bewohnern vorhanden. Heute gibt es noch 15 Häuser, alle ohne ständige Bewohner, der Ort dient also als Wochenend-/Feriendomizil. Wegen einer Weidebesetzung mit Pferden und dadurch verschlammten Arealen erreichte ich den Ort selbst nicht und passierte ihn südlich. Ich hatte davon gelesen, dass unter dem gesamten Kamm vom Zinkenstein bis südlich von Wernstadt ein unterschiedlich intensiv ausgeprägtes Braunkohleflöz liegt, das im 19. Jh. bergmännisch ausgebeutet wurde. Eine genaue Lage der Bergwerke hatte ich in der Vorbereitung nicht bestimmen können, war jedoch optimistisch einige Spuren zu finden. Aber weit gefehlt, durch das harte Basaltgestein gab es keinerlei Einsenkungen über den Abbauen, Schächte wurden nur im Notfall niedergebracht und Haldenmaterial vom Stollenbau wahrscheinlich als Wegebaustoff weiterverwendet. Die Zechen litten zu Betriebszeiten durch den sparsamen Ausbau unter hohem Wasserandrang und schlechter Bewetterung. Wie mir eine alte Flurkarte im Nachgang verriet, hatte ich beim Rückweg auf den Berg hinauf ziemlich genau die Uiberschar getroffen. Der Begriff aus dem österreichischen/böhmischen Bergrecht bezeichnet ein freies Feld/die Mitte zwischen zwei verliehenen Grubenfeldern. Mittlerweile habe ich Anhaltspunkte für Standort und Verlauf von zwei Zechen sowie den Standorten von zwei weiteren Zechen ausmachen können, so dass sich Ansätze für einen weiteren Besuch ergeben. Zunächst kam ich jedoch mit Matschhosenbeinen ohne weiteren Erkenntnisgewinn wieder zum Horka u Náčkovic/Víťova rozhledna und auf festem Untergrund zurück nach Mukařov. Hier ging ich noch durch den Ort bis zum Friedhof und schaute mir den fortschreitenden Verfall und fallweise auch die mutwillige Zerstörung des denkmalgeschützten Geländes an. Nach einer Weile zog ich mich dann zum Auto zurück und trat die Heimfahrt an.
 
Die pausenbereinigte Gehzeit betrug 4 h 30 min.
Die absolvierte Wegstrecke ist nicht als Wanderweg markiert und ist auf den vorhandenen Flurwegen mit T1 zu bewerten. Die weglosen Erkundungen haben abweichend die Schwierigkeit T2.

Tourengänger: lainari


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